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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2314

 

Die Leben eines Seecharan

 

Er ist die »Ewige Truhe« – und er kennt die Bestimmung seines uralten Volkes

 

Hubert Haensel

 

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Im Jahr 1344 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – entspricht dem Jahr 4931 alter Zeit – bedroht die Terminale Kolonne TRAITOR die Menschheitsgalaxis. Dieser gigantische Heerwurm der Chaosmächte hat überall in der Milchstraße bereits seine Kolonnen-Forts errichtet.

Dank ihrer Dunkelfelder sind weder Forts noch Raumschiffe von den galaktischen Völkern zu orten. Die Bewohner der Milchstraße können sich praktisch nicht gegen TRAITOR zur Wehr setzen. Nur die Terraner konnten den Chaos-Stützpunkt in der Nähe des Solsystems aufspüren und vernichten.

Allein die bislang unzugängliche Charon-Wolke in der Nähe des Milchstraßenzentrums scheint sich den Truppen der Terminalen Kolonne zu verschließen. Ausgerechnet dort gibt es Salkrit, ein Element, das den Terranern bislang unbekannt war und das die Chaosmächte begehren.

Zentrum der Charon-Wolke ist das Goldene System, in das Atlan und seine Begleiter vorstoßen. Dort erfährt Atlan mehr über DIE LEBEN EINES SEECHARAN …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Ingal Fathen Aidon – Die Ewige Truhe der Seecharan berichtet über ihre verschiedenen Lebensabschnitte.

Atlan – Der Arkonide wird in ein finales Gefecht verwickelt.

Dr. Gregorian – Der Wissenschaftler erkämpft sich Befehlsgewalt.

Alysha Saronn – Die Kommandantin der VERACRUZ gibt entscheidende Anordnungen.

1.

19. Juli 1344 NGZ

 

»Seit zwei Stunden kein Lebenszeichen!«

Die Unruhe stand Blaine Terracina ins Gesicht geschrieben. Schon geraume Zeit wusste er nicht mehr, wohin mit seinen Händen, nun hielt er es in seinem Sessel nicht mehr aus und lief unruhig durch die Zentrale.

»Ich fürchte …« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute angestrengt auf die Bildwiedergabe.

»Ja?«, fragte die Pilotin. »Was fürchtest du, Blaine?«

Der Archäologe fuhr herum. »Wir werden Atlan und die anderen nicht wiedersehen! Das da draußen – das ist wie der Vorhof zur Hölle.«

Staub- und Gasschleier beherrschten die Umgebung und ballten sich in der Distanz scheinbar undurchdringlich zusammen. Dazwischen wirbelnde Gesteinsbrocken, Asteroiden, wenige Meter durchmessend bis hin zur Masse eines kleinen Mondes. Und manchmal ein roter Schimmer wie ein lodernder Flächenbrand, sobald das Licht der Riesensonne den Dunst durchbrach.

»Keine Panik!«, sagte eine markante Stimme. »Falls SKARABÄUS-1 explodiert wäre, hätten wir das angemessen.«

»Bei den herrschenden Verhältnissen …?« Terracina gestikulierte. »Dieses System ist unmöglich, ich habe Vergleichbares nie gesehen, es ist wie …«

»… wie ein Hoffnungsschimmer für die Völker der Milchstraße, wenn TRAITOR kommt!«, fuhr Dr. Gregorian entschieden fort. Unwillig kniff er die Augen zusammen, sodass er kaum noch unter den buschigen Brauen hindurchschauen konnte, und sein mächtiger Schnauzbart bebte bei jedem Atemzug. »Setz dich, Blaine!«, sagte er scharf. »Bevor deine Unruhe alle infiziert.«

Für einen Moment sah es so aus, als wolle der Archäologe widersprechen, dann ließ er sich wieder in seinen Kontursessel sinken.

»Na also«, brummte Gregorian und es klang, es sei die Äußerung für ihn selbst und nicht für die anderen in der Zentrale des Beibootes bestimmt.

