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Nr. 2877

 

Der verheerte Planet

 

Perry Rhodan im Untergrund – er erfährt eine dramatische Vergangenheit

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Perry Rhodan

2. Attilar Leccore

3. Perry Rhodan

4. Attilar Leccore

5. Perry Rhodan

6. Attilar Leccore

7. Perry Rhodan

8. Attilar Leccore

9. Perry Rhodan

10. Attilar Leccore

11. Perry Rhodan

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Glossar

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Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Im Januar 1519 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) verändert sich die Situation in der heimatlichen Milchstraße grundlegend: Die Herrschaft des Atopischen Tribunals, das aus der Zukunft agiert, wird abgeschüttelt. Gleichzeitig endet der Kriegszug der Tiuphoren, die aus der Vergangenheit aufgetaucht sind.

Viele Folgen dieser Ereignisse werden sich erst in den kommenden Jahren und Jahrhunderten abzeichnen. Wie es aussieht, werden die Milchstraße und die umliegenden Sterneninseln künftig frei sein, was den Einfluss von Superintelligenzen und anderen kosmischen Mächten angeht.

Allerdings kosteten die Erfolge einen hohen Preis: Perry Rhodan musste sterben. Sein körperloses Bewusstsein ging in ein sogenanntes Sextadim-Banner ein. In dieser Form verlässt er mit den Tiuphoren die Milchstraße – er tritt die Reise in die ferne Galaxis Orpleyd an.

Als er im Jahr 1522 NGZ dort ankommt, muss er feststellen, dass Orpleyd von einem Geheimnis umgeben wird, dem sich der Terraner nicht entziehen kann. Im Zentrum steht die Heimat der Tiuphoren, DER VERHEERTE PLANET ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner begibt sich in Gefahr.

Attilar Leccore – Der Geheimdienstchef findet Gefallen an den Tiuphoren.

Der Advokat – Ein Unbekannter wird zum Bekannten.

Xervan, Laccess und Astirra – Drei Tiuphoren erleben eine dunkle Zeit.

Pfaunyc Tomcca und Catccor Turrox – Zwei Tiuphoren planen die Zukunft.

1.

Perry Rhodan

 

Er trieb durch ein gegenstandsloses Nichts. Er meinte zu trudeln, sich ständig zu überschlagen und von einem Unten angezogen zu werden. Doch die vermeintlichen Schwerkraftvektoren änderten sich immer wieder.

Sand rieb über seinen Körper, wie von einem Sturmwind, der aus wechselnden Richtungen kam. Vermutlich waren die Sandkörner andere Gefangene – oder Bewohner – des Catiuphats.

Doch warum war er um so viel größer als sie? Oder handelte es sich um verfälschte Empfindungen?

Rhodan konzentrierte sich auf das, was ihn umgab, auf das Außen, und gab ihm einen Sinn und einen Wert. Gleich darauf stabilisierten sich die Eindrücke. Sie wurden in ein Koordinatensystem gerückt, das ihm erlaubte, den Raum des Außen weiter auszugestalten.

Ich falle nicht, sondern treibe auf einem Baumstamm. Rings um mich ist ruhiges Wasser, in dem sich Hölzer befinden, weitere im Catiuphat gefangene Seelen.

Der Wunsch wurde zur Realität: Ringsum gurgelte nun blaugrünes Wasser, das Durst in ihm erweckte. Rhodan verzichtete darauf, Flüssigkeit zu schöpfen. Weit unten entdeckte er Schemen, die ihn beunruhigten. Vermutlich waren dies die Wächter der Kinderstube, die Trostreichen. Sie nahmen in seiner Phantasie Gestalten an, die ihm unheimlich und bedrohlich vorkamen.

Rhodan schöpfte Atem. Die Belastungen für seinen Geist waren während der letzten Tage, Wochen und Jahre groß gewesen.

Wann würde es endlich eine Gelegenheit zum Durchatmen geben?

Gewiss nicht in diesem Moment. Er hatte Aufgaben zu erledigen. Er war der Menschheit verpflichtet, seiner Begleiterin Pey-Ceyan – und nicht zuletzt sich selbst. Er musste dieses geheimnisvolle Geschöpf wiederfinden, das sich selbst der Advokat nannte, und sich von ihm erneut einen Zugang zur Vergangenheitsgeschichte der Tiuphoren schaffen lassen.

