Autor: Barry Venning

Übersetzung: Dr. Martin Goch

 

Layout: Baseline Co. Ltd,

61A-63A Vo Van Tan St.

4. Etage

Distrikt 3, Ho Chi Minh City

Vietnam

 

ISBN: 978-1-78310-625-7

 

© Confidential Concepts, worldwide, USA

© Parkstone Press Ltd, New York, USA

 

Weltweit alle Rechte vorbehalten

 

Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

CONSTABLE

Sein Leben und seine Meisterwerke

 

 

 

Barry Venning

Inhalt

 

 

Einleitung

Frühe Jahre

Freunde und Mentoren

Die Royal Academy

Eine natürliche Malerei

Reisen und Touren

Porträts

Die bäuerlichen Landschaften

Veränderungen

Die Gemälde vom Stour

Die spätere Laufbahn

DIE MEISTERWERKE

Chronologie

Ausgewählte Bibliographie

LISTE DER ABBILDUNGEN

Ann und Mary Constable, um 1810-1814,
Öl auf Leinwand, 90 x 69,5 cm. Trustees of the Portsmouth Estates

 

 

Einleitung

 

 

John Constable ist wohl der beliebteste aller englischen Maler. Nur sein großer Zeitgenosse J. M. W. Turner reicht an seinen Ruhm und seine Popularität heran. Wie bei Turner beruht Constables Ruf auf einer Hand voll weithin bekannter Gemälde, hauptsächlich Landschaften aus Suffolk wie Die Flatford-Mühle oder Der Heuwagen. Vor allem das letztgenannte Bild ist so bekannt, dass es zuweilen den Rest seines Werkes überschattet. Wir wissen jedoch aus Constables Aufzeichnungen, dass er von seinem Gemälde Die Stratford-Mühle (zu dem eine Vorstudie abgebildet ist) eine höhere Meinung hatte und einmal erklärte, dass Die Kathedrale von Salisbury von den Wiesen aus besser als Der Heuwagen das „volle Ausmaß“ seiner Kunst verkörpere. Trotz seiner Bekanntheit wird sogar Der Heuwagen missverstanden. Das Bild ist so vertraut, dass der heutige Betrachter kaum in der Lage ist, seine ungeheure Wirkung auf einige der größten französischen Maler der damaligen Zeit zu erfassen. Um Constables Leistung wirklich würdigen zu können, müssen zunächst einige der sein Werk betreffenden Fehleinschätzungen aus dem Weg geräumt werden.

Constable war ein vielseitigerer Maler, als viele seiner jetzigen Bewunderer denken. Er hatte zweifellos eine tiefe und sentimentale Beziehung zur Landschaft Suffolks und anders als zahlreiche seiner Kollegen ging er nicht auf Reisen, um Material zu sammeln, aber seine Freundschaften und sein Familienleben nötigten ihn zum Reisen, was wiederum zu einer großen Stofffülle in seinem Werk, das den Lake District, Hampstead, Kent, Dorset, Sussex und Salisbury umfasst, führte. Viele der eindrucksvollen Arbeiten seiner letzten Jahre, darunter Hadleigh Castle und Die Eröffnung der Waterloo Bridge, unterscheiden sich erheblich von den Landschaften Suffolks, während gleichzeitig seine Leistungen auf dem schwierigen und umkämpften Feld der Marinemalerei stets unterbewertet werden.

