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Public Domain
Edition Digital Culture 3

Dominik Landwehr (Hg. / Ed.)
Migros-Kulturprozent
Christoph Merian Verlag

Inhalt / Contents

Vorwort

Dominik Landwehr

Public Domain im Urheberrecht

Martin Steiger

Public-Domain-Praxis

Daniel Boos

Sharing is Caring

Gespräch mit Merete Sanderhoff

Kunstwerke aufbrechen

Gespräch mit Mario Purkathofer

Buchskulptur für Robert Musil

Villö Huszai

Digitale Remixkultur

Leonhard Dobusch

Rebloggen als Kulturtechnik

Wolfgang Ullrich

Bilder / Images: Visueller Kontext / Visual Context

Public domain – Edition Digital Culture 3: English Version

Preface

Dominik Landwehr

Public Domain in Swiss Law

Martin Steiger

Public Domain Practice

Daniel Boos

Sharing is Caring

Interview with Merete Sanderhoff

Breaking up Works of Art

Interview with Mario Purkathofer

A Book Sculpture for Robert Musil

Villö Huszai

Digital Remix Culture

Leonhard Dobusch

Reblogging as a Cultural Technique

Wolfgang Ullrich

Public Domain: Heute & morgen / Today & Tomorrow

Glossar / Glossary

Audio & Video

Bildnachweis / Picture Credits

Fussnoten / Footnotes

Impressum / Imprint

Vorwort

Was haben die Bücher der Bibel, die Gesänge Homers, die Werke von Schiller und Goethe, die Erzählungen von Joseph Roth, die Romane von James Joyce und von Friedrich Glauser gemeinsam? − Die Rechte für diese Texte sind abgelaufen. Sie sind gemeinfrei oder Public Domain. Das gilt auch für die Meisterwerke von Botticelli, Tizian, Ferdinand Hodler, Sophie Taeuber-Arp oder Wassily Kandinsky. Sie alle sind seit mehr als siebzig Jahren tot. Ihre Werke dürfen ohne weitere Abgeltung genutzt werden. Ob sie nun neu herausgegeben, ob ihre Texte adaptiert, gekürzt, verändert werden, ob ihre Bilder in Büchern reproduziert oder auf T-Shirts, Aschenbecher und Teetassen gedruckt werden – alles ist erlaubt.

Was ihr ererbt von euren Vätern habt,

remixt es, um es zu besitzen.

(frei nach Johann Wolfgang von Goethe)

Public Domain ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Die überwiegende Mehrheit aller künstlerischen Werke, die in der Kulturgeschichte der Menschheit geschaffen wurden, ist frei. Geschützt ist nur ein winzig kleiner Teil: nämlich jene Werke, deren Urheber noch nicht siebzig Jahre tot sind.

Eigentlich ist das alles nicht neu, und in den meisten Ländern ist das Recht auf Nutzung seit Jahrzehnten in den nationalen Urheberrechtsgesetzen verankert. Warum wird es gerade jetzt zum Thema? –Im Zuge der Computerrevolution der letzten Jahrzehnte wurden überall künstlerische Werke der Vergangenheit digitalisiert. Ein unübersehbares Angebot steht heute gratis zur Verfügung. Kulturelle Werke zum Nulltarif in der Form von Public Domain – das mag für die junge Generation eine Selbstverständlichkeit sein, für alle anderen ist es eine Revolution. Bis vor wenigen Jahren galt die Regel: Bücher kosten Geld, auch wenn die Texte darin alt sind und seit Jahrzehnten keine Überarbeitung mehr erfahren haben. Ähnlich war es mit Reproduktionen von Bildern: Auch dafür musste bezahlt werden, und die Beschaffung war oft mit viel Aufwand verbunden.

Lange, vielleicht zu lange, war die Diskussion um das Thema Kultur und Digitalisierung vom Umgang mit aktueller Musik und der hitzig geführten Debatte über die Möglichkeiten des Downloads bestimmt. Eine Praxis, die in Deutschland verboten, in der Schweiz aber nach wie vor erlaubt ist. Darum geht es in diesem Buch nicht. Es geht vielmehr um freie kulturelle Werke. Das vorliegende Buch unternimmt eine Tour d’Horizon durch die Welt dieser freien kulturellen Werke. Dabei geht es weniger um die Werke an sich als um grundsätzliche Fragen, die sich im Alltag stellen. Sie stellen sich jeder Leserin und jedem Leser, jeder Hörerin und jedem Hörer, oder neudeutsch allen Usern. Und sie stellen sich noch stärker all jenen, die sich professionell im weitesten Sinne mit Kultur beschäftigen: also Vermittlern, Kuratoren, Herausgebern, Lehrpersonen und Medienschaffenden. Für sie alle ist dieses Buch gedacht.

