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Erika Tophoven

Godot hinter Gittern

Eine Hochstaplergeschichte

Mit unveröffentlichten Dokumenten

60 Jahre später …

Berlin

Seit einigen Jahren wohne ich vorwiegend in Berlin, um mich herum Regale und Aktenschränke mit allem, was sich angesammelt hat in einem vierzigjährigen Übersetzerleben. Johanna, eine junge Editionswissenschaftlerin, und ich versuchen zu ordnen, zu katalogisieren: die großen Namen – Beckett, Sarraute, Simon, Robbe-Grillet – und die weniger bekannten – Boulanger, Serreau, Gascar, Cayrol – und die aus früheren Jahrhunderten – Valery Larbaud, Jules ­Renard, Balzac, Rabelais … um nur ein paar Beispiele zu nennen. Am umfangreichsten ist natürlich das Beckett-Archiv, und darin dann die Unterkategorien: Werke, unselbstständige Veröffentlichungen, Biografien, Korrespondenzen … halt!

»Wohin sollen diese Briefe?«, fragt Johanna. »Zu ›Godot‹ oder zum Schriftwechsel?«

Ich nehme die dünne Akte in die Hand, blättere darin … »Ach ja, die alte Geschichte: Lüttringhausen.«

»Lüttring… – was?«, fragt Johanna.

»Lüttringhausen, die Strafanstalt zwischen Remscheid und Wuppertal. Da saß ein Karl Franz Lembke vier Jahre hinter Gittern, und da übersetzte und inszenierte er ›Godot‹. Ob es das Manuskript noch gibt? Ich würde gern mal nach Lüttringhausen fahren und mir diese Justizvollzugsanstalt ansehen. Vielleicht hat man die Spielvorlage von Lembkes Man wartet auf Godot‹ dort noch aufbewahrt.«

Lüttringhausen

Gesagt, getan. Es war im Sommer 2012, ein heißer Augusttag. Die Familie war für ein paar Tage am Niederrhein vereint. Meine Söhne kannten die Lembke-Story in- und auswendig, und doch blieben bei näherer Betrachtung viele Fragen offen. Wir hatten immer nur zugehört, wenn Top sie erzählte. Es war eine abgeschlossene Geschichte, die im Oktober 1954 mit den Briefen aus der Strafanstalt begann und zwei Jahre später mit Lembkes Verschwinden in Paris endete. Was war aus K. Effel (KFL) geworden? Und was war das eigentlich für ein Mann, der alle so für sich eingenommen hatte, dass sie sich spontan für ihn einsetzten, ihm Vertrauen schenkten? Ach, wohl nur ein kleiner Gauner, uninteressant. Aber woher konnte er so gut Französisch? War dieser Kerl, pardon!, unser Übersetzerkollege Lembke vielleicht im Krieg in Frankreich gewesen? Als Soldat? Als Besatzer? Bei der ­Légion étrangère?

Unsere Neugier war geweckt, wir wollten mehr wissen, und kurz entschlossen setzte sich einer meiner Söhne ans Steuer unseres alten Opel, und wir fuhren los, knapp hundert Kilometer nach Lüttringhausen.

Wir hatten uns angemeldet, kamen rasch durch alle Sicherheitsschleusen und wurden von Herrn K. treppauf, treppab durch die ganze Anlage geführt.

Von der »Godot«-Aufführung vor 60 Jahren fanden sich leider keine Spuren mehr. Wir standen in der Anstaltskirche, in der vier Sträflinge 1954 das Stück – »ihr Stück«, wie der Prisonnier in seinem Brief an Beckett geschrieben hatte – gespielt hatten, aber kein Pastor Manker war mehr da, um uns Auskunft zu geben, und auch der Baum, den er zur Stärkung in der Kapelle aufbewahrt hatte, war längst verschwunden. Wir entdeckten schließlich ein paar Sätze in einer ­Chronik, die von dem Ereignis berichteten, aber keine Fotos, keine Spielvorlage.

