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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

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Nr. 2392

 

Die vergessene Stadt

 

Er ist ein Strombeuter – in einem Tollhaus sichert er die Zukunft

 

Michael Marcus Thurner

 

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Wir schreiben das Jahr 1346 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – dies entspricht dem Jahr 4933 alter Zeitrechnung. Seit Monaten stehen die Erde und die anderen Planeten des Solsystems unter Belagerung. Einheiten der Terminalen Kolonne TRAITOR haben das System abgeriegelt, während sich die Menschen hinter den TERRANOVA-Schirm zurückgezogen haben.

Währenddessen hat die Armada der Chaosmächte die komplette Milchstraße unter ihre Kontrolle gebracht. Nur in einigen Verstecken der Galaxis hält sich weiterhin zäher Widerstand. Dazu zählen der Kugelsternhaufen Omega Centauri mit seinen uralten Hinterlassenschaften und die Charon-Wolke. Wenn die Galaktiker aber eine Chance gegen TRAITOR haben wollen, müssen sie mächtige Instrumente entwickeln – und sie müssen den Hebel an der Stelle ansetzen, wo das Problem seinen Ursprung hat: in Hangay.

In Hangay entsteht eine Negasphäre, ein Ort des absoluten Chaos. Sie ist der Grund für den Aufmarsch TRAITORS. Daher hat sich der unsterbliche Arkonide Atlan gemeinsam mit einem gemischten Korps Galaktikern und einer großen Zahl Halutern auf eine Expedition begeben, um es nachfolgenden Schiffen zu ermöglichen, einen großen Teil der Strecke bis nach Hangay über lemurische Sonnentransmitter zurückzulegen. In der aktuellen Etappe dieser langen Reise stößt eines der Haluterschiffe auf DIE VERGESSENE STADT …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Domo Sokrat – Der tiefengeborene Kommandant der AHUR muss sich auf sein Geschick im Umgang mit Lemurerähnlichen verlassen.

Filicut Cartomyst – Ein Strombeuter muss unverhofft viel Verantwortung übernehmen.

Apumir – »Fettbacke« begleitet Filicut Cartomysts Lebensweg.

Partasim Jomo – Der Mentor und Lehrer Filicuts zeigt sich von ungewohnter Seite.

Unky, Lisdroht und Pettonia – Die Strombeuter erweisen sich als mürrisch, da sie das Bacchanal nicht mitfeiern dürfen.

Dinko Hemot und Fora Nam – Zwei Haluter an Bord der AHUR.

Ein Moment kann alles ändern. Eine kurze Begegnung; ein beiläufiger Blick, eine Berührung. Ein wenig Vertrauen zueinander und ein Hauch gegenseitigen Verständnisses mögen über alles entscheiden.

Die Schwierigkeit besteht darin, den richtigen Augenblick zu erkennen.

 

 

Prolog

 

Mein Name ist Domo Sokrat. Seltsame Umstände haben meine Vorfahren in das Tiefenland verschlagen.

Sarko Domot traf vor 13.000 Jahren in der sterbenden Galaxis Cor auf den Tiefenpförtner Drul Drulensot. Er nahm dessen Einladung an und gelangte mit dem Tiefenfahrstuhl in die gewaltige Stadt Starsen, um sich dort in einer Drangwäsche auszutoben. Danach führte er in den verschiedensten Teilen des Tiefenlands ein abenteuerliches Leben, bis er sein Ende nahen fühlte. Er gebar Samo Dokrot. Auf diesen folgte Kroso Damot und schließlich mein Elter Sosar Komot, der sein Wissen und seine Erfahrungen an mich weitergab.

Nach Jahren der Wanderschaft ließ ich mich im Grenzgebiet zwischen dem Land Mhuthan und der Region Schatzen nieder, um dort eine Kolonie für Wanderer, Vertriebene und Unzufriedene zu gründen. Schließlich wurde ich zum Philosophen der Tiefe. Zu einem Jünger des Tiefeneinflusses – bis ich im Jahr 428 NGZ auf den Arkoniden Atlan stieß und auf dessen Wunsch hin sein Orbiter wurde.

Wir bekämpften die Grauen Lords, gelangten irgendwann in die Milchstraße zurück, in der ich gemeinsam mit dem Unsterblichen Julian Tifflor und dessen Gefährtin Nia Selegris unter dem Einfluss von Sotho Tal Ker der ersten Upanishad-Schule in der Tschomolungma beitrat. Ich »atmete ESTARTU« und erklomm die zehn Stufen zum Ewigen Krieger. Ich brachte die Lehre vom Permanenten Konflikt in die Magellanschen Wolken, begleitete den betrügerischen Stalker auf dessen Reisen und zog mich nach der Abriegelung der Milchstraße durch die Cantaro auf den Planeten Terzrock zurück. Im Jahr 1144 NGZ suchte ich gemeinsam mit Icho Tolot nach meinem verschwundenen Volk und fand die Haluter schließlich im Halpora-System in Andromeda.