Mit geringer Restfahrt trieb das Spezialfahrzeug der VERACRUZ durch das Chaos. Das stete Flackern im Schutzschirm, hervorgerufen von winzigen Materiebrocken, zermürbte.

»Warum meldet sich Atlan nicht?«

»Ich gebe ihm noch eine Stunde Zeit«, entschied die Pilotin.

Und dann? Lenka Angrost wusste es selbst nicht. Nach wie vor hoffte sie, dass der schlimmste aller Fälle nicht eingetreten war. Die Funkstille konnte viele Ursachen haben. Wahrscheinlich verbarg Atlan sein Schiff im Ortungsschatten eines der größeren Asteroiden. Oder die Hyperfunkverbindung wurde von der herrschenden superhochfrequenten Strahlung gestört.

Und wenn SKARABÄUS-1 doch von den Gitter-Raumschiffen vernichtet worden war?

Mit einer ärgerlichen Kopfbewegung schob die Pilotin alle Bedenken beiseite. Sie hatte längst festgestellt, dass Dr. Gregorian wenig redete. Aber wenn er sich zu einem Thema äußerte, war an seiner Aussage nicht zu rütteln. Terracinas Befürchtungen hatten in der Tat schon auf sie übergegriffen.

»Haben wir eine neue Ortung?«, wollte sie wissen.

Julius Guck Andeman schüttelte den Kopf. »Nichts. Als gäbe es diese fremden Gitter-Raumer nicht mehr.«

»Wie groß ist denn die Taster-Reichweite?«

»Nach wie vor nur wenige Lichtsekunden.«

Urplötzlich hatten die Unbekannten angegriffen und SKARABÄUS-2 gejagt. Nach endlos langen vierzig Minuten waren sie ebenso unvermittelt wieder verschwunden. Lenka Angrost wurde das Gefühl nicht los, dass ihr Abzug mit SKARABÄUS-1 zusammenhing. Vielleicht war das Schwesterschiff aufgebracht worden, und Atlan und seine Crew wurden längst verhört.

Ihre Hände öffneten und schlossen sich in immer rascherer Folge. Das Mutterschiff konnte nicht eingreifen. Wenn jemand dazu in der Lage war, dann sie mit SKARABÄUS-2. Auf ähnliche Situationen hatte sie als Einsatz-Ausbilderin angehende Piloten vorbereitet. Absurd daran war, dass sie nie geglaubt hätte, selbst eines Tages betroffen zu sein. Dass ausgerechnet Atlan verschwunden war, sorgte für eine besondere Qualität. Aber vielleicht hatte der Arkonide die Angreifer abgeschüttelt und würde sich erst in einigen Stunden wieder aus seinem Versteck hervorwagen. Mit einer Suche nach SKARABÄUS-1 wurde die Aufmerksamkeit der Fremden womöglich von neuem geweckt.

Wer sind sie?, fragte sich die Pilotin. Sie zweifelte nicht daran, dass diese Schiffe von einem der mondgroßen Asteroiden gekommen waren. Zwölftausend Jahre Eigenzeit in der Charon-Wolke seit dem großen Krieg.

Zwölftausend Jahre … Nichts mochte heute noch so sein, wie es einmal gewesen war.

»Wir suchen SKARABÄUS-1!«, entschied die Pilotin. In den Gesichtern der anderen las sie Zustimmung.

Das grelle Flackern des Schutzschirms sprang von den Holos in das Zentralerund über. Die Anspannung wurde beinahe greifbar, als auf SKARABÄUS-2 alle Energieerzeuger hochfuhren und das Schiff beschleunigte. Erst nach einer Weile blieb die Schirmfeldbelastung konstant.

Der Asteroidenschwarm war der größte im Goldenen System. Etliche tausend SHF-Hotspots, dazu taube Felsbrocken aller Größen erstreckten sich über ein beachtliches Areal. Die eigene Ortung versagte schon bei geringer Distanz, die Orientierung war nach wie vor nur anhand der vom Ultra-Messwerk gelieferten Daten möglich.