»Nach 60 Jahren werden die Akten entweder vernichtet, oder sie gehen ans Landesarchiv«, sagte Herr K. beim Sichten der Bestände. »Fragen Sie doch mal in Düsseldorf nach. Vielleicht haben Sie Glück.«

Justizvollzugsanstalt Lüttringhausen

Innenraum der Anstaltskirche

Kaum zurück, erkundigten wir uns beim Landesarchiv, aber was wir dort fanden, waren keine Rezensionen der Aufführung, keine Fotos, keine Spielvorlage, stattdessen ein Strafregister:

In der Strafsache gegen den berufslosen früheren Kellner Karl Franz LEMBKE, ohne festen Wohnsitz, geboren am 9. März 1903 auf Wangerooge, seit dem 17.11.1951 in der Untersuchungshaftanstalt Essen wegen Betruges u. a.

Damit beginnt eine der spannendsten Hochstaplergeschichten unserer Zeit, in der sich 50 Jahre Zeitgeschichte – Erster Weltkrieg, Märzrevolution, Inflation, Putschversuche von rechts und von links, Ansätze zu deutsch-französischer Kooperation und Separatistenbestrebungen, Emigration, Zweiter Weltkrieg, Frankreich unter deutscher Besatzung, Deutschland unter Besatzung der Alliierten, deutsche Nachkriegswünsche und -träume und ein unablässiges »Warten auf …« widerspiegeln.

Ist das derselbe Mann wie auf dem Fahndungsfoto? Wenn Pierre Martin sich auch nicht darauf erkennen will, höchstens seine Krawatte, so sieht Erna B. auf dem ihr vorgelegten Lichtbild sofort den Anzug wieder, von dem sie noch die dazu passende Weste, von bräunlicher Farbe mit Streifen, im Schrank hat. Peter Lensky hat sie bei ihr zurückgelassen, als er am 18. August des Vorjahres nicht zu ihr zurückkehrte. Wir sehen das Jackett auf dem Szenenfoto der »Godot«-Aufführung in der Strafanstalt Lüttringhausen, wo KFL in seiner Rolle als Didi die Anzugjacke trägt.

Auch Wilhelm H. erkennt die Person, die im April 1948 bei ihm war und sich als Dr. Peter Holstenkamp ausgab. Außerdem ist da noch der Hut, der von dem Beschuldigten getragen wird, auch er ­überführt ihn. Bei einer späteren Verhandlung fragt der Richter. »Kann die Schwägerin des Geschädigten Wilhelm H[.] den Hut ­beschreiben, den sie dem Beschuldigten übergab?« Er zeigt ihr ein Foto, und Frau H. bestätigt: »Der Hut, der von dem Beschuldigten getragen wird, ist der Hut, den der Beschuldigte von hier mitgenommen hat.«

Was muss KFL sich später bei der »Godot«-Aufführung in Lüttringhausen gedacht haben, als er Didi und Gogo mit den Hüten spielen lässt:

Wladimir: Der Hut von Lucky! … Muss ein schöner Hut gewesen sein. (Er reicht seinen eigenen Hut Estragon) Da!

Estragon: Was?

Wladimir: Halt fest. (Estragon nimmt Wladimirs Hut. Wladimir setzt Luckys Hut auf. Estragon tauscht seinen Hut mit Wladimirs Hut und reicht seinen eigenen Hut Wladimir. Wladimir nimmt Estragons Hut. Estragon setzt Wladimirs Hut auf. Wladimir tauscht Estragons Hut mit Luckys Hut, den er Estragon reicht … usw.)

In Duisburg bestätigen der Handelsvertreter Hans Br. und seine Ehefrau Elfriede auf dem ihnen vorgelegten Lichtbild jenen Peter Ansorge wiederzuerkennen, der als Untervertreter für Zahnpasta, Bohnerwachs und dergleichen kurze Zeit bei Br. gearbeitet hatte. Auch nach Hannover wird das Lichtbild des Lembke gesandt und Dr. K. vorgelegt, der bestätigt: »Bei der auf dem mir vorgelegten Lichtbild dargestellten Person handelt es sich einwandfrei – ohne jeden Zweifel – um die Person, die sich mir gegenüber als Prof. Dr. Niedermeier ausgab

Er gibt zudem noch eine interessante Personenbeschreibung:

Etwa 45 Jahre, etwa 176 groß, schlanke Gestalt, volles ovales, längliches Gesicht, blassbraune Gesichtsfarbe, graues, nach hinten gekämmtes Haar, ohne Bart, graue? Augen, trug Hornbrille, gerade mittelgroße Nase, mittelgroße anliegende Ohren, vollständige Zähne ohne auffallende Krone, Sprache war hochdeutsch mit ­häufigem Gebrauch von Worten aus der Medizin und Philosophie. Er gab an, dass er als Professor für Philosophie vor 1945 an der ­Berliner Universität tätig war.