Ein sich hartnäckig haltender Irrtum über Constables Werk besagt, dass es irgendwie „kunstlos“ und nicht von Theorien geprägt sei – dass er als Reaktion auf die Schönheit des ländlichen England einfach „malte, was er sah“. Tatsächlich aber war er ein subtiler, nachdenklicher Künstler, dessen Naturalismus auf dem Fundament eines unablässigen Studiums der Natur, der alten Meister und weitreichender Lektüre hart erarbeitet war. Constable verschmähte die Theorie keineswegs. Wir wissen, dass seine Bibliothek eine große Menge theoretischer Texte enthielt, von den klassischen Schriften von Cennino Cennini, Leonardo, Roger de Piles und Gerard de Lairesse bis hin zu jüngeren Arbeiten von Sir Joshua Reynolds und Henry Fuseli. Was die Landschaftsmalerei betraf, so gab es nur wenige wichtige Bücher, die seiner Aufmerksamkeit entgingen und darüber hinaus verfügte er über tiefe Kenntnisse der zeitgenössischen ästhetischen Debatten. In einer späten Phase seines Lebens hielt er sogar selbst Vorlesungen über diese Themen. Auch in Wissenschaft, Dichtung, Geschichte und Theologie war er äußerst beschlagen, und wie Turner brachte er diesen Wissensfundus in seinen Bildern zum Einsatz. Die Breite seiner Intelligenz und die Klarheit seiner Ideen lassen sich schlicht nicht mit der Sicht Constables als eines naiven Realisten in Einklang bringen. Man vergisst ferner leicht, dass Constable ein professioneller Maler war und der Erfolg und die Reputation, die er anstrebte, allein in London im Umfeld der Royal Academy zu erlangen waren. Constable hätte seinen Lebensunterhalt wie sein Zeitgenosse John Crome aus Norwich in Suffolk verdienen können, der sich auf sein regelmäßiges Einkommen als Zeichenlehrer verließ, während Constable einen beruflichen Status anstrebte, der zu der gesellschaftlichen Stellung seiner Familie passte. Crome war schließlich nur der Sohn eines Webergesellen, der ein Wirtshaus unterhielt und seine Lehrjahre bei einem Kutschen- und Schildermaler absolviert hatte.

Constable hatte eine sehr anspruchsvolle Auffassung von der Landschaftsmalerei und verfolgte unbeirrt seinen Kurs. Gleichzeitig aber sehnte er sich nach Anerkennung und versuchte, sie mit unterschiedlichen Strategien zu erlangen: er vergrößerte den Maßstab seiner Bilder, variierte seine Stoffe und passte seine Gemälde manchmal den Erwartungen der Royal Academy an. Er verfügte über ein unabhängiges Einkommen, das indes nicht ausreichte, um seine Familie zu unterhalten, so dass er zuweilen gezwungen war, Duplikate seiner erfolgreichsten Landschaften zu verkaufen und sogar ihm nicht liegende Auftragsarbeiten anzunehmen. Das Wissen um diese Konflikte zwischen seinen erklärten Absichten, seinem beruflichen Ehrgeiz und seiner Verantwortung als Familienoberhaupt ist für das Verständnis von Constables Laufbahn unabdingbar.

Landkarte der Grenze zwischen Essex und Suffolk mit Dedham,
Flatfort und East Bergholt, 1805

 

 

Frühe Jahre

 

 

John Constable wurde am 11. Juni 1776 in East Bergholt, Suffolk, als viertes Kind von Ann und Golding Constable geboren. Sein Vater war ein wohlhabender örtlicher Getreidehändler, der 1764 dieses Gewerbe, das Pachtrecht über die Flatford-Mühle, zwei Schiffe, einen Kai für die Kornverladung in Mistley, einen Kohlenhof in Brantham und fruchtbares Land von einem Onkel geerbt hatte. Das in der Mühle gemahlene Getreide wurde mit Kähnen den Stour hinab bis zur Mündung und von dort aus bis nach London transportiert. Auf dem Rückweg luden die Schiffe Kohle und andere Produkte, um Goldings Einkommen weiter zu vergrößern. Diese prosaischen Tatsachen sind wichtig, da das Familiengeschäft Constable sowohl die Mittel, die sein mageres Einkommen als Maler ergänzten als auch, was ebenso wichtig ist, ein Repertoire an vertrauten Stoffen verschaffte. ‘Constable Country’ (wie es heute genannt wird) umfasst nur knapp 20 Quadratkilometer des Stour-Tals an der Grenze von Suffolk und Essex (Frontispiz). Um das Jahr 1833 herum beschrieb Constable in einem Text zu einem Stich seines Geburtshauses East Bergholt als

