Text: nach Georges Riat

Übersetzung: Caroline Eydam

 

Redaktion der deutschen Veröffentlichung: Klaus H. Carl

 

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ISBN: 978-1-78310-659-2

Georges Riat

 

 

 

Gustave Courbet

 

 

 

 

 

 

Inhalt

 

 

Einführung: Kindheit und Jugend in Ornans und Besançon

I. Die Anfänge

Paris und die ersten Salons

Die ersten Ausstellungen in Paris

Die Anfänge des Realismus

Die ersten Erfolge des Realismus

Courbets erste Erfolge

Courbet als sozialistischer Maler

II. Der Ruhm

Courbet, im Mittelpunkt der Polemiken

Von der Weltausstellung zur individuellen Ausstellung

Die Polemiken um den Realismus

Courbet zwischen Erfolg und Skandal

III. Der Niedergang

Der Anfang vom Ende

Die Affaire und die Frau mit Papagei

Courbet in den Zeiten der Kommune

Der Fall

Die Festnahme

Das Exil

Das Ende

Chronologie

Liste der Abbildungen

1. Selbstbildnis, um 1850-1853.

Öl auf Leinwand, 71,5 x 59 cm.

Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen.

 

 

Einführung: Kindheit und Jugend
in Ornans und Besançon

 

 

Der Maler Jean-Désiré-Gustave Courbet wurde am 10. Juni 1819 in Ornans geboren. In den meisten Biographien Courbets ist zu lesen, dass er als Bauernsohn aufgewachsen war und selbst auch Bauer gewesen sei. Die erste Behauptung bedarf einer Ergänzung, die zweite ist falsch. Sein Vater, Régis Courbet, war ein wohlhabender Grundeigentümer. Er besaß auf dem „Plateau der Tausend Seen“ Ländereien, die, wie in der Franche-Comté verbreitet, in kleine Parzellen aufgeteilt waren und sich über die Gemeinden Flagey, Silley und Chantrans erstreckten.

 

In einem Brief an den Kunstkritiker Jules Champfleury beschreibt der Schriftsteller Max Buchon ihn mit blumigen und lebendigen Worten:

 

„Der Vater ist sehr viel idealistischer, ein unablässiger Erzähler, ein Naturliebhaber wie er im Buche steht, nüchtern wie ein Priester, von großer Statur, mit hoch erhobenem Haupt, ein hübscher Bursche in jungen Jahren, äußerst liebevoll, ein Mensch, für den Zeit keine Bedeutung hat, der sehr auf seine Kleidung achtet, der stets nach neuen agronomischen Ideen und Techniken sucht, Erfinder seiner persönlichen Egge, und der, gegen den Widerstand seiner Frau und seiner Töchter, Landwirtschaft betreibt, die ihm nicht viel einbringt.“

 

Die Erinnerung an diese perfektionierte Egge, die die gesamte Aussaat zerstörte, und jenes fünfrädrige Auto, dessen letztes Rad, am hinteren Ende des Fahrzeugs angebracht, als Auflage für Körbe mit Jagdvorräten diente, hat sich den Alten tief ins Gedächtnis gegraben. Diese und andere Erfindungen derselben Art haben ihm den Spitznamen „cudot“ eingebracht, der im regionalen Dialekt eine Person mit Flausen im Kopf bezeichnet. Kurzum, ein vortrefflicher Mensch, der, wäre er praktischer veranlagt gewesen, seinen Boden verpachten und als Junker hätte leben können.

 

Ganz anders verhielt es sich mit der Mutter Courbets, Sylvie Oudot, verwandt mit dem Juristen Oudot, der Professor an der juristischen Fakultät von Paris gewesen war. Sehr beherzt bei der Arbeit, immerfort damit beschäftigt, die Folgen des ungeschickten Verhaltens ihres Mannes und seiner zahlreichen Marotten wieder in Ordnung zu bringen, war sie es, die im Grunde den Landwirtschaftsbetrieb führte und dabei noch Zeit fand, sich der Erziehung der Kinder zu widmen und abends ihrer Leidenschaft, dem Flötenspiel, nachzugehen.

 

Gustave war der Erstgeborene. Danach folgten drei Mädchen, die der Künstler häufig in seinen Gemälden darstellte, besonders in den Die Dorfmädchen. Zélie, die eher kränklicher Natur war und Gitarre studierte; Zoé, von blühender Phantasie und äußerst sentimental sowie schließlich Juliette, fromm und lebhaft, die sich schon früh für das Klavierspiel begeisterte.

 

Zusammen mit den Großeltern, denen er größte Zuneigung schenkte, war dies das familiäre Umfeld, in dem Courbet aufwuchs. Ein Milieu, das eher der Bourgeoisie als der landwirtschaftlichen Gesellschaft angehörte, jedoch nicht bourgeois genug, um dem jungen Mann die Faszination für die Natur zu rauben und zu wenig bäuerlich, um aus ihm etwas anderes als einen Anhänger der freien Berufe zu machen.

