Über Martina André

Martina André wurde 1961 in Bonn geboren. Der französisch klingende Nachname ist ein Pseudonym und stammt von ihrer Urgroßmutter, die hugenottische Wurzeln in die Familiengeschichte miteinbrachte. Sie hat mit »Die Gegenpäpstin« sowie den Romanen »Das Rätsel der Templer«, und »Die Rückkehr der Templer« und »Das Geheimnis des Templers« vier Bestseller vorgelegt. Nun erscheint ihr vierter Templerroman »Das Schicksal der Templer«, die Fortsetzung der Abenteuer von Gero von Breydenbach. Martina André lebt heute mit ihrer Familie in der Nähe von Koblenz sowie in Edinburgh/Schottland, das ihr zur zweiten Heimat geworden ist.

Von der Autorin ebenfalls lieferbar sind: Die Gegenpäpstin, Schamanenfeuer, Die Teufelshure und Totentanz.

Mehr zur Autorin unter www.martinaandre.com

Informationen zum Buch

Episode II – Alte Feinde –

Herbst 2005 – Luxemburg:

Tom Stevendahl ist es mit Unterstützung seines luxemburgischen IT-Kollegen, Paul Colbach, gelungen, den defekten Timeserver erneut zu aktivieren und seinen Plan, seine ehemalige Verlobte Hannah in der Vergangenheit zu suchen, in die Tat umzusetzen. Doch anstatt sie zu finden, landet er in einem lebensbedrohlichen Desaster, dessen Ende nicht abzusehen ist. Und auch General Lafour, Leiter einer geheimen NSA-Einheit, lässt sich nicht ohne weiteres abschütteln.

Herbst 1315 – Breidenburg/Eifel:

Gero von Breydenbach setzt derweil all seine Hoffnung in seine Tante, die ihm einen neuen Namen und eine neue Existenz als zukünftiger Graf von Lichtenberg versprochen hat. Nur so kann er vor einer weiteren Verfolgung als ehemaliger Templer sicher sein. Doch dann taucht unerwarteter Besuch auf, der droht, seine vielversprechenden Zukunftspläne mit einem Schlag zunichte zu machen. Gefangen zwischen der Aussicht auf ein besseres Leben und der Gefahr, alles zu verlieren, was ihm je etwas bedeutet hat, trifft Gero eine folgenschwere Entscheidung.

ABONNIEREN SIE DEN
NEWSLETTER
DER AUFBAU VERLAGE

Einmal im Monat informieren wir Sie über

Folgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:

https://www.facebook.com/aufbau.verlag

Registrieren Sie sich jetzt unter:

http://www.aufbau-verlag.de/newsletter

Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir

jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!

Martina André

11450.jpg

Episode II

Alte Feinde

Roman

Aufbau

Inhaltsübersicht

Über Martina André

Informationen zum Buch

Newsletter

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Anhang

Nachwort/Danksagung

Impressum

Für Mairi und George St Clair –
Danke für eure Freundschaft

12195.jpg

EPISODE II

Alte Feinde

»Selig der Mensch, der weiß,
wo die Diebe einsteigen werden, dass er aufstehe,
seinen Besitz sammle und
sich die Lenden gürte, ehe sie eintreten.«

(Thomas-Evangelium)

002.eps

KAPITEL 6

HERBST 1315

Breidenburg

Rivalen

»Junge, glaubst du wirklich, du hast das Richtige getan?« Im Schein der brennenden Fackeln flackerte in Richards eisblauen Augen eine seltene Verunsicherung, während er gemeinsam mit Gero zurück in Richtung Kerkerausgang eilte. Vor dem zweiten Gefangenenloch, in dem noch immer der Vergewaltiger saß, den sie vor ein paar Tagen dingfest gemacht hatten, und der auf die baldige Übergabe an das Trierer Schöffengericht wartete, machten sie Halt.

»Was machen wir mit dem?«, fragte Gero und kratzte sich das Kinn. »Er hat alles gesehen.«

»Der alte Oswin? Dem glaubt sowieso keiner«, befand Geros Vater ohne einen Funken Mitleid in der Stimme. »Eberhard wird ihn spätestens Ende der Woche in Wittlich dem Schultheiß überstellen. Er wird hängen, gevierteilt und dann den Hunden zum Fraß vorgeworfen. Glaub mir, in seiner Lage wird eine sprechende Kiste das Letzte sein, woran er denkt.«

Gero straffte sich und bedeutete seinem Vater, ihm zurück in die Vorhalle zu folgen, wo der Aufgang zum Hof nicht nur für einfallendes Tageslicht, sondern auch für frische Luft sorgte, die er so dringend benötigte.

