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Nr. 2897

 

Konferenz der Todfeinde

 

Vor der vereisten Galaxis – sie kämpfen gegen die Entstehung einer Materiesenke

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Fragment

1. Verheißung

2. Geheimnisse

3. Enthüllungen

4. Ankunft

5. Wahrheiten

6. Enttäuschungen

7. Irrtümer

8. Anker

9. Aufbruch

Leserkontaktseite

Glossar

Clubnachrichten

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Im Jahr 1522 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) befindet sich Perry Rhodan fernab der heimatlichen Milchstraße in der Galaxis Orpleyd. Dort braut sich etwas zusammen, das den Unsterblichen zum Handeln zwingt: Die negative Superintelligenz KOSH arbeitet im Verborgenen an ihrer eigenständigen Entwicklung in eine Materiesenke.

KOSH will nicht zum Instrument der Chaotarchen werden – von denen insbesondere Cadabb sich sehr stark für KOSH interessiert. Zwei Völker Orpleyds wirken, teilweise ohne ihr Wissen, für KOSHS Ziele: die Tiuphoren und die Gyanli, insgeheim gelenkt von den Pashukan, den Todesboten der Superintelligenz.

Perry Rhodan weiß, dass die Geburt einer Materiesenke das Ende für die betreffende Galaxis oder sogar Mächtigkeitsballung bedeutet – und den Tod aller Lebewesen. Um diese Entwicklung aufzuhalten, ist der Terraner bereit, alles zu wagen. Er lädt ein zur KONFERENZ DER TODFEINDE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Unsterbliche kämpft gegen die Entstehung einer Materiesenke

Paddkavu Yolloc – Der Caradocc will den Tiuphoren eine Zukunft schenken

Shydaurd – Der Gyanli zweifelt am Leben unter allem Grund

Attilar Leccore – Der Gestaltwandler geht auf eine ungewöhnliche Mission

Sichu Dorksteiger – Die Ator ist einem Pashukan auf der Spur

Fragment

 

Sein Name ist ... Er weiß es nicht.

Er ist zerrissen, isoliert, verzweifelt. Während er darüber nachdenkt, woher die Gefühle kommen, hört er das weit entfernte Summen von Maschinen. Im Außen ist etwas. Oder ist es im Innen? Kommt es aus einer Ecke des eigenen Selbst?

Er will sich bewegen, aber es gibt nichts, das er bewegen kann. Er ist der Teil eines Teils, das Rudiment einer Wolke aus getrennten Partikeln. Früher war es anders. Da war er eins – ein Körper.

Es tut gut, sich daran zu erinnern. Die Verzweiflung verliert an Kraft. War sie zuvor ein flammendes Rot, wird sie heller, beinahe zum Weiß.

Eine weitere Erinnerung schält sich aus dem Vergessen: Er hat eine Aufgabe, die wichtig ist für das, was andere das Operandum nennen. KOSH vertraut ihm. Zuerst muss er sich zusammensetzen, müssen die einzelnen Partikel aneinanderrücken, verschmelzen. Danach kommt der Rest.

Er konzentriert sich auf das nähere Umfeld, auf Moleküle und Molekülverbände, die um ihn tanzen. Mit dem Geist durchdringt er sie, führt zueinander, was getrennt ist. Sein Radius erweitert sich, wächst an. Energie durchpulst ihn.

Bald wird er wissen, wie sein Name ist.

Das Pavvat ist wiedererstanden. Die Banner werden benötigt. Jetzt.

Ruf nach Lichfahne

 

 

1.

Verheißung

SHEZZERKUD

 

»Alles endet. Der Ruf ist erfolgt.« Caradocc Paddkavu Yolloc hatte das Gefühl, fremd in der eigenen Zentrale zu sein. Selbst seine Stimme schien einem anderen zu gehören. Sie war rau, kratzte im Hals. Die vertraute Umgebung, die ihm sonst Ruhe und Kraft schenkte, war ein unbekanntes Land geworden.

Es lag am Banner, am Flüstern der darin aufbewahrten Bewusstseine. Das Raunen glitt wie ein Schatten über Sessel, Stehflächen und Schwebeprojektoren. Die Bewusstseine waren aufgeregt, schwankten zwischen Freude und Furcht vor dem Neuen. Sie übertrugen die Gefühle auf die Besatzung.