„...hübsch in dem kultiviertesten Teil Suffolks, in einem Teil mit Blick über das fruchtbare Stour-Tal, gelegen. Die Schönheit der umgebenden Landschaft, die sanfte Abschüssigkeit, die üppigen, mit Herden gesprenkelten flachen Wiesen und das urbar gemachte Hochland, die Wälder und Flüsse, die zahlreichen verstreuten Dörfer und Kirchen, mit Bauernhöfen und malerischen Kotten, all dies verleiht dieser besonderen Gegend eine angenehme Lage und Eleganz, die andernorts kaum zu finden ist.“

Constable gestand aber auch ein, dass die Landschaft in ihm Erinnerungen heraufbeschwor, die sein Publikum nicht teilen konnte: sie war ein Zeuge „...der glücklichen Jahre des Morgens seines Lebens“ gewesen und wurde während seines Heranwachsens der Ort, an dem

„...er früh jene traf, durch deren wertvolle und ermutigende Freundschaft er eingeladen wurde, seinen ersten jugendlichen Wunsch zu verfolgen“, Maler zu werden. Constable war überzeugt, dass die Landschaft und ihre Assoziation mit seiner „sorglosen Jungenzeit“ ihn zu einem Maler gemacht hatten.

Wie um diesen Punkt zu betonen, nahm Constable in den Stich seines Elternhauses einen unter freiem Himmel zeichnenden Künstler auf.

Schleuse und Mühle in Dedham, um 1820,
Öl auf Leinwand, 70 x 90,5 cm. Sammlung David Thomson

 

 

Je mehr seine Sorgen und seine Verantwortung wuchsen, desto nostalgischer blickte Constable auf seine „sorglose Jungenzeit“ zurück. Seine frühen Jahre scheinen, abgesehen von einem unglücklichen Zwischenspiel in der Schule in Lavenham, tatsächlich fast idyllisch gewesen zu sein. Den Großteil seiner Bildung erhielt er an der Dedham Grammar School, wo er sich laut seines Biographen C. R. Leslie stärker in der Zeichenkunst als in akademischen Fächern auszeichnete. Sein Vater sah für ihn wahrscheinlich eine Tätigkeit als Pfarrer – eine angesehene und lukrative Tätigkeit – vor, aber Johns halbherzige Einstellung gegenüber seinen Studien veranlasste seinen Vater 1793, ihn stattdessen zum Müller ausbilden zu lassen. Zu dieser Zeit hatte Constable aber bereits einen großen Enthusiasmus für die Malerei entwickelt. So hatte er beispielsweise mit seinem Taschenmesser einen Umriss der Mühle von East Bergholt auf einen ihrer Balken geschnitzt. Später sollte diese Mühle in dem Bild Golding Constables Küchengarten am Horizont erscheinen. Zunächst aber war sie für ein Jahr Constables Arbeitsplatz. Die meisten seiner Bewunderer sind sich einig, dass diese Zeit sich später auszahlte, weil er bei dieser Tätigkeit, und dies war eine gute Vorbereitung auf seine späteren Wolken- und Himmelsstudien, stets aufmerksam das Wetter beobachten musste,

Sein engster Freund war zu dieser Zeit John Dunthorne, der örtliche Klempner, Glaser und Dorfpolizist, über den C. R. Leslie etwas herablassend schrieb, dass er „...über mehr Intelligenz verfügte, als man normalerweise in der gesellschaftlichen Klasse, zu der er gehörte, findet“. Dunthornes Liebe zur Landschaftsmalerei glich der Constables und vielleicht pflanzte er dem jungen Mann eine frühe Begeisterung für Studien unter freiem Himmel ein. Constables Stecher David Lucas beschrieb die beiden als

„...sehr methodisch bei ihren Übungen, bei denen sie ihre Farbpaletten auf die Felder mitbrachten und an jedem Tag jeweils nur eine Ansicht malten. Wenn sich die Schatten der Objekte veränderten, verschoben sie ihre Skizzenarbeit auf dieselbe Zeit des nächsten Tages.“

Es gibt keinen Grund, an diesem Bericht zu zweifeln, da er ihn vermutlich von Constable selbst hatte, obwohl er durchaus bemerkenswert wie die Schilderungen von Constables späterer Pleinair-Arbeit an der Ansicht von Dedham klingt; aber es ist durchaus möglich, dass er einfach früh entwickelte Gewohnheiten beibehielt. Constables jugendliche Fähigkeiten waren jedoch, anders als die Turners, keineswegs überwältigend und es sollte noch bis in die Mitte seines dritten Lebensjahrzehnts dauern, bis seine Naturstudien sichtbare Früchte trugen.