Zu Beginn des Buches stehen das Gesetz und die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen juristischen Fragen. Der Teufel liegt bekanntlich im Detail, und hier soll der Text des Zürcher Urheberrechtsspezialisten Martin Steiger weiterhelfen: Wann genau ist ein Werk Public Domain? Und wie ist das mit der Übersetzung? –Bei Werken, die wie die Bibel ständig neu übersetzt werden, eine sehr wichtige Frage. Wie verhält es sich mit Bildern, vor allem wenn hoch auflösende Daten fehlen? –Gibt es ein Recht auf diese Daten? Und wie sieht es schliesslich mit dreidimensionalen Objekten aus? Man denke etwa an den berühmten ‹David› von Michelangelo: Sind Bilder dieser Skulptur aus dem frühen 16. Jahrhundert auch gemeinfrei?

Das Rijksmuseum Amsterdam mit seinen weltberühmten Gemälden von Rembrandt, Jan Vermeer oder Frans Hals hat mit seiner Neueröffnung im Frühjahr 2013 einen grossen Coup gelandet und eine schwindelerregende Zahl von Kunstwerken digital in hoher Auflösung zugänglich gemacht. Die Aktion sandte eine Schockwelle durch die Museumslandschaft: viele waren begeistert, einige aber auch schockiert. Wie sieht es nun in der Schweiz aus mit dem Zugang zu digitalisierten Werken der Kunst, der Literatur, der Musik und des Films? –Unser Autor Daniel Boos, er gehört selbst zu den Public-Domain-Aktivisten, hat Kulturinstitutionen befragt und dabei eine interessante Feststellung gemacht: Nicht wenige der angefragten Spezialisten zeigten sich überrascht und hatten zum Zeitpunkt der Anfrage noch keine Antwort bereit. Für die Herausgeber dieses Buches ein Hinweis auf die Aktualität dieses Bandes. Für viele Kulturinstitutionen hat inzwischen ein Lernprozess begonnen. Wie ein solcher Prozess aussehen kann, schildert die Kuratorin Merete Sanderhoff vom Statens Museum for Kunst (SMK) in Kopenhagen. Sie bringt das Potenzial von Digitalisierung auf den Punkt: «Wir haben heute die Möglichkeiten, die Vision der Aufklärung umzusetzen: Zugang zu Wissen und Bildung für alle. Jeder auf unserer Welt sollte diese Möglichkeit haben.» Die Bilder aus der dänischen Nationalgalerie sind heute auch bei Wikipedia zu finden. Auch das ist ein Teil des Lernprozesses, den man in Dänemark durchlaufen hat. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist auf Public-Domain-Werke angewiesen.

Immer mehr Bibliotheken, Archive und Museen kooperieren deshalb mit Wikimedia, das ist die Bilder- und Mediensammlung der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Auch in der Schweiz gibt es bereits erste Erfahrungen mit dieser Zusammenarbeit: Zum Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte etwa im Jahr 2014 das Schweizerische Bundesarchiv 5100 Fotos aus dieser Zeit online zugänglich und übertrug diese auch auf die Plattform Wikimedia.1 2015 geschah dasselbe mit der berühmten Sammlung Gugelmann. Es handelt sich dabei um einen umfangreichen Bestand der Schweizerischen Nationalbibliothek (NB) mit Landschaftsansichten und Bildern von helvetischen Brauchtümern aus dem 18. und 19. Jahrhundert.2

