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Ägidius Zsifkovics

Von A bis Z

Gott begegnen
in der Welt von heute

Herausgegeben von Dominik Orieschnig
mit Bildern von Heinz Ebner

Tyrolia-Verlag • Innsbruck-Wien

Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“

Inhaltsverzeichnis

Vorwort des Herausgebers

A wie ANGST

A wie ANTI-AGING

A wie AUFERSTEHUNG

B wie BEICHTE

B wie BILDUNG

B wie BISCHOF

C wie CASH

D wie DINNER CANCELLING

E wie EVOLUTION

F wie FLÜCHTLINGE

F wie FUSSBALL

G wie GEMEINSCHAFT

G wie GERECHTIGKEIT

H wie HEILUNG

H wie HIMMEL

I wie IDENTITÄT

J wie JAMES (BOND)

J wie JUGEND

K wie KINDER

L wie LAIEN

M wie MACHT

M wie MARKETING und MEDIEN

M wie MARTIN VON TOURS

M wie MUTTER

N wie NATUR

N wie NEUEVANGELISIERUNG

Ö wie ÖKUMENE

O wie ORIENTIERUNG

O wie ORTHODOXE KIRCHE

P wie PAPST

P wie PROFIL

Q wie QUERDENKER

R wie RÖNTGENBILD

S wie (katholische) SCHULE

S wie SMS

S wie STRIPTEASE

T wie TEILHARD DE CHARDIN

T wie TEUFEL

U wie UPDATE

V wie VOLKSFRÖMMIGKEIT

W wie WORT

X wie X-MAS

Y wie YAHOO

Z wie ZOO

Z wie ZUKUNFT

Vorwort des Herausgebers

O my God, take this alphabet,
and put it together how you will.

(William S. Walsh, Handy-Book
of Literary Curiosities, 1892)

Die christliche Verkündigung ist in die Jahre gekommen. Nachdem das Christentum mit seiner zivilisatorischen Kraft jahrhundertelang die Sphären des Denkens und Fühlens in Europa versorgt hat, empfindet der Durchschnittskatholik heute viele kirchliche Erscheinungsformen als weltfremd und kann mit dem Glaubensvokabular aus dem Sprachmuseum nichts mehr anfangen. Das Alphabet des christlichen Glaubens, das in Stein gehauen an und in den großen Kathedralen jährlich von Millionen Touristen fotografiert wird, wird von den meisten Menschen nicht mehr verstanden. Es wird nicht mehr als lebendiger Teil ihres Lebens gefühlt, ist verschüttet von kulturellem Vergessen und überlagert von Schichten aus Halbwissen und Vorurteil, die nicht so problemlos mit Sandstrahldüsen zu entfernen sind wie die Ablagerungen an der Fassade des Wiener Stephansdomes.

Und trotzdem: Der Mensch mit seinen Wünschen, Sehnsüchten und Begierden, seinen Problemen, Beschwerden und Leiden ist immer noch der Gleiche wie vor 2000 Jahren. Es ist noch immer der Mensch, dem sich der Gott der Christen zuwenden will, denn das Zentralereignis des christlichen Glaubens besteht genau darin, dass der unendlich ferne Gott die Nähe zum Menschen sucht und sich verständlich macht. Er wird im Weihnachtsereignis selbst Mensch und spricht als Jesus von Nazareth in lebendiger Sprache, in Bildern von Schafen und Weinbergen, zu seinen Artgenossen. Die Institution Kirche, die sich als das Andenken Gottes in der Welt versteht, läuft Gefahr, diese Mutter aller Metamorphosen zu verraten, wenn sie ihre Botschaft in blutleeren Worten zu einem zwar faszinierenden, die Menschen aber kalt lassenden Theoriengebäude werden lässt.

Das Titelbild des vorliegenden Buches zeigt den Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics an den Kolonnaden des Petersplatzes in Rom – vor dem mobilen Getränkeladen eines immigrierten Straßenhändlers. Von hier aus fällt der Blick des Porträtierten auf die gigantische Kuppel über den Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus – die Spiegelung in der Brille des Bischofs verrät es. Was im November 2014 als Schnappschuss am geografischen Übergang des Kirchenstaates zum Staat Italien entstand, erweist sich retrospektiv als Positionsbeschreibung nicht nur einer Person, sondern auch einer in Bewegung befindlichen Kirche. Inmitten einer im Umbruch begriffenen Welt der Krisen, Kriege und Konflikte ist dieser Übergang der herausfordernde Ort einer Institution und ihrer Vertreter, die immer mehr zu fühlen beginnen, dass es heute nicht mehr darum geht, in einem herkömmlichen Sinn „Heiden“ zum Christentum zu bekehren. Es geht vielmehr darum, Christen wie Nichtchristen vom Götzendienst wegzubringen. Die Götzen der Gegenwart sind die Gier nach Geld, Macht, Erfolg, Prestige, Genuss, Lust, nach Business und Konsum. Es werden Götter angebetet, die nicht befreien, falsche Götter, vor denen Christus warnte und die in einer globalisierten Welt zur Bedrohung aller Menschen und des Planeten Erde werden. Die Frage ist nicht, ob Gott tot ist, sondern ob der Mensch tot ist in seiner auf einen „Konsumenten“ reduzierten Rolle.