Constable und Dunthorne entfremdeten sich schließlich, zum Teil deshalb, weil Dunthorne sehr unkonventionell (er hatte seine Frau durch eine Zeitungsanzeige kennen gelernt) und ein bekannter Atheist war. Die Freundschaft mit ihm wäre für Constable recht peinlich gewesen, als er um die Enkelin des örtlichen Pfarrers warb. Eine familiäre Verbindung blieb jedoch bestehen: Dunthornes Sohn Johnny wurde 1824 Constables Atelierhelfer und blieb fünf Jahre lang bei ihm. Es gehörte unter anderem zu seinen Aufgaben, Kopien von den erfolgreichsten Bildern seines Meisters anzufertigen, darunter offensichtlich Duplikate von Die Schleuse, Die Kathedrale von Salisbury von den Bischofsgründen aus und Der Leuchtturm von Harwich.

Am Fluss; Schiffe bei Sonnenuntergang, um 1800,
Federzeichnung mit grauer Tusche und Tinte, 20,1 x 25,2 cm,
Victoria and Albert Museum, London

Eingeritzter Umriss einer Windmühle, Fragment der Mühle auf der Heide bei East Bergholt,
In Holz geritzt, 29,5 x 39,5 cm. The Minories, Colchester

Thomas Gainsborough, Cornard Wood, 1748,
Öl auf Leinwand, 121,9 x 154,9 cm,
National Gallery, London

 

 

Freunde und Mentoren

 

 

Im späteren 18. und frühen 19. Jahrhundert erhielten angehende Künstler nur einen Teil ihrer Ausbildung in offiziellen Bildungseinrichtungen. Constable besuchte wie viele vor ihm die Schule der Royal Academy, wo man ihn das Zeichnen nach Drucken, Gipsformen und der Natur lehrte. Dieser Herangehensweise waren jedoch ernsthafte Nachteile zu Eigen. In ihrem Bestreben, die Würde des Berufs des Malers zu betonen, vernachlässigte die Royal Academy die einst von den Gilden gelehrten handwerklichen Fähigkeiten. Die jungen Künstler hörten Vorlesungen über Geschichte, Literatur und die Theorie der Malerei, erhielten bis 1819 jedoch keine systematische Unterweisung bezüglich der Verwendung von Ölfarben. Constables Kollege William Etty bemühte sich, diese Lücke zu schließen und zahlte Sir Thomas Lawrence 100 Guineas, um für ein Jahr als Schüler angenommen zu werden. Lawrences Lehrmethoden waren allerdings sehr ungenügend, so dass der sich weitgehend selbst überlassene Etty nach dem Schema Versuch und Irrtum vorgehen musste und hauptsächlich unbefriedigende Resultate erzielte.

Angehende Landschaftsmaler waren besonders benachteiligt. Die Ausbildung an der Royal Academy wollte vor allem Historienmaler hervorbringen, es gab keine speziell für die Landschaftsmalerei gedachten Lehrinhalte. In dieser Hinsicht verlief die Ausbildung von Caspar David Friedrich, eines Zeitgenossen Constables, vollkommen anders: in Kopenhagen, einer der besten Akademien in ganz Nord-Europa, überwachte und förderte der führende dänische Landschaftsmaler Jens Juel seine Fortschritte. In England blieb es den Künstlern selbst überlassen, auf informelle Weise die Ausbildung an der Royal Academy zu ergänzen. Dies ist einer der Gründe für die überragende Bedeutung der frühesten Freunde und Mentoren Constables.

