cover

Philipp Staab

Falsche Versprechen

Wachstum im
digitalen Kapitalismus

Hamburger Edition

Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH
Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung
Mittelweg 36
20148 Hamburg
www.hamburger-edition.de

© der E-Book-Ausgabe 2016 by Hamburger Edition
ISBN 978-3-86854-675-0

© 2016 by Hamburger Edition
ISBN 978-3-86854-305-6

Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras
Satz: Dörlemann Satz, Lemförde

Inhalt

I   Einleitung

II   Von der politischen Ökonomie des 20.Jahrhunderts zum digitalen Kapitalismus

III   Digitale Ideologie- Digitale Ökonomie

IV   Von der Rationalisierung der Produktion zum effizienten Konsum

V   Digitalisierung und soziale Ungleichheit

VI   Das Konsumtionsdilemma

Bibliografie

Zum Autor

»Coping, doping, hoping, shopping.«

Wolfgang Streeck

I   Einleitung

Unter den Top 5 der wertvollsten Unternehmen der Welt (nach Marktwert) befanden sich im Jahr 2015 neben Warren Buffets Firmenkonglomerat Berkshire Hathaway und dem Energieriesen ExxonMobil drei Technologiefirmen: Apple (Platz 1), Google (Platz 4) und Microsoft (Platz 5).1 Sie stehen exemplarisch für den Aufstieg der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in den vergangenen Jahrzehnten und damit für die Digitalisierung des Alltags, insbesondere aber der Wirtschaft. Digitale Technologien auf Laptops, Tablets oder Smartphones sind aus den Arbeitswelten der Gegenwart nicht mehr wegzudenken, die meisten Arbeitnehmer und Selbstständigen nutzen IKT auf die eine oder andere Art. In der Regel folgen ihre Tätigkeiten dabei im kleinen Maßstab einer Logik, die Technologieunternehmen wie Apple, Google, Microsoft, Facebook oder Amazon in größerem Stil als eigenes Geschäftsmodell betreiben: Sowohl im Kontext alltäglichen Arbeitens mit IKT als auch bei den Geschäftsmodellen der digitalen Weltkonzerne geht es im Kern um Prozesse der Datenverarbeitung, sei es beim Erstellen wissenschaftlicher Publikationen in Forschungsinstituten, bei Verwaltungsaufgaben in Versicherungsunternehmen oder bei dem zielgenauen Targeting von Konsumenten durch Produktplatzierungen wie bei Google, Facebook oder Amazon. Die Verarbeitung von Informationen bildet den Kern digitalisierter Arbeitsprozesse und Geschäftsmodelle.

Die Digitalisierung der Wirtschaft beschränkt sich keineswegs auf die New Economy aus Technologiegiganten und Internet-Start-ups. Sie hat längst klassische Wirtschaftszweige und den öffentlichen Sektor erreicht: Unter Begriffen wie »E-Government«, »Smart Cities« oder »Smart Infrastructure« firmieren beispielsweise Modelle, die weit über die Nutzung computergestützter Datenverarbeitungsprozesse in der Digitalwirtschaft hinausgehen. Sie bilden Blaupausen für umfassende Restrukturierungsprogramme von Verwaltungsprozessen, Stadtentwicklung oder staatlicher Infrastrukturpolitik. Digitalisierungsgiganten, wie Google, Apple, Microsoft oder Amazon, wetteifern in diesem Zusammenhang um Aufträge der öffentlichen Hand und gewinnen dabei für staatliche Institutionen an Bedeutung: Amazon stellt über seinen Cloud-Computing-Dienst Amazon Web Services in den USA beispielsweise einen bedeutenden Teil der digitalen Infrastruktur des amerikanischen Verwaltungs- und Regierungsapparates.

Auch in Kernbranchen der Old Economy stoßen die Datenkonzerne von der amerikanischen Westküste zunehmend vor und erzeugen dort Transformationsdruck. Das zeigt sich am Beispiel der Automobilindustrie: Google hat hier Industriegiganten mit über hundertjähriger Geschichte mit der Entwicklung autonom operierender Fahrzeuge in Aufregung versetzt, was sich unter anderem im Aufbau eigener digitaler Fahrassistenzsysteme durch die traditionellen Produzenten niederschlägt. Das 2003 gegründete US-amerikanische Unternehmen Tesla hat, um ein anderes Beispiel zu nennen, mit beachtlichen Erfolgen in der Elektromobilität erheblichen Innovationsdruck in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der etablierten Automobilisten erzeugt. Auch Apple soll ein eigenes Automobil planen und wird damit den Druck auf die vermeintlichen »Industriedinosaurier« weiter erhöhen.

