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Nr. 3081

 

Horror

 

Im Bann der Hohlwelt – der Terraner begegnet einem Staubfürsten

 

Susan Schwartz / Christian Montillon

 

 

 

PERRY RHODAN KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Zwischen allen Welten

1. Kurz vor dem Start

2. Ein paar Fragen vor dem Start

3. Die Längste-Reise-Je

4. Das Ziel

5. Begegnung mit der Vergangenheit

6. Zessgunt

7. Hindurch und hinein

8. Der Obschauer und das Zelt

9. Staub im Wind

Fanszene

Leserkontaktseite

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Er wurde vorwärts durch die Zeit katapultiert und findet sich in einem Umfeld, das nicht nur Terra vergessen zu haben scheint, sondern in dem eine sogenannte Datensintflut fast alle historischen Dokumente entwertet hat.

Nachdem er in der fernen Galaxis Ancaisin einen Weg fand, die sogenannte Zerozone zu betreten, konnte er diese durchreisen und erreichte ein Zwillingsuniversum, das mit seinem heimischen das sogenannte Dyoversum bildet. In jener Hälfte des Dyoversums findet er tatsächlich Terra wieder – und viele Sonnen und Planeten, die er kennt. Aber nur wenige haben Zivilisationen hervorgebracht, unter anderem die Topsider.

Perry Rhodan gelingt es, ein Bündnis zwischen Menschen und Topsidern zu schmieden. Eine erste Bewährungsprobe durchläuft diese Orion-Allianz mit der Tastung – einem rätselhaften, aber nicht eindeutig feindseligen Vorgang, der sich in einem Rhythmus von über eineinhalb Jahrhunderten wiederholt. Dafür verantwortlich sind wahrscheinlich die geheimnisvollen Staubfürsten, und deren Fährte lockt Perry Rhodan nach HORROR ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner begegnet einem Fürsten des Staubes.

Obyn – Die ehemalige Jinirali nimmt Erstkontakt auf.

Rico – Der Roboter erkennt, dass er nicht unfehlbar ist.

Klatrass – Der Geschlechtslose geht auf eine weite Reise.

Es gibt nur zwei Weisen,

die Welt zu betrachten:

Entweder man glaubt, dass nichts

auf der Welt ein Wunder sei,

oder aber, dass es nichts als Wunder gibt.

 

Anonyme Sammlung

altterranischer Weisheiten.

Kapitel 1915: »Albert Einstein«

 

Prolog

Zwischen allen Welten

 

Er hat seinen Namen wiedergefunden, seine beiden Namen:

Plofre.

Und Gucky.

Es ist gut, seinen Namen zu wissen. Es ist ein Anfang, sogar mehr: Es ist ein Stück der eigenen Geschichte.

Ein Fundament.

Ein Zufluchtsort.

Aber dabei kann er nicht stehen bleiben.

Er sieht sich um. Die Welt schien tot zu sein. Instinktiv hält er nach einer Bodenfalte Ausschau, in die er sich ducken könnte. Aber da ist keine Bodenfalte.

Er ist allein. Das ist er lange gewesen, eigentlich von Anfang an.

Er hatte immer eine Sonderstellung inne.

Bei Einbruch der Dunkelheit blieb er bei wachem Bewusstsein. Die Nacht umnachtete seine Artgenossen. Ihn nicht.

Er wachte.

Der Wächter, der nicht wusste, dass er ein Wächter war.

Er hatte spielen wollen.

Spielen.

Das will er noch immer.

Und auf einmal weiß er:

Das Spiel hat eben erst begonnen – hier.

1.

Kurz vor dem Start

 

Mittlicht war längst untergegangen, und Klatrass wickelte sich dichter in den Schlaffarn. Trauernd blickte er zum Himmel, im Bewusstsein, dass es womöglich seine letzte Nacht auf Gorssgaden sein würde.

Der Aufbruch der TOSSRAG stand kurz bevor.

Zur Gruftwelt.

 

*

 

Ein Windhauch, der durch Luftverdrängung erzeugt wurde. Der Ast erzitterte, als ein mächtiger Körper aufkam, und bog sich ächzend, als ein schwergewichtiger Sagarsse sich mühsam in den Gastkorb quetschte.