Doch wo, frei nach Hölderlin, das Bedrohliche wächst, wächst auch das Rettende: Unter dem Druck der Weltereignisse erhält die Katholische Kirche nun die Chance, sich kulturell zu entschlacken und den Kern ihrer Botschaft in den Mittelpunkt zu rücken, das Wort Christi von der Liebe, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit. „Neuevangelisierung“ nennt sich das Programm, mit dem die Kirche sich dem Ernst der Lage in den traditionellen christlichen Ländern, den industriellen Brutstätten der neuen Götzen, stellen will. Inhaltlich initiiert von Papst Johannes Paul II. und wirksam nach außen getragen vom charismatischen Papst Franziskus soll die Gesellschaft das Evangelium der Urkirche neu für sich entdecken.

„Das Evangelium ist keine Sitzordnung, sondern Wegweisung! Es muss im wechselnden Alphabet sich stets verändernder kultureller Kontexte stets neu buchstabiert werden“ – das ist einer der am öftesten zitierten Sätze von Ägidius Zsifkovics. Offenheit der Menschen für die Transzendenz könne in seinen Augen nur erwartet werden, wenn die Kirche zur Unbefangenheit gegenüber allen Zonen des Menschlichen fähig ist und dies auch in ihrer Sprache zeigt. Diese Unbefangenheit ist eine hohe menschliche Kunst: Sie hat nichts Verurteilendes, blendet keine Bereiche menschlicher Lebenswirklichkeit aus. Gleichzeitig schafft sie es, diese Bereiche nicht uneingeschränkt zu bejahen und dem prophetischen Widerspruch des Christentums treu zu bleiben. Der Anspruch des Evangeliums an den Menschen ist zu allen Zeiten die Umkehr, nicht der Beifall der Massen.

Dementsprechend ist die Sprache des Bischofs in einer Welt der vielen Lebenswirklichkeiten situationsadäquat und bildhaft. Sie kennt den guten alten jesuitischen Predigtstil – „drei prägnante Punkte sind immer gut, das merken sich die Leute!“ (Zsifkovics) –, setzt auf den erbaulichen Ton christlicher Lebenshilfe und kennt die einfache Sprache des Volkes ebenso wie das akademisch-professorale Idiom und die nüchtern-kritische Analyse gesellschaftlicher wie kirchlicher Zustände. Und sie scheut sich nicht vor zeitgemäßen „Gleichnissen“, von James Bond über Sushi und Fußball bis zu Dating-Plattform und Update.

Sie entspricht einem Bischof, der den unkompliziert-niederschwelligen Umgang mit den Menschen liebt, der auf Pfarrvisitationen mit den Leuten Karten spielt und der die besten Witze über den katholischen Klerus zu erzählen weiß. Dabei trägt Ägidius Zsifkovics das Heilige nie demonstrativ vor sich her, hat es aber stets griffbereit in der Jackentasche, um es bei Bedarf den Menschen anzubieten. Unaufdringlich, unmissionarisch – wie in seiner Buchstabierung des Alphabets in diesem Buch.

Indem es das christliche A bis Z auf der Horizontlinie zeitgemäßer Begrifflichkeiten durchbuchstabiert, will es einen Beitrag leisten zur Verständigung zwischen Kirche und Welt, zum gigantischen Übersetzungsprojekt „Welt-Kirche“ bzw. „Kirche-Welt“. Es will beitragen zur immer wieder notwendigen Erneuerung der Kirche aus sich selbst – zu einer möglichst ungetrübten, unverzerrten Spiegelung der Apostel und des Urchristentums im Auge und im Weltzugang heutiger Menschen – und dabei den überzeitlichen Grundgedanken des Christentums aktualisieren, dass es göttliche Präsenz in der Welt gibt.