Dabei propagieren die Internetkonzerne eine ganz neue Perspektive auf ein klassisches Produkt. Denn Google geht es bei seinem eigenen Auto, wie schon bei der Entwicklung von Karten- und Navigationsanwendungen, vor allem um die Daten der Nutzer. Sie stellen das eigentliche Geschäftsfeld der Internetgiganten dar, bilden die Basis diverser Dienstleistungen, die im Zentrum des Angebots der Unternehmen stehen. Auch klassische Automobilhersteller haben diesen Trend erkannt. So investieren Unternehmen wie Daimler und BMW nicht nur massiv in autonomes Fahren und digitale Car-Sharing-Modelle, sondern auch in die Digitalisierung der Cockpits. In der Fahrerzelle der Zukunft soll der Passagier als Kunde permanent erreichbar sein für die Konsumnetze des kommerziellen Internets. Die Quellen der Wertschöpfung sollen sich, im Stile der Digitalisierungsgiganten, auch in der traditionellen Automobilindustrie weg von der Produktion und hin zu diversen digitalen Dienstleistungen entwickeln. Der Verkauf des Automobils als ehemals zentraler Punkt der Wertschöpfung verliert dabei an Bedeutung. Als eine Art Smartphone auf vier Rädern soll das Automobil vielmehr das Ankerprodukt bilden, über das immer neue Dienste reibungslos an den Kunden gebracht werden können.

Digitale Technologien und Geschäftsmodelle gewinnen also auch jenseits der Internetkonzerne an Bedeutung. Die mit ihnen verbundenen ökonomischen und ideologischen Logiken finden zunehmend Verbreitung. Diese strukturbestimmende Entwicklung wird im Folgenden als »digitaler Kapitalismus« bezeichnet. Damit ist, wie meine einleitenden Bemerkungen anzeigen, weder eine strenge kategoriale Unterscheidung von Kapitalismustypen nach der Logik sektoraler Differenzierung impliziert: Es kann nicht um einen digitalen im Gegensatz zu einem industriellen oder tertiären Kapitalismus gehen, wenn IKT überall an Bedeutung gewinnen, noch kann der Begriff einstweilen eine historische Trennschärfe, etwa im Gegensatz zu den Handelskapitalismen ab dem 13. oder den im 19. Jahrhundert folgenden Manufaktur- und industriellen Kapitalismen,2 beanspruchen. Auch aus der institutionellen Perspektive auf die dominierenden Koordinationsmechanismen der digitalen Wirtschaftsweise, etwa in Tradition der Debatte um die Varieties of Capitalism,3 kann der Charakter des digitalen Kapitalismus einstweilen noch nicht ausbuchstabiert werden. Zu viel ist im Werden, zu unsicher sind die Prognosen zu den realen Effekten der Digitalisierung. Der vorliegende Essay macht zu allen drei möglichen Bestimmungszusammenhängen (sektoral, historisch, institutionell) jedoch einige Vorschläge: So wird gezeigt, dass die Digitalisierung sektorale Grenzen einreißt, dass bedeutende digitale Innovationen bisher vor allem in Handels- und Distributionsprozessen stattfanden und dass im digitalen Kapitalismus bestimmte institutionelle Standards, wie zum Beispiel jener der lohnabhängigen Beschäftigung als zentraler gesellschaftlicher Integrationsmechanismus, systematisch gefährdet sind, aber auch neue Standards forciert werden. All dies ist jedoch noch weit entfernt von einer schlüssigen Theorie über die Digitalisierung der Wirtschaft. So werden Leserinnen und Leser dieses Essays einstweilen mit der prozessualen Definition des digitalen Kapitalismus als Durchsetzung und Verbreitung von IKT und der mit ihnen verbundenen ökonomischen und ideologischen Dynamiken vorlieb nehmen müssen. Der digitale Kapitalismus ist somit zunächst als eine Figuration, also als ein Interdependenzgeflecht unterschiedlicher Faktoren in einer gemeinsamen Konstellation, zu verstehen.4 Einzelne Elemente dieser Figuration – etwa die historischen Triebfedern des digitalen Kapitalismus, seine ideellen Wurzeln und ideologischen Grundtheoreme, die ihn dominierenden Geschäftsmodelle und seine Implikationen für die Entwicklung sozialer Ungleichheit – werden im vorliegenden Essay mit dem Ziel behandelt, Hypothesen über die wirtschaftliche Logik des digitalen Kapitalismus der Gegenwart zu entwickeln.