Bekleidung: brauner Einreiher-Anzug, schwarze Halbschuhe, buntes Oberhemd mit Krawatte, schwarzer Gummiregenmantel, Kopfbedeckung?, ein sehr starker Raucher, bei einer Gegenüberstellung würde ich diesen »Prof.« wieder erkennen, insbesondere an seinen franz. Sprachkenntnissen.

Wie reagiert der Bruder Ernst Lembke, als ihm das Lichtbild seines Bruders in seiner Wohnung in Stocksee zur Identifizierung vorgelegt wird? Die Kriminalpolizei im nahe gelegenen Bad Segeberg wird gebeten, den Bruder Lembkes über dessen Lebenslauf ausführlich zu vernehmen, da trotz schlüssiger Beweise Lembke immer noch behaupte »Pierre Martin, geb. 17.3.99 in Westhoffen bei Straßburg ­(Elsass)« zu sein. Man solle ihn befragen, ob Lembke früher erheblich krank gewesen sei, eine erbliche geistige Belastung bestehe usw.

Ernst Lembke sagt aus:

Das vorgezeigte Lichtbild kann ich nicht als das meines Bruders Franz erkennen. Ich muss aber bemerken, dass ich ihn schon 15 Jahre nicht mehr gesehen habe.

Über seinen Lebenslauf kann ich praktisch gar nichts sagen, da wir uns aus privaten Gründen schon nach der Lehrzeit – Ende des Ersten Weltkrieges – trennten. Ich weiß nur, dass er noch in Kiel Ingenieur werden wollte. Von Bestrafungen ist mir deshalb auch nichts bekannt. Lichtbilder befinden sich nicht in meinem Besitz.

Eine erbliche geistige Belastung scheidet vollkommen aus.

Über seinen Lebenslauf kann ich nur noch sagen, dass er mit mir zusammen aufgewachsen ist, die höhere Schule besuchte, und zwar in Eutin, und einer der begabtesten Schüler war. Nach der Schulzeit ging er nach Kiel zur Germaniawerft als Praktikant, um später sein Studium zu beginnen.

Der Polizeibeamte aus Bad Segeberg, der Ernst Lembke befragt, bezeichnet diesen als einen wahrheitsliebenden und ordentlichen Menschen: »Es ist nicht anzunehmen, dass er absichtlich ihm bekannte Tatsachen im Bezug auf seinen Bruder verschweigt. Der Vater des Lembke war Polizeibeamter«, wobei er das letzte Wort unterstreicht. Der Polizeiwachtmeister vermerkt außerdem: »Ich habe den Eindruck, als wenn Ernst Lembke gegen seinen Bruder nichts aussagen will. Nach meiner Ansicht haben die anliegenden Lichtbilder eine gewisse Ähnlichkeit mit dem hier wohnenden Ernst Lembke.«

Haft! Haft! Haft! Auf allen Gerichtsdokumenten immer wieder ­dieser Vermerk.

Am 18. März 1949 wird Anklage erhoben gegen Franz Karl Lemb­ke, der nach hartnäckigem wochenlangen Leugnen nunmehr die Be­trugsfälle zugibt, jedoch noch immer bestreitet Franz Karl Lembke zu sein.

Die Hauptverhandlung wird auf den 25. August 1949 festgesetzt. In öffentlicher Sitzung des Schöffengerichts in Karlsruhe wird er im Namen des Gesetzes verurteilt:

Der Angeklagte Franz Karl Lembke aus Wangerooge wird wegen fortgesetzten Betruges, Diebstahls, Ausweispapiermissbrauches und mittelbarer Falschbeurkundung zu einem Jahr und 2 Monaten Gefängnis unter Anrechnung von 4 Monaten der erlittenen Unter­suchungshaft auf die erkannte Strafe und zu den Kosten des Verfahrens verurteilt.

Die Urteilsbegründung umfasst acht Seiten.