Im Jahr 1796 hielt Constable sich bei Verwandten seiner Mutter, der Familie Aliens in Edmonton, auf, wo er die Bekanntschaft von John Thomas Smith, einem als ’Antiquity Smith’ bekannten Lehrer, Künstler, Schriftsteller und Altertumsforscher, machte. Smith genoss einen gewissen Ruhm als Biograph von Joseph Nollekens, einem Bildhauer aus dem 18. Jahrhundert, und war ein Kenner der Theorie der Landschaftsmalerei, der 1797 mit Bemerkungen zur bäuerlichen Landschaft seinen eigenen kleinen Beitrag geleistet hatte. Constable half dabei, Subskriptionen für dieses Buch einzuwerben, während Smith sich zusammen mit seinem Freund John Cranch, einem Maler, der Ausbildung des jungen Mannes annahm. Cranch versorgte Constable nicht nur mit einer Liste der Bücher, die er für einen Künstler für unverzichtbar hielt, sondern auch mit wichtigen Hinweisen. John Thomas Smith bestärkte Constable in seiner Liebe für einfache, häusliche Szenen und schulte ihn an der überragenden Kunst eines Thomas Gainsborough. Schließlich erwies er Constable noch einen weiteren großen Dienst, indem er 1798 Golding Constable davon überzeugen konnte, seinem Sohn zu gestatten, die Laufbahn eines Malers einzuschlagen.

Die durch die Arbeit mit Dunthorne erworbene Gewohnheit, unter freiem Himmel zu malen, wurde 1797 durch die Begegnung mit George Frost, einem wesentlich älteren Amateurmaler mit solidem lokalen Ansehen, verstärkt. Frost liebte die Landschaft von Suffolk und verfügte gleichzeitig über detaillierte Kenntnisse von Gainsboroughs Werk. Er sammelte seine Zeichnungen, imitierte seinen Stil und erforschte die Orte in der Umgebung des Flusses Orwell, an denen Gainsborough vermutlich gearbeitet hatte. Frost und Smith förderten gemeinsam Constables Begeisterung für Gainsborough, bis er für den jungen Maler zu einer Figur von überragender Bedeutung wurde. Er nahm für Constable gewissermaßen die Funktion eines Rollenmodells an, da er bewiesen hatte, dass es für einen lokal verwurzelten Landschaftsmaler möglich war, einer der angesehenen Meister der Britischen Schule der Malerei zu werden. Gainsboroughs frühes Werk war eine Art Lektion in der Kunst, Studien unter freiem Himmel mit den Anforderungen eines vollendeten Gemäldes zu vereinbaren. Er demonstrierte ferner, dass die Anhänglichkeit an bestimmte, an sich nicht herausragende Landschaften und Orte Gemälde hervorbringen konnte, deren Bedeutung die lokale Ebene weit überschritt. Als Constable 1799 die Region um Ipswich als eine „...besonders schöne Gegend für einen Landschaftsmaler; ich sehe in jeder Hecke und jedem hohlen Baum Gainsborough“ beschrieb, könnte er tief in seinem Inneren bereits an seine eigene Anhänglichkeit an East Bergholt gedacht haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte er eine sehr differenzierte Haltung gegenüber Gainsborough und lobte uneingeschränkt nur seine frühen naturalistischen Landschaften wie Cornard Wood, ein von David Pike Watts, einem Onkel mütterlicherseits, erworbenes Bild. Gainsboroughs spätere Werke hielt er für zu maniriert – ein Urteil, dass er zu einem späteren Zeitpunkt, als auch seine Bilder vom strikten Kanon des Naturalismus abwichen, revidierte.