Um Glauben, Hoffnung und Liebe in unserer Zeit lebendig zu erhalten, hilft nicht zuletzt die Begegnung mit Kunstwerken. Die Bilder in diesem Buch entstammen dem Zyklus „Wandlung“, den der Künstler Heinz Ebner 2014 als Digitalprojektion für die Pfarre Hernals-Kalvarienbergkirche in Wien geschaffen hat. In den Farben des Regenbogens, der wie das Alphabet ein Synonym für die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit ist, verwebt der Künstler, der mit Bischof Zsifkovics seit gemeinsamen Jugendtagen in Güssing verbunden ist, weltliche und religiöse Bildelemente und lässt – ganz der Intention der Texte folgend – die Präsenz des Göttlichen in der Welt erahnen.

Dominik Orieschnig, im Sommer 2015

A wie ANGST

Oder: Es gibt einen, der dich hört – auch wenn du noch gar nicht um Hilfe schreist.

Versteckt hinter glänzenden Fassaden von Erfolg und Wohlstand ist Angst ein bestimmender Faktor der Lebensgestaltung in der modernen Gesellschaft, für den Versicherungswirtschaft und Psychopharmakologie ein reichhaltiges Angebot bereithalten. Eine Pastoralreise des Bischofs von Eisenstadt zu den Auslandsburgenländern in Kanada veranlasste Ägidius Zsifkovics zu einer Meditation über dieses zentrale menschliche Thema.

Viele Menschen haben Angst. Angst vor Schmerz, Verletzung und Krankheit; Angst vor dem Altwerden und dem Tod; Angst vor Verlust, vor Enttäuschung und Zurückweisung, Angst, nicht dazuzugehören, aber auch Angst vor der großen Liebe, die einen verletzlich machen könnte. Wir haben Angst, dass uns das Geld ausgehen könnte, dass wir unseren Beruf und unsere Ehre verlieren könnten und dass unsere Freunde, wenn es uns so richtig schlecht geht, sich verabschieden könnten. Angst ist eine Farbe unseres Lebens. Schlimmer als der Schmerz ist die Angst davor – das gilt für eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt ebenso wie für die Wechselfälle des Lebens, vor denen die diversen Lebens-, Unfall- und Rechtsschutzversicherungen uns schützen wollen und daher auf unsere wohlwollenden Beitragszahlungen vertrauen dürfen. Doch seien wir ehrlich: „Leben ist immer lebensgefährlich“ (Erich Kästner).

Die große Aufgabe, der sich der Mensch angesichts dieses weitverbreiteten Gefühls stellen muss, ist nicht, sich in Scheinsicherheiten zu flüchten, sondern zu lernen, die grundlegende Unsicherheit seiner Existenz ohne Panik zu ertragen. Menschen, die von einer christlichen Grundhaltung des Glaubens und der Zuversicht getragen sind – und das sind beileibe nicht alle, die einen Taufschein besitzen! –, können zu furchtlosen Menschen werden, die in sich ruhen und das Leben lieben. Solche Menschen haben nicht den weitverbreiteten Mangel an Selbst, der in unserer Gesellschaft so viel Angst erzeugt. Es sind selbstbewusste Menschen, die sogar die Angst, zum Außenseiter zu werden, nicht kennen – eine Angst, die in einer Gesellschaft, die von herrschenden Meinungen und vorgegebenen Trends geprägt ist, bei vielen noch größer ist als die Angst vor dem Tode.

Als ich im Jahr 2013 als Bischof meine burgenländischen Landsleute in den USA und in Kanada besuchte, stießen wir auf einem Parkplatz in Niagara, kurz vor den großen Fällen, auf einen „Inukshuk“ – eine jener überdimensionalen steinernen Figuren der kanadischen Indianer. Solche Figuren, deren Name übersetzt soviel wie „Jener, der einem Menschen gleicht“ bedeutet, erfüllten für die als Nomaden lebenden Inuit lebenswichtige Aufgaben. Diese „Inukshuiit“ (so der Plural) wurden aus herumliegenden, grob behauenen Steinblöcken zusammengesetzt und kennzeichneten für die indianischen Jäger und Sammler besondere Stellen: Orte, an denen ein Inuit etwa seine Waffen zurückgelassen hatte; Verstecke von Lebensmitteln für Frau und Kinder, die dem jagenden Familienoberhaupt in sicherem Abstand folgten; oder auch eine Warnung für andere Stammesmitglieder vor drohender Gefahr. Entlang der Küste markierten die steinernen Giganten oft einen vom Meer her nur schwer zu erkennenden Anlegeplatz für die Kajaks. Oft aber zeigten die Inukshuiit einfach nur die richtige Richtung an. Blickte man durch ihre steinernen Beine hindurch, ergab sich die Blickachse, in deren Verlängerung sich selbst bei Schnee und Nebel die nächste riesige Figur zeigte und so den Weg durch die Einöde wies. Noch heute markieren hunderte solcher Figuren in der kanadischen Wildnis Rucksacktouristen den Weg. Wer ihrer Route folgt, verirrt sich nicht. Der Inukshuk sagt dem Wanderer also „Jemand war schon hier“ oder „Du bist auf dem richtigen Weg“.