Klatrass wickelte sich wieder aus dem Farn und krümmte sich über den Rand seines Schlafkorbs.

»Darf ich dir behilflich sein, Usspor?«

Sein alter Mentor gluckste. »Die Frage ist eher, ob ich dir behilflich sein kann, Klatrass, mein gutes Kind.«

»Es ist alles in Ordnung, danke.«

»Gar nichts ist in Ordnung. Oder würdest du es als in Ordnung bezeichnen, einfach aus der wichtigsten Besprechung des Hauptkorbs davonzuspringen?«

»Ich ... ich bin nicht davongesprungen. Ich musste nur ... nachdenken.«

Über das, was an diesem Tag geschehen war.

 

*

 

Es hatte sehr lange gedauert, überhaupt das Magnetoplasmatriebwerk zu entwickeln. Einfach sollte es sein, aber funktional: Mit elektrischer Energie wurde Plasma erzeugt, dann erhitzt und beschleunigt. Der Treibstoff wurde zuerst ionisiert, anschließend erhitzt – und das Plasma wurde letztlich durch eine magnetische Düse entspannt. Damit waren Variationen des Verhältnisses zwischen spezifischem Impuls und Schub möglich.

»Damit kommen wir aber nicht sehr weit«, unkten die Sternbeobachter.

»Für das System genügt es!«, versicherten die Tüftler. »Von Gorssgaden nach Perazess, das liegt ja gleich nebenan, und weiter wollen wir doch gar nicht.«

»Und was ist mit der kosmischen Strahlung?«

»Wir arbeiten an einem elektromagnetischen Schutzschirm. Eines nach dem anderen!«

Unterdessen liefen die Fabriken auf Hochtouren und Tausende Sagarssen waren damit beschäftigt, ein Gerüst für die Antriebsaggregate, Steuerung, Lebenserhaltung sowie einen Korpus für das Wohnrad herzustellen und zu bauen.

Metalllegierung und Hüllendicke stellten eine weitere Herausforderung dar. Das Projekt würde Jahre in Anspruch nehmen.

»Warum tut ihr das?«, insistierten die Mitglieder des Hochkorbs – nicht zum ersten Mal. Der Rat Aller Körbe hatte sich durchgesetzt, dennoch gaben sie nicht so schnell auf.

»Weil die Sternbeobachter es so gesagt haben«, antworteten die Leiter des Entwicklungskorbs.

»Das haben wir nicht!«, wehrten sich die Sternbeobachter. »Wir haben lediglich beunruhigende Vorgänge auf Perazess festgestellt.«

»Sagarssen interessieren sich nicht für die Kälte zwischen den Planeten«, beharrte der Hochkorb. »Dort draußen ist alles eisig, luftleer und tot.«

»Genau wie Perazess«, antworteten alle anderen Körbe im Chor.

»Oh«, sagte der Hochkorb, besah sich die Analysen und sagte dann noch einmal: »Oh.«

Der Hochkorb stellte sich nun nicht mehr quer und beschied die zahlreichen Anfragen von allen Seiten des Volkes bezüglich der Unsinnigkeit dieses gewaltigen Vorhabens negativ.

Die Schlussfolgerung war dem Hochkorb endlich bewusst geworden: Falls Perazess starb, woran mittlerweile kein Zweifel mehr bestehen konnte, tat Gorssgaden, der gleich nebenan lag, das vielleicht in näherer Zukunft auch. Also musste man nachsehen, was dort geschah, um Ähnliches auf der Heimatwelt zu verhindern.

Noch gab es keine Veränderungen, aber so war es zunächst auch seit Beginn der Sternbeobachtung auf Perazess gewesen. Es hatte schleichend angefangen, und nun war der Prozess unübersehbar und sogar fast abgeschlossen.

 

*

 

Klatrass war von Anfang an begeistert dabei gewesen. Nicht, dass ihm die Vorstellung gefiel, seine Heimat zu verlassen und in die eisige Schwärze aufzubrechen, aber die technischen Neuerungen hatten es ihm angetan. Er meldete sich für den Organisationskorb, denn dafür hatte er Talent.