Verssidai Happuru trat hinter Yolloc, legte ihm die Hände auf die angespannten Schultern. Das Schiffsorakel wusste genau, wann er seine Nähe brauchte. In diesem Moment gab die Berührung Yolloc Halt. Er atmete aus, ließ einen Teil der Verkrampfung los. Verssidais Finger sanken tiefer in die Muskeln.

»Es ist die Vollendung«, sagte das Orakel. »Bald werden wir wissen, was es mit der Vergangenheit auf sich hat – und was unsere Zukunft sein soll.«

Die SHEZZERKUD verlor an Geschwindigkeit. Beiläufig prüfte Yolloc den Stand der Quintronenspeicherröhren. Er war dicht am oberen Limit. Sie hatten die Sammelpause im Halo Orpleyds genutzt, um die Vorräte für den Materie-Energie-Transformator aufzufüllen.

Yolloc blickte auf den freien Raum vor sich. Er blinzelte drei Mal, um den Holoprojektor zu aktivieren.

Schiffe flammten in der abgedunkelten Kommandosohle auf. Erst zehn, dann hundert, dann tausend, dann zehntausend. Immer neue Sterngewerke kamen hinzu, umgaben die SHEZZERKUD wie eine Planetenhülle den Kern. Die Choreografie war perfekt. Gemeinsam bildeten die Raumer eine Kugel, in deren Zentrum Yollocs Schiff dahinjagte.

Dabei waren die Abstände zwischen den Sterngewerken gering. Es war eine Meisterleistung der Plasmatroniken und der Besatzungen. Besonders einige der archaischen Einheiten waren dabei auf die Unterstützung von Flugkoordinatoren angewiesen. Es gab Schiffe, deren Schäden aus der jüngsten Bannerkampagne nur notdürftig repariert worden waren – gerade so weit, dass sie den Weg nach Orpleyd hatten antreten können.

»Es ist erhaben«, sagte Verssidai, die wie er auf die Projektionen schaute. »Genau so sollte der Einzug nach Lichfahne sein.«

Blutdurst und Kampfwahn hatten Yollocs Vorfahren vor ewigen Zeiten abgelegt. Beide waren archaisch und mit den Bannerkampagnen untergegangen. Doch die Liebe zur Form war geblieben. Der Sinn für wahre Kunst, nicht für ein Hinmetzeln Schwächerer.

Verssidai zeigte auf das untere Ende der Kugel. Am tiefsten Punkt flog die CHIZZAYPHER von Tollan Tepechu, dem Tomcca-Caradocc. »Sie sind da. Wir sind vollzählig.«

Yolloc klickte zustimmend mit der Zungenspitze. Nahezu zeitgleich gingen die Klarmeldungen der gewaltigen Flotte ein. Darunter auch die der CHIZZAYPHER.

Obwohl Tollan Tepechu der Anführer der Epoche Ruf war, hielt er sich zurück. Er hatte das Kommando Yolloc übertragen und nutzte ihn als Sprachrohr. Sicher würde Tepechu bei diesem ersten Orientierungsstopp keinen Kontakt aufnehmen. Leider. Yolloc schätzte ihre seltenen Gespräche sehr.

»Worüber denkst du nach?«, fragte Verssidai.

»Über Tollan Tepechu. Ich frage mich, was er weiß und was nicht. Ob er eine Ahnung hat, was der Funkruf bedeutet, den wir erhalten haben.«

»Das Pavvat ist wiedererstanden«, zitierte Verssidai einen Satz aus der Botschaft. Seine Hände zitterten auf Yollocs Schultern. Für ihn fühlte sie sich weiblich an, auch wenn es als Schiffsorakel ein Zwitter war, dem sich kein Einzelgeschlecht zuordnen ließ. »Der Begriff löst etwas in mir aus.«

»In mir auch.« Yolloc suchte nach Worten. »Im Halo habe ich voller Geduld gewartet, als ob mich ein Impuls zurückhielte. Ich habe nicht einmal Spähschiffe vorausgeschickt, weil eine innere Stimme mir davon abriet. Es durfte nicht frühzeitig zu einer Entdeckung und zu Schlachten kommen. Die Banner mussten geschützt werden. Aber nun ... Es ist, als wäre ein seit Ewigkeiten gespeicherter Befehl freigesetzt worden, zum Lichfahnesystem zu fliegen. Die Banner müssen geleert werden.«

Verssidais Finger zitterten stärker. »Ich habe Angst davor. Was wird aus mir werden, wenn die Bewusstseine gehen? Werde ich sie begleiten können? Entlasse ich sie in die Dunkelheit?«

»Wir wüssten mehr, wenn wir eine Ahnung hätten, was das Pavvat ist.« Yolloc schaute auf die Armada, die um die SHEZZERKUD flog. Die Flotte war weit größer als jene, die sie in der Milchstraße vorgefunden hatten. Aus vielen Teilen des Universums waren kleinere Tiuphorenverbände dem Ruf zur Sammlung gefolgt. Nun strebten sie dem Inneren Orpleyds entgegen, dem Lichfahnesystem.

Yolloc war für jedes einzelne dieser Sterngewerke verantwortlich. Auch wenn er Rücksprache mit Tollan Tepechu hielt – seine Entscheidungen konnten den Tiuphoren den Tod bringen. Er hätte gerne mehr Informationen über die Lage gehabt.

»Wer wohl die Nachricht geschickt hat?«, fragte er. »Irgendwer muss die Kette aus Hyperfunk-Relaisstationen installiert haben.«

»Hab keine Zweifel!«, sagte Verssidai. »Es reicht, wenn ich sie für uns beide habe.«

Yolloc machte eine kreisende Bewegung mit den Händen. »So oder so. Die Epoche Ruf endet. Auch ich weiß nicht, was in Zukunft meine Aufgabe sein soll. Ich war ein Bote unter vielen. Dass der Tomcca-Caradocc mich zum Anführer gemacht hat, werde ich ihm ewig danken. Er ist beeindruckend wie kein anderer.«

»Das ist wahr. Ich habe Tepechu gesehen, als er eine Versammlung aller Orakel einberufen hat. Er ...« Verssidai verstummte. Es griff sich an den Kopf.

Yolloc spürte einen heftigen Schmerz, der durch seine Stirn raste. Er unterdrückte einen Schrei, stieß mit zusammengebissenen Zähnen die Luft aus. Die Projektionen vor ihm verblassten. Andere Bilder stiegen auf, die aus seinem Inneren kamen. Sie überlagerten die Zentrale. Die Halluzination war stärker als alles, das Yolloc bisher erfahren hatte.

Er sah einen Planeten mit Müllbergen, die sich in die Wolken bohrten. Eine Welt, überdeckt von Unrat – und Tiuphoren! Die Bewusstseine im Banner raunten lauter. Von einer alten Zeit, als die Tiuphoren aufgebrochen waren, die Erlösung zu finden. Sie hatten ihre Heimat Tiu verlassen, die überhäuft war mit Dreck und Gift.

Yolloc rutschte aus dem Sessel, stürzte, schlug auf dem Boden auf. Die Platzwunde an der Schläfe nahm er kaum wahr.

Vor ihm schienen fremde Wesen zu stehen. Amphibienartige, die um zwei bis drei Köpfe größer als er selbst waren. Sie hatten blaue Haut, hielten martialische Waffen in den Händen, klobig wie die wuchtigen Körper.

Gyanli.

Sie waren die Herrscher Orpleyds und der Grund, warum eine innere Stimme Yolloc gemahnt hatte, solange verborgen und blind im Halo von Orpleyd zu warten. Die Gyanli hätten sie beim geringsten Anzeichen von Aggression angegriffen, die Banner vielleicht beschädigt. Es durfte nicht zur Schlacht zwischen ihnen kommen. Die Zeiten des Elends und des Streites waren vorüber. Was nun kam, war die Zukunft. Eine Zukunft im Licht.

Yolloc suchte auf dem Boden nach Halt. Er fühlte sich, als fiele er mitten hinein in einen Mahlstrom, der kein Ende kannte. Hinter sich hörte er Verssidai stöhnen.

Die Bilder veränderten sich. Sie zeigten einen anderen Planeten Tiu, eine strahlende Welt in einer Galaxis, beherrscht von Tiuphoren. Über der Szene lag eine Stimme, die Yollocs Inneres wie der Gong einer Glocke zum Vibrieren brachte.