Stämme trieben an Rhodan vorbei. Sie waren kleiner und schlanker als der, auf dem er sein Gewicht balancierte. Vermutlich waren es Mentalkomponenten, die gut im Catiuphat integriert waren und bald in die tiefer liegenden Gefilde des Raumes unter dem Raum vordringen durften.

Rhodan schuf eine Ergänzung zu seinem Gedankenbild. Er nannte es Ufer. Gleich darauf war der bislang unbegrenzt breite Fluss von Heckenpflanzen gesäumt, die ihre langen Arme ins Wasser hängen ließen. Dahinter erahnte er Wiesen mit fetter, dampfender Erde.

»Advokat!«, rief er und war überrascht, dass er seine eigene Nicht-Stimme in diesem Nicht-Raum hörte. »Ich brauche dich! Wir müssen nochmals reden!«

Keine Antwort. Bloß sanft plätschernder Wellenschlag, der gegen Treibhölzer und den Uferrand stieß.

Rhodan rief nochmals und nochmals. Bis er einsah, dass er so nicht weiterkam. Er musste die Umgebung derart umformen, dass der Advokat gezwungen war aufzutauchen.

Vielleicht war dies ein großes Geheimnis des Catiuphats. Vielleicht kam man nur dann weiter und durfte in einen der unteren Tori vordringen, wenn man die Kinderstube sich selbst anpasste.

Rhodan ließ den Strom mäandern und schmaler werden. Augenblicklich nahm die Fließgeschwindigkeit zu. Da und dort zeigten sich Strudel oder tauchten die Köpfe der Unterwassergeschöpfe auf und lugten unruhig umher.

Oh ja. Das waren die Trostreichen. Die Wächter. Ihre Schwanzflossen schlugen heftig gegen mehrere Stämme und sorgten dafür, dass sie ans Ufer trieben, um sich im Geäst der Hecken zu verfangen.

Bewusstseine wurden ausgesondert. Sie mussten hierbleiben, weil sie noch nicht reif genug für ein Ende der Reise war. Das Abtauchen in tiefere Tori blieb ihnen verwehrt. Und damit auch die Vereinigung mit anderen Geschöpfen des Catiuphats. Sie mussten sich in Geduld üben und sich das Recht erarbeiten, irgendwann einmal geistige Verbindungen mit anderen Mentalkomponenten einzugehen und Holismen zu formen. Ganzheiten.

Rhodan ließ sich nicht weiter ablenken. Er würde eine möglichst optimale Umgebung für den Advokaten schaffen. Das Wesen war ihm als Trauerweide erschienen, dessen Borke schneebedeckt gewesen war und dessen Blätter kristallin.

Er ließ die Umgebungstemperatur sinken. Wind pfiff über den stärker werdenden Wellengang. Vereinzelt trieben Eisklumpen durchs Wasser. Das Licht, über das sich Rhodan bislang nur wenig Gedanken gemacht hatte, stammte von einem Roten Zwerg, der wenig Strahlkraft aufbrachte.

All diese ... diese Umbauarbeiten zehrten an ihm. Rhodan fühlte Schmerzen, und ihm war grässlich kalt. Doch in seiner Vorstellung war dies die optimale Umgebung für den Advokaten.

Jetzt noch eine enge Flussschleife, durch die die Wassermengen wie durch ein Ventil beschleunigt wurden. Rhodan gewann massiv an Fahrt.

Die Schleife umfing eine Halbinsel. Feuchtes, fruchtbares Land, auf dem sich gelbe Ähren im Wind bogen und das von einem massiven Fels beherrscht wurde.

Oh ja. Rhodan hatte das richtige Bild erschaffen. Denn auf dem Felsen krallte sich der Advokat fest. Seine Wurzeln hatten Teile des Gesteins gesprengt und sich tief in den Boden gebohrt. Die Arme mit ihren kristallinen Blättern hingen wie silbern glänzendes Haar hinab. Sie klirrten gegeneinander, als wollten sie Rhodan begrüßen.

In rascher Fahrt ging es den Flusslauf entlang. Ein Anlanden in der Schlinge war viel zu gefährlich. Wer wusste schon, was mit seinem Bewusstsein geschah, wenn er ertrank?