Ein Bestandteil der Vorbereitungen auf die größte aller Reisen war allerdings, dass er – genau wie die künftigen Raumfahrer – ein intensives Training absolvieren musste, körperlich wie geistig. Dadurch fiel es leichter, festzulegen, worauf bei der Innenausstattung des Wohnrads geachtet werden musste. Was war angesichts der Fähigkeiten der Raumfahrer notwendig, was zumutbar, worauf sollte verzichtet werden? Je weniger Gewicht, desto geringer der Treibstoffverbrauch, desto größer die Chancen, wohlbehalten wieder zurückzukehren. Das auszutüfteln war Klatrass' Aufgabe, und die gefiel ihm sehr.

Das Training mochte er weniger, aber er fügte sich. Es schadete schließlich nicht. Denn wenn er so weitermachte, würde er schwergewichtig und schwerfällig wie sein Mentor Usspor werden, der ihm geholfen hatte, ein Mitglied des Organisationskorbs zu werden.

Und tatsächlich lernte er dadurch, worauf es ankam – funktional, aber doch ein Stück Heimat.

Die Zentrale würde im Hauptschiff angelegt werden, dort brauchte es keine künstliche Schwerkraft. Mit den speziell anzufertigenden Raumanzügen – das Nächste, was auf die Liste gesetzt werden musste – konnten Haftmagneten an verschiedenen Stellen angebracht werden, sodass die Fortbewegung nahezu uneingeschränkt möglich war.

Die Schwerelosigkeit konnten sie nicht vollends simulieren und daher auch nicht richtig trainieren, aber das würde schon gut gehen, dahin gehend zeigten sich alle zuversichtlich. Sagarssen waren genügsam und sehr anpassungs- und widerstandsfähig. Um Ausfällen vorzubeugen, würden eben ausreichend viele mitfliegen, damit am Ende keine Unterbesetzung den Rückflug unmöglich machte. Außerdem herrschte auf ihrer Heimatwelt selbst eine eher geringe Schwerkraft, und im Orbit war sie bereits nahezu aufgehoben.

Schließlich lag Perazess gleich nebenan, man konnte den Planeten mit bloßem Auge erkennen! Gewiss, sie würden eine Weile brauchen, weil der Antrieb nicht allzu kraftvoll war – oder vielmehr, weil sie nicht zu schnell sein durften, da sonst der Treibstoffvorrat in kürzester Zeit zur Neige ging, und schließlich wollte man wieder zurück nach Hause.

Diese Berechnungen wiederum nahmen andere vor.

Immer wieder gab es Rückschläge. Aber wenn Sagarssen sich einmal etwas in das kugelige Kopfsegment gesetzt hatten, zogen sie es durch.

Schließlich war es so weit: Die TOSSRAG stellte sich der großen Bewährungsprobe. Am nächsten Tag sollte es losgehen.

Und da wurde Klatrass zum Rat Aller Körbe zitiert. Man sagte ihm nicht, worum es ging.

Beunruhigt fand er sich am Hauptstamm ein, einem uralten Baumriesen, in dem die riesigen Körbe des Rats wie auch des Hochkorbs – jener weit oben, wie schon der Name sagte – hingen.

Die meisten Bäume erreichten eine Höhe von bis zu 220 Metern. In ihnen hingen die Körbe der Leibbündel und die vielen Gastkörbe. Der Hauptstamm aber war noch größer – wahrscheinlich der älteste Baum von allen.

Usspor war auch da und übernahm sogar das Reden. »Nun, Klatrass, der Start der TOSSRAG ist für morgen angesetzt.«

»Dem steht nichts entgegen«, bestätigte Klatrass eifrig. »Die Mannschaft steht, die Ausbildungen sind abgeschlossen, wir haben letzte Kontrollen vorgenommen. Die Systeme sind alle bereit, die Technik sollte reibungslos funktionieren. Der Computer reagiert auf Steuerung ebenso wie auf Sprachbefehle und antwortet auf Wunsch akustisch.«

»Du bist also zufrieden?«

»Sehr zufrieden. Die Ausstattung ist angemessen, es gibt genug Vorräte an Bord, und die Mannschaft ist wirklich exzellent.«

Zumindest jene, die übrig geblieben waren und zuletzt noch ihre Spezialausbildungen durchlaufen hatten: Astronavigation, Pilotierung, Funk und Ortung und dergleichen mehr. Insgesamt 24.