»Die Botschaft, die man euch sandte, war eine Lüge! Das ist es, was auf euch wartet. Hört nicht auf die Fälschung, die ein furchtbarer Feind eingeschmuggelt hat! Es war ohne Zweifel Cadabb, der wie die Leere ist. In Wahrheit wird in diesen Tagen die Kohäsion erfüllt. Das Operandum erreicht endlich seine Vollendung. Alle, die guten Willens sind, werden in das unantastbare Territorium versetzt werden – in Sicherheit vor Cadabb! In Sicherheit vor allem.«

Yolloc spürte Hände an seinen Schultern. Jemand hob ihn auf, setzte ihn zurück in seinen Kommandosessel. Wie durch einen verwinkelten Gang drangen Verssidais Worte zu ihm. »Yolloc! Die Flotte braucht dich! Es gibt Unfälle!«

Doch Yolloc war zu weit fort. Er fand den Weg nicht, der ihn zurück in die Zentrale der SHEZZERKUD gebracht hätte. Begriffe wie »Operandum«, »Kohäsion« und »Cadabb« wirbelten durch seinen Geist. Er sah sich selbst als Anführer der Flotte. Er herrschte in einem Universum, das wahrer Friede war.

Die Schuld der Vergangenheit war lang gesühnt. Niemand musste mehr in ein Banner gehen, der es nicht wollte. Ja, es gab keine Banner mehr, da sie alle in etwas waren, das größer als das Catiuphat war: in einem Reich, das ihnen erlaubte, als Individuen fortzubestehen und dennoch Teil eines großen Ganzen zu sein. Das war die Kohäsion, das war das Operandum – ein Paradies, in dem die Tiuphoren herrschten und die Willkür der Gyanli ein Ende fand.

Viele lebten darin, nicht nur Gyanli und Tiuphoren. Es war ein Reich, das keine Grenzen kannte – und es war unantastbar, wie die Stimme gesagt hatte. Dieses Territorium war das Ziel. Darauf lief alles hinaus. Seit ewigen Zeiten waren die Tiuphoren unterwegs, um diesen Traum wahr zu machen.

Unterdrückung und Heimatlosigkeit würden enden. Yolloc würde der Anführer sein, der die Herrschaft der Tiuphoren einläutete. Der Gedanke begeisterte ihn! Genau das war es, was er immer gewollt hatte.

»Caradocc!«, rief Verssidai vom Ende des verwinkelten Gangs. »Komm zu dir! Die HYSSARITH und die WHANDUSSHUR sind in einer Explosion vergangen!«

»Wunderbar ...«, murmelte Yolloc. Noch immer hatte er das Paradies vor Augen.

Verssidai packte ihn an den Oberarmen, schüttelte ihn.

»Nicht ...« Yolloc wollte in der Welt aus Frieden und Geborgenheit bleiben, in der er der Oberbefehlshaber war. »Erkennst du nicht, wie groß das ist?«

Das Orakel schlug ihm ins Gesicht. Verwirrt kam Yolloc in die Wirklichkeit zurück. Er blickte in angstgeweitete Augen, auf Nasenschlitze, die sich hektisch verengten.

»Bitte, Yolloc! Ich brauche dich!«

Er richtete sich auf, rieb sich die Wange. »Was ist passiert?«

»Die Botschaft, die dich lahmgelegt hat ... Sie scheint jeden Tiuphoren zu beeinflussen! Nur wir Orakel können uns an das Banner klammern. Die archaischen Schiffe haben ein Problem! Sie fliegen zu dicht. Wir haben zwei Verluste ...«

Yolloc riss die Hand hoch. Er hatte verstanden. »An alle Plasmatroniken! Erweitert den Abstand! Geht auf Sicherheitsdistanz! An die Caradoccs! Ich erwarte Klarmeldungen! An alle Orakel, holt eure Caradoccs zurück, und wenn ihr sie schlagen müsst! Ich übernehme dafür die Verantwortung.«

Er fragte sich, ob nicht so manches Orakel der archaischen Schiffe diesen Befehl wie ein Geschenk annehmen würde. Auf den Vorzeitraumern herrschten oft angespannte Verhältnisse zwischen Caradocc und Orakel. Sie stritten um Macht und Ansehen, verloren sich in Intrigen. Eine derart innige Beziehung, wie er und Verssidai sie führten, war selten.

Yolloc verschaffte sich einen Überblick. Nach und nach kamen die Klarmeldungen. Zwei Schiffe waren zusammengestoßen und explodiert. Ihre Banner waren verloren. Die Besatzungen ebenso. Sie würden nicht in das Catiuphat einziehen, da ihre Bewusstseine verweht waren. Ein schwerer Verlust, doch angesichts der Lage hätte es weit schlimmer kommen können.

Er zwang sich, still zu sitzen, während ein Medoroboter heranschwebte und seine Platzwunde versorgte. Die Wucht der mentalen Botschaft hallte in ihm nach. Es würde ein Reich geben, das sogar größer als das Unbegrenzte Imperium von Tiu war – und er sollte dort regieren!