Rhodan wartete geduldig, bis er in ruhigeres Gewässer glitt. Erst dann paddelte er mit Händen, die er sich kurzerhand erdachte, an den Uferrand und bestieg das Land.

Den Baumstamm stieß er wieder ab. Er hatte ihm gut gedient. Womöglich steckte in seinem Kern ein Lebewesen, das die Aufnahme in einen unteren Torus des Catiuphats verdiente.

Rhodan hatte eine Verabredung einzuhalten. Er stieg den Uferrand hoch und machte sich auf den Weg zurück, hin zum Advokaten.

 

*

 

»Du weißt noch, wer ich bin?«, fragte er.

»Der Neugierige«, antwortete der Advokat mit einem windigen Säuseln. »Den ich gewarnt habe, der aber immer noch nicht genug hat von den Untiefen der Tori.«

»Richtig.«

»Du hattest anderwärtig zu tun? Warum bist du aus meiner Erzählung ausgestiegen?«

»Hast du mir denn wirklich eine Geschichte erzählt – oder war ich leibhaftig dort? In der Vergangenheit der Tiuphoren, in deiner Urkunde?«

»Was glaubst du selbst?«

»Wenn ich im Laufe meines Lebens etwas zu hassen gelernt habe, dann sind es Rätsel, Mysterien – und Gegenfragen.«

»Dieser Ort hier besteht ausschließlich aus Echos von Gedanken und Bewusstseinen. Oh ja – das Leben im Catiuphat ist für einen Beteiligten durchaus real. Aber letztlich ist es bloß das Schattenbild eines früheren körperlichen Seins. Eine Spiegelung unserer Eindrücke und Erfahrungen.«

»Du weichst aus, Advokat.«

»Richtig. Aber wie du weißt, bin ich ein Erratischer. Ein Jemand, das sich in diesem Bereich seine Individualität bewahrt und sich gegen die Vereinnahmung durch andere Mentalkomponenten stemmt. Ich bin ein Einzelner. Mein Charakter ist nicht geglättet und nicht kompromissbereit. Ich sage die Dinge so, wie ich sie sehe. Möchtest du deine Reise in die Vergangenheit der Tiuphoren fortsetzen?«

Rhodan gab auf. Es war müßig, mit dem Advokaten zu diskutieren. »Ja, das will ich.«

»Ich warne dich nochmals: Die Existenz als Mnemo-Präsenz ist sehr gefährlich. Mag sein, dass du dich verlierst und es nicht mehr zurück zu mir schaffst. Alles, was du jemals erlebt hast, dein Sein und dein Ich – sie wären verloren.«

»Ich weiß.«

»Also schön. Ach ja, bevor ich's vergesse: danke schön.«

»Wofür?«

»Für diese Umgebung, in der du mich hast wurzeln lassen. Sie entspricht sehr genau dem, was ich in meinem derzeitigen Dasein herbeigesehnt habe.«

»Ich vermute, du hättest genauso gut die Möglichkeit, dir ein optimales Existenzbild zu schaffen.«

»Natürlich. Aber das ist wenig reizvoll. Die Auseinandersetzung mit einer anderen Mentalkomponente birgt mehr Exotik. Mehr Freude. Mehr Reiz. – Doch lassen wir das. Meine Astarme sind schon ganz klirrig von all dem Geschwätz. Mach dich bereit, Edgar Tibo.«

Rhodan hatte sich bei der ersten Begegnung mit dem Advokaten eine falsche Identität gegeben. Er benutzte für diesen Namen Versatzstücke aus den Namen seiner Eltern. Dass sein Gegenüber die gewisperten Worte derart stark betonte, zeigte Rhodan, dass dieser die Lüge durchschaut hatte.

Es spielte keine Rolle. Nicht zu diesem Zeitpunkt. Der Advokat schickte ihn erneut auf Reisen. Hinab in Torus Fünf und von dort in dieses schreckliche Anderswo einer Welt namens Tiu, wie sie vor langer Zeit einmal existiert hatte. In eine mentale Aufzeichnung, die Urkunde genannt wurde.

 

*

 

Rhodan wurde übergangslos in jene zerstörte Stadtlandschaft zurückgeschleudert, die seine Mnemo-Präsenz gemeinsam mit einigen Tiuphoren durchwandert hatte. Zwei Gyanli lagen vor ihm auf dem Boden und rührten sich nicht.