»Fehlt nur noch die Besetzung des Orderkorbs«, fügte Klatrass hinzu; das war Aufgabe der Körbe des Hauptstamms.

»Korrekte Feststellung. Kannst du dir denken, wer diesen Posten übernimmt?«, wollte Usspor wissen.

Klatrass zeigte sich ratlos. »Nein, ich habe zwar alles überwacht, aber diesbezüglich gab es nie eine besondere Aussage oder eine Anweisung an mich, jemanden vorzuschlagen.«

»Das ist auch nicht erforderlich.« Usspor zog seine kräftigen, knallrot gefärbten Lippen vergnügt in die Breite. »Das habe ich erledigt.«

»Oh, sehr gut!« Klatrass blickte neugierig in die Runde. Und sah sämtliche Blicke auf sich gerichtet.

Da erzitterte er. »Oh, nein!«

Er zog das Endteil seines Körpers zusammen und sprang.

 

*

 

»Nun sind wir hier«, sagte Usspor. »Und werden reden, Kindchen.«

»Ich kann das nicht, Mentor!«

»Was veranlasst dich zu dieser Meinung?«

»Na, ich ... verfüge nicht über besondere Fähigkeiten wie die vierundzwanzig anderen«, murmelte Klatrass.

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Illustration: Swen Papenbrock

»Richtig. Du bist weder Pilot noch Navigator, aber du hast den großen Überblick«, erwiderte der Alte.

»Zugegeben, das macht mir Spaß, und ich kann gut organisieren. Aber das befähigt mich längst nicht, ein Raumschiff zu kommandieren!«

»Ich glaube, du schätzt dich selbst viel zu gering ein. In all der Zeit hast du dich als klug, umsichtig, ausgeglichen und verstandesbewusst gezeigt. Du hast nie den Kopf verloren, selbst damals nicht, als die Gefahr der Explosion bestand, die alles zunichtegemacht hätte – abgesehen von den vielen Leben, die sie gekostet hätte. Du bist damals als Einziger besonnen geblieben, während alle anderen in Panik gerieten. Du hast die Evakuierung eingeleitet, du hast das Programm des Computers abgefragt, bis du den Fehler gefunden hattest. Du warst bereit, für alle in den Tod zu gehen.«

Klatrass wurde nicht gerne daran erinnert. »Ich habe überhaupt nicht nachgedacht.«

»Doch, das hast du«, widersprach Usspor. »Du warst dir deiner Situation vollkommen bewusst und hast eine Menge Dinge gleichzeitig organisiert. Kein anderer hat getan, was du getan hast. Und nun sag mir, wieso du nicht im Orderkorb sitzen solltest! Überzeug mich, dass ein anderer besser wäre!«

Klatrass würde eine Menge dazu einfallen, aber er kannte seinen alten Mentor. Der war so stur wie alle anderen Sagarssen zusammen. »Warum hast du mich überhaupt vorgeschlagen?«

»Ich habe mich für dich verbürgt.«

Klatrass verschlug es kurz die Sprache. »Hast du das getan, weil ich genau wie du ein Geschlechtsloser bin, ein Einzelkörbler?«

Usspor wiegte seinen aufgerichteten Oberkörper hin und her. Seine Gliederringe verblassten langsam und wiesen dadurch auf sein Alter hin. »Das mag ein Grund sein.« Er zog die Lippen zusammen und gab ein schmatzendes Geräusch von sich. »Du und ich haben es weit gebracht, Klatrass, weiter als jeder andere Einzelkörbler. Du solltest diese große Chance nicht verspielen, nur weil du dich vor der Verantwortung fürchtest.«

»Na ja, ich verlasse meine Heimatwelt«, zirpte Klatrass. »Das ist etwas anderes, als dafür zu sorgen, dass nichts in die Luft fliegt.«

Usspor rieb seine mittleren Gliederringe aneinander, was ein rasselndes Geräusch ergab. Bei Klatrass gäbe es einen sanften, melodiösen Ton.