Lenka Angrost folgte dem Kurs der Gitter-Raumschiffe. Sie war sich des Risikos bewusst, das sie einging.

Höchstbeschleunigung zehn Kilometer pro Sekundenquadrat. Belastung des HÜ-Schirms knapp neunzig Prozent, projizierter Durchmesser fünfzig Meter. Auf dem Panoramaholo schien der flammende Schutzwall zum Greifen nahe.

Das Geschütz auf der Dachfläche des Hauptrumpfs war feuerbereit. Mork Ha’Sam saß an den Feuerleitkontrollen.

Kurskorrektur, weil sich ein Planetoid in den Erfassungsbereich der Ortung schob. Mehr als vierzig Sekunden blieben für das Ausweichmanöver. Jede von ihnen schien endlos zu währen, da Lenka Angrost befürchtete, im nächsten Moment Gitter-Schiffe hinter dem unförmigen weißen Felsmond auftauchen zu sehen.

Aber nichts geschah. Ohne dass sich ein Zwischenfall ereignet hätte, versank der Planetoid hinter SKARABÄUS-2 in der Anonymität der Materieschleier.

Die Lautsprecherfelder des Hyperfunkempfangs waren aktiv. An das Prasseln und Knistern gewöhnte man sich mit der Zeit.

»Ortung!«, meldete Andeman. Doch ebenso schnell winkte er ab. »War nicht mehr als ein Schatten am Rand des Erfassungsbereichs, keine Auswertung möglich.«

Vielleicht entfernten sie sich mit jeder Minute weiter von Atlan und seinen Leuten. Dann würde es bald unmöglich sein, wieder zueinander zu finden.

Fünfundzwanzig Millionen Kilometer inzwischen … Im Erfassungsbereich der Ortung wimmelte es von kleineren Felsbrocken, keiner von ihnen größer als zehn Kilometer. Die Gefahr einer Kollision stieg rapide an. Lenka Angrost zog das Schiff sofort aus dem Kurs. Dennoch jagte SKARABÄUS-2 bedrohlich nahe an mehreren Asteroiden vorbei.

»Hyperfunkspruch an Atlan!«, entschied sie. »Wir versuchen es zumindest. Rafferimpuls mit der Bitte um Lagebericht!«

Keine Antwort.

Die Pilotin spielte schon mit dem Gedanken, jenen geheimnisvollen Asteroiden anzufliegen, auf dessen Oberfläche sie die weitläufige Ruinenstadt entdeckt hatte. Das war die letzte gemeinsame Position beider Skarabäen gewesen. Aber dort waren sie von den Fremden überrascht worden.

Möglicherweise warteten die Besatzungen der Gitter-Raumer gerade auf eine solche Dummheit.

»Ortung! Gitter-Raumschiffe!«

Sie hörte Andemans Ausruf, aber der Sinn drang nicht zu ihr durch. Mit beiden Händen massierte sie ihre Schläfen und schüttelte benommen den Kopf, als alles vor ihren Augen verschwamm.

»Lenka! Vier Schiffe kreuzen unseren Kurs mit zwei Lichtsekunden Distanz!«

Sie blinzelte und atmete tief ein. Das Gefühl der Benommenheit blieb. »Haben sie uns entdeckt?«, hörte sie sich sagen. Die eigene Stimme klang fremd, mechanisch beinahe.

»Ich glaube nicht. Die Schiffe entfernen sich …«

»Zielbestimmung!«

Was Andeman sagte, dröhnte in der einen Sekunde unter ihrer Schädeldecke und klang in der nächsten wie aus sehr weiter Ferne. Sie hatte Mühe, ihn zu verstehen und einen Sinn in seine Worte hineinzubringen. Irritiert registrierte sie, dass ihre Hände auf die Armlehnen drückten, als wolle sie aufspringen und fliehen.