Ich habe viel erlebt. Habe Freunde zu schätzen und Feinde zu verachten gelernt. Mit Atlan unterhalte ich nach wie vor eine ganz besondere Beziehung.

Meine Erziehung war nicht von der halutischen Kultur, sondern von den besonderen Umständen im Tiefenland geprägt. Auch heute noch, da ich mich allmählich der Mitte meiner wahrscheinlichen Lebensdauer annähere, ist jeder Tag, den ich erleben darf, etwas ganz Besonderes.

Worauf ich eigentlich hinauswill?

Sieh dir die Lebensläufe eines Icho Tolot, Cornor Lerz, Blo Rakane, Lingam Tennar oder Tenquo Dharab an. Sie alle sind etwas Besonderes. Jeder von uns ist ein einmaliges Individuum.

Wenn du einem Haluter begegnet bist und ihn kennengelernt hast, weißt du nichts.

Gar nichts.

 

Meinungen Domo Sokrats, vor der analytischen Betrachtung durch das Planhirn.

1.

 

Die AHUR bereitete sich auf den Sprung vor. 400 Haluter verharrten in den ihnen zugeteilten Bereichen und warteten mit wissenschaftlichem Interesse auf das Einsetzen des Schmerzes. Manche von ihnen reisten im »Normalhirn-Modus« und blieben darin, solange sie den irritierenden Einflüssen auf ihr Nervensystem widerstehen konnten. Der Übergang in den »Modus« des Planhirns erfolgte dann ohne bewusstes Dazutun.

Selbstverständlich geschah die Versetzung ohne erkennbaren Zeitverlust. Doch der Hyperraum, den man durchstach – oder auch nur streifte –, stellte großteils terra incognita dar. Niemand konnte die temporären Abläufe erfassen, die tatsächlich geschahen.

Domo Sokrat konzentrierte sich auf seine Landsleute, während sie sich dem energetischen Lodern zwischen den Transportsonnen näherten. Er achtete auf die geringsten Veränderungen. Unbedeutend wirkende Hautkontraktionen im schwarz gemaserten Antlitz eines Haluters konnten Schmerz bedeuten. Das Zucken unter einem der roten Augen Unsicherheit. Das Knirschen zweier Zahnreihen aufeinander Unbehagen.

Nur noch Sekunden bis zum Eintritt. Niemand sprach.

Jiapho-Duo hieß das Ziel. Die womöglich letzte Etappe in Richtung Hangay, die das KombiTrans-Geschwader im Geflecht der lemurischen Sonnentransmitter erreichen konnte.

»Eintritt in acht Sekunden«, grollte Dinko Hemot, der dienstälteste Pilot der AHUR.

Muskelpartien in seinem Nackenansatz verhärteten sich unwillkürlich. Ein altes Nervenleiden, wie Domo Sokrat wusste.

»Sprun…«, sagte der Alte, und es passierte.

Bunte Schlieren. Auflösung des Körpers, des Geistes. Dessen, was ein Lebewesen ausmachte.

Eine Flut von Eindrücken. So rasch hintereinander, miteinander, durcheinander, dass man sie nicht nachvollziehen konnte. Man vergaß sie, bevor sie sich im Gedächtnis verankerten.

In welchem Gedächtnis?

Im Übergang gab es nichts, kein Gefäß, in dem man Eindrücke verarbeiten oder speichern konnte. Alles war fremd. Irreal. Unmöglich. Irrlogisch.

Jenes Gummiband, das alle Weltenläufe durchzog und sich Zeit nannte, dehnte sich aus und zerfranste. Es wurde zu einem hauchdünnen Gespinst. Zu Scheinmaterie, die jeglicher Substanz entbehrte.

Wiedereintritt.

Domo Sokrat hatte plötzlich sein Bewusstsein wieder. Er wusste, dass er am Gulver-Duo existiert hatte und nunmehr woanders auftauchte.

Ein Blitz schreckte ihn aus dröger Benommenheit. Eine blendend grelle, gelbe Energieballung, wie er sie noch niemals zuvor während einer der Sprünge wahrgenommen hatte.