»Ebendeswegen«, wiederholte Usspor. »Dir geht es um das Wohl der anderen.«

»Aber sie werden mich nicht akzeptieren! Ich lebe nicht in einem Leibbündel. Und ... niemand wird mich verabschieden.«

Usspor drehte den Kopfstrang, bis er ihn kopfunter aus großen braunen Augen ansah. »Ich bin hier«, sagte er sanft.

Klatrass dachte eine Weile nach. Dann flüsterte er: »Und sie wollen wirklich mir die Befehlsgewalt anvertrauen, über die wichtigste aller Missionen jemals?«

»Ja. Selbst der Hochkorb ist überzeugt, nachdem er seine Vorbehalte wegen deiner Geschlechtslosigkeit abgelegt hatte. Man sieht es mittlerweile sogar als Vorteil: Du bist absolut neutral und wirst niemanden bevorzugen. Dir sind alle gleichermaßen wichtig.«

»Aber wird das auch die Mannschaft überzeugen?«

»Zeig es ihnen. Sei der Kommandant, den sie brauchen. Es ist alles genauso neu für sie wie für dich. Sie sind getrennt von ihren Leibbündeln und Sammelkörben, von allem, was sie bisher kannten. Keiner weiß, was euch da draußen erwartet. Sie werden Angst haben.

Also brauchen sie jemanden, der ihnen diese Angst nimmt und sie leitet. Der ihnen sagt, was sie zu tun haben und einen kühlen Kopf bewahrt. Sie brauchen Anleitung.«

»Motivierend gesprochen. Du gehst mit, Mentor!«

Sie lachten beide.

2.

Ein paar Fragen vor dem Start

 

Klatrass war so aufgeregt, dass er den Rest der Nacht kaum schlafen konnte.

Als sich der erste helle Streifen Mittlichts am Horizont ausbreitete, machte er sich schon auf den Weg.

Die TOSSRAG wäre zwar in der Lage, ohne das Wohnrad zu landen, aber es war als sinnvoller erachtet worden, sie in einem Werftgerüst im Weltraum zusammenzubauen.

Deshalb war als erstes gewaltiges Bauvorhaben ein stabiler Lastenaufzug konstruiert worden, der Sagarssen und Material nach oben transportieren konnte. »Wenn wir das schaffen, ist das Schiff nur noch ein Kinderspiel«, meinten die Ingenieure.

Stabilität, hohes Aufnahmegewicht – und die exakt bemessene Geschwindigkeit des Transports. Nicht zu langsam, nicht zu schnell. Eine große Herausforderung, aber so wie an alle schwierigen Entwicklungen gingen die Sagarssen auch bei dieser voller Eifer ans Werk. Einmal in Gang gesetzt, blieben sie dabei, tagein, tagaus.

Klatrass war der Erste, der eintraf. Er wartete nicht auf die Mannschaft, sondern fuhr zusammen mit den Ingenieuren und Technikern hinauf, um eine letzte Testreihe durchlaufen zu lassen.

Neben dem Aufzug stand der Kontrollturm, ein ausgehöhlter Baumriese, in dem sich die gesamten Überwachungseinheiten, Funk und dergleichen befanden, mit Beobachtungskörben an den Ästen.

Einer der Ingenieure gab Klatrass ein Funkgerät. Er wurde freundlich von Usspor begrüßt, der es sich nicht nehmen ließ, den Start aus dieser Warte zu beobachten. Außerdem war er mit der Leitung betraut.

»Was ist es diesmal für ein Gefühl, hinaufzufahren?«

Als Organisator war Klatrass oft oben gewesen, doch jedes Mal in dem Bewusstsein, wieder nach unten zu können.

»Ich kann es nicht beschreiben«, antwortete er.

Die Fahrt selbst war für ihn immer wieder ein majestätisches Gefühl. Sich immer weiter in die Luft zu erheben, bis selbst die höchsten Bäume nur noch winzige Flecken waren und schließlich ganz verschwanden. Bis selbst die am höchsten fliegenden Vögel unter ihm zurückblieben. Die Himmelssphäre wurde zusehends dunkler, bis das fast reine Schwarz des Alls übernahm, mit dem gigantischen blauen Ball von Mittlicht in der Ferne. Außerhalb des Lichtbereichs zeigten sich unbeschreiblich viele hell leuchtende Punkte entfernter Sonnen, ohne den störenden Einfluss einer Atmosphäre.