Als sie am unteren Treppenabsatz angelangt waren, blieb Richard stehen und fasste Gero am Arm. »Warte einen Moment, mein Sohn«, sagte er. »Bevor wir wieder zu den anderen gehen, bist du mir eine Erklärung schuldig. Wer ist dieser Kerl im Hungerloch und was hat er mit Hannah zu tun? Ich meine, du hast mir bisher kaum etwas erzählt, wo du mit ihr die ganze lange Zeit deiner Abwesenheit gesteckt hast. Ich weiß nur, dass das alles nicht einfach für dich war, oder sagen wir besser, ich kann es mir denken. Deshalb stelle ich auch keine Fragen. Aber ich würde es gern besser verstehen.«

»Ich hab dir doch erzählt, wie wir dank des Hauptes den Folterknechten auf der Festung Chinon entkommen konnten. Danach sind wir nochmals in der Zukunft gelandet. Dieser Kerl dort unten im Loch ist jener Maleficus, der das Haupt im Jahre des Herrn 2004 zusammen mit seinen Auftraggebern an sich gerissen und für seine eigenen Zwecke benutzt hat. Er und seine Schergen haben uns zunächst freundlich aufgenommen, aber dann wollten sie wissen, wo der Orden seine Schätze vergraben hat, und ich war so dumm, ihnen eine Stelle im Forêt d’Orient in der Nähe von Troyes zu verraten, weil ich dachte, sie würden uns endlich unserer Wege ziehen lassen. Aber das war leider ein Trugschluss. Sie haben meine Kameraden und mich anschließend regelrecht versklavt. Wir mussten für sie Schaukämpfe austragen und sie haben uns Tag und Nacht unter Beobachtung gehalten. Wollten alles wissen: Wie wir leben, wie wir essen, ja sogar, wie wir lieben. Dann haben sie uns dazu gezwungen, als Templer gewandet ins Jahr 1153 zu reisen, damit wir zwei Frauen aus einer noch viel weiter entfernten Zukunft im Heiligen Land aufspüren, um sie ins Jahr 2005 zurückzubringen. Es ging um irgendeine mysteriöse Prophezeiung, die das Ende der Welt beschreibt. Aber der Sprung durch die Zeit ist nicht geglückt. Wir sind zwar im angegebenen Jahr gelandet, aber dieser Idiot dort unten im Verlies konnte uns nicht wie verabredet wieder ins Jahr 2005 zurückholen. Hannah ist fast verrückt geworden vor Angst und sah keinen anderen Ausweg, als einen weiteren Maleficus zu zwingen, sie zusammen mit Anselm, Matthäus und den Frauen der übrigen Kameraden ins Jahr 1153 zu schicken.«

Richard nickte betroffen, und Gero sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, seinen Ausführungen zu folgen. »Du erinnerst dich bestimmt daran, als ich Amelie von hier fortgeholt habe, auch da steckte der Maleficus aus der Zukunft dahinter. Was ich zunächst noch als freundliche Geste empfunden habe, weil ich dachte, er und seine Gefolgsleute wollten damit Bruder Struan retten, der auf Chinon grausam gefoltert worden war, war in Wahrheit ein weiterer Versuch, das Haupt auf seine Verlässlichkeit zu prüfen. Damals konnte man noch hin- und zurückreisen, aber dann wurde das Haupt durch einen Fehler in der Handhabung teilweise zerstört, und es war nicht mehr möglich, jemanden aus der Vergangenheit zurückzuholen. Umso mehr wundert es mich, dass der Maleficus die Reise hierher gewagt hat.

Einen Moment lang sagte Richard nichts und blickte ihn wie versteinert an.

Dann räusperte er sich. »Das … das alles ist … so unbegreiflich für mich«, flüsterte er entgeistert.

»Es ist so wahr, wie ich hier stehe«, bekräftige Gero. »Aber das ist noch nicht alles. Gleich nach ihrer Ankunft wurden Hannah und ihre Begleiterinnen von einem fatimidischen Emir nach Askalon entführt und dort als dessen Huren gefangen gehalten. Anselm und Matthäus wurden in einen finsteren Kerker geworfen und wären beinah verreckt, wenn nicht ein geläuterter Assassine ihnen zur Flucht verholfen hätte. Erst durch sie haben wir von der Gefangennahme unserer Frauen erfahren. Um ein Haar wäre es uns nicht gelungen, Hannah und die anderen zu befreien, wären wir nicht Zeuge der Eroberung von Askalon unter Bernard de Tramelay geworden und hätten in seinem Gefolge die Festung stürmen können, was uns fast das Leben gekostet hätte.

Zuvor sind wir auf André de Montbard getroffen, er war damals noch Seneschall des Templerordens und hat uns vor dem Galgen gerettet, an den Tramelay uns wegen einer anderen unseligen Sache bringen wollte. Nachdem Tramelay und seine Männer von den Fatimiden gemeuchelt worden waren, hat uns der Kelch von Askalon, den wir für Montbard erobert hatten, zu dieser Höhle auf dem Sinai geführt. Darin befindet sich eine Halle, deren Oberfläche aus dem gleichen Material besteht wie die Heiligen Tafeln. Es ist eine Art Kristallgestein, dem das Wunder und die Kraft des Allmächtigen innewohnt, und mit dessen Hilfe man alles verwirklichen kann, was man von Herzen begehrt. Allein diesem Umstand haben wir es zu verdanken, dass wir hierher zurückkehren konnten.«

»Wenn das alles wahr ist, Junge«, flüsterte Richard von Breydenbach ergriffen, »handelt es sich um einen Akt des Allmächtigen. Danke Gott dem Herrn für seine Güte!« Er runzelte fassungslos die Stirn. »André de Montbard sagst du? Du hast ihn leibhaftig getroffen?« Gero wurde Zeuge, wie sein Vater vor Ehrfurcht erbleichte.