Dinko Hemot sagte etwas. Noch immer. Schon wieder. Es war ein lang gezogenes »…ng…«.

Domo Sokrat schaltete die Störfaktoren weg, die sein Nervensystem beeinflussten. Die Schmerzen. Das Planhirn übernahm zur Gänze die Kontrolle.

Fehlströme durchzogen das Geflecht hochenergetischer Mess- und Arbeitsgeräte. Hier und da traten sie gut sichtbar zutage, wurden zu Funkenschlag und Feuerbällen, die Metall verschmorten. Anderswo zogen sie, kaum bemerkbar, vernichtende Spuren durch Leitungen und Übertragungsbrücken, taten zerstörendes Werk.

Gleich ihm machten sich alle Haluter der Zentralebesatzung daran, die Schäden zu minimieren. Stumm eilten sie umher, löschten Feuer, übernahmen die Rechenarbeit ausgefallener Aggregate, tippten mit rasender Geschwindigkeit Befehle ein, die die leitende Bordpositronik zu einem Statisten degradierten.

Keiner sprach ein Wort. Es war nicht notwendig. Fleischgewordene Maschinen waren sie nunmehr.

Allen Manövern lag die Möglichkeit eines Angriffs nach dem Wiedereintritt zugrunde. Unbekannte Feinde mochten in der Nähe lauern. Das Sicherheitsbedürfnis führte stringent zum Wunsch eines Ausweichmanövers, das die Haluter der AHUR aufzwangen.

Ortungsergebnisse wurden analysiert, dem System eingespeist, allen Beteiligten zugänglich gemacht.

Wo war der Feind? Wer war der Feind? Welcher Art entsprach die Attacke?

Nichts.

Der Raum um sie war leer. Dröhnende Alarmsignale – mehr ein Zugeständnis an das Bedürfnis, etwas zu hören, als eine akustische Hilfe – erloschen.

Um sie war wirklich nichts. Kein Feind, kein KombiTrans-Geschwader, keine Sterne.

2.

 

»Ein Tollhaus«, murmelte Filicut Cartomyst, »ein verdammtes Tollhaus ist das.«

»So, wie es sein soll.« Apumir grinste ihn an und schluckte eine Tablette.

Eine der weniger guten, wie Filicut erkannte. Sein Freund zog sie aus einem Säckchen, das er dann achtlos auf die gemeinsame Wohnbank fallen ließ.

»Es geht diesmal früher los als sonst«, sagte der Strombeuter. »Inkar-Durn ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Die Zeiten ändern sich. Schneller, als mir lieb ist.«

»Was bist du bloß für ein Spielverderber.« Apumir schien das dämliche Grinsen gar nicht mehr aus seinem Gesicht zu bekommen. »Kann es sein, dass du dich am Spaß nicht beteiligen darfst? Dass du zum Dienst eingeteilt bist und nichts abbekommst von all den Freuden, die ich mir während der nächsten Stunden reinziehen werde?« Ein dünner Silberfilm zog sich aus seinem Mundwinkel. Speichel, vermengt mit irgendeinem aufputschenden Wundermittel.

»Fiesling!«, murmelte Filicut und hieb dem Freund mit der flachen Hand über den Hinterkopf. »Es reicht, dass ich den Aufseher spielen muss. Aber dass mich mein bester Kumpel deswegen aufzieht, finde ich mehr als ungerecht.«

»War’s das letzte Mal nicht umgekehrt?« Apumir wich einem weiteren Klaps aus. »Warst nicht du es, der mich ausgelacht hat, der mir von all den Mädchen und Jungs erzählte, mit denen er herumziehen würde und böse, böse Dinge machen wollte? Und als du zurückgetaumelt kamst aus irgendeiner dunklen Ecke, in der du deinen Rausch ausgeschlafen hattest, mit Bondage-Bändchen um Hals und Handgelenke, mit angesudelter Hose und stinkend wie ein Stück verfaultes Fleisch, was hast du da getan? – Zwanzig Tage lang hast du mir jedes einzelne Detail erzählt. Erzählt und wiedergekäut, ausgeschmückt, bis ich dich am liebsten erwürgt und der Wiederverwertung zugeführt hätte.«

»Mag sein, dass ich’s ein wenig zu weit getrieben habe«, seufzte Filicut, »aber musst du’s mir jetzt mit gleicher Münze heimzahlen? Du weißt doch, wie’s im Dienst ist, wenn alle anderen feiern …«

»Ja«, rief Apumir vergnügt, »das weiß ich!«

Er warf sich eine weitere Tablette ein, klopfte Filicut kräftig auf die Schultern und verließ beschwingten Schrittes das Zimmer. »Warte nicht auf mich, es könnte spät werden«, sagte er zum Abschied.