Dabei werde ich mich einer Methode der experimentellen Verdichtung bedienen, indem ich bestimmte Grundzüge des digitalen Kapitalismus vornehmlich im Rahmen der benannten Leitunternehmen der Digitalisierung und unterschiedlicher sogenannter Start-ups5 mit ebenfalls primär digitalen Geschäftsmodellen analysiere. Wie eingangs kursorisch beschrieben, gibt es zahlreiche empirische Gründe, von einer Leitfunktion dieser Unternehmen im Prozess der Digitalisierung der Wirtschaft auszugehen: Sie bieten vielfach die Basistechnologien an, die in anderen Kontexten genutzt werden,6 verfügen über enorme finanzielle Kapazitäten und dringen permanent in neue Geschäftsfelder vor, in denen sie digitale Restrukturierungsprozesse ins Werk setzen.7 Sie bilden, so eine Annahme von Oliver Nachtwey und mir, die wir andernorts formuliert haben, eine »Avantgarde des digitalen Kapitalismus«8

Das Konsumtionsproblem

Auf Basis der Analyse von Leitunternehmen der Digitalisierung soll hier noch eine modellhafte Argumentationslinie verfolgt werden: Ich argumentiere, dass der digitale Kapitalismus eine verhältnismäßig neue Antwort auf ein Problem darstellt, das den Kapitalismus seit dem Ende des Nachkriegsaufschwungs in der Mitte des 20. Jahrhunderts prägt: Die Schwäche der Nachfrage, die mit den Produktivitätsfortschritten nicht standhalten kann. Die rückblickend recht kurze Phase der Nachkriegsprosperität –ich werde später ausführlich darauf zu sprechen kommen - war gekennzeichnet durch die erfolgreiche Kombination von Massenproduktion und Massenkonsum. Dieses Doppelgespann wirtschaftlicher Dynamik, allgemein als Fordismus bezeichnet, geriet allerdings schon Ende der 1960er Jahre zunehmend aus dem Tritt, weil die Nachfrage nicht mehr mit der Entwicklung der Produktivität Schritt halten konnte. Das vorherrschende Produktionsmodell erzeugte, in anderen Worten, nicht mehr aus sich heraus jene Nachfrage, die zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Wachstumsraten der unmittelbaren Nachkriegszeit vonnöten gewesen wäre. Ich bezeichne diesen Zustand als »Konsumtionsproblem«.

Seit Auftreten des Konsumtionsproblems sind zahlreiche Wege erprobt worden, die Nachfrage wieder in Schwung zu bringen. Einerseits wurde versucht, den privaten Konsum durch die Expansion öffentlicher beziehungsweise privater Schulden anzuregen. Andererseits diente vielerorts auch eine stärkere Exportorientierung durch die Internationalisierung der Absatzmärkte der Erschließung neuer Nachfragereservoirs. Beide Strategien sind nach wie vor wirksam. Eine genaue Betrachtung des digitalen Kapitalismus zeigt jedoch, so mein Argument, dass dieser eine verhältnismäßig neue Antwort auf das Konsumtionsproblem bildet, das die entwickelten Volkswirtschaften der OECD-Welt seit dem Ende des Nachkriegsbooms prägt. Das eigentliche Versprechen der Leitunternehmen des digitalen Kapitalismus ist, wie ich zeigen werde, die Lösung des Nachfrageproblems durch die Rationalisierung und Intensivierung des Konsums.

Um die logischen Implikationen dieser Wirtschaftsform darstellen zu können, ist es notwendig, von den alternativen Lösungsansätzen des Konsumtionsproblems Expansion von Schulden und Globalisierung der Absatzmärkte – zeitweilig zu abstrahieren und sich dem digitalen Kapitalismus als geschlossenem Modell zu widmen. Ziel dieser Herangehensweise ist analytische Klarheit, die allerdings nur um den Preis des temporären Ausschlusses ebenfalls existierender empirischer Alternativen zur Logik der Digitalisierung zu haben ist. Daher werde ich bei der Erläuterung der wirtschaftlichen Dynamik des digitalen Kapitalismus vielfach die natürlich weiterhin bestehenden alternativen Strategien der Generierung von Nachfrage durch Schulden und die Globalisierung der Absatzmärkte außer Acht lassen.