Verrückt!, schoss es ihr durch den Sinn. Diese Situation ist so unwirklich …

Kräftige Fäuste schlossen sich um ihre Oberarme und zerrten sie hoch. »Nein!«, wollte sie aufbegehren. »Wir müssen weiterfliegen! Wir …« Vergeblich krallte sie sich an der Lehne fest, aber mit einem Mal waren mehr Personen um sie herum, und jemand hob sie mit unwiderstehlicher Kraft hoch.

Alles um sie herum schien zu verschwimmen. Lenka Angrost fühlte sich so leicht wie nie zuvor …

Sie genoss die Kühle und die Feuchtigkeit, die der Wind herantrug, ebenso wie seinen eigenwilligen Geruch. Schwarz stieg die neue Morgensonne zu ihr herab, ein irrlichterndes Gleißen über der bleichen Ebene. Der Ozean über ihr brach auf, begann Blasen werfend aufzuwallen, und die ersten Schiffe lösten sich aus der Geborgenheit der kochenden See. Sie waren filigran, ein verflochtenes Gestänge mit eingehängten Funktionskapseln. Vor allem waren sie viele, die sich auf das Land senkten, ein schier unüberschaubarer Schwarm, der wie Heuschrecken alles kahl fressen und dann weiterziehen würde.

Heuschrecken? Eben noch hatte sie geglaubt, diesen Begriff zu kennen, aber schon wusste sie nichts mehr damit anzufangen.

Woher kenne ich dieses Wort?

Was geschieht mit mir?

Sie spürte Berührungen, die ihr unangenehm waren. Mit aller Kraft setzte sie sich dagegen zur Wehr, aber sie kam nicht frei.

Etwas drückte auf ihren Hals. Ein kurzes, verhaltenes Zischen, dann tobte sengende Glut durch ihre Adern.

Sie blickte geradewegs in diese schwarze Sonne. Aber das Licht blendete nicht. Dann fiel sie – fiel rückwärts in eine unergründliche Tiefe, alles andere weit hinter sich zurücklassend.

»Aufruhr«, hörte sie eine ferne Stimme. »Das umschreibt am besten, was sich in ihrem Gehirn abspielt.«

»Aber ihr Kreislauf stabilisiert sich.«

»Der Schock hätte sie töten können …«

Augenblicke später war nichts mehr. Schwerelos glitt sie dahin, durch einen Raum, den sie mit ihren Sinnen nicht erfassen konnte, und durch eine Zeit, die für sie stillstand.

Lenka Angrost … Der Name stabilisierte sich in ihrem Bewusstsein. Sie wusste, das war sie, das war ihre Identität. Irgendwann kam ein zweiter Gedanke hinzu: Ich will Terra wiedersehen. Ich muss überleben!

 

*

 

»Lenka schläft jetzt«, sagte der Biologe Eryn Glady. »Mehr können wir nicht für sie tun.«

Als er bemerkte, dass Dr. Gregorian ihn eindringlich musterte, fuhr er sich unbehaglich mit der Hand unter den Kragen seiner Bordkombination. »Ich glaube nicht, dass mir ihr Zustand eher hätte auffallen können. Das ist kein Grund, mir einen Vorwurf …«

Gregorians Blick verdüsterte sich.

»Niemand sagt das.«

»Was dann?«, erkundigte sich der Epsaler, der geholfen hatte, die Pilotin in ihre Kabine zu schaffen.

»Ich frage mich, ob der Strangeness-Schock ein Einzelfall bleibt.«

Glady zuckte zusammen. Ungläubig blickte er den Hyperphysiker an, dessen Statur eher an einen Profiboxer erinnerte als an einen Wissenschaftler. »Strangeness …?«, wiederholte er gedehnt. »Ich bin Biologe, kein Mediziner. Bist du sicher?«

»Hauptsächlich dürfte Lenka auf Einwirkungen aus der Charon-Wolke reagiert haben, schließlich haben wir zwei lange Flüge hinter uns.«

»Und die vielen Hotspots in unserer Nähe haben ihren Zusammenbruch ausgelöst?«, folgerte Glady.