Er warf sich ins Gewühl, das bereits jetzt in den Verbindungsgängen herrschte, und ließ sich von einer ausgelassenen Schar Inkar-Durner wegziehen, irgendwohin.

Filicut Cartomyst fläzte sich auf die Wohnbank, während sich die Tür schloss und Ruhe einkehrte. Langweilige, hassenswerte Ruhe.

Und wenn er nun eine dieser Tabletten einwarf? Niemand würde es bemerken …

Nein!, schalt er sich. Dienst ist Dienst, und Bacchanal ist Bacchanal. Du wirst deine Schicht ordnungsgemäß durchziehen, Junge, und dich bei nächster Gelegenheit an deinem ach so tollen Kumpel rächen. Jetzt heb deinen Hintern und ab zur Arbeit.

 

*

 

Es war unmöglich, den Feiernden auszuweichen. Von Loge 46 bis 57, die ganze lange Marschstrecke entlang, begegnete er trunkenen und glücklichen Lemurern. Sie schmähten ihn, begossen ihn mit Alkohol, luden ihn ein mitzufeiern, zeigten keinerlei Respekt vor der dunkelroten Robe eines Strombeuters.

Filicut Cartomyst quetschte sich an ihnen vorbei, so gut es ging. Er achtete nicht auf das Gestöhne, das aus dunklen Winkeln an seine Ohren drang, und maßregelte auch niemanden, der entgegen den wichtigsten Prinzipien Dinge wegwarf. Ganz Inkar-Durn befand sich im Ausnahmezustand. Erst wenn das Bacchanal endete, würde die altgewohnte Ordnung wieder greifen.

»Ist eine heiße Sache diesmal«, flüsterte jemand Filicut zu und ließ ein meckerndes Lachen folgen.

Der Strombeuter drehte sich um und suchte den Mann hinter der Stimme.

Da saß er. Auf dem Boden, die Beine seltsam gegeneinander verdreht. Als betreibe er gymnastische Übungen.

»Partasim Jomo«, sagte Filicut. Er zeichnete das Symbol des Respekts in die Luft. »Was machst du hier?«

»Nach was sieht es denn aus?« Der alte Mann reichte ihm verlangend die Hände und richtete sich schließlich ächzend auf. »Ich feiere mit.«

Die Augen seines direkten Vorgesetzten waren weit aufgerissen. Fein verästelte Blutrisse im hellen Weiß zeugten davon, dass der Mann bereits seit mehreren Stunden unter Petrogisch stand.

»Du solltest mehr auf dich achten«, sagte Filicut vorsichtig, während sich Partasim Jomo schwer gegen seine Schulter lehnte. »Das Bacchanal wird noch einige Zeit dauern. Mir scheint, dass du dein Pulver allzu schnell verschießt.«

»Kümmere dich um deinen eigenen Dreck«, murmelte der Alte. »Bring mich gefälligst zur Ausgabestelle. Regeln sind schließlich dazu da, um gebrochen zu werden.«

Seltsam, diese Worte ausgerechnet aus dem Mund eines derart sicherheitsbewussten und korrekten Mannes zu hören …

Jegliches Gefühl musste aus den Beinen des Alten gewichen sein. Er zitterte, schwankte mit dem Oberkörper unkontrolliert hin und her.

»Geh die Sache doch ruhiger an.« Filicut tat sich schwer, dem älteren Strombeuter Ratschläge zu erteilen. Dieser hatte ihn während der letzten Jahre protegiert und unterstützt, wo immer er gekonnt hatte.

»Du charakterloser, kleiner Bastard«, murmelte Partasim. Er wischte sich die feuchte Nase an Filicuts Robe ab. »Bring mich zur Ärztin, oder ich reiße dir den Hintern auf, sobald ich wieder in Amt und Würden bin.«

Eine leere Drohung, wie Filicut wusste. Niemand war berechtigt, jene Dinge, die während des Bacchanals geschahen, einem anderen zum Schaden gereichen zu lassen. Abgesehen davon würde sich Partasim Jomo nach dem Ende der Feierlichkeiten kaum noch an etwas erinnern können. Petrogisch war eine gnädige Droge.

Dennoch …

Er schob seine Arme unter die Achseln des Alten und schleifte ihn hinter sich her. Wie ein nasser Sack hing er da, ließ sich schleppen und kicherte glücklich vor sich hin, während er nach links und rechts die rituellen Symbole der Freude austeilte.