Nach dem Wachstum ist vor dem Wachstum?

Das Konsumtionsproblem des gegenwärtigen Kapitalismus – ich werde es im nächsten Kapitel ausführlich darstellen – ist ein entscheidender Bestandteil der historischen Situation, die den Hintergrund für die Digitalisierung der Wirtschaft bildet. Die hoch entwickelten Ökonomien der OECD-Welt konnten seit der Abkühlung der Konjunktur ab den 1960er Jahren nicht wieder an die vorangegangenen wirtschaftlichen Wachstumsraten anschließen. In den USA, Großbritannien, Deutschland, Japan, Frankreich und Italien – um nur einige wichtige OECD-Ökonomien zu nennen – fiel das Wirtschaftswachstum9 von 3 bis knapp 10 Prozent während der 1960er Jahre überall auf unter 2 Prozent im Jahr 2014.10 Einige kritische Beobachter sprechen daher schon seit geraumer Zeit von einer Post-Wachstumsökonomie11 und entwickeln Visionen einer Postwachstumsgesellschaft.12 Auch der viel zitierte französische Ökonom Thomas Piketty geht von einer systematischen Wachstumsschwäche des Gegenwartskapitalismus aus. Ihm zufolge wuchsen seit dem Ende des Nachkriegsbooms die Vermögen stärker als die Einkommen, die kaufkraftbereinigt sogar vielfach stagnierten. Dieser Prozess bedingt, dass dem Wirtschaftskreislauf Nachfragekontingente entzogen werden, die andernfalls in Form von Konsumkraft zur Verfügung stünden. Denn gerade geringe und mittlere Löhne fließen in der Regel direkt wieder in den Konsum,13 Vermögen aber werden immer wieder (re-)investiert. In jüngerer Zeit haben gar der Kapitalismuskritik unverdächtige Analysten begonnen, vor einem nachhaltigen Abschwung der Weltwirtschaft zu warnen. So sprach beispielsweise der amerikanische Ökonom Larry Summers im Herbst 2013 auf einer Konferenz des Internationalen Währungsfonds von der Möglichkeit, dass die Weltwirtschaft sich in eine säkulare, also nachhaltige und langatmige Stagnation manövriert haben könnte.14

Vor diesem Hintergrund hat die Suche nach einem Messias, der das wirtschaftliche Wachstum in die hoch entwickelten Ökonomien der Gegenwart zurückbringen könnte, in der Digitalisierung der Wirtschaft einen neuen Adressaten gefunden. Die Beratungsfirma McKinsey beispielsweise prophezeit in einer global orientierten Studie ein potenzielles Wachstum im Wert von 11 Billionen Dollar bis 2025 als möglichen Effekt des Ausbaus des »Internets der Dinge«, also der fortschreitenden Verbreitung vernetzter Klein- und Kleinstcomputer in allen Arbeits- und Lebensbereichen.15 Für Deutschland, wo die Debatte um die Digitalisierung der Wirtschaft vor allem als Diskurs um die Restrukturierung der industriellen Produktion geführt wird, kursiert die Zahl eines zusätzlichen Wachstum im Gegenwert von 78 Milliarden Euro im gleichen Zeitraum.16 Es handelt sich hierbei, den Verfassern der Studie zufolge, um wirtschaftliches Wachstum, das exklusiv durch digitale Anwendungen in sechs besonders innovationsträchtigen Wirtschaftsbranchen anfallen soll,17 also zusätzlich zu den auch ohne Digitalisierung erwarteten Zugewinnen.18

Stellt man diese äußerst optimistischen Prognosen in Rechnung, so wird verständlich, warum die Digitalisierung der Wirtschaft zu einem von unterschiedlichen Akteuren forcierten Transformationsmodell der Gegenwartsökonomie geworden ist. In der Bundesrepublik wird sie beispielsweise von einem Konglomerat aus Unternehmern, Forschungsinstituten, Gewerkschaften, Politikern und Beratungsfirmen als vierte industrielle Revolution (»Industrie 4.0«) stilisiert. Nach Dampfkraft (erste industrielle Revolution), elektrifizierter Massenproduktion (zweite industrielle Revolution) und der Implementation der Mikroelektronik (dritte industrielle Revolution) soll die Digitalisierung der Produktionsapparate eine neue Stufe wirtschaftlicher Entwicklung einleiten.