»Nicht nur getroffen«, entgegnete Gero bewegt. »Ich habe mehrmals mit ihm gesprochen. Wenn ich dir alles erzählen könnte, Vater, was uns mit dem Haupt widerfahren ist …«, dann stockte er. »Ach«, fügte er mit einer abwehrenden Handbewegung leise hinzu, »du würdest denken, ich phantasiere.«

»Je mehr ich darüber erfahre«, bekannte Richard schockiert, »desto eher denke ich, es ist besser, nicht weiter zu fragen und das meiste davon zu vergessen.« Er bekreuzigte sich. »Für deine Mutter und mich ist nur wichtig, dass du mit deiner Frau heil hierher zurückgekehrt bist. Gedankt sei Gott, dem Herrn«, murmelte er andächtig und bekreuzigte sich ein weiteres Mal.

»Und damit es auch so bleibt«, unterstrich Gero seinen Einwand, »darf der Kerl dort unten keinesfalls in die Freiheit entlassen werden.« Er schluckte schwer. »Ich bin von Herzen froh, hier sein zu dürfen. An diesem Ort, in dieser Zeit und mit einer Frau, die ich mehr liebe als mein Leben. Ich will das alles nicht mehr verlieren, wegen einem Maleficus aus der Zukunft, der mich hasst, weil er Hannah einmal sehr nahegestanden hat. Zumal er überzeugt ist, ich sei nicht der richtige Umgang für sie. Er verfügt über genug Einfluss und Macht, alles zu zerstören, was mir je etwas bedeutet hat. Ich muss ihn aufhalten, das verstehst du doch, oder?«

»Natürlich, mein Junge«, bestätigte ihm sein Vater leise. »Aber was ist mit Hannah? Warum darf sie nicht erfahren, dass er hier ist?«

»Weil sie darauf bestehen würde, den Mann auf der Stelle freizulassen. Du musst wissen, sie war mit ihm verlobt, bevor wir uns gefunden haben. Und ich fürchte, er wird alles daransetzen, sie für sich zurückzugewinnen, falls man ihn nur lässt.«

»Denkst du, sie würde sich von seinem Gerede beeindrucken lassen?« Geros Vater sah ihn aus schmalen Lidern an. »Schließlich hätte er sie doch schon vorher beeinflussen können und sie hat ja nicht ihm, sondern dir vor Gottes Angesicht ewige Treue geschworen. Außerdem schuldet sie dir inzwischen als dein vor Gott angetrautes Eheweib unbedingten Gehorsam.«

Gero entwich ein freudloses Lachen. »Dort wo sie herstammt, gelten andere Gesetze. Frauen haben die gleichen Rechte wie Männer. Keine Frau muss ihrem Mann gehorsam sein. Stell dir einfach vor, dass die meisten Frauen in der Zukunft ein ähnliches Temperament wie Tante Margaretha haben, die sich auch nichts von einem Mann sagen lässt.«

»Aber Hannah macht mir keinen solchen Eindruck«, wandte Richard erstaunt ein, dem seine neue Schwiegertochter denkbar rasch ans Herz gewachsen war. »Sie ist höflich, klug und zurückhaltend, wie es sich für das Weib eines Edelfreien gehört. Außerdem scheint sie dir äußerst zugeneigt zu sein. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie diesen dürren Tölpel dir vorziehen würde. Oder irre ich mich da etwa?« Richard von Breydenbach bedachte seinen jüngsten Sohn mit einem ungewohnt mitfühlenden Blick.

»Seit ich den Kerl in unserem Kerker gesehen habe, bin ich mir nicht mehr sicher.«, erklärte Gero erschöpft. »Er wird ihr Mitleid erregen, sobald sie ihn zu Gesicht bekommt. Und er wird alles daran setzen, sie auf seine Seite zu ziehen. Wenn er ihr schon hierher folgt unter solch abenteuerlichen Umständen, muss sie ihm wirklich noch etwas bedeuten.«

»Denkst du, ihr würde das imponieren?«

»Vielleicht«, murmelte Gero. »Aber ich will es nicht darauf ankommen lassen.«

»Glaubst du nicht, es wäre trotzdem klüger, auf die Liebe zu vertrauen, die dein Weib allem Anschein nach für dich empfindet, und ihr die Wahrheit zu sagen?«, mahnte ihn Richard.

»Welche Wahrheit?« Gero zog seine scharf geschwungenen Brauen unwirsch zusammen. »Dass dieses Arschloch dort unten sitzt und nur darauf brennt, ihr zu erklären, wie armselig ihr Leben an meiner Seite ist?«

»Was soll das heißen?«, stammelte sein Vater verblüfft. »Du bist der Sohn eines Edelfreien und wenn alles nach Plan verläuft, wirst du schon bald die Grafschaft deiner Tante beerben. Was kann eine Frau denn mehr wollen, als einen Mann von Adel und Ehre an ihrer Seite zu wissen, der dazu noch vermögend ist? Und außerdem – sagtest du nicht, es wäre so furchtbar in der Zukunft?«

»Ach Vater …« Gero runzelte die Stirn. »Ja – dort herrschen allenthalben grausame Kriege mit unzähligen Toten, aber nicht, wo Hannah zu Hause war. Du kannst dir einfach nicht vorstellen, wie machtvoll die Verlockungen in ihrer Welt sind.« Gero atmete tief durch und schnaubte verdrießlich. »Wo sie lebte, hat jeder dahergelaufene Knecht mehr Luxus in seinem Haus als wir in unserer besten Kammer. Zu jeder Jahreszeit und an jeder Ecke gibt es die wunderlichsten Speisen zu kaufen, eingepackt in durchsichtiges Papier, dass sie Plastik nennen. Der Wein kommt in gläsernen Flaschen und silbernen Kisten und wird aus Kelchen aus feinstem Kristall getrunken, die sie nicht nur zu feierlichen Anlässen, sondern jeden Tag benutzen.«

»Na immerhin haben sie welche«, scherzte Richard verwirrt.