»Ich hatte eine Vision«, sagte Yolloc. Er fühlte sich erhaben, wollte das ganze Sterngewerk mit der Größe des Moments füllen.

»Was hast du gesehen?«, fragte Verssidai.

»Die Zukunft.«

 

 

Fragment

 

Sein Name ist Shydaurd. Er fühlt sich schuldig, weiß nicht, ob er das Richtige tut. Zweifel nagen an ihm, zersetzen sein Weltbild. Er sollte standhaft sein, Vertrauen haben, wie die anderen Gyanli. Keiner von ihnen kennt sein Geheimnis. Sie glauben an das, was sie tun, sind eins mit dem, was bevorsteht.

Er sollte das auch sein. Er ist ein Eingeweihter, einer der wenigen, die wissen, was in Orpleyd geschieht. Viele Jahre war er von der Kohäsion überzeugt, vom großen Ziel der Entstehung einer Materiesenke. Der Name KOSH klang in ihm wie das Plätschern lebenspendenden Wassers. Er widmete jeden Atemzug der Weiterentwicklung der Superintelligenz, bereitete ihr den Weg.

Generationen von Gyanli handelten wie er. Sie füllten seine Position aus, waren Erkenntnis-Operatoren, ohne Fragen zu stellen. Er war ein Glied in einer über zweitausendjährigen Kette – sollte nun wirklich er das Glied sein, das reißt?

Wo ist die Begeisterung geblieben? Wo das Glück, nachdem sein Vorgänger ihm offenbarte, dass sich zu seinen Lebzeiten die Kohäsion erfülle? Shydaurds Leben war in goldenes Licht getaucht. Nun schwimmt er im Grau.

2.

Geheimnisse

GREGOR TROPNOW

 

Perry Rhodan schaute auf die Zeitanzeige am Multifunktionsgerät. 14. Oktober 1522 NGZ.

Die Minuten krochen dahin. Mit jeder weiteren Sekunde fiel es ihm schwerer, ruhig zu stehen. Ob es Gucky genauso ging? Sie warteten im Ringwulst, in der Nähe des Minor-Globe-Hangars. Der Gleiter eines wichtigen Gastes war angekommen.

Shydaurd, der Erkenntnis-Operator, hatte seine Zusage wahr gemacht und war an Bord der GREGOR TROPNOW. Seit einer halben Stunde untersuchte ein Team von vierzig Mitarbeitern unter Sichu Dorksteigers Aufsicht das Schiff, den Passagier und seine Ausrüstung.

Gucky trommelte mit dem Biberschwanz auf den Boden. »Er hat es tatsächlich gemacht. Er ist hergekommen. Allein. Schneid hat er.«

Rhodan schaute in den Gang, an dessen Ende das Schott zum Hangar lag. Wann war diese Durchsuchung endlich abgeschlossen? Nahmen die Ingenieure den Gleiter auseinander, um die einzelnen Komponenten zu durchleuchten? »Ich habe Shydaurd zugesichert, dass ihm an Bord der TROPNOW nichts geschieht. Das ist ein diplomatisches Treffen. Der Erkenntnis-Operator genießt höchsten Schutz.«

»Ja, ja. Quatsch mit Soße. Das hätte jeder gesagt. Shydaurd kennt uns nicht. Er weiß über uns eigentlich nur, dass wir einen seiner Planeten kaputt gemacht haben. Und mit der TROPNOW haben wir den einen oder anderen Gyanli aus dem All gepustet.«

»Er hat angekündigt, dass eine Flotte bereitsteht. Falls er nicht zurückkommt, werden sie uns und die RAS TSCHUBAI gnadenlos jagen.«

»Blöd ist er nicht.«

»Wir auch nicht.« Rhodan dachte an die RAS TSCHUBAI. Der Omniträger stand im Ortungsschatten einer nahen Sonne versteckt, bereit, im Notfall einzugreifen. Natürlich plante Rhodan nicht, falsch zu spielen. Er hatte lediglich vorgesorgt. Die Beziehung mit Shydaurd musste erst erweisen, ob sie tragfähig war.