Sollte die in Deutschland so populäre Vision einer digitalen Industrie wirklich jene ökonomische Zeitenwende einleiten, die der Begriff der »industriellen Revolution« nahelegt, so müsste sie allerdings mehr sein als eine weitere Verjüngungskur der hierzulande etablierten Hochproduktivitätsökonomie und ihres Wirtschaftsmodells. Hinweise, dass sich am bundesrepublikanischen Erfolgsrezept der Generierung von Nachfrage durch Exporte etwas ändern könnte, indem beispielsweise neue Nachfrage auf dem heimischen Arbeitsmarkt generiert würde, sucht man allerdings, trotz der zuletzt positiven Lohnentwicklung, weitgehend vergebens. Zwar kann man hoffen, dass sich digitale Produktivitätsgewinne der nahen Zukunft im industriellen Sektor gewissermaßen automatisch auch in höhere Löhne der abhängig Beschäftigten umsetzen und damit auch die nationale Nachfrage steigt. Diese Entwicklung ist jedoch keineswegs zwingend. Vielmehr zeigt sich in Ländern wie Deutschland oder den USA schon seit Längerem das Phänomen, dass auch in Boom-Zeiten die Reallöhne stagnieren oder gar sinken, Wachstum also mit steigender Einkommensungleichheit einhergeht. Einkommensungleichheit trägt ihrerseits zu Einbrüchen der privaten Nachfrage bei, da, wie bereits erwähnt, reichere Haushalte zur Reinvestitionen ihrer Einkommen neigen, diese also nicht, wie im Falle ärmerer Haushalte, direkt in den Konsum zurückfließen, wie beispielsweise Studien des IWF argumentieren.19 Ohne die entsprechende Nachfrage führten allerdings auch die erhofften Produktivitätsgewinne20 im industriellen Sektor nicht zu langfristigem Wachstum. Produkte müssen schließlich Abnehmer finden, damit die Effizienzsteigerungen der Produktionsapparate sich in realen Gewinnen materialisieren. Für einzelne Länder mag der Export ein Substitut für die Schwäche der Nachfrage auf den Heimatmärkten bilden. Auf der Ebene der Weltwirtschaft handelt es sich dabei freilich um ein wenig nachhaltiges Wirtschaftsmodell, da die Gewinne der Exportnationen durch das »Abgraben« von Nachfrage generiert werden, die dann in den Importmärkten fehlt. In der Wirtschaftsordnung der Gegenwart, die auf Massenkonsum systematisch angewiesen ist, ist die Entwicklung der Nachfrage neben Produktivitätsgewinnen die zweite entscheidende Schnittstelle wirtschaftlichen Wachstums.

Es wirkt vor diesem Hintergrund konsequent, dass die Digitalisierungsprozesse der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart vor allem in konsumnahen Dienstleistungen, wie der Werbung, der Warendistribution und dem Handel, entscheidende Schwerpunkte hatten bzw. haben. Eine wirklich radikale Restrukturierung, die auf qualitativ neuartige Phänomene verweist, hat vor allem in den Distributions- und Konsumtionsapparaten stattgefunden. Der E-Commerce beispielsweise, also der Warenhandel im Internet, wie er von Amazon und tausenden anderen Unternehmen betrieben wird, soll einen immer effizienteren Konsum gewährleisten und damit auch noch die letzten Nachfragereservoirs ausschöpfen, die etwa aufgrund zeitlicher Engpässe bei den Konsumenten einstweilen nicht erschlossen sind. Hierzu werden immer schnellere Distributionsverfahren implementiert und immer neue Apps entwickelt, die das reibungslose Shopping an jedem erdenklichen Ort ermöglichen sollen. Das Gravitationszentrum solcher Rationalisierungsstrategien im Bereich der Konsumtion bilden die benannten Leitunternehmen der Digitalisierung wie Amazon, Google, Apple, Facebook oder Microsoft, die allesamt neue Konsumtionsmodelle innerhalb ihrer komplexen und hochgradig vernetzten Techniksysteme erproben.

Kapitel IIKapitel IIIKapitel IVKapitel V