Am 29. August legt der Verteidiger gegen das Urteil Berufung ein. Kamerad Karl H[.] wird noch einmal vernommen und gibt folgende Erklärung ab:

… den Hausnamen des Angeklagten habe ich nie gekannt. Ich weiß nur, dass er Peter heißt. Ich habe ihn am 14. August 1946 in Nîmes kennen gelernt, und zwar war ich zu 5 Jahren Zuchthaus wegen angeblicher Kriegsverbrechen von den Franzosen verurteilt worden. Als ich den Angeklagten kennen lernte, war ich noch in Untersuchungshaft. Der Angeklagte war bereits abgeurteilt, und zwar, so viel ich weiß, wegen Spionage zu 15 Jahren Gefängnis oder Zuchthaus. Im Jahre 1947 gelang es dem Angeklagten zu entfliehen. Bevor er floh, habe ich ihn gebeten, meinen Angehörigen in Heeren-Werve Grüße zu bestellen und ihnen zu erzählen, in welcher Situation ich mich befände. Der Angeklagte ist dann auch bei meinem Bruder Wilhelm gewesen.

Dass der Angeklagte sich als Holstenkamp ausgegeben hat, ist mir verständlich, weil er befürchten musste, dass, wenn er seinen richtigen Namen angeben würde, an die Franzosen ausgeliefert würde. Auf die schriftliche Mitteilung meines Bruders, dass ein Holstenkamp von mir Grüße überbracht hätte, habe ich zwar geantwortet, dass ich ihn nicht kenne, ich wusste aber, dass es sich hier um den Angeklagten handelte, wollte diesen und mich jedoch nicht in Gefahr bringen und schrieb deshalb, dass ich Holstenkamp nicht kenne. Der Angeklagte hat, als er bei meinem Bruder war, 2 oder 3 Gnadengesuche für mich gemacht aufgrund deren ich vorzeitig aus dem Zuchthaus entlassen worden bin.

Der Angeklagte hat nicht nur mir, sondern noch anderen etwa 10 Kameraden, die noch in Voruntersuchung im Gefängnis zu Nîmes sich befanden, dadurch geholfen, dass er für gute Verteidigung sorgte und Gesuche für sie aufsetzte. Der Angeklagte sprach perfekt französisch. Ich hatte seinerzeit ehe der Angeklagte aus dem Zuchthaus floh, ihm einen Brief für meine Frau mitgegeben, worin auch unter anderem stand, dass sie ihn so lange bei sich behalten sollte, bis er sich sicher fühlte. Mir ist im Zuchthaus in Nîmes von zwei Stellen aus mitgeteilt worden, dass ich auf Grund der von dem Angeklagten abgefassten Gnadengesuche 10 Monate früher aus dem Zuchthaus entlassen würde. Ich fühle mich keineswegs durch den Angeklagten geschädigt, sondern bin ihm noch weiter zu Dank verpflichtet. Bevor der Angeklagte floh, habe ich ihm noch erklärt, dass er meine Verwandten davor warnen solle, mir von dessen Besuch Mitteilung nach Nîmes zu machen. Ich hatte dem Angeklagten noch gesagt, dass meine Frau, wenn er dort gewesen sei, den Brief an mich, den sie dann schreiben würde, mit der Nr. 100 zu versehen [hätte], ich wüsste dann, dass er dort gewesen wäre.

Einen Tag vorher hatte Karl H[.] an seinen »lieben Kam. Karl« geschrieben:

Morgen muss ich als Zeuge vor dem Amtsgericht Kamen erscheinen, denen werde ich alles wahrheitsgetreu erzählen. – Es grüßt Dich in alter Frische Dein alter Kam. Karl H[.] nebst Familie. Extra Grüße von Fam. W. H[.] + alle andern.

Lembkes Verteidiger Dr. Wehowski legt dem Landgericht Karlsruhe den Brief von Karl H[.] vor, aus welchem hervorgehe, »in welch selbstloser Weise sich der Angeklagte des Schicksals der im französischen Zuchthaus zu Nîmes internierten deutschen Gefangenen angenommen habe. Dieser Brief dürfte dazu beitragen«, so der Verteidiger, »dass man in dem Beschuldigten nicht bloß einen gewissenlosen ­Verbrecher sieht, welcher einfach aus Arbeitsscheu und verbrecherischem Hang seine Straftaten beging, sondern dass auch in ihm ein guter Kern schlummert und er bloß durch die ungünstigen Verhältnisse gezwungen war, die nun gegen ihn vorliegenden Straftaten zu verüben.«

Die Strafkammer sieht das anders:

Die Gefährlichkeit des kriminellen Treibens des Angeklagten wird dadurch besonders unterstrichen, dass er über einen gewissen Grad von Intelligenz und insbesondere über ein nicht zu übersehendes gewandtes Auftreten verfügt, das, gepaart mit einer sprudelnden Beredsamkeit, seinen Eindruck auf menschen- und weltunerfahrene Personen nicht zu verfehlen scheint.