Das vorliegende Buch ist der dritte Band der Serie ‹Edition Digital Culture› und wird vom Migros-Kulturprozent im Christoph Merian Verlag herausgegeben. Seit 1998 fördert das Migros-Kulturprozent Projekte im Bereich der digitalen Kultur. Das gilt auch für das Thema Public Domain. Vor einigen Jahren hat der Herausgeber die Schweizer Aktivisten um Daniel Boos und Mario Purkathofer gebeten, ihren damals durchgeführten Public-Domain-Tag, der jeweils am 1. Januar des Jahres stattfand, in einem etwas grösseren Rahmen durchzuführen. Das haben sie mit dem viel beachteten Projekt ‹Re:Public Domain› im Jahr 2013 mit Anlässen an verschiedenen Orten der Schweiz getan.3 Mario Purkathofer und Daniel Boos, die Initiatoren des Projekts, kommen in diesem Buch ausführlich zu Wort. Eine Bearbeitung ganz besonderer Art ist die Neufassung des Jahrhundertromans ‹Der Mann ohne Eigenschaften› von Robert Musil: Mario Purkathofer hat dieses Werk in Spiegelschrift gesetzt und neu gedruckt. Warum dies mehr als eine Spielerei ist, erklärt die Musil-Kennerin Villö Huszai in ihrem Beitrag. Solche radikalen Bearbeitungen von künstlerischen Werken mögen einigen respektlos vorkommen. Sie stellen aber nichts anderes als eine innovative Art von Aneignung dar. Die Kunst- und Medienwissenschaft spricht bei solchen Bearbeitungen heute von einem Remix. Der Remix ist zu einer zentralen künstlerischen Praxis der Gegenwart geworden. Was dies genau bedeutet, erklären die letzten beiden Aufsätze im vorliegenden Buch von Wolfgang Ullrich und Leonhard Dobusch. Public Domain ist ein Thema, das noch an Wichtigkeit gewinnen wird. Zwei weitere Themen sind eng damit verbunden: ‹Open Data› und ‹OpenGLAM›. Bei beiden geht es um freien Zugang zu Daten – im Fall von Open Data gehören dazu beispielsweise offizielle Statistiken, im Fall von OpenGLAM geht es um Daten von Galerien, Bibliotheken, Archiven und Museen – englisch eben ‹Galleries, Libraries, Archives, Museums›.4 Das Recht auf Schutz von künstlerischen Werken ist zwar Teil der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es gibt aber neben dem Recht auf Schutz auch einen Anspruch auf Zugang. Das hält etwa ein aktueller Bericht des UN-Menschenrechtsrats vom Dezember 2014 fest.5

War nun auch Johann Wolfgang von Goethe, wie wir heute mit einem Augenzwinkern feststellen können, ein Freund des Remix? Das eingangs leicht veränderte Zitat aus ‹Faust I› lautet wörtlich: «Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. Was man nicht nützt, ist eine schwere Last, nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.»

Dominik Landwehr, Zürich, Oktober 2015

Dominik Landwehr (* 1958) ist Leiter des Bereichs Pop und Neue Medien in der Direktion Kultur und Soziales beim Migros Genossenschafts-Bund und Herausgeber der Reihe ‹Edition Digital Culture›. Er ist verantwortlich für Projekte wie die Internetplattform www.digitalbrainstorming.ch, den Jugendwettbewerb bugnplay.ch oder das Förderprogramm ‹Digitale Kultur›. Landwehr ist promovierter Kultur- und Medienwissenschaftler und publiziert regelmässig in verschiedenen Medien. Seine Beobachtungen zur Digitalisierung hält er auf www.digitalbrainstorming.ch und www.sternenjaeger.ch fest.

Public Domain im Urheberrecht

Martin Steiger

Im Rechtsalltag gilt die Faustregel, dass Fotografien, musikalische Kompositionen, Texte und andere Werke im Zweifelsfall als urheberrechtlich geschützt betrachtet werden müssen. Bei solchen Werken bestimmen Urheber und Rechteinhaber, ob, wann und wie sie verwendet werden dürfen. Allerdings gibt es viele Werke, die nie urheberrechtlichen Schutz erlangten oder nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind. Solche Werke werden als gemeinfrei bezeichnet und zählen zur Public Domain, das heisst, sie können aus urheberrechtlicher Sicht beliebig verwendet werden.