Das Faszinosum dieser teils aus vorchristlicher Zeit stammenden Figuren erschließt sich auch dem christlichen Welt- und Menschenbild. Nur das Christentum kennt einen Gott, der nicht in entfernten Sphären bleibt, sondern der sich auf den Weg in die Elementarwelt gemacht hat, nicht nur um den Menschen zu suchen, sondern auch um bei ihm zu sein, den Weg mit ihm zu gehen. Alle Wege, die der Mensch geht oder jemals gehen kann, hat er, der menschgewordene Gott, Jesus Christus, schon durchschritten. Er ist den Menschen – als „jener, der einem Menschen gleicht“ – bereits vorausgegangen, selbst durch die Wirrnisse und Schrecken des Lebens. Niemals sind wir alleine, weder in schönen noch in dunklen Tagen unserer Existenz. Er ist immer schon überall da gewesen, wo der Mensch hinkommt oder hinkommen könnte, um alle Wege zu sich zu führen, damit am Ende alles gut wird. Und dieser menschgewordene Gott ruft uns zu, keine Angst zu haben. Wohl niemand hat dies radikaler auf den Punkt gebracht als der heilige Papst Johannes Paul II. in einer Ansprache im Jahr 1978, am Beginn seines Pontifikats:

„Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden Macht! Habt keine Angst! Christus weiß, was im Innern des Menschen ist. Er allein weiß es!“

Wer den Mut hat, sich diesem „Inukshuk“ anzuvertrauen, wer der Blickachse des menschgewordenen Gottes folgt, verirrt sich nicht. Er ist und bleibt auf dem richtigen Weg. Einem Weg, der zum Ziel führt.

A wie ANTI-AGING

Oder: Was macht ein König in der Midlife-Crisis?

Anti-Aging, Botox und Chemisches Peeling sind das ABC, aus dem die postmodernen Heilserwartungen derer buchstabiert sind, die sich’s leisten können. Sie sind die Signatur einer Gesellschaft, die ihre Kinder zu kleinen Erwachsenen stilisiert und Erwachsene als dauervitale Berufsjugendliche zeigt. Von diesem Phänomen ausgehend lenkt Ägidius Zsifkovics den Blick auf die Heiligen Drei Könige als Sinnbild der Vergänglichkeit des Menschen und seiner Suche nach dem Sinn.

Man muss nicht unbedingt die Kirche als moralische Instanz bemühen, um die Verirrungen des modernen Menschen zu benennen. Selbst die Popkultur übt Kritik am grassierenden Jugendwahn. Beispiel einer solchen Kritik, wie sie die biblischen Propheten nicht schärfer hätten formulieren können, ist der Song „Warum sind wir hier?“ der Popgruppe Ganz Schön Feist. Die jungen Musiker stellen darin folgende Fragen:

„Sind wir hier, um in einer Wohnung zu wohnen,
Die Schuhe auszuziehn‘ und den Teppich zu schonen?
Sind wir hier, um zum Erhalt der Menschheit beizutragen,
Kinder zu zeugen und sie dann zu schlagen?
Sind wir hier, um mit Sägespänen Tiere auszustopfen,
Tiere mit ´nem Hammer an die Wand zu klopfen?
Sind wir hier, um uns Fett in die Lippen zu spritzen,
Das Fett aus dem Arsch, auf dem wir sitzen?
Warum sind wir hier? Warum sind wir hier?“

Die titelgebende Frage – „Warum sind wir hier?“ – wird in diesem Song ganze 24 Mal wiederholt. Sie wird zwischendurch sogar als „Mutter aller Fragen“ bezeichnet, und sie ist es wirklich. Dass sie mit gesellschaftlichen Praktiken des Präparierens und Konservierens – von Tieren wie von Menschen – in Verbindung gebracht wird, ist ebenso wenig ein Zufall wie ihr Konnex zum untätigen „Auf dem Arsch“-Sitzen. Denn wo die menschliche Sinnfrage nicht ausreichend beantwortet wird, beginnt der Mensch und mit ihm die ganze Gesellschaft krank zu werden und auch in seinem Vermögen zu gesunder, weltverbessernder Aktion zu stagnieren.

Warum also sind wir hier?