»Hannah war in ihrer Welt keine arme Frau«, bekräftigte Gero leidenschaftlich. »Sie nannte ein stattliches Haus ihr Eigen und konnte sich feinsten Zucker und Gewürze aus dem Outremer leisten, dazu silberne Löffel und bestes Geschirr. Sie verfügt über Unmengen von Büchern, deren Inhalt sogar die Universitätsbibliothek von Paris in den Schatten stellen würde.«

»Tatsächlich?« Richard hob fragend eine Braue. »Über was denn zum Beispiel?«

»Die wahre Beschaffenheit des Universums und der Planeten. Glaubwürdige Darstellungen der Erde, die in Wahrheit eine Kugel ist und die Sonne umkreist.

Genauestes Kartenmaterial, wie wir es schon beim Orden zu sehen bekommen haben, aber nie darüber sprechen durften. Über wendige Flugmaschinen aus Stahl, mit denen die Menschen dort Länder und Ozeane überqueren, und auf dem Mond sind sie auch schon gewesen. Kannst du dir das vorstellen?«

»Ach? Und Gott der Allmächtige lässt so etwas zu?« Richard schluckte nervös. »Pass bloß auf, dass du mit diesem Wissen nicht hausieren gehst. Das könnte dich leicht den Kopf kosten, mein Junge.« Einen Moment schien er angestrengt nachzudenken, dann schaute er Gero missbilligend an. »Warum hast du nie etwas davon erwähnt?«

»Wem hätte ich denn davon erzählen sollen?« meinte Gero grimmig. »Du kannst es dir sowieso nicht vorstellen und Mutter guckt ja schon verwundert, wenn Hannah täglich die Milch und das Wasser abkochen lässt, weil sie darin krankmachende Bakterien vermutet.«

»Bak… was?«

»Winzige Lebewesen, die man nur durch ein spezielles Glas sehen kann und die dafür sorgen, dass du kotzt wie ein Reiher oder nicht mehr vom Abort runterkommst, wenn du etwas Verdorbenes gegessen hast«, erläuterte ihm Gero mit einigem Widerwillen im Blick. »Sie sind es, die Wunden zum Eitern bringen. Durch Kochen oder diverse Gifte werden diese unsichtbaren Viecher abgetötet und können dem Menschen nicht mehr schaden. Hannah sagt, mit dieser Erkenntnis könnte man so manches Siechtum verhindern.«

»Jetzt, wo du es sagst«, wandte Richard unvermittelt ein, »das haben uns schon die Templer in Akko gepredigt, obwohl sie uns nie erzählt haben, warum sie einen solchen Blödsinn verlangen.«

»Und warum wundert dich das nicht?« Gero warf seinem Vater einen dozierenden Blick zu.

»Keine Ahnung?«

»Weil die Templer dank C.A.P.U.T. längst um solche Tatsachen wussten«, antwortete er seinem staunenden Vater. »Wie so vieles«, erklärte er mit einem verärgerten Schnauben, »worüber wir nie reden durften und noch einiges mehr, was den verantwortlichen Brüdern durchaus bekannt war, aber leider nicht für die Rettung des Ordens eingesetzt wurde.«

»Denkst du ernsthaft, der Hohe Rat der Templer hätte mit seinem Wissen etwas am Schicksal des Ordens ändern können?«, fragte Richard atemlos. »Oder vielleicht mithilfe der Höhle, die Montbard euch gezeigt hat?«

»Ich weiß es nicht«, gab Gero mit einem resignierten Blick zu bedenken. »Wahrscheinlich hätten sie nur mit Gottes Hilfe etwas Derartiges erreichen können. Die Männer des Hohen Rates wussten, dass sie ihr Geheimnis hüten mussten, weil die Welt noch nicht soweit ist, um das alles zu verstehen. Sie konnten nur hier und da eingreifen, indem sie uns etwas von ihrem Wissen als großes Geheimnis zur Verfügung gestellt haben. Entweder in Gestalt genauer Karten, der Erfindung des Kompass’, dem Aufbau eines bis dahin einzigartigen Finanzsystems oder medizinischer Erkenntnisse, die uns Ordensbrüder zum Beispiel vor dem Antoniusfeuer bewahrt haben, weil es uns bei Strafe verboten war, schwarze Getreidekörner zu essen. Aber es hat nicht ausgereicht, um den Orden zu retten, geschweige denn, dessen Ansehen wiederherzustellen. In der Zukunft habe ich erfahren, dass der Orden erst in siebenhundert Jahren durch Papst und Kirche von der vorgeworfenen Schuld freigesprochen wird. Ein bisschen spät, wie ich finde«, bemerkte er bitter. »Bis dahin und darüber hinaus gilt es all jene zu schützen, die diese Geheimnisse nach wie vor bewahren und ihre eigenen Gründe haben, warum sie manche Weisheiten lieber für sich behalten.«

»Das bedeutet, du wirst weiterhin schweigen müssen, auch deiner restlichen Familie gegenüber«, stellte Richard nüchtern fest. »Ganz gleich, was noch geschieht.«

»Das ist einer der Gründe, warum der Mann in unserem Hungerloch zu einer ernsten Gefahr werden könnte«, sagte Gero und deutete in Richtung Verlies.