Der Begriff Public Domain stammt in der heute verwendeten Form aus dem angloamerikanischen Recht, verdrängt inzwischen aber auch im deutschsprachigen Raum vermehrt den ursprünglich verwendeten Begriff ‹Gemeinfreiheit› (früher auch ‹Gemeingut›). Seinen urheberrechtlichen

Ursprung hat der Begriff in Frankreich, wo Ende des 19. Jahrhunderts für die ‹domaine public› ein Bedeutungstransfer auf Immaterialgüter stattfand, nachdem sich der Begriff vorher allein auf staatlichen Landbesitz bezogen hatte.6

Im vorliegenden Beitrag wird deshalb der Begriff Public Domain verwendet, unter anderem im Einklang mit dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE).7 In rechtlicher Hinsicht bleibt zu beachten, dass sich angloamerikanische und europäische Rechtstraditionen erheblich unterscheiden, was gerade auch für das Verhältnis von Copyright und Urheberrecht gilt.8

Umfang der Public Domain in der Schweiz

Die Public Domain umfasst – zumindest umgangssprachlich formuliert – jene Werke, die frei von Urheberrechten sind. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Werken, die durch Zeitablauf nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind, und Werken, die strukturell gar nie urheberrechtlichen Schutz genossen und deshalb von Anfang an direkt zur Public Domain zählten.

Public Domain durch strukturelle Gemeinfreiheit

Werke, die durch das schweizerische Urheberrecht nicht geschützt werden, sind einerseits amtliche Erlasse wie Gesetze und Verordnungen, Zahlungsmittel wie Banknoten und Münzen, sämtliche Entscheidungen, Protokolle und Berichte von Behörden und öffentlichen Verwaltungen sowie Patentschriften und veröffentlichte Patentgesuche. Amtliche Übersetzungen solcher Werke sind ebenfalls nicht urheberrechtlich geschützt.

Andererseits geniessen viele Werke in der Schweiz keinen urheberrechtlichen Schutz, weil sie keinen ausreichend individuellen Charakter haben und deshalb die sogenannte Schöpfungshöhe nicht erreichen. Eine weitere Voraussetzung für die Schutzfähigkeit ist gemäss Gesetzeswortlaut das Vorliegen einer «geistigen Schöpfung» in den Bereichen «Literatur und Kunst»,9 doch dürfen diesbezüglich keine hohen Anforderungen gestellt werden, und die Begriffe werden in einem weiten Sinn verstanden. Auch wissenschaftliche Texte gelten als Literatur, und bereits einige wenige Töne können als musikalische Kunst betrachtet werden.

Ob ein Werk zur Public Domain zählt, entscheidet sich deshalb meist am geforderten individuellen Charakter. Da sich entsprechende Rechtssicherheit in Bezug auf einzelne Werke nur durch rechtskräftige Entscheidungen von Gerichten erwirken lässt, müssen Werke im Zweifelsfall als urheberrechtlich geschützt gelten. Inwiefern beispielsweise eine Fotografie als sogenanntes Knipsbild gemeinfrei ist, kann häufig nur vermutet werden. In der Schweiz gibt es nur wenig eidgenössische und kantonale Rechtsprechung zur Schöpfungshöhe, und die ergangenen Leitentscheide in Bezug auf Fotografien – sie zeigen den Sänger Bob Marley, den Unternehmer Nicolas Hayek sowie den Wachmann Christoph Meili – sind widersprüchlich.10

Public Domain durch Zeitablauf

Für Werke, die in der Schweiz urheberrechtlich geschützt sind und somit noch nicht zur Public Domain zählen, gilt der entsprechende Schutz während einer Dauer von 70 Jahren nach dem Tod des jeweiligen Urhebers beziehungsweise bei mehreren beteiligten Personen nach dem Tod des letzten beteiligten Urhebers. Für Software beträgt die Schutzfrist 50 Jahre. Bei audiovisuellen Werken wie beispielsweise Filmen ist ausschliesslich der Tod des Regisseurs massgeblich.

Bei unbekannten Urhebern erlischt der urheberrechtliche Schutz 70 Jahre (beziehungsweise 50 Jahre bei Software) nach der Veröffentlichung des entsprechenden Werks. Bei verwaisten Werken, das heisst Werken, deren Urheber nicht mehr ermittelt werden kann, erlischt der urheberrechtliche Schutz 70 Jahre (beziehungsweise 50 Jahre bei Software) nach dem mutmasslichen Tod des Urhebers.