»Richtig. Falls die Pilotin nicht als Einzige sensibel reagiert, kann es jeden von uns ebenfalls erwischen. – Bleib bei ihr, Eryn!«

Der Biologe nickte stumm, während Gregorian und der Epsaler die Kabine der Pilotin verließen.

Über den Gemeinschaftsraum betraten sie den Antigravschacht, der die sieben Unterkünfte auf Deck 2 mit der darüber liegenden Zentrale verband. Sieben Kabinen für neun Personen, das bedeutete wie auf SKARABÄUS-1 Überbelegung und dass sich vier Besatzungsmitglieder zwei Unterkünfte teilten, doch über solche Gegebenheiten diskutierte niemand.

»Wer fliegt das Schiff?«, wollte der Epsaler übergangslos wissen.

Die Frage erübrigte sich, denn Mork Ha’Sam hatte bereits im Pilotensessel Platz genommen. Nervös knetete er seine Finger und versuchte sich zurechtzufinden. »Raumfahrt-Steinzeit«, stellte er zögernd fest und hob den Kopf, als Gregorian und der Epsaler eintraten. »Was ist mit Lenka?«

»Schläft«, antwortete der Hyperphysiker einsilbig.

»SKARABÄUS-2 liegt auf Kurs«, meldete Andeman. »Aber die Ortungen häufen sich.«

»Und?«

»Da sind nicht nur ein paar Gitter-Schiffe unterwegs, das müssen einige hundert sein.«

Julius Guck Andeman schwieg schon wieder, als fürchtete er, mit allem, was er sagte, die Bedrohung erst recht heraufzubeschwören.

Dr. Gregorian schaute den schmächtigen Mann an der Ortungsstation stumm an. Sein Blick wurde stechend. Ungeduldig zwirbelte er die Enden seines Schnauzbarts.

In dem Moment wurde allen klar, dass er stillschweigend das Kommando übernommen hatte. Niemand protestierte dagegen.

»Der Kurs der Schiffe ist ziemlich eindeutig«, fuhr Andeman fort. »Nach den Aufzeichnungen des Ultra-Messwerks fliegen sie einen der mittelgroßen Asteroiden an. Rund tausendfünfhundert Kilometer Durchmesser, ein paar kleinere Brocken in seiner unmittelbaren Umgebung …«

»Was sagt die Ortung?«

»Der Asteroid wird erst in einigen Minuten in den Erfassungsbereich einwandern.«

»Das Schaubild!«

In einem Sektor des Panoramaschirms erschienen die aufbereiteten Daten. Die errechnete Position des SKARABÄUS war markiert.

Nur Sekunden später reagierte der Funkempfang. Ein ultrakurz gerafftes Signal war aufgefangen worden.

»Kennung von SKARABÄUS-1!«, rief Andeman sofort.

Der entzerrte Wortlaut hallte durch das Zentralerund. »Atlan an SKARABÄUS-2! Wir befinden uns vorerst in Sicherheit, auch wenn die Techniten sich zum Angriff sammeln. Lenka, falls du das empfängst: Ich befehle die Rückkehr von SKARABÄUS-2 zur VERACRUZ. Verschwindet, bevor die Roboter euch erwischen …!«

Sogar der Rafferimpuls war von einer Störung verzerrt worden.

»… wichtig, dass alle Informationen zum Mutterschiff gebracht werden. Die verfügbaren Daten über GRAANWATAH und unsere Situation sind dem nächsten Impulsbündel aufgeprägt. Ich hoffe, dass euch diese Nachricht erreicht. Viel Glück, SKARABÄUS-2.«

Der Wortlaut wurde stetig wiederholt.

»Daten sind ebenfalls eingetroffen!«, meldete Andeman. »Offensichtlich ohne Beeinträchtigung. Entzerrung läuft.«

Augenblicke später fügte er hastig hinzu: »Asteroid wird soeben erfasst. Und die Energieechos von Raumschiffen. Das sind in der Tat Hunderte.«

»Abdrehen!«, befahl Gregorian.