»Er hat nicht die geringste Ahnung von unserem Leben. Er könnte uns nicht nur durch seine Maschine im Handumdrehen in Teufels Küche bringen, sondern auch durch unbedachtes Gerede. Also, wenn ich dir sage, dass es seinen Grund hat, warum ich ihn da unten unter Verschluss halten will, solltest du mir zur Abwechslung einfach mal vertrauen.«

»Und was hast du vor?«

»Zunächst einmal müssen wir den C.A.P.U.T., oder den Server, wie der Maleficus die Maschine nennt, irgendwo sicher verstecken, wo ihn niemand findet«, erklärte Gero düster und klopfte auf den Rucksack, den er noch immer in den Händen hielt. »Und wenn uns Gott gnädig ist, wird er unser Problem mit dem Mann aus der Zukunft von ganz alleine lösen.«

Gero hatte Mühe seine Emotionen zurückzuhalten. Seine Stimme zitterte, während er um Fassung kämpfte. Es war ihm nicht leicht, auf Toms Ableben zu spekulieren, obwohl ihm im Moment keine andere Lösung einfiel.

»Ist ja gut, Junge«, sagte sein Vater, und legte einen Arm um seine Schulter, was Gero erst recht das Gefühl gab, nicht Herr der Lage zu sein. »Wir werden alles tun, was nötig ist, um dich und deine Familie vor weiterem Unheil zu bewahren«, versicherte Richard mit festem Blick und der offensichtlichen Überzeugung, bei ihm etwas gutmachen zu müssen. »Wenn es sein muss, werde ich den Kerl persönlich in die Hölle schicken und die geheimnisvolle Kiste tief in der Erde verscharren, damit sie auf ewig verschwindet.«

»Danke, Vater. Und noch mal, bitte, ganz gleich, was geschieht: Kein Wort zu Hannah«, beschwor ihn Gero, wobei er den Rucksack im Blick hielt. »Sie darf sich in ihrem Zustand keinesfalls aufregen.«

»Natürlich nicht«, brummte Richard. »Was hältst du davon, wenn ich die vermaledeite Maschine erst einmal in meiner Kammer verberge, und sobald sich die Wogen geglättet haben, können wir beide sie zurück nach Heisterbach schaffen und sie dort unbemerkt in das Versteck des Hohen Rates der Templer zurücklegen. Immerhin gehört das Haupt nach wie vor dem Orden, also wäre es vielleicht klug, sie in dessen Obhut zurückzugeben.«

»Das wäre vielleicht eine passende Idee«, gab Gero zurück. »Immer noch besser, als die Maschine hier zu verstecken, mit der Gefahr, dass Hannah oder irgendjemand anderes sie findet. Und soweit ich weiß, existiert niemand mehr vom Hohen Rat, der über das Versteck Bescheid weiß, außer mir, Johan und Struan, der es laut Johans Depesche ebenfalls bis nach Hause geschafft hat.«

»Wenn niemand sonst etwas darüber weiß, wird auch niemand mehr danach suchen«, fügte Richard hinzu. »Sobald Tante Margaretha wieder abgereist ist, machen wir uns auf den Weg. Früher geht’s leider nicht, sonst behauptet sie am Ende noch, ich würde vor ihr Reißaus nehmen.« Er grinste schwach.

»In Ordnung. Und nun lass uns zum Frühessen zurückkehren, sonst schöpfen Mutter und Hannah noch Verdacht. Schließt du den Rucksack in deinem Turmzimmer in der Abgabentruhe ein? Da kommt ohne deinen Schlüssel doch niemand ran, oder?«

»Nein, noch nicht einmal Eberhard hat einen Schlüssel.«

»Das ist auch gut so, denn außer dem C.A.P.U.T. habe ich in dem Lederrucksack noch einiges entdeckt, was vielleicht Fragen aufwerfen könnte.«

»So?« Richard hob eine Braue. »Was denn?«

»Etwas Medizin aus der Zukunft, eine Lampe, die kein Feuer benötigt und eine Waffe, die so gefährlich ist, dass ich sie nur im äußersten Notfall benutzen würde. Die Sachen könnten uns also durchaus noch mal nützlich sein.«

Gero wusste die Unterstützung seines Vaters zu schätzen, zumal ihr Verhältnis nicht immer so gut gewesen war, was unter anderem auch an diesem unseligen Server gelegen hatte, der ursprünglich dem Besitz der Templer entstammte und dort als sprechendes Haupt seit gut einhundertfünfzig Jahren durch die Legenden des Ordens gegeistert war. Diese verdammte Maschine hatte es zu verantworten, dass sein Vater im Jahre 1291 bei der Erstürmung von Akko durch die Mamelucken seine rechte Hand und sein Onkel Gerhard seinen Kopf verloren hatten. Ohne zu wissen, worum es eigentlich ging, hatten die beiden als Kreuzritter im Auftrag des Erzbischofs von Trier einen Pulk von fliehenden Templern unterstützt, denen zwei diebische Heiden eine mysteriöse Tasche gestohlen hatten, in denen sich, wie sich erst viel später herausgestellt hatte, hoch geheime Pergamente zu C.A.P.U.T. 58 befanden. Bei der Rückeroberung der Tasche waren Lissys jüdische Eltern von den Mamelucken getötet worden, weil sie Geros Vater helfen und den flüchtenden Räuber aufhalten wollten. Daraufhin hatte Richard von Breydenbach einen Schwur getan, in dem er Gott dem Allmächtigen versprochen hatte, Lissy an Kindes Statt anzunehmen, um sie im rechten Alter in ein christliches Kloster geben zu können, und sein jüngster Sohn sollte später den Templern beitreten, wenn es ihm und seinen Begleitern gelingen würde, lebend den Mamelucken zu entkommen. Genauer betrachtet hatte das folgende Unglück damit seinen Lauf genommen.