Es war, als hätte Rhodan keine Sekunde versäumt, seit er in die Kinderstube des Catiuphats zurückgewichen war und sich mit Attilar Leccore besprochen hatte.

Der tiuphorische Sammler namens Miacylloc erhob sich eben unter Schmerzen und suchte seinen Blick. »Was soll ich von dir halten? So etwas wie dich habe ich noch nie gesehen. Du schaltest zwei Orthodox-Operatoren aus, als hättest du nie etwas anderes getan.«

»Bist du unser Erlöser?«, fragte die kleine Astirra, die Rhodan vor dem Mülltod gerettet hatte.

»Ich bin ein einfacher Tiuphore, der sich wehrt. Aber jetzt sollten wir verschwinden. So rasch wie möglich.« Rhodan begutachtete die beiden OrthOps. Sie waren in einer Art Stockstarre. Ihre Augen flackerten wie unter starken Schmerzen. Die zuvor blassblaue Gesichtshaut war dunkel angelaufen, die Kieferknochen angespannt.

Er nahm den zweiten Traktator an sich und reichte ihn an Xervan weiter, an den Großvater Astirras.

»Was soll ich damit anfangen?«, fragte der ältere Tiuphore.

»Mach dich mit den Funktionen vertraut. Denk dran, dass du damit deine Familie verteidigen könntest.«

»Ich weiß nicht so recht ...«

»Ein wenig mehr Enthusiasmus, wenn ich bitten darf! Die Gyanli demütigen unser Volk seit Ewigkeiten. Sie haben Tiu zu einer Müllhalde gemacht, sie haben all unsere Hoffnungen zerstört. Ich bin niemand, der Waffengewalt befürwortet. Aber man muss sich wehren, wenn man angegriffen wird.«

»Zimu hat recht. Du bist ein sonderbarer Tiuphore.« Xervan senkte den Kopf und reichte Rhodan den Traktator zurück. »Damit kann ich nichts anfangen. Das alles hier wird mir zu viel. Ich ... ich ...«

Der Alte brach ab. Rhodan wollte den Kopf schütteln, ließ es aber bleiben. Eine derartige Geste verstanden die Tiuphoren nicht.

Durfte er über Xervans Verhalten urteilen? Xervan und seine Angehörigen wurden als Sklaven behandelt und gedemütigt, und das seit langer Zeit.

»Los jetzt!«, mahnte Zimu Miacylloc zur Eile. »Die beiden OrthOps stehen in ständiger Verbindung mit der hiesigen Einsatzzentrale. Es wird nicht lange dauern, bis Verstärkung eintrifft. Und dann ...«

Rhodan betrachtete den Sammler von oben bis unten. Er hielt sich mühsam auf den Beinen Der Tiuphore war von der Schockwirkung des Traktators beeinträchtigt.

»Wir müssen zurück auf die Straße!«, sagte Rhodan. »Jetzt gleich. Xervan, du bleibst am Ende der Gruppe und sorgst dafür, dass deine Leute mir folgen und keiner zurückbleibt. Verstanden?«

»J... ja.«

Rhodan nahm Miacylloc am Arm, stieg über die beiden Bewusstlosen hinweg und trat durch jene Tür, durch die die Gyanli gekommen waren. Er gelangte auf einen Treppenflur, der von Müllhaufen übersät war. Es stank erbärmlich. In einer dunklen Ecke wuselte es. Ein mehrbeiniges Vieh sprang daraus hervor, fauchte aggressiv und verschwand rasch wieder.

Rhodan steckte eine der Waffen weg und behielt die andere in der Rechten. Er fühlte sich in eine Rolle gedrängt, die er schon oft eingenommen hatte. Aber warum sollte er sie hier besetzen, in dieser sogenannten Urkunde?

Er bekam die Geschichte der Tiuphoren erzählt. Es war falsch, dass er sich aktiv daran beteiligte.

Nicht nachdenken, nicht jetzt! Bring die Tiuphoren erst einmal in Sicherheit.

Die steinernen Stufen waren abgetreten und glitschig. Vorsichtig setzte Rhodan Schritt vor Schritt. Irgendwo im Haus schrie ein Kind vor Schmerzen, eine zornige Stimme antwortete.