Die Kirche feiert am 6. Januar, dem Dreikönigsfest, das Fest der Erscheinung (Epiphanie) des Herrn. Christus, der als Sohn Gottes das Menschsein angenommen hat, offenbart im Evangelium an drei Stellen seine Herrlichkeit: Einmal in der Huldigung der Weisen vor dem Kind in der Krippe, dann in der Stimme des Vaters bei der Taufe Christi im Jordan und zuletzt durch das Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana. In der Kunstgeschichte wird aber gerade die Huldigung der Weisen bzw. Könige auf oft sehr interessante Weise dargestellt. Auf spätmittelalterlichen Tafelgemälden fällt auf, dass die drei Weisen in drei unterschiedlichen Lebensaltern gezeigt werden.

Dabei ist der junge König am weitesten von der Krippe entfernt platziert; meist exotisch-prachtvoll gekleidet, ist er in der Krippenszenerie noch mit den Reittieren beschäftigt. Er ist anpackend dargestellt, widmet sich den praktischen Dingen des Lebens, lebt ganz für das Tun. Das ist der junge, wilde und ungestüme Macher-König.

Der König in der Lebensmitte dagegen wirkt in den Darstellungen oft nachdenklicher, mehr in sich gekehrt; er schaut nach dem Sinn aus, wirkt um Orientierung und Ziel bemüht. Das ist der König in der Midlife-Crisis.

Der alte König hingegen kniet vor dem Kind in der Krippe; die Krone als Zeichen seiner irdischen Güter und Prioritäten hat er abgelegt und die Goldschatulle geöffnet. Er betet an, lässt sich selbst los und hat dadurch alles gefunden. Das ist der weise König. Und er ist auch ein „weißer“ König. Sein weißes, schütteres Haar ist Zeichen eines durchlebten Reifeprozesses, der nicht versteckt zu werden braucht. Der Faktor Zeit ist wesentlich und kostbar in seiner Biografie. Und so illustriert die nachlassende Pigmentierung seines Haares auch einen Prozess nachlassender Illusionen und gewonnener Einsichten. Haarfärbepräparate, Implantate oder operativ gestraffte Tränensäcke machen beim weisen König einfach keinen Sinn.

Dieses Krippen-Bild will verdeutlichen, dass das Leben des Menschen eine Hinreise zu Gott ist. Das ist die entscheidende Bewegung unseres Lebens. Im Grunde geht jeder Mensch, bewusst oder unbewusst, diesen Weg der Gottsuche in seinem Leben nach. Die Tiefenpsychologie und die Lebenserfahrung älterer Menschen bestätigen das.

In jungen Jahren gleichen wir dem jungen König in der Darstellung: Wir sind noch weit weg von dem Kind in der Krippe. Zu stark sind wir von unseren Lebensumständen und Lebenserwartungen geprägt. Geld, Karriere, Status und Prestige, teure Unterhaltungselektronik, exotische Reisen, gute Kleidung und schöne Autos – die Reittiere unserer Zeit! – erscheinen uns als erstrebenswerte und glückverheißende Güter im Leben. Gott als Stern und Wegweiser haben wir in dieser Lebensphase meist nicht im Auge, ja er berührt uns kaum.

Später gleichen wir dem König in der Lebensmitte: Nach oft turbulenten Jahren der Jugend, Ausbildung, Berufswahl, Familiengründung und des Hausbaues schleicht sich Unbehagen ein. Wir beginnen zu bemerken, dass all das, wofür wir hart gearbeitet haben, doch nicht ganz ausreicht für ein glückliches und erfülltes Leben. Bei vielen läutet jetzt der Midlife-Crisis-Alarm. Wir beginnen zu fragen, zu hinter-fragen, und suchen nach einem Stern, der Orientierung und Sinn im Leben gibt und uns an ein Ziel führt. Ein Prozess, der typisch ist für Menschen in den mittleren Lebensjahren.

Zuletzt gleichen wir dem alten König, der vor dem Kind in der Krippe kniet – das Leben hat ihn offener, großzügiger, bereiter gemacht, etwas von sich zu geben und anderen zu helfen. Im Kind in der Krippe betet er den Ursprung und das Ziel menschlichen Daseins an. Er hat endgültig gefunden. Diese Erfahrung ist stärker als jeder Altersgeiz und lässt den weisen König die Hände öffnen, weil er weiß, dass man mit vollen Händen nicht beten kann.

Der Volksmund sagt auf unübertrefflich kluge Weise: „Junge Sünder, alte Beter!“ und zeichnet damit dieses Bild der drei Könige vor der Krippe. Der Volksmund kennt aber auch die umgekehrte Variante: „Junge Beter, alte Sünder!“ Und er warnt damit vor jungen Fanatikern, deren Glaube und Gottesbeziehung nicht die gesunde Frucht eines Reifeprozesses sind, sondern Spiegelbild eines übersteigerten geistlichen Ehrgeizes sein können. Einem solchen Ehrgeiz fehlt oft die wahre geistliche Substanz. Junge „Himmelsstürmer“, die davon betroffen sind, entwickeln gegenüber ihren Mitmenschen eine herablassende, unbarmherzige Haltung, die sie mit zunehmenden Jahren zu „alten Sündern“ werden lässt. Und wenn sich erst die eigenen jahrzehntelang ausgeblendeten Defizite und Begierden solcher Menschen zu Wort melden, ist der Absturz in die Unerlöstheit keine Seltenheit.