Als Gero wenige Minuten später zum Frühessen zurückkehrte, blickte Hannah besorgt zu ihm auf. »Wo warst du so lange?«, wollte sie wissen. »Ist irgendetwas Unangenehmes vorgefallen? Du siehst so angespannt aus.«

»Nein«, log er, wobei er der Heiligen Jungfrau wegen der Sünden, die er nun fortlaufend beging, im Geiste zehn Ave Maria versprach, oder mehr, falls dies erforderlich werden würde. Mehr beiläufig bückte er sich und gab seiner Liebsten einen Kuss auf die Wange. »Ein Abgesandter der Leibeigenen hat eine Liste zu den anstehenden Abgaben überbracht«, erklärte er mit gerunzelter Stirn. »Mein Vater wollte mir nur kurz zeigen, auf was man bei diesen Listen zu achten hat. Falls ich mal in die Verlegenheit komme, ihn zu vertreten«, fügte er mit einem schwachen Lächeln hinzu.

»Wäre das nicht die Aufgabe deines Bruders?«, fragte Hannah verwundert.

»Eberhard ist ja ziemlich oft unterwegs, wie du weißt«, erklärte er ihr, ohne sich anmerken zu lassen, wie dünn diese Ausrede war. »Und für den Fall, dass ich Vater und ihn vertrete, muss ich wissen, was zu tun ist.«

»Und deshalb holt euch der erste Offizier der Burgwachen vom Frühstückstisch weg? Ich kann mich erinnern, dass du dir früher solche Störungen verbeten hast. Immerhin bist du es, der Matthäus dauernd zum Schweigen ermahnt und ihm sagt, er darf nicht vom Tisch aufstehen, bevor das Dankgebet gesprochen ist; da solltest du selbst mit gutem Beispiel vorangehen.«

»Du hast vollkommen recht«, lenkte Gero mit einem entschuldigenden Lächeln ein. »Ich sollte mich unbedingt an meine Tugenden als Ordensritter erinnern. Aber wenn ich mich strikt an die Regeln hielte, müsste ich dich leider auch aus meinem Bett verbannen«, flüsterte er ihr mit einem zweideutigen Grinsen zu.

»Fragt sich, wie lange du das selbst durchhalten würdest.« Über Hannahs Gesicht huschte ein anzügliches Lächeln.

Gero langte beiläufig nach Brot und Wurst, wobei er eigentlich keinen Hunger verspürte. Erst recht nicht bei dem Gedanken, was Hannah sagen würde, wenn sie wüsste, dass er den Kerl am liebsten dem Hungertod überlassen würde.

Vor seinem geistigen Auge tauchte Toms abgemagerte Leiche auf und die Frage, was er mit ihr anstellen würde, wenn es soweit war. Dabei dachte er an den eiskalten Blick seines Vaters, der mit dem Lederrucksack auf dem Weg nach oben in sein Arbeitszimmer war und ihm versichert hatte, die Geschichte für ihn zu regeln, falls es nicht anders ging. Der Alte war, wenn er von einer Sache überzeugt war, weitaus abgebrühter als er selbst es je sein würde. Aber auch diese Erkenntnis führte nicht unbedingt zur Erlösung. Eher zeichnete sie ihn mit einer unwürdigen Form von Feigheit aus, auf die er erst recht nicht stolz sein konnte.

»Du bist ja plötzlich ganz blass?«, bemerkte Hannah besorgt. »Ist dir das Bier nicht bekommen?«

»Mit geht es gut«, tönte er mit gespielter Überzeugung. »Aber so, wie du mich anschaust, könnte ich glatt denken, dass der Tod bereits hinter mir steht.« Selbst sein Lachen klang merkwürdig hohl.

Hannah schüttelte kaum merklich den Kopf und taxierte ihn eingehend. Das tat sie immer, wenn sie ihm misstraute. »Irgendwas stimmt nicht mit dir, seit du mit deinem Vater weg warst.«

»Es ist nichts, so glaub mir doch.« Er versuchte sich an einem treuen Blick und vertraute dabei auf die Wirkung seiner himmelblauen Augen, denen Hannah, wie sie selbst behauptete, nicht widerstehen konnte. Dabei drückte er sanft ihre Hände.

»Du hast ganz kalte Finger«, hob sie von neuem an. »Das kenne ich überhaupt nicht von dir.«

»Vielleicht liegt es an deiner Schwangerschaft«, frotzelte er grinsend. »Seit du guter Hoffnung bist, fühle ich mich oft so … so merkwürdig.« Ein genialer Einfall, um sie abzulenken, denn ihre grünen Augen strahlten plötzlich vor Vergnügen.

»Du wärst nicht der erste Vater, der die Beschwerden der werdenden Mutter teilt. Nur, dass ich bei dir am allerwenigsten damit gerechnet hätte.«

»Vielleicht nimmt mich dein Zustand mehr mit, als ich mir eingestehen möchte«, sagte er und seufzte leise.