Das Einzige, was dabei störte, waren der Raumanzug und der geschlossene Helm. Das vermittelte Klatrass den Eindruck, als würde er durch ein Fenster blicken und wäre nicht mittendrin.

Schließlich erhob sich über ihm die Werft, in der die großartigste Errungenschaft in der Geschichte der Sagarssen hing. Viel war nicht von ihr zu sehen, ein Blinken von Silber und Blau, und mächtig groß. Sie hätten sie gerne kleiner konstruiert, aber das war wegen der Treibstofftanks und der Triebwerke nicht möglich. Auch die Systeme für Lebenserhaltung, Steuerung und so weiter mussten untergebracht werden. Dazu die Redundanz, sollte der Hauptcomputer ausfallen, Reparaturlager und Ersatztreibstofftanks.

Sollten sie scheitern, konnte nicht so schnell ein zweites Raumschiff gebaut werden – also musste das Risiko so klein wie möglich gehalten und ein guter Kompromiss zwischen Größe und Reduzierung der Ausstattung gefunden werden. Irgendwann schafften sie es bestimmt, kleinere Triebwerke herzustellen und den Treibstoff zu komprimieren, aber für dieses Mal mussten sie eben damit zurechtkommen.

Die Werft rückte näher und näher.

Dann waren sie angekommen.

 

*

 

Der Beförderungskorb hielt mitten in der Werft an. Begleitet von einem zischenden Geräusch öffneten sich die großen Türen und entließen die Mitfahrenden.

Während die Techniker und Ingenieure ausschwärmten, um die letzten Überprüfungen innen und außen vorzunehmen, steuerte Klatrass den Vorbereitungsraum an, wo er den einfachen Raumanzug gegen ein speziell für die Reise entwickeltes Modell austauschte.

Der Raum war mit Atmosphäre geflutet, es gab die Möglichkeit zu einem letzten Aromabad und hochangereichertem Nahrungsbrei, wie er als Vorrat an Bord war. Klatrass nahm das gerne in Anspruch, vielleicht war es das letzte Mal. Dann legte er das einfache Funkgerät ab, in seinen Anzug war ein leistungsfähiges System integriert.

»Die Mannschaft ist eingetroffen und wartet auf die Kabine«, meldete Usspor. »In ein paar Stunden sind sie bei dir oben zur Einweisung bereit.«

»Sehr gut!«, lobte Klatrass. »Ich hoffe, ihr bereitet ihnen während der Wartezeit noch einen schönen Abschied.«

»Aber selbstverständlich.« Sein Mentor gluckste. »Sie sind sehr aufgeregt – mehr als du, möchte ich meinen.«

»Sie lassen ihre Leibbündel zurück und sind sozusagen ab sofort Einzelkörbler – natürlich ist das für sie schwierig. Sie werden die Reise wahrscheinlich schneller bereuen als ich. Jedenfalls werden wir fertig sein, bis sie eintreffen«, gab er sich zuversichtlich.

Er wollte vor allem im Wohnrad nachsehen, ob alles in Ordnung war.

 

*

 

Nachdem der Korb zum zweiten Mal angekommen war, empfing Klatrass seine Mannschaft und sämtliche Techniker und Ingenieure im Vorbereitungsraum.

»Wir sind alles durchgegangen, haben die eine oder andere Schraube ordentlich festgedreht, und nun sind wir bereit«, sagte er.

Die Mannschaft trug bereits die Spezialanzüge und hatte deren Systeme getestet.

»Wir wollen nun euch Helfern danken und euch verabschieden, bevor wir an Bord gehen und die Startvorbereitungen treffen können, während ihr zum letzten Mal hinunterfahrt«, fuhr Klatrass feierlich fort.

Sie schlossen sich alle seiner Stimmung an, es war ein einzigartiger Moment. Über einen Bildschirm war die Kontrollzentrale zugeschaltet. Usspor und die anderen wirkten ebenfalls bewegt.

Bald wiegten sich alle im gleichen Rhythmus und sangen von den großen Körben der Einheit. Auf einem anderen Schirm wurden Bilder von den Feiern übermittelt, die überall stattfanden –