Bei den meisten Werken dauert der urheberrechtliche Schutz etwas länger als 70 Jahre (beziehungsweise 50 Jahre bei Software) nach dem Tod des Urhebers, denn die Schutzdauer wird jeweils ab dem 31. Dezember gerechnet. Somit fallen urheberrechtlich geschützte Werke jeweils erst per 1. Januar des nächsten Jahres in die Public Domain, was inzwischen vielerorts alljährlich als ‹Public Domain Day› gefeiert wird. Da mit dem neuen schweizerischen Urheberrechtsgesetz per 1. Juli 1993 die Schutzdauer von vormals 50 Jahren auf 70 Jahre verlängert wurde, fielen in der Schweiz nach einem Unterbruch von 20 Jahren am 1. Januar 2014 erstmals wieder Werke in die Public Domain.11 Mangels Rückwirkung blieben Werke, die damals bereits gemeinfrei waren, in der Public Domain.12

Public Domain und urheberrechtliche Schranken

Das Urheberrecht kennt zahlreiche Schranken, die eine vergleichsweise freie Verwendung von urheberrechtlich geschützten Werken erlauben – beispielsweise zum Eigengebrauch, für Archivierung und Datensicherung, für bestimmte vorübergehende Vervielfältigungen wie etwa Streaming, für die Verwendung durch Menschen mit Behinderungen, bei Werken auf allgemein zugänglichem Grund (Panoramafreiheit) oder für Zitate. Je nach urheberrechtlicher Schranke kann dadurch eine Verwendung ähnlich wie bei gemeinfreien Werken möglich sein.

Public Domain und verwandte Schutzrechte

In Ergänzung zum direkten Schutz für Urheber kennt das schweizerische Urheberrecht seit dem 1. Juli 2008 auch die sogenannten verwandten Schutzrechte. Sie dienen dem Schutz der Leistungen von Interpreten, Herstellern von Tonträgern sowie Sendeunternehmen. Sie werden auch als Leistungsschutzrechte oder Nachbarrechte bezeichnet. Letzteres soll zeigen, dass es sich um eigenständige Rechte handelt, die aber in enger Nachbarschaft zum Urheberrecht stehen. Verwandte Schutzrechte erlöschen nach 50 Jahren.

Aufgrund von verwandten Schutzrechten kommt es häufig vor, dass ein Werk selbst in die Public Domain gefallen ist, aber in seiner vorliegenden Form dennoch nicht beliebig verwendet werden darf. Ein Beispiel sind Tonträger mit Aufnahmen von nicht mehr urheberrechtlich geschützten Kompositionen, die vor weniger als 50 Jahren erstellt wurden. Sofern ein solches gemeinfreies Werk direkt zugänglich ist, darf man aber immerhin ohne Weiteres eigene Aufnahmen erstellen oder das Werk auf direkter Grundlage der Komposition selbst öffentlich aufführen.

Public Domain und unterschiedliche Schutzfristen im Ausland

Das Urheberrecht ist durch zahlreiche internationale Abkommen weltweit reguliert, doch definieren die entsprechenden Abkommen wie beispielsweise die Berner Übereinkunft, der WIPO13 Copyright Treaty (WCT), das TRIPS14-Abkommen und der WIPO Performances and Phonograms Treaty (WPPT) meist nur Mindestanforderungen an das jeweilige nationale Urheberrecht. Aus diesem Grund unterscheiden sich die weltweiten Schutzfristen erheblich, da sich nach dem sogenannten Schutzlandprinzip (auch Territorialitätsprinzip) jeweils aufgrund der nationalen Rechtsordnung bestimmt, ob (noch) urheberrechtlicher Schutz besteht. So kennen beispielsweise Staaten wie China und Kanada immer noch eine Regelschutzfrist von 50 Jahren, während in den USA – wenn überhaupt – aufgrund von mehreren Verlängerungen der Schutzfristen frühestens 2019 wieder Werke in die Public Domain übergehen werden.15 Im international ausgerichteten Internet sind Urheberrechtsverletzungen in der Folge kaum zu vermeiden, da die Abrufbarkeit in einem anderen Land grundsätzlich zur Anwendung des dortigen Urheberrechts führt.

Public Domain durch Verzicht auf das eigene Urheberrecht?