In der Sitzung am 23. November 1949 wird die Berufung auf Kosten Lembkes mit der Maßgabe verworfen, dass die sechs Monate der Unter­suchungshaft auf die Haftstrafe angerechnet werden. Es ergeht das Aufnahmeersuchen an die Landesstrafanstalt Bruchsal: »23.11.49 bis 22.7.1950, 24 Uhr«.

Bruchsal – Lüttringhausen

Anders als in Nîmes und Maastricht gelingt es Lembke nicht, aus der Landesstrafanstalt Bruchsal zu entkommen. Auch finden sich weder intra noch extra muros tatkräftige Fürsprecher wie später in der Strafanstalt Lüttringhausen, die ihm die ersten Schritte in der wiedergewonnenen Freiheit erleichtern, wenn auch stets mit ernüchterndem Resultat!

Verlässt er am 22. Juli 1950 die Strafanstalt Bruchsal ohne vorgefassten Plan? Steht er da plötzlich auf der Straße und weiß nicht wohin? Im Gegenteil:

Lembke beabsichtigt in Bad Reichenhall, Parkallee 48 Wohnung zu nehmen.

So steht es auf dem Entlassungsschein. Eine vornehme Adresse, wie könnte es anders sein. Professor Lensky hatte ein Haus am Chiemsee, und Professor Dr. K. Niedermeier wohnte Bord du Lac 116 in Lausanne-Ouchy. Ob er je in die Parkallee 48 eingezogen ist, lässt sich nicht nachweisen.

Ich begegne Lembke erst wieder im September 1950, das heißt etwa sechs Wochen nach seiner Entlassung aus Bruchsal, und zwar nicht in Bad Reichenhall, sondern in dem ihm vertrauten Frankfurt, wo er bei der Firma W. eine Beschäftigung als Eisverkäufer gefunden hat. Hat KFL seine hochfliegenden Pläne für immer aufgegeben? Ist er ein Straftäter i. R – im Ruhestand oder in Rückfälligkeit? Zunächst sieht es so aus, als wolle er klein und bescheiden wieder anfangen. Aber es wird nicht lange dauern.

Die Inhaberin der Firma W. ist ein Fräulein M. Es gelingt ihm offenbar rasch, ihr Vertrauen zu gewinnen und ihr vorzuspiegeln, er sei in der Lage, durch seine Beziehungen zu den Amerikanern preiswert an eine Popcornmaschine zu kommen, eine ideale Ergänzung zum Eisgeschäft. Man stelle sich vor, Popcorn, in Nachkriegsdeutschland noch so gut wie unbekannt, frisch produziert direkt am Ort, Marke: Schneeflocken.

Um seinem Ansehen in der Firma mehr Glanz zu verleihen, bringt KFL gleichzeitig seine angeblich guten Beziehungen nach Paris ins Spiel und versucht, den Mitinhaber der Firma, Herrn W., zu Pferdewetten zu verleiten. Bei der Bank Deutscher Länder in Frankfurt arbeitet ein Mann namens Burger. Lembke bedient sich dieses Namens und schickt am 4. Oktober 1950 ein fingiertes Telegramm an seinen eigenen Namen unter dem Absender Burger, Frankfurt:

Paris meldet Startänderung auf Montag. Näheres 16 Uhr Bank­telefon. Gruß Burger.

Er will dadurch W. in dem Glauben bestärken, dass er mit Paris in direkter Telefonverbindung stehe. Während W. auf fette Gewinne bei Pferderennen spekuliert, träumt Fräulein M. vom großen Schneeflockengestöber und zögert nicht, dem einfallsreichen jungen Mann zur Anzahlung 600,– DM auszuhändigen.

Noch fallen in Frankfurt keine Flöckchen vom Himmel, aber es wird merklich kühler, sodass KFL es für ratsam hält, den Sommermantel, den Herr W. ihm geliehen hat, nicht zurückzugeben, seine Taschen mit den 600,– DM zu polstern und das Weite zu suchen.