»Vielleicht solltest du dich ein wenig hinlegen«, riet sie ihm und streichelte ihm fürsorglich über die Wange. »Das rät man werdenden Vätern allgemein, wenn sie über Beschwerden klagen.« Sie lachte.

Gero hob abwehrend die Hände. Diese Art von weiblichem Mitgefühl mochte er überhaupt nicht. Schließlich war er ein Ritter und kein jammerndes Weib, das irgendeines wie auch immer gearteten Zuspruchs bedurfte. »Ich könnte den Mägden sagen, sie sollen nicht stören, während ich deine Krankenpflege übernehme«, säuselte sie und ließ ihre Hand unter dem Tisch unauffällig zu seinem Schritt wandern.

»Herr im Himmel«, raunte er leise. »Du sorgst schon dafür, dass ich weiche Knie bekomme und mich in kürzester Zeit wie ein Schwächling fühle.«

»Also bei mir darfst du ruhig schwach werden«, belehrte sie ihn kichernd und war schon aufgesprungen, um ihm aufzuhelfen.

»Ich kann mich doch nicht mitten am Tag ins Bett verkriechen«, keuchte er abwehrend und schüttelte sanft, aber bestimmt, den Griff ihrer Hände ab, die sich entschlossen um seinen Oberarm geklammert hatten.

»Wieso denn nicht?«, widersprach sie ihm, wobei ihre funkelnden Augen deutlich zeigten, wie angetan sie von dieser Idee war. »Komm, ich bringe dich hinauf in unsere Kammer.«

»Was sollen die anderen denken?«, fragte er und schaute sich gehetzt um.

»Was soll wer denken?« Hannah folgte demonstrativ seinem Blick. Die meisten hatten ohnehin schon das Frühessen beendet und waren an ihre Arbeit zurückgekehrt. Sein Vater war noch immer nicht wieder aufgetaucht. Seine Mutter war immer noch in ein Gespräch mit der ersten Hausmagd vertieft und Mattes war Gesa nach draußen gefolgt, was niemanden außer Gero zu beunruhigen schien.

Obwohl er weiterhin Bedenken hatte, folgte er seiner Frau ohne Widerstand zur Wendeltreppe, die in die oberen Gemächer führte. Er fühlte sich tatsächlich mit einem Mal schwach, was wohl eher an den Geschehnissen im Kerker lag, die ihm andauernd aufstießen wie saures Bier. Vielleicht half ja noch ein bisschen Schlaf. Doch schon bevor sie den ersten Absatz erreichten, war ihnen seine Mutter gefolgt, der Hannahs Sorge um ihn natürlich nicht entgangen war. »Junge, was ist mit dir? Fühlst du dich nicht wohl?«

»Herrgott noch mal!«, platzte es aus Gero heraus. »Der Umstand, dass wir ein Kind erwarten, besagt nicht, dass der Vater bis dahin als solches behandelt werden will.«

»Verzeih, Sohn«, lenkte seine Mutter verständnisvoll ein. »Es wird wohl wirklich Zeit, dass ich endlich ein Enkelkind bekomme, damit meine mütterliche Fürsorge so rasch wie möglich eine neue Heimat findet.«

»Wohl wahr«, raunte Gero und verdrehte entnervt die Augen.

Juttas Mundwinkel hoben sich zu einem bedauernden Lächeln, das nicht nur Gero, sondern auch Hannah galt. »Ich kann es kaum erwarten, bis ich wieder etwas in meinen Armen halte, das ich mit Leib und Seele bemuttern kann.«

»Es wird ja nicht mehr lange dauern«, ermunterte Hannah ihre Schwiegermutter und umarmte sie zum Trost. »Dann kannst du das Kleine so oft in deinen Armen wiegen, wie du möchtest.«

»Habt ihr eigentlich schon einen Namen?«

»Nein«, antwortete Hannah und senkte den Kopf. »Wäre das nicht noch ein bisschen früh?«

»Wie wäre es, wenn ihr ihn Thomas nennt?«, schlug Jutta arglos vor. »So hieß mein Vater.« Umgehend breitete sich betretenes Schweigen aus, weil sowohl Gero als auch Hannah das Gleiche dachten. Das Letzte, was Gero wollte, war, seinen Sohn nach dem Namen ihres ehemaligen Verlobten zu benennen, damit er sich womöglich bis an sein Lebensende an diesen Idioten im Kerker erinnerte. »Nein«, bestimmte er ungehalten, »uns fällt bestimmt noch was Passenderes ein. Roland zum Beispiel, ich finde, das ist ein guter Name für einen Mann.«

»Ich glaube ja eher, es wird ein Mädchen«, brach Hannah das ungemütliche Schweigen. »Vielleicht sollten wir sie Jutta nennen, wie ihre Großmutter.«

Während Geros Mutter vor Freude erstrahlte, und noch ein paar weitere Namensvorschläge hinzufügte, brachte er selbst nur ein gequältes Lächeln zustande. Der Gedanke daran, wie die beiden Frauen reagieren würden, wenn sie erführen, was in Wahrheit hinter seiner schlechten Laune steckte, ließ ihn ganz schwindlig werden. Er musste hier weg, bevor er noch zu taumeln begann. »Entschuldigt mich«, unterbrach er die beiden in ihrem Redefluss, »ein dringendes Bedürfnis quält mich.« Während er in Richtung Abort entschwand, spürte er die Blicke der beiden Frauen regelrecht in seinem Rücken. Wobei er sich die Frage stellte, wie er die nächsten Tage überstehen konnte, ohne sich verdächtig zu machen.