Frost, Smith und Dunthorne spielten allesamt für die Entwicklung von Constables Ästhetik eine bedeutsame Rolle, der wichtigste seiner frühen Mentoren war jedoch Sir George Beaumont, dem er 1795 begegnete, als Beaumont seine in Dedham lebende verwitwete Mutter besuchte. Trotz seines beeindruckenden Rufs als Sammler und Kunstkenner machte Beaumont sich in der Royal Academy viele Feinde und hat auch von Historikern eine schlechte Note erhalten, da er ein unversöhnlicher Gegner Turners war. Er befürchtete, dass Turners Extravaganzen junge englische Maler von der Natur ablenken würden. Turner hielt Beaumont seinerseits für einen

„...Angeber, dessen ganzes Wissen in einigen praktischen Termini und dessen großer Stolz darin besteht, die schönen Stücke seiner eigenen Sammlung hervorzuheben und der gleichzeitig eine demütige Zustimmung zu seinen Ansichten erwartet“.

Beaumont verhielt sich gegenüber Constable, der noch viel zu lernen hatte, jedoch sehr großzügig und anspornend. Constable zeigte dem Kunstliebhaber einige sorgfältige, aber wenig aufregende Kopien von Stichen nach den Raphael-Kartons und Beaumont „...zeigte sich angetan“, vermutlich mehr aus Freundlichkeit als aus Überzeugung. Im Gegenzug zeigte er Constable Claude Lorrains Landschaft mit Hagar und dem Engel, ein Werk, das er so hoch schätzte, dass er es bei all seinen Reisen mit sich führte. Constable brauchte keine „demütige Zustimmung“ zu Beaumonts Ansichten vorzutäuschen, da der Lorrain das erste wirklich große Gemälde gewesen sein dürfte, das er je sah und das bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterließ. Sein Einfluss ist in zwei ein Vierteljahrhundert auseinander liegenden Versionen von Tallandschaft bei Dedham deutlich zu erkennen: das größere Bild aus dem Jahr 1828 könnte durchaus als ein Tribut an den im Jahr zuvor verstorbenen Beaumont gedacht gewesen sein.

Für die meisten Autoren und Maler in Constables Generation verkörperte Claude Lorrain den Gipfelpunkt der Landschaftsmalerei. Während des gesamten 18. Jahrhunderts stürzten sich englische Sammler auf seine Bilder, sobald sie zum Verkauf standen, und 1811 konnte Turner selbstbewusst behaupten, dass sich die besten Exemplare auf seiner Seite des Ärmelkanals befanden. Hierzu gehörten Lorrains Bilder, die Constable in William Beckfords Residenz in London sah sowie die beiden im Besitz von Julius Angerstein befindlichen Hafenansichten, die Constable studierte und später in den Ölskizzen von Flatford aus den Jahren 1810 und 1811 und dem 1815 ausgestellten Schiffsbau verarbeitete. Am stärksten nahmen Constable jedoch die kleineren, informellen ländlichen Bilder aus Beaumonts Besitz gefangen, wie z.B. Hagar oder Landschaft mit Ziegenhirt.

Beaumonts Bedeutung überstieg die Glanzstücke seiner Sammlung. Er war selbst ein fähiger Amateurmaler, der in der Akademie ausstellte. Daher konnte er auch praktischen Rat geben und Joseph Farington, der mit beiden befreundet war, identifizierte in den Arbeiten des jungen Constable klar Beaumonts Einfluss. Im Jahr 1801 schrieb er, Constables Bäume seien „...denen Sir George Beaumonts so ähnlich, dass man sie verwechseln könnte“. Farington, ein Landschaftsmaler und Gründungsmitglied der Royal Academy, ist heute hauptsächlich wegen seiner Tagebücher bekannt – einer außergewöhnlichen Chronik der etablierten englischen Kunstwelt der damaligen Zeit. Wenige Männer waren besser geeignet, das Leben der Akademie aufzuzeichnen, denn Farington war ein geschickter Politiker, der von allen Seiten vertrauliche Informationen bekam. Vor allem war er ein loyaler Freund Constables. Er lieh ihm Bilder, um sie zu kopieren – darunter einen Richard Wilson, auf den Farington sehr große Stücke hielt – wurde aber vor allem Constables Führer durch all die Schwierigkeiten, protokollarischen Anforderungen und politischen Konflikte der Royal Academy.

Claude Lorrain, Landschaft mit Hagar und dem Engel, um 1646,
Öl auf Leinwand, 52,2 x 42,3 cm,
National Gallery, London