Er zog die Schultern hoch und ging weiter. Auch, als laute Geräusche ertönten, die auf eine Auseinandersetzung schließen ließen. Auch, als eine vermummte Gestalt am Treppenabsatz um Nahrung bettelte und sich an seine Füße klammerte. Auch, als sich ihm ein halbwüchsiges Mädchen anbot und ihm versprach, alles für und mit ihm zu tun, wenn er ihr einen »Push«, besorgte, ein durch die Nasenschlitze gepresstes Suchtgift.

Dies alles ging über Rhodans Kräfte. Er musste sich abkapseln, wollte er den Aufenthalt auf Tiu als Mnemo-Präsenz bei gesundem Verstand überleben.

War dies die Gefahr, vor der ihn der Advokat gewarnt hatte? Dass er zu tief in die Geschehnisse hineingezogen und vollends in die tiuphorische Vergangenheit integriert werden würde?

Das Erdgeschoss war erreicht. Rhodan zog die Eingangstür einen Spaltbreit auf und spähte nach draußen. Er erahnte eine Gestalt, die selbstbewusst vor dem Tor auf und ab ging, und zog sich rasch wieder zurück. Ein weiterer Gyanli stand vor dem Haus wie ein Wachtposten.

Rhodan überlegte, ob er auch ihn außer Gefecht setzen sollte. Er entschied sich dagegen. Er würde unweigerlich Passanten auf der Straße in die Auseinandersetzung verwickeln und damit gefährden.

Er blickte sich im Halbdunkel des Flures um. Ein ausgetretener Weg wand sich um die Treppe und führte zu einem Lichthof, in dem kümmerliche Pflanzen wuchsen. Flüssigkeit plätscherte aus einer löchrigen Regenrinne und versickerte im losen Grund.

Rhodan trat ins Freie. Das übliche Halbdunkel Tius umfing ihn. Der Hof war an allen Seiten von zerstörten Gebäuden begrenzt. Zu seiner Rechten war Schutt aufgehäuft, so hoch, dass er darüber hinwegklettern und ein kreisrundes Fenster des Nebenhauses inmitten der Trümmerlandschaft erreichen konnte.

Rhodan entdeckte Spuren, die auf häufige Nutzung dieses Fluchtweges hindeuteten. »Los jetzt!«, sagte er leise und befahl Miacylloc mit einer Geste, den Schuttberg als Erster in Angriff zu nehmen.

Der Sammler nickte und begann den Aufstieg. Seine Miene verriet, dass er große Schmerzen ertrug. Doch er beklagte sich nicht. Er war mental und psychisch stärker als die meisten Tiuphoren. Er nahm die Unterdrückung durch die Gyanli nicht als gegeben hin; er wollte die Situation seines Volkes verbessern – und war bereit, dafür sprichwörtlich alles zu geben. Bis hin zum eigenen Leben.

Die kleine Astirra folgte ihm, dann Laccess, ihre Mutter, und der Rest der Gruppe. Xervan bildete den Abschluss. Er sah sich unsicher um und zögerte. Die Situation überforderte ihn völlig.

Rhodan schob ihn hoch. Immer wieder rutschten sie auf dem losen Geröll zurück in die Tiefe. Von weiter oben klackerten Steine herab. Jemand trat sie los. Das Klackern hallte von den umgebenden Wänden wider, so laut, dass Rhodan meinte, man müsste es in großen Teilen der Trümmerstadt hören.

Alle blieben wie eingefroren stehen. Nur Miacylloc, der sich eben dranmachte, durch das offene Fenster zu klettern, setzte seinen Weg fort.

»Weiter!«, befahl Rhodan und schob Xervan vor sich her.

Er meinte zu hören, wie die Außentüre aufging und jemand forschen Schritts das Haus betrat. Wieder hielten sie inne, wieder verharrten sie auf der Stelle.

Die Schritte entfernten sich. Der Gyanli stieg die Stufen hoch. In etwa einer Minute würde er das Dach des Hauses erreichen. Wenn er gut war, benötigte er eine weitere Minute, um seine Überraschung zu überwinden, per Funk Alarm zu schlagen, die Situation für andere OrthOps zu beschreiben und sich an ihre Verfolgung zu machen. Ihr Vorsprung war nicht sonderlich groß.

Einer nach dem anderen kletterten die Tiuphoren durch das kreisrunde Fenster. Rhodan schob den unbeholfenen Xervan hindurch, bevor er sich selbst in Sicherheit brachte.

Die Tiuphoren saßen auf dem Boden, erschöpft und ins Leere stierend. »Weiter!«, rief Rhodan. »Macht schon!« Er packte Astirra und setzte sie auf seine Schultern. Die Kleine quiekte überrascht auf, ließ es dann aber geschehen und hielt sich an seinen breiten, tiuphorischen Schultern fest.

Er übernahm erneut die Führung. Eilte durch das Ruinenhaus, querte einen Platz voll Gerümpel und führte seine Leute durch einen Verschlag ins Freie.

Es gab kaum einen Unterschied zwischen drinnen und draußen. Da wie dort zeigte sich Zerstörung, wie Rhodan sie selten zuvor in seinem Leben gesehen hatte..

Um eine halbkugelförmige Tonne scharten sich einige Tiuphoren und hielten Fleischteile auf metallenen Spießen in ein Feuer. Eine Frau kreischte wild auf, als sie ein Jüngling packen und in einen Verschlag zerren wollte. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen und schaffte es, sich loszureißen.

»Weiterweiterweiter!« befahl Rhodan und schubste ein Mitglied seiner Gruppe an, das stehenbleiben und verschnaufen wollte.

Miacylloc ging wieder vorneweg. Er schien sich auszukennen und lotste sie durch ein Labyrinth kleiner Gassen, Höfe, unterirdischer Passagen. Vorbei an einem Platz, auf dem tatsächlich Grün wuchs und der von einigen kräftigen Tiuphoren bewacht wurde.

Es gibt sie also auch hier, die Hoffnung und die Zivilcourage. Selbst in diesem Elend finden sich Leute, die einen Neuaufbau wagen.

»Jetzt pflanzen sie Candrime sogar schon mitten in der Stadt an!«, sagte Xervan schwer atmend zu ihm.

»Candrime?«, hakte Rhodan nach.

»Ich frage mich schon langsam wirklich, woher du kommst, Perry Rhodan. Die Stiele und der Saft der Candrime sind die Rohstoffe für das verdammte Push-Gift.«

Rhodan eilte weiter, wieder einmal einer Illusion beraubt. Auf Tiu gab es nichts, das zur Hoffnung Anlass gab. Mit Ausnahme der beiden mysteriösen Männer, zu denen sie Zimu Miacylloc führen wollte.

»Hier hinein!«, rief der Sammler nach einer Weile. »Das ist ein Sicherhafen.«

Er deutete auf ein Haus, das sich völlig überraschend hinter Gerümpel am Ende einer kleinen Gasse zeigte. Es war steinern und wirkte äußerlich unversehrt. Ein einzelner Tiuphore stand abseits des Eingangs. Aus einem Altmetallhaufen zupfte er hervor, was in der Stadt Tonhuon als wertvoll galt.

Rhodan bemerkte, dass er Miacylloc kurz zunickte. Offenbar war er Teil der Sammler-Bewegung und übernahm die Bewachung des Sicherhafens.

Sie traten ein, einer nach dem anderen. Rhodan zog den Kopf ein, sodass Astirra nichts geschehen konnte.

»Es stinkt!«, rief die Kleine.

Oh ja, es war übel. Schlimmer, als es die Tiuphoren gewöhnt waren. Unmittelbar hinter der Türe verrottete ein Tierkadaver. Wolken von Insekten umschwirrten das verdorbene Fleisch. Daneben dunstete aufgehäufter Kot.

Miacylloc ließ sich nicht irritieren. Er drang mit steifen Schritten tiefer ins Haus vor und verschwand mit einem Mal zu ihrer Linken. In einem unscheinbaren Kasten, dessen Rückwand sich problemlos öffnete und über eine Treppe in die Tiefe führte. Hinab in einen Raum, der angenehm kühl temperiert war und in dem überraschende Aufgeräumtheit herrschte.

Keine Trümmer, kein Schmutz, keine Feuchtigkeit. Und ein Brunnen, aus dem Miacylloc augenblicklich Wasser zu pumpen begann. Wasser, das aus großer Tiefe geschöpft wurde – und das Rhodan besser schmeckte als alles, was er auf Tiu bislang zu sich genommen hatte.

 

*