Im Weg der Weisen, der drei Könige aus dem Osten, ist der natürliche Weg der Gottsuche eines jeden Menschen vorgezeichnet. Es ist auch unser Weg. Dieser Weg der Hingabe braucht Zeit, kennt Um- und Irrwege, hat aber ein sicheres Ziel. In ihm kommt unser Herz zur Ruhe.

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A wie AUFERSTEHUNG

Oder: Es kommt weder auf die Stärke der Dioptrien noch auf die Körpergröße an.

Mit den modernsten optischen Geräten ist der Mensch imstande, in die schwindelerregenden Weiten des Mikro- und des Makrokosmos zu blicken. Doch weder Elektronenmikroskop noch Hubble-Teleskop ermöglichen ihm eine sinnstiftende Zusammenschau der Dinge jenseits wissenschaftlicher Einzelerkenntnis. Mit dem Verweis auf den „kleinen Mann“ Zachäus und die spielenden Kinder französischer Dörfer erinnert der Bischof mit der starken Brille die Teilnehmer einer Krankenwallfahrt nach Lourdes daran, dass das Gefühl und die Perspektive der Christen viel feinfühliger sein können als der Verstand scharfsinnig sein kann. Nur mit den Augen des Herzens sieht man gut. Und nur, wer gut sieht, bewegt sich auf sicherem, angstfreiem Pfad.

Ein kleiner Mann auf einem Baum: Zachäus, der Zöllner, von dem uns die Bibel erzählt. Der Tag, an dem er Jesus begegnet, verändert sein ganzes Leben, lässt ihn im wahrsten Sinne des Wortes neu geboren werden – als neuer Mensch feiert er einen neuen Geburtstag. Dazu erzählt uns der Evangelist Lukas, dass Zachäus, der von kleiner Gestalt war, zwei äußere Bewegungen vollzogen hat, die entscheidend für dieses neue innere Leben waren und die auch uns nach 2000 Jahren zeigen, worauf es bei der Nachfolge Jesu ankommt.

Der erste Schritt: Hinaufsteigen, um besser sehen zu können. Zachäus löst sich aus der Alltagsperspektive, wo er als kleiner Mann mit einem verpönten Beruf seelisch unterzugehen droht, und wechselt hinauf in eine neue Perspektive. Er sehnt sich nach einem neuen Blickwinkel, er will diesen Jesus sehen, von dem alle reden, und er findet ihn schließlich auch.

Der zweite Schritt: Heruntersteigen, um gemeinsam mit Jesus gehen zu können. Erst indem Zachäus nicht in der Beobachtung und im sicheren Abstand von der Welt verweilt, sondern wieder vom Baum heruntersteigt, kann er sich gemeinsam mit Jesus auf den Weg durchs Leben machen. Üben auch wir in unserem Leben diese beiden Schritte ein! Suchen wir Orte, die es uns erlauben, ungestört auf Jesus zu schauen, und lassen wir uns immer wieder auf den Weg in die Gemeinschaft ein! Suchen wir die Kontemplation, aber pflegen wir stets auch die konkrete Aktion!

In einigen französischen Dörfern wird bis heute folgender Osterbrauch gepflegt: Wenn am Ostersonntag in der Früh zum ersten Mal die Kirchenglocken läuten, laufen Kinder und Erwachsene schnell zum Brunnen in der Mitte des Dorfes. Dort waschen sie sich mit dem kühlen, klaren Brunnenwasser die Augen aus. Sie wollen „Osteraugen“ bekommen: Osteraugen, aus denen alle misstrauischen, alle verachtenden, alle neidischen und berechnenden Blicke verschwunden sind; Osteraugen, aus denen der Schleier der Angst, der Resignation und der Hoffnungslosigkeit weggespült ist; Osteraugen, aus denen Trägheit, Desinteresse und Gleichgültigkeit gegenüber Gott und den Menschen herausgewaschen sind.

Die Osterevangelien und dieser alte Brauch sagen uns: Auferstehung kann man nicht mit Worten erklären, sondern man kann die Wahrheit, dass Jesus Christus nicht im Tod geblieben ist, nur durch österliche Menschen erfahren. Menschen, denen man es an ihren Augen ansieht, dass sie aus dieser Wahrheit leben, dass sie mit Jesus zu einem neuen Leben auferstanden sind. Es sind also – von den ersten Jüngern bis in unsere Zeit – immer konkrete Menschen, die ohne große Worte Auferstehung bezeugen. Es sind Menschen, denen die Osterfreude aus den Augen schaut, die im wahrsten Sinn des Wortes in ihrem Leben Jesus „im Blick“ haben: Menschen mit Osteraugen.

Osteraugen können entdecken, dass im Menschen Jesus von Nazareth das Leben endgültig zum Durchbruch gekommen ist; ein – trotz Leid und Tod am Kreuz – erfülltes und gelungenes Leben, so wie Gott sich wahres Leben vorstellt. Osteraugen verschließen sich nicht vor der Not. Sie nehmen die vielen Todessignale in unserer Welt wahr, sie haben einen Blick dafür, wo das Leben zu kurz kommt oder auf der Strecke bleibt, wo einer mundtot gemacht wird, wo einer unter die Räder kommt. Sie erkennen, wo wir aufstehen müssen gegen Ungerechtes, Eingefahrenes und Erstarrtes.

Osteraugen lassen sich aber auch leichter zudrücken. Sie sehen die eigenen Fehler und können deshalb über die Schwächen der Anderen gelassen hinwegsehen. Osteraugen sehen weiter. Sie bleiben nicht auf das Schwierige und Unsympathische fixiert, das uns an unseren Mitmenschen immer zuerst auffällt; sie bleiben nicht an Krankheit, Leid, Tod haften, sondern schauen hinter die Fassade des vordergründig Abstoßenden und entdecken den Anderen, so wie Gott ihn sich gedacht hat. Sie sehen einen Weg, wo vorher keiner war, und sie sehen im Ende schon wieder einen neuen Anfang. „Erlöster müssten die Christen aussehen, damit man an ihren Welterlöser glauben kann.“ Vielleicht hätte Friedrich Nietzsche diesen Vorwurf nicht formuliert, wenn er mehr Christen mit Osteraugen begegnet wäre.

Vielleicht könnten wir als Kirche gelassener sein, wenn immer mehr Christen – Geweihte und Laien – den Auferstandenen wirklich „im Blick“ hätten. Denn diese Perspektive wäre die heute so notwendige Neuevangelisierung! Die Mitte unseres Glaubens und unserer Kirche ist und bleibt dieser Auferstandene und unsere lebendige Beziehung zu ihm durch Gebet, Gottesdienst und tätige Nächstenliebe.

B wie BEICHTE

Oder: Was macht ein ausgedienter Kühlschrank im Wald?

Die Beichte ist in einer Gesellschaft der Selbstoptimierer sicher das unpopulärste aller Sakramente, aber angesichts des von Papst Franziskus für 2016 ausgerufenen „Jahres der Barmherzigkeit“ von großer Aktualität. Bischof Zsifkovics wird nicht müde, das „Sakrament der Versöhnung“ aus der Vergessenheit zu holen und es als befreienden Bestandteil menschlichen Lebensstils ins Bewusstsein zu rufen. Dass der Bischof den Beichtstuhl einmal als „Duschkabine für die Seele“ bezeichnet hat, zeigt sein praktisch-elementares Verständnis von Beichte, die er in einer Reihe mit gesellschaftlichen Praktiken wie Umweltschutz und Recycling sieht:

Jesus lädt uns Menschen zum Glauben an das Evangelium ein, sagt aber gleichzeitig: „Kehrt um!“ Glaube und persönliche Umkehr sind also aufeinander bezogene Forderungen Gottes an den Menschen. Die Beichte als das Sakrament der Versöhnung ist ein großartiges Geschenk des Auferstandenen an uns. Dennoch erweckt allein das Wort „Beichte“ in vielen Menschen unangenehme Gefühle. Sie reichen von totaler Ablehnung bis hin zu völliger Gleichgültigkeit. Von den einen abgelehnt, weil sie den Beichtstuhl vielleicht als Ort der Demütigung oder der Indiskretion erlebt haben, und von den anderen ahnungslos belächelt, weil sie nie erfahren durften, was für ein Geschenk die Beichte für den Menschen eigentlich ist. So ist dieses Sakrament zunehmend nicht nur zum ungeliebten und vergessenen, sondern auch zum unbekannten Sakrament geworden. Doch gerade darin liegt für unsere heutige, an Geist und Geistlichkeit so arme Zeit die große Chance, die befreiende und belebende Wirkung der Beichte neu zu entdecken.