 

Es lässt sich unschwer erkennen, wie sich Familie und Umfeld auf seinen Charakter auswirkten. Der Großvater Jean-Antoine Oudot, begeisterter Revolutionär von 1793 und überzeugter Anhänger Voltaires, machte ihn zum Verfechter republikanischer und antiklerikaler Ideen. Die verschiedenen Marotten seines Vaters kamen bei ihm ebenso zum Vorschein wie dessen Stolz, Eitelkeit und Ruhmessucht. Von seiner Mutter erbte er allem Anschein zum Trotz und wie zahlreiche Beispiele aus seinem Leben belegen, eine gewisse Sensibilität, die er jedoch stets zu verstecken suchte und die nur seinen nächsten Angehörigen bekannt war. Und schließlich hat die lange Ahnenreihe seiner Familie, die Winzer und Landwirte gewesen waren, aus ihm einen bodenständigen Menschen gemacht, mit allem, was dieses Wort beinhaltet: physische Kraft, eine gewisse Rohheit, Besitzgier, Energie, Unverdrossenheit, bisweilen vulgäres Benehmen und schonungslose Offenheit. Und schließlich besaß er diesen so seltenen Funken an Genialität, der ihn zu einem der größten Maler aller Zeiten machen sollte.

 

Seine Eltern schickten ihn 1831 in das Petit Séminaire d’Ornans, eine von Geistlichen geleitete Internatsschule für Jungen, das seine Schüler nicht nur auf das Grand Séminaire vorbereitete, sondern auch auf weltliche Berufe. Courbet fiel dort durch sein undiszipliniertes Verhalten auf. Er fand weder Gefallen an Latein, an Griechisch, noch an Mathematik und glänzte vielmehr die meiste Zeit durch Abwesenheit. Bekannt war er hingegen für seine Gewandtheit beim Schmetterlingsfang und für seine ausgezeichneten Kenntnisse der Umgebung, so dass er häufig die sonntäglichen Ausflüge anführen durfte.

 

Courbet schenkte den humanistischen Studien nur wenig Beachtung, ganz im Gegensatz zum Zeichnen und selbst zur Malerei, die ihn bald in ihren Bann zog. Von Anfang an hatte sein Zeichenlehrer, Vater Beau, keinen aufmerksameren und gewissenhafteren Schüler. Und schon nach kurzer Zeit hatte sich Courbet das Wissen seines Lehrers angeeignet. Seine Schwester Juliette bewahrte die Alben voller Zeichnungen sorgsam auf: Köpfe, Profile, Blumenstudien, Landschaftsskizzen und Fantasiebilder, die Courbets unermüdliche Zeichenlust zum Ausdruck brachten.

 

Diese Interessen entsprachen jedoch nicht den Wünschen seines Vaters, der seinen Sohn vielmehr als künftigen Ingenieur sah. Aus diesem Grund schickte er ihn im Oktober 1837 zum Philosophiestudium auf das Collège Royal de Besançon, insgeheim hoffend, das Internat würde ihn zur Vernunft bringen. Das Gegenteil war jedoch der Fall, und die zahlreichen Briefe Courbets an seine Eltern lassen erkennen, wie schwer es ihm fiel, sich an seinen neuen Alltag zu gewöhnen.

 

Das Tagesprogramm schien ihm zu ausgefüllt. Wäre wenigstens seine materielle Situation angenehmer gewesen! Zum Frühstück aß er nur eine Scheibe Brot, mittags ein Schüsselchen Suppe, einen Teller mit frittierten Kartoffeln und Kohl oder anderem, stets magerem Gemüse, dazu einen Apfel oder eine Birne, ein kleines Glas Wein von blasser Farbe, das Ganze lieblos angerichtet und meist begleitet von „… einem merkwürdigen Geruch oder Geschmack.“ Abends gab man ihm einen Teller Salat und einen Apfel und drängte ihn beim Essen derart, dass er nicht selten die Hälfte des Abendbrots in seinen Taschen mit sich nach Hause trug. Die Betten waren klein und hart und selbst wenn er alle seine Kleider über sich auftürmte, fror er noch immer und musste um eine Decke bitten. Dies war das wenig erfreuliche Bild seiner Zeit im Collège. Einmal schloss er einen Brief mit Worten der Reue und Hoffnung: „Ich kann es kaum erwarten, Ornans und euch alle wiederzusehen. Das kann man entschuldigen, schließlich gehe ich das erste Mal von zu Hause fort!”

 

Seine Resignation war offensichtlich, und die Briefe, die folgten, brachten bald seine wachsende Empörung zum Ausdruck. Doch der Vater blieb unnachgiebig, und als seine Hoffnung langsam zu schwinden begann, unterbrach er für einige Zeit seine Protestbriefe. Er zeichnete, um gegen die Langeweile anzukämpfen: Ansichten von Ornans, die denjenigen ähnelten, die er an seinen Großcousin Oudot nach Paris geschickt hatte und die dessen Frau in ihrem Album aufbewahrte, um bei ihrem nächsten Besuch in Ornans Zeichnung und Vorlