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Hans-Dieter Hermann
Jan Mayer

MAKE THEM GO !

Was wir vom Coaching für Spitzensportler lernen können

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5. überarbeitete Auflage 2020
Copyright © 2014 by Murmann Verlag GmbH – Murmann Publishers, Hamburg

ISBN 978-3-86774-392-1

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Swantje Steinbrink.

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Inhalt

VORWORT

1  »MAKE THEM GO« – DER AUFTRAG

2  GRUPPE? TEAM!

Tut Etwas Außergewöhnliches Miteinander

Teamentwicklung

Forming

Storming

Norming

Performing

3  FÜHRUNG IM SPITZENSPORT

Erfolgsorientierung

Öffentlichkeit des Rollenhandelns

Fristigkeit des Rollenhandelns

Abhängigkeit von anderen – die Herausforderung, Kontrolle dbzugeben

4  SYSTEMISCH DENKEN – TRANSFORMATIONAL FÜHREN

Anlage und Umwelt

Konstruktivismus

Austausch zwischen Selbstorganisierenden Systemen

Transformationale Führung

Rolle und Glaubwürdigkeit

5  VORAUSSETZUNGEN GUTER FÜHRUNG

Motivationsanreize versus Motivationskiller

Schnelles und langsames Denken

Alles ist Kommunikation

Die Kunst des Zuhörens

Die Sprache der Anderen verstehen und sie sprechen lernen

Verstehbare Kommunikation

Sinnstiftende Kommunikation

Vertrauen entwickeln

6  ICH: DIE EIGENE KOMPETENZÜBERZEUGUNG AUFBAUEN UND ENTWICKELN

Im Flow

Die Kompetenzüberzeugung

Optimierung der individuellen Kompetenzüberzeugung

Individuelle Erfahrung: Erfolgreiche Praxis in vivo

Stellvertretende Erfahrung: Erfolgreiche Praxis in sensu

Sprachliche Überzeugung

Angemessene Aktiviertheit

7  DU: DIE KOMPETENZÜBERZEUGUNG ANDERER ENTWICKELN UND STABILISIEREN

Erfolgreiche Praxis in vivo

Erfolgreiche Praxis in sensu

Sprachliche Überzeugung

Erlebensbezug

Individuelle Ziele berücksichtigen

Individuellen Lebensraum und Lebenszeit berücksichtigen

Angemessene Aktiviertheit

8  WIR: KOLLEKTIVE KOMPETENZÜBERZEUGUNG

Gemeinsame Ziele setzen

Teamklima und Gruppendynamik

Entwicklung in sozialen Feldern

Steuerung und Moderation

Literatur

Über die Autoren

VORWORT

Ziel dieses Buches ist es, aus unserer langjährigen Zusammenarbeit mit hochklassigen Trainern unterschiedlicher Sportarten Kriterien des erfolgreichen Führungsverhaltens abzuleiten.

Aus unserer Tätigkeit als praktizierende Sportpsychologen in Nationalmannschaften und Profiteams ergibt sich eine Vielzahl von Ereignissen und Erlebnissen, die zum besseren Verständnis der hier theoretisch vermittelten Inhalte ideal passen würden. Wäre da nicht die Thematik der selbstverständlichen Vertraulichkeit gegenüber den Sportlern und Trainern, mit denen wir zusammenarbeiten oder zusammengearbeitet haben. Ein Dilemma für uns als Autoren. Wir haben folgende Lösung gefunden: Mit Namen versehene Erlebnisse beziehungsweise Anekdoten werden von uns dann verwendet, wenn diese bereits öffentlich – zumindest in ähnlicher Form – in den Medien beschrieben wurden. Eigene Erlebnisse können unserer Auffassung nach nur verfremdet und anonymisiert in das Buch einfließen. Die durch diese Beispiele übermittelten Botschaften bleiben jedoch vollständig erhalten.

Wir bedanken uns für das Verständnis der Leser und würden uns freuen, wenn diese Form des Einblicks in die Welt des Spitzensports dennoch eine hohe Attraktivität bietet.

Nach vier unveränderten Auflagen von Make them go! wird diese fünfte in überarbeiteter Fassung des ursprünglichen Textes vorgelegt. Ein ganz besonderer Dank geht an unsere Kollegin Lena Radke (MA Psychologie) für die aufmerksame und wertvolle Durchsicht des Manuskripts.

Hans-Dieter Hermann

Jan Mayer

1  »MAKE THEM GO« – DER AUFTRAG

Eine neue Saison steht bevor, das Team einer Eishockeybundesligamannschaft ist optimal zusammengestellt, und Fans und Öffentlichkeit wünschen sich nach der verkorksten vergangenen Saison endlich wieder Siege und Erfolg. Vereinsführung und Management haben Geld in die Hand genommen, um optimale Ausgangsbedingungen zu schaffen. Nicht nur das Team selbst, auch das Funktionsteam wurde erweitert – unter anderem um einen Sportpsychologen.

Als Sportpsychologe hat man den Auftrag, die mentalen Prozesse der Spieler durch entsprechende Trainingsverfahren langfristig auszubilden und zu schulen und Trainer durch fachkundige Beratung dabei zu unterstützen, das Zusammenspiel der Athleten als Mannschaft zu optimieren. Neben individuellen Besprechungsterminen und Maßnahmen für Mannschaft oder Kleingruppen ist die Begleitung in Wettkampf und Training ein weiterer Bestandteil der Tätigkeit als Sportpsychologe eines Profiteams.

Das erste Training steht an. Wie sind die Spieler in Form? Wie gut wird das Zusammenspiel sein? Harmoniert die Mannschaft? Gemeinsam mit dem Manager und Teilen des Funktionsteams – Arzt, Physiotherapeut, Zeugwart etc. – beobachten wir das Geschehen. Plötzlich zeigt der Manager Richtung Eisfläche, schaut zu uns herüber und meint: »Make them go! Das ist euer Job. Die müssen dieses Jahr perfekt funktionieren!«, dreht sich um und verlässt die Eishalle.

»Make them go!« – das bringt die Anforderungen, die an Trainer im Spitzensport gestellt werden, knapp auf den Punkt: andere zur Höchstleistung bringen! Andere zur Höchstleistung bringen? Nein, es geht darum, Bedingungen zu schaffen, die anderen dabei helfen, sich zur Höchstleistung zu entwickeln und aus individuellen Sportlern ein effektives Team entstehen zu lassen.

Die Frage ist nur: Wie gelingt das? Wie bringt man eine Gruppe von Sportlern dazu, gemeinsam bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu gehen? Und gibt es allgemeingültige Ansätze, sodass sich Erkenntnisse aus dem Spitzensport auf andere Bereiche übertragen lassen, in denen gleichfalls Höchstleistung im Team gefragt ist? Tatsächlich sind wir im Laufe unserer Zusammenarbeit mit hochklassigen Trainern von National- und Vereinsmannschaften oder Profiklubs unterschiedlicher Sportarten auf vergleichbare, sogar identische Kriterien hinsichtlich des erfolgreichen Führungsverhaltens gestoßen. Bei unserer Beobachtung konnten wir feststellen, dass es gar nicht so sehr darum geht, was ein Trainer mit Spielern oder Mannschaften im Einzelnen macht, sondern welche grundlegenden Einstellungen und Grundhaltungen er an den Tag legt. Sie machen den Unterschied, heben die erfolgreichen von den weniger erfolgreichen Trainern ab.

Die Erkenntnisse, die wir hier präsentieren wollen, sind weniger das Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen und erheben auch keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit. Wir geben hier unsere persönlichen, aus der Erfahrung gewonnenen Einschätzungen wieder, indem wir – untermauert durch ein wissenschaftlich fundiertes theoretisches Gerüst – die aus unserer Sicht wichtigsten Grundhaltungen zeigen, die erfolgreiche Trainer kennzeichnen.

In diesem Buch geht es um Höchstleistungen. Eine grundlegende Voraussetzung für die im Spitzensport zu erbringende Höchstleistung ist die Entwicklung einer stabilen Kompetenzüberzeugung, das heißt einer Gewissheit, dass man auch hohen Anforderungen kompetent und leistungsfähig begegnen kann. Kontinuierliche Höchstleistung von Sportlern und Teams beginnt mit der Kompetenzüberzeugung ihrer Trainer. Wenn Trainer nicht von der eigenen Kompetenz, eine Mannschaft erfolgreich führen zu können, überzeugt sind, werden sie sich schwertun, eine Kompetenzüberzeugung bei ihren Sportlern zu entwickeln. Daraus ergibt sich, dass der Ausgangspunkt einer erfolgreichen Trainerarbeit immer die Trainer selbst sind. Alle langfristig erfolgreichen Coaches, mit denen wir zusammenarbeiten durften, haben verinnerlicht, dass konstruktives Arbeiten mit Höchstleistern nur gelingen kann, wenn sie, die Trainer, ihre eigenen Ressourcen und Kompetenzen entsprechend ausbilden und pflegen. Anders ausgedrückt: Selbstkompetenz, das heißt die Kompetenz, sich selbst anforderungsgerecht zu regulieren, ist eine Fertigkeit, die sich ein Trainer im ersten Schritt aneignen muss.

Story: Fußballtrainer

Der Ablauf der Halbzeitbesprechung war genau geplant. In den ersten fünf Minuten analysieren die Trainer der Profifußballmannschaft die gespielte erste Hälfte in der Trainerkabine. Anschließend wird besprochen, welche taktischen Informationen und Anweisungen der Mannschaft oder einzelnen Mannschaftsteilen gegeben werden sollen. Immer fünf Minuten vor dem Anpfiff zur nächsten Halbzeit betritt das Trainerteam die Mannschaftskabine, und es erfolgt zunächst die Mannschaftsansprache. Danach gibt es noch Informationen für einzelne Mannschaftsteile, sofern dies erforderlich ist. Doch diesmal läuft es anders. Ein entscheidendes Spiel. Pünktlich – fünf Minuten vor Wiederanpfiff der Halbzeit – versammelt sich das Trainerteam vor der Mannschaftskabine. Der Trainer nimmt die Türklinke in die Hand – hält inne –, lässt sie wieder los und sagt: »Ich bin noch nicht so weit …« Geht noch mal in Gedanken versunken eine Runde durch den Kabinengang. Er kommt nach einigen Sekunden zurück, sagt: »Let’s go!« und betritt die Kabine, um die Mannschaftsansprache zu halten.

Der Trainer im Beispiel wusste, dass viel auf dem Spiel stand und dass er sich und seine »innere Landschaft« klären und Selbstkompetenz aufbauen musste, um seine Aufgabe in diesem Moment optimal zu lösen. Die Herausforderung besteht darin, in solch einer entscheidenden Situation möglichst jeden einzelnen Spieler zu erreichen. Um hier angemessen aufzutreten, ist die Kompetenzüberzeugung des Trainers gefragt. Alle Spieler schauen auf ihn – noch bevor er etwas sagt, wirkt er auf die Spieler: kompetent und souverän oder unsicher und zögerlich.

Um als Trainer erfolgreich zu sein, reicht es allerdings nicht nur aus, Gewissheit in die eigene Kompetenz zu entwickeln und auszustrahlen. Der Trainer muss sich zusätzlich intensiv mit den einzelnen Spielern beschäftigen, wenn er sie erreichen will.

Kontinuierlich erfolgreiche Trainer haben ein großes Interesse an ihren Sportlern und beschäftigen sich viel mit ihnen. Auf Vicente del Bosque, den unübertroffen erfolgreichen Trainer (unter anderem Weltmeister mit der spanischen Fußballnationalmannschaft), geht das Zitat zurück: »Am meisten Autorität habe ich doch, wenn ich mit den Spielern spreche und sie in meine Gedanken einbeziehe.« 1

Erst wenn Trainer eine Verbindung zu jedem einzelnen Spieler aufgebaut haben, wissen sie, mit welchen Maßnahmen sie auch deren Kompetenzüberzeugung entwickeln und stabilisieren können.

Neben der individuellen muss im Team auch eine kollektive Kompetenzüberzeugung entstehen: die Gewissheit, gemeinsam erfolgreich agieren zu können. Dafür müssen mit geeigneten Maßnahmen die einzelnen, von sich selbst überzeugten Höchstleister zu einer Einheit geformt werden. Um eine kontinuierliche Höchstleistung des Teams zu ermöglichen, ist weniger die starke Hand oder eine geschliffene Rhetorik gefragt als vielmehr eine behutsame und werteorientierte Steuerung der Teamprozesse im Hintergrund, die letztlich zu einem Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten führen soll. Darauf wies Joachim Löw, Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft, in einem Interview hin: »Ein respektvolles, vertrauensvolles Miteinander in unserem Team ist mir sehr wichtig, Verlässlichkeit und Vertrauen sind in diesem Zusammenhang wesentliche Faktoren. Offene Kommunikation auf Augenhöhe, Kritikfähigkeit, Transparenz und Toleranz, das haben wir vorgelebt, aber es dauert eine Weile, bis so etwas von allen, den Spielern und auch den Betreuern, verinnerlicht wird. Bis alle einander vertrauen.« 2

Wir werden im Folgenden Schritt für Schritt die wichtigsten Führungsmerkmale aufzeigen, die zur Entwicklung einer kontinuierlich hohen Teamleistung beitragen. Beginnen wollen wir das Projekt »Make them go!« zunächst mit den Spezifikationen und Besonderheiten von Spitzenteams im Hochleistungssport. Aus unserer Sicht sind dies wichtige Merkmale, aus denen sich die nächsten Schritte ableiten.

1 Auf der Pressekonferenz vor dem Viertelfinalspiel Spanien gegen Frankreich am 23.06.2012 bei der EM 2012.

2 Vgl. Zeit vom 31.05.2012.