Als Mork Ha’Sam nicht sofort reagierte, wurde er laut: »Wir können Atlan und seiner Crew nicht helfen. Sofort Rückflug zur VERACRUZ! Das sind wir der Menschheit schuldig.«

Das war eine hochtrabende Behauptung. Aber jeder nahm sie hin.

2.

Bericht Atlan

 

GRAANWATAH, die letzte Zuflucht, wiederholte mein Extrasinn. Damit meint er diesen Planetoiden.

Ich achtete nicht darauf. Sehr viel wichtiger erschien mir, dass mein Gegenüber mich als einen Gesandten der Schutzherren ansah. Das bedeutete zwangsläufig, dass sein Wissen bis in die Zeit vor der Verbannung der Charon-Wolke in den Hyperkokon zurückreichte.

Der Tentakelarm pendelte vor meiner Brust. Wartete Ingal Fathen Aidon auf ein bestimmtes Ritual, oder verbargen sich in den Pseudopodien Sinnesorgane?

»Mein Name ist Atlan«, sagte ich.

Der Arm zog sich ein Stück weit zurück, und mein Gegenüber neigte sich ein wenig zur Seite, offenbar um mich mit seinem großen rechten Auge einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Sein Gesichtsbereich, aus dem die vier Tentakelarme entsprangen, befand sich nun mit meinem Kopf auf einer Höhe. Wollte ich das Ende seines kantigen Körperfortsatzes sehen, der von einer Haut wie Krokodilleder überzogen war, musste ich deutlich nach oben schauen.

»Nur Atlan?«, fragte dieses Wesen, und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass so etwas wie Enttäuschung darin mitschwang.

»Atlan da Gonozal«, sagte ich.

»Mein voller Name lautet Ingal Fathen Aidon Kind des Forsch Brank Aidon Kind des Ju Da Fathen Aidon Kind des Ikrus Gorub Aidon zweites Kind des Mekzos …« Der Wortschwall brach unvermittelt ab, denn von irgendwoher erklangen blubbernde Laute. Nicht sehr laut zwar, aber dennoch hatte ich den Eindruck ringsum aufsteigender Sumpfgase. Nicht nur das Geräusch, auch der sich ausbreitende Schwefelgeruch war entsprechend.

Mein Gegenüber schien sich verflüchtigen zu wollen. Von einer Sekunde zur anderen hellte sich die unterschiedlich graugrüne Färbung seines Körpers auf, als wolle sie sich der Umgebung angleichen, der Blässe des Asteroidengesteins.

Vegetativ gesteuerte Mimikryfähigkeit, wisperte es in meinen Gedanken. Aidon versucht, sich unsichtbar zu machen.

»Es ist mein Fehler«, sagte mein Gegenüber. »Ich hätte mir denken können, dass einem Schutzherrn nach langer Zeit der Abwesenheit vieles wichtiger sein muss als meine lückenlose Ahnengalerie.«

Ich schüttelte den Kopf, woraufhin Aidon zwei Arme hob und seine Augen weit öffnete.

»Du bist Nekbal sas’Arrim?« Seine Stimme war leiser geworden, beinahe als scheue er sich davor, eine falsche Vermutung auszusprechen. Sein Tentakelarm zuckte jedoch heran, berührte mit drei neu ausgebildeten dünnen Pseudopodien und unendlich vorsichtig meine Schulter und wühlte sich in mein Haar. »Du trägst Steinwolle wie er. Dieses seltene Mineral ist heute kaum noch zu finden. Ich weiß, dass mein Ahn Ellredt Marn Aidon dir nur ein einziges Mal begegnet ist …«

Mit beiden Händen griff ich jetzt nach dem Tentakelarm und zog ihn sanft aus meinem Haar.

»Du irrst dich«, sagte ich. »Ich bin nicht Nekbal sas’Arrim, und ich bin auch kein …« Ich spürte sein plötzliches Beben, während er förmlich in sich zusammensackte. Der Kopfkörper hing mit einem Mal schwer zwischen den muskulösen Armen und glich sich beinahe völlig dem Untergrund an.