Das Urheberrecht an einem Werk entsteht automatisch und unabhängig vom entsprechenden Urheberwillen. Aus diesem Grund ist es in der Schweiz nicht möglich, das Urheberrecht an einem eigenen Werk vollständig aufzugeben, anders als beispielsweise in den USA.

Urheber können immerhin erklären, dass sie – soweit gesetzlich möglich – auf ihr Urheberrecht an allen oder bestimmten eigenen Werken verzichten. Sie können aber auch ohne solche Erklärung die beliebige Verwendung ihrer Werke dulden. Im Rahmen der Creative-Commons-Lizenzen besteht die sogenannte Public Domain Dedication, abgekürzt ‹CC0›. In den USA verzichtet ein Urheber damit auf sein Copyright, während es sich in der Schweiz um eine bedingungslose Lizenz handelt, die eine Werkverwendung wie in der Public Domain ermöglicht, ohne dass der Urheber aber vollständig auf sein Urheberrecht verzichten könnte. Grundvoraussetzung ist jeweils, dass ein Urheber überhaupt noch vollumfänglich über die Rechte an seinen Werken verfügt und diese nicht etwa teilweise an eine Verwertungsgesellschaft abgetreten hat.

Verwendung von Werken in der Public Domain

Werke in der Public Domain können beliebig verwendet werden, da sie nicht oder nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind. So können Erben und andere Rechteinhaber insbesondere den Zugang zu Werken nicht mehr mit Verweis auf das Urheberrecht einschränken oder nur kostenpflichtig erlauben, denn ihnen fehlt in der Public Domain jegliche urheberrechtliche Verfügungsmacht.

Hingegen gibt die Public Domain keinen Anspruch auf freien Zugang zu einem Werk, und nicht-urheberrechtliche Beschränkungen bezüglich Verwendung sowie Zugang sind weiterhin möglich. So können Museen beispielsweise mit Verweis auf ihr Hausrecht sowie ihre Hausordnung das Abfotografieren oder sonstige Reproduzieren von gemeinfreien Werken in ihren Räumlichkeiten einschränken oder gar vollständig verbieten. Häufig ist das Fotografieren auf private Zwecke oder bestimmte Ausstellungsbereiche beschränkt und es dürfen nicht beliebige fotografische Mittel wie Blitz oder Stativ verwendet werden. So wird verhindert, dass solche Werke ohne Fotoerlaubnis in hoher Qualität digitalisiert werden können.

Genauso können beispielsweise Internetarchive ihre gesammelten Fotografien oder ihre gesammelte Musik lediglich in geringer Auflösung veröffentlichen und im Übrigen den Zugang für andere Verwendungen an vertragliche Bedingungen knüpfen. Wer sich entsprechend vertraglich verpflichtet und dagegen verstösst, kann wegen Vertragsverletzung auf dem zivilen Rechtsweg belangt werden. Gerade auch öffentlich-rechtliche oder zumindest öffentlich finanzierte Institutionen bekunden häufig Mühe damit, ihre Sammlungen im Internet in hoher Qualität und zur freien Verfügung anzubieten.

Möglich sind ausserdem Wasserzeichen sowie die Verwendung von Digital Rights Management (DRM) wie insbesondere technische Schutzmassnahmen, Technical Protection Measures (TPM). Letztere dürfen in der Schweiz zwar bereits bei urheberrechtlich geschützten Werken teilweise umgangen werden, bei Werken in der Public Domain bestehen mangels urheberrechtlichem Schutz aber gar keine solchen urheberrechtlichen Schranken mehr.

Unabhängig vom Urheberrecht bestehen zahlreiche weitere gesetzliche Beschränkungen. So beispielsweise Straftatbestände für bestimmte pornografische und rassendiskriminierende Werke, teilweise bis hin zum strafbaren Besitz – und ohne Rücksicht darauf, ob ein Werk zur Public Domain zählt. Bei Werken, die noch lebende Personen zeigen, ist jeweils der Persönlichkeitsschutz wie insbesondere das Recht am eigenen Bild zu beachten.

Urheberrecht an reproduzierten Public-Domain-Werken

Bei der Reproduktion von gemeinfreien Werken entstehen unter Umständen erneut urheberrechtlich geschützte Werke. Bei einer möglichst originalgetreuen ‹handwerklichen› Reproduktion dürfte es zwar meist an der notwendigen Individualität fehlen, aber Rechtssicherheit müsste letztlich durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen erwirkt werden. Unabhängig davon bleibt das Public-Domain-Werk aber gemeinfrei, und lediglich die Reproduktion geniesst allenfalls urheberrechtlichen Schutz als sogenanntes Werk zweiter Hand.