Ein paar Tage später traf endlich ein Bote aus Waldenstein ein, um Gräfin Margarethas unmittelbar bevorstehenden Besuch anzukündigen.

Während auf der Breidenburg helle Aufregung über den hochgestellten Gast herrschte, hatte Richard höchstpersönlich dafür gesorgt, dass Oswin, der zweite Gefangene, der einem jungen Mädchen Gewalt angetan und es dabei fast umgebracht hatte, schon früh am Morgen und ohne großes Aufsehen aus dem Kerker geholt und in den Gefangenenwagen gesteckt wurde. Zum einen, weil man die Frauen der Burg von dem Anblick dieses Mannes verschonen wollte, und zum anderen, damit Eberhard nichts von der Einkerkerung des Maleficus erfuhr. Eberhard selbst war anschließend mit dem todgeweihten Verbrecher und vier Wachmännern nach Trier aufgebrochen, wo sie den Mann, der bisher sein Brot als Köhler verdient hatte, dem Schöffengericht vorführen wollten. Der Prozess sollte zwei oder drei Tage dauern, und Eberhard würde im Auftrag seines Vaters vertretungsweise die Anklage führen.

»Sag Tante Margaretha einen schönen Gruß«, rief Eberhard nichtsahnend, als er sich auf seinen Braunen schwang und mit zwei weiteren Wachen, die den Transport eskortierten, vom Hof ritt.

Gero hatte unterdessen ein paar schlaflose Nächte durchwacht und mit sich gekämpft, ob er Tom nicht vielleicht doch in die Freiheit entlassen sollte. Zumal er ihm ohne den Server keinen großen Schaden zufügen konnte. Aber dazu war es fast schon zu spät, denn Tom würde vor Hannah nicht hinterm Berg halten, wie man ihn mit Wissen von Gero und seinem Vater behandelt hatte. Und dann war da noch die Gräfin, die drei Tage lang die Burg belagern würde, wie sein Vater es nannte.

Mit ihrer Neugier schlug sie selbst Hannah um Längen und Gero war ziemlich sicher, dass Tom unter den gegebenen Umständen keine Rücksicht auf die Anwesenheit seiner Tante nehmen würde. Was wäre, wenn er vor allen Anwesenden das Haupt einforderte, um mit Hannah auf Nimmerwiedersehen in die Zukunft zu entschwinden? Wenigstens war bisher keiner seiner Schergen hier aufgetaucht. Aber was nicht war, konnte ja noch kommen. Ohne das Wissen seines Bruders hatte er die Wachen im Kerker und in der unmittelbaren Nähe zur Burg verstärken lassen, was er mit dem Besuch seiner Tante begründet hatte.

Entsprechend nervös schlug sein Herz, als er plötzlich Hannah erblickte, wie sie aus dem Palas kommend nach draußen auf den Hof trat.

»Wo reitet dein Bruder denn hin?«, wollte sie wissen und schützte ihre Augen mit der Hand gegen die tiefstehende Nachmittagssonne.

»Er hat in Trier zu tun«, sagte Gero nur, und mit einer spontanen Umarmung und einem innigen Kuss versuchte er, sie von weiteren Fragen abzulenken, um nicht auf den Kerker zu sprechen zu kommen und was dort vor sich ging.

»Er hätte gerne noch meine Tante begrüßt«, erklärte er ihr mit einem Schulterzucken und blieb, soweit es ging, bei der Wahrheit. »Aber er musste zu Gericht, eine Urkunde abgeben und konnte sich keine Verspätung leisten.«

Offenbar waren der Anlass und die Art, wie Gero die Erklärung vorbrachte, langweilig genug, um Hannah von weiteren Fragen abzuhalten.

»Ich kann es kaum erwarten«, sagte sie mit glänzenden Augen, endlich die legendäre Margaretha von Waldenstein kennenzulernen.«

»Versprich dir nicht zu viel von ihr«, warnte Gero sie mit einem Augenzwinkern. »Sie kann ziemlich penetrant sein, vor allem, wenn sie jemanden in ihr Herz geschlossen hat.«

»Ich hoffe, sie hat dort noch einen Platz frei.« Hannah schaute zweifelnd zu ihm auf. »Immerhin werde ich den Rest meines Lebens in ihrem Haus verbringen, wenn alles so kommt, wie geplant.« Ihr Blick wanderte über den Burghof, wo die Bewohner sich in hektischer Betriebsamkeit auf die honorigen Gäste vorbereiteten und Hannah mit ihrer Nervosität regelrecht angesteckt hatten. Es kam auch auf der Breidenburg nicht allzu oft vor, dass eine echte Gräfin mit einem zwanzig Mann starken Gefolge standesgemäß untergebracht werden musste. Entsprechend emsig wurden in der Küche die Speisen vorbereitet und die Zimmer für die hochwohlgeborenen Gäste hergerichtet. Wobei sich die pikante Frage ergab, ob man der Gräfin und ihrem Vogt ein gemeinsames Schlafzimmer zuteilwerden ließ. Am Ende beschied Jutta von Breydenbach, dass man ihnen zwei nebeneinanderliegende Zimmer zuweisen sollte, um kein unnötiges Gerede unter dem Gesinde aufkommen zu lassen.