Als Beichtvater wie als Sünder, der selbst zur Beichte geht und genau weiß, wie schwer dieser Schritt sein kann, bin ich überzeugt: der Beichtstuhl ist der Ort, an dem nicht nur der Einzelne, sondern die ganze Welt ihre größte Reparatur erfahren kann. Wie viele politische und soziale Programme, Expertentreffen, Arbeitsgruppen und Gesetzesbeschlüsse könnte eine gute Beichtpraxis überflüssig machen? Denn die Beichte verändert die Welt im Kern: beim Einzelnen selbst. Umkehr, Reue und die versöhnende, verzeihende Liebe, die Gott selbst dem Beichtenden schenkt, machen die Beichte zum Sakrament der Heilung. Hier erfährt der Mensch die Wiederherstellung zerbrochener Beziehungen: zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen und dadurch letztlich zu Gott, der den innersten Kern unseres Menschseins darstellt. Ein Mensch, der sagt, dass er ohne Sünde sei, die Beichte nicht brauche und alles mit und für sich selbst regeln könne, belügt sich selbst – das sagte schon der Apostel Johannes.

Dieser Selbstbetrug kommt in der heutigen Zeit dennoch häufig vor. Wir alle trennen und entsorgen zwar unseren Haushaltsmüll und kennen die Bedeutung von Recycling für uns und unsere Umwelt, weil wir wissen, dass wir Menschen in einer sensiblen Beziehung zur Natur stehen, die unaufbereiteten Abfall auf uns selbst zurückfallen lässt. Die meisten von uns hätten zurecht ein schlechtes Gewissen, einen alten Kühlschrank im Wald zu entsorgen oder Frittierfett in den Ausguss zu schütten. Doch wie sieht es mit der seelischen Müllentsorgung aus?

Der Akt seelischer Versöhnung mit sich selbst wird offensichtlich weit zurückhaltender praktiziert als jener der Versöhnung mit der Umwelt. Wäre es anders, bräuchten wir mehr Beichtstühle in unseren Kirchen. Dabei ist Gott der Meister des wahren „Recyclings“: Er, der sich in den Kreislauf des Lebens hineinbegeben hat, indem er selbst Mensch wurde und in Leiden, Tod und Auferstehung alle Tiefen und Höhen des menschlichen Lebens durchgemacht hat; er, der in der Eucharistie Teil von uns selbst wird, kann sogar unsere schwersten Sünden in Gutes verwandeln. Aus dem Misthaufen unserer Fehler können Rosen wachsen, wenn wir unsere Schwächen erkennen und sie bewusst in Gottes gütige Hände legen.

Papst Franziskus sagt es ganz klar: „Es gibt keine Situation, die Gott nicht ändern kann, es gibt keine Sünde, die er nicht vergeben kann, wenn wir uns ihm öffnen.“ Gott will nicht, dass unsere Seele zu einer Deponie für Sondermüll verkommt. Er will nicht, dass unsere fehlerhaften Haltungen wie ranziges Öl unseren Zugang zur Welt und zu ihm verkleben und uns an unserer freien Entfaltung behindern! Gott ist unser Freund, er will unser Bestes, unser Heil und unsere Heilung.

Das führt zur entscheidenden Frage: Wie kann ich so beichten, dass es mir echte innere Heilung ermöglicht? Der bekannte Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini hat drei Schritte aufgezeigt, wie das Sakrament der Versöhnung als echtes Geschenk erfahren werden kann, das dem Menschen Frieden, Befreiung und Lebensfreude bringt. Diese drei Schritte helfen auch mir persönlich bei der Beichte jedes Mal sehr und ich praktiziere sie als drei einfache Bekenntnisse. Diese Bekenntnisse sind Teil der Weisheit, die die Kirche über Jahrhunderte hinweg angesammelt hat und dem Menschen heute als Arznei für die Seele anbietet:

Erstens: Das Bekenntnis des Lobes (confessio laudis). Ich beginne die Beichte mit Positivem, nämlich mit einem Bekenntnis der Dinge, für die ich Gott loben und danken möchte. Ich nenne das viele Gute beim Namen, das Gott in meinem Leben gewirkt hat: Ereignisse, die mir viel bedeuten; Menschen, die ich liebe; Situationen, in denen mir geholfen wurde. Es wird wohl niemanden geben, dem nichts einfällt, wofür er dankbar sein müsste. Und indem ich dankbar Rückschau halte, wird mir umso mehr bewusst, dass ich mich des vielen Guten durch mein Verhalten nicht immer würdig gezeigt habe. Diese Einsicht kann einen Menschen tief bewegen und echte Reue bewirken. Denn oft sind, wie Papst Franziskus sagt, „in unserem Leben die Tränen die Brille, durch die wir Jesus sehen“.

Zweitens: Diese Reue führt mich zum Bekenntnis des Lebens (confessio vitae)