Das Abfotografieren von zweidimensionalen Werken wie beispielsweise Gemälden in einem Museum bewirkt normalerweise nur eine einfache Vervielfältigung beziehungsweise eine sogenannte Reproduktionsfotografie. Ein solches Werk ist mangels Individualität in der Schweiz nicht urheberrechtlich geschützt und kann als Teil der Public Domain beliebig verwendet werden. Ausnahmsweise kann eine künstlerische Fotografie vorliegen, welche die notwendige Schöpfungshöhe erreicht, wodurch Urheber oder Rechteinhaber über deren Verwendung bestimmen können.

Beim Abfotografieren von dreidimensionalen Werken wie beispielsweise einer Skulptur in einem Museum hingegen findet eine Umgestaltung von drei zu zwei Dimensionen statt. Dabei bestimmt der Fotograf unter anderem über den Blickwinkel und weitere Gestaltungselemente, sodass ein neues urheberrechtlich geschütztes Werk entsteht, weil das Public-Domain-Werk dadurch nur noch in der vom Fotografen gewählten Form betrachtet werden kann.

Übersetzungen von Public-Domain-Werken können häufig ebenfalls urheberrechtlich geschützt sein, denn eine Übersetzung stellt grundsätzlich eine Bearbeitung einschliesslich der notwendigen Individualität dar. Auch Neuauflagen von gemeinfreien Werken können urheberrechtlichen Schutz geniessen, wobei dieser im Einzelfall zu prüfen ist, unter anderem in Abhängigkeit vom Grad der Bearbeitung und Gestaltung.

Aktuelle Entwicklungen zur Public Domain

Ab Herbst 2012 tagte die Arbeitsgruppe zur Optimierung der kollektiven Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten (AGUR12). Die AGUR12 hatte insbesondere den Auftrag, Anpassungen des schweizerischen Urheberrechts an die technische Entwicklung – das heisst an Digitalisierung und Internet – zu prüfen. Gemäss dem AGUR12-Schlussbericht, der am 6. Dezember 2013 veröffentlicht wurde, standen zahlreiche Themen im Zusammenhang mit Einschränkungen der Public Domain zur Diskussion, flossen aber nicht in die Empfehlungen der Arbeitsgruppe ein.16

Solche Themen betrafen unter anderem eine Verlängerung der Schutzfrist für verwandte Schutzrechte von 50 auf 70 Jahre, einen Zwang für Urheber zur kommerziellen Verwertung ihrer Werke (Vergütungszwang) und die Einführung des sogenannten Lichtbildschutzes. Mit dem Lichtbildschutz, wie ihn unter anderem Deutschland kennt, würden Fotografien, die nicht individuell (genug) gestaltet sind, urheberrechtlich geschützt und damit der Public Domain entzogen. Auch im Nachgang zur AGUR12 drangen die organisierten Berufsfotografen in der Schweiz mit ihrer Forderung nach einem Lichtbildschutz bislang nicht durch.

An den jährlichen Urheberrechtsgesprächen am Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) wurde 2014 der sogenannte Copyfraud thematisiert.17 Beim Copyfraud werden urheberrechtliche Ansprüche geltend gemacht, die mangels urheberrechtlichem Schutz oder infolge von urheberrechtlichen Schranken gar nicht bestehen – beispielsweise, um unliebsame Inhalte bei Internetplattformen wie Youtube löschen zu lassen. Das heutige Urheberrecht in der Schweiz sieht keine Sanktionen für solche Urheberrechtsanmassungen vor, sodass insbesondere kostenpflichtige Abmahnungen gegen behauptete Urheberrechtsverletzungen weitgehend folgenlos möglich sind. Für die Abgemahnten lohnt es sich finanziell gesehen meistens nicht, den urheberrechtlichen Schutz der abgemahnten Werke anwaltlich oder gar gerichtlich prüfen zu lassen. An den Gesprächen wurde nicht bestritten, dass Copyfraud bekämpft werden muss, doch sind bislang keine entsprechenden gesetzlichen Bemühungen absehbar.