Noch war Rhodan unklar, wie stark die Motivation war, die Shydaurd antrieb. Dass ausgerechnet einer der Linearen Operatoren um ein solches Treffen gebeten hatte, grenzte an ein Wunder. War Shydaurd wirklich auf ihrer Seite? Wollte er die Entstehung der Materiesenke verhindern, oder war das eine Falle, gestellt von den Pashukan? Die Maschinisten konnten ihre Gestalt verändern. Sie hatten ihre Finger in allem Wichtigen, was mit Orpleyd zusammenhing. Deshalb war es notwendig, Shydaurd gründlich zu untersuchen, auch wenn es Zeit kostete.

An Rhodans Handgelenk piepte es. Er nahm das Gespräch an. Ein handgroßes Holo Sichu Dorksteigers baute sich über dem Multifunktionsarmband auf. Das grüne Gesicht der Ator wirkte abgehetzt. Silberne Haarsträhnen fielen über goldene Muster und Punkte auf der Haut. »Wir sind fast so weit. Allerdings besteht Shydaurd darauf, einen GLESSTER mitzunehmen.«

»Einen Kampfroboter?«, fragte Gucky. »Kommt nicht in die Tüte!«

Sichu strich zwei der Haarsträhnen hinter ein Ohr. »Es ist ein waffenloses Modell. Shydaurd nutzt ihn als Medoroboter. Er sagt, er brauche ihn wegen seiner Krankheit.«

Rhodan runzelte die Stirn. »Und? Habt ihr etwas Verdächtiges im Gerät gefunden?«

»Nichts.« Sichu wirkte unglücklich. »Ich habe sogar Leccore und Pey-Ceyan darauf angesetzt. Mir macht der Roboter Sorgen. Was, wenn sich darin Teile eines Maschinisten oder Spionagegeräte von ihnen verbergen?«

»Du hast Material von Pushaitis. Gibt es im Roboter Vergleichbares?«

»Nein. Aber wir dürfen die Gefahr nicht verkennen. Die Maschinisten werden versuchen, uns aufzuhalten. Sie müssen Verbündete unter den Gyanli haben. Ein dichtes Kontrollnetz. Wir wissen zu wenig, um Shydaurd vertrauen zu können.«

Rhodan nickte. Die Maschinisten handelten im Auftrag von KOSH. Sie waren diejenigen, die hinter den Vorgängen in Orpleyd steckten, und würden alles tun, damit die Materiesenke entstand. »Prüft den Roboter auf Herz und Nieren. Wenn ihr nichts findet, lasst ihn nach Shydaurd an Bord. Er ist allein auf einem Schiff mit sechshundert Mann Besatzung. Wir haben kein Recht, ihm den Roboter vorzuenthalten, vor allem, wenn er ihn aus medizinischen Gründen braucht.«

»Verstanden«, sagte Sichu. »Aber sei vorsichtig.«

»Bin ich immer.« Rhodan lächelte. Es sollte beruhigend wirken, doch er spürte, wie die Muskeln in den Mundwinkeln starr wurden. Es hing viel von diesem Treffen ab. Eine ganze Galaxis stand auf dem Spiel, Billiarden von Lebewesen.

Gucky gähnte. »Na, das kann ja Tage dauern. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir ein Bund Mohrrüben mitgenommen.«

Rhodan nutzte die Zeit, sich in Erinnerung zu rufen, was er über Shydaurd wusste. Der Erkenntnis-Operator war krank. Er hatte Zweifel. Laut seiner Aussage war er bereit, sich anzuhören, was Rhodan ihm vorzuschlagen hatte. Begriff Shydaurd wirklich, wie sehr er manipuliert wurde?

 

*

 

Keine halbe Stunde später brachte Sichu Dorksteiger den Gast samt Roboter zu Rhodan und Gucky. Shydaurd ging geduckt. Obwohl sie einen hohen Gang gewählt hatten, war die Decke dicht über seinem Kopf. Selbst für einen Gyanli war Shydaurd groß – wenn auch nicht ungewöhnlich groß. Rhodan schätzte ihn auf knapp zwei Meter sechzig.

Der Erkenntnis-Operator war dürr, als würde er zu wenig essen. Auf dem haarlosen Kopf wölbten sich blassblaue Narben, die sich deutlich von der dunkleren Haut absetzten. Er trug keine Farblagen wie die meisten Gyanli. Dafür waren die Drifthäute saphirblau eingefärbt. Die Kutane über ihnen war transparent. Der Rest des Anzugs hatte die Farbe eines intensiv schillernden Smaragds. Schwarze Applikationen saßen wie Ringe an den Oberarmen. Vermutlich war es ein Kleidungsstück, das Shydaurd zu besonderen Anlässen trug.