Endlich verbreiterte sich der Gang, machte dem Eingang zur Ausgabestelle Platz.

Die Schlange war kurz. Fast alle Inkar-Durner hatten sich bereits ihre Dosis geholt. Partasim Jomo war wohl einer der Ersten, die nach Nachschub gierten.

Filicut lehnte seinen Vorgesetzten gegen die Wand und stützte ihn mit einer Hand ab, während er mit der Petrogisch-Beauftragten verhandelte: »Ist noch was da von dem Zeugs?«

»Massenhaft.« Seufzend schob ihm die schlanke Frau ein Tütchen über den Tisch. Ihr war anzusehen, dass sie gerne selbst beim Bacchanal mitgemacht hätte.

So wie er selbst. Verdammt.

»Lass ihn untersuchen«, bat Filicut. »Er ist ziemlich weggetreten. Ich weiß nicht, ob sein Kreislauf noch lange mitmacht.«

Die Ärztin beugte sich über ihren Tisch, blickte Partasim Jomo von oben bis unten an. »Er ist in Ordnung«, sagte sie. »Am Ende des Bacchanals werden alle Teilnehmer wesentlich schlimmer aussehen.« Sie wandte sich ihm zu. »Du hast es wohl noch niemals … nüchtern erlebt?«

»Bloß einmal«, gestand Filicut. »Als Kind von zehn Jahren. Sonst habe ich immer mitgemacht, solange ich mich zurückerinnern kann.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob wir uns damit was Gutes tun.«

Sie lächelte ihn an. Ihre dunkle Haut glänzte im Schein des grellen Lichts. Schweißtropfen sammelten sich zwischen ihren Brüsten, bildeten dort ein schmales Rinnsal, ein Bächlein, rannen tiefer hinab …

»Du … du hast selbst vom Petrogisch genommen!«, brachte Filicut stockend hervor. »Wie kannst du es wagen, deine Pflichten derart zu verletzen?«

»Nur die Ruhe, Kleiner!« Sie lächelte ihn an, zeigte makellos weiße Zahnreihen. »War bloß ein Tütchen voll. Gerade mal genug, um für ein paar Stunden alle Sorgen zu vergessen.«

Filicut wandte sich beiseite, achtete nicht weiter darauf, dass Partasim Jomo im Zeitlupentempo zu Boden rutschte. Er aktivierte seinen Handfunker, wählte die Notzentrale an, orderte mehrere Mitglieder der Durn-Polizei herbei.

»Das kannst du nicht machen!«, rief die Ärztin, als er geendet hatte. Ihre Augen flackerten. Weitere Schweißbäche rannen über Augenbrauen, Nase und Wange hinab zum gespaltenen Kinn, tropften schwer zu Boden.

»Nur die Ruhe«, sagte Filicut. Beschwichtigend streckte er die Arme aus. »Du bist nicht mehr dienstfähig und musst ersetzt werden.«

»Das kostet mich meinen Job.« Sie kicherte unwillkürlich. »Ich werde zurückgestuft und kann dann wieder im Hospital malochen …«

»Du bekommst bestenfalls ein paar schwarze Punkte in deiner Personalakte. In ein oder zwei Jahren ist die Sache vergessen.«

Filicut war sich keinesfalls sicher, ob er damit recht hatte. Er log, um die Frau zu beruhigen. Petrogisch zeigte seltsame Auswirkungen auf die Psyche. Das Zeugs konnte ihr einen plötzlichen Adrenalinschub verschaffen, sodass sie sich auf ihn stürzte und ihm mit ein paar Bewegungen das Kreuz brach.

Mit monotoner Stimme redete er weiter auf die Ärztin ein, brachte sie dazu, sich in den Bildern, die ihr das Petrogisch vorgaukelte, zu verlieren. Immer tiefer versenkte er sie in den Träumen von Bewegungsfreiheit, frischer Luft und einer Welt, die nicht von Wänden umgeben war …

Drei Angehörige der Durn-Polizei stapften herein. Rücksichtslos schoben sie sich durch die Massen, kamen direkt auf Filicut zu. »Du hast uns angefunkt, Bürger?«, fragte der vorderste, ein vierschrötiger Geselle mit mehrfach gebrochenem Nasenbein.

»Notkode Einsachtacht«, sagte Filicut, ohne lange nachzudenken. Er kannte das Bürgergesetzbuch in- und auswendig, so wie alle Inkar-Durner. »Die Ärztin hat ihre Pflichten vernachlässigt. Ressourcen vergeudet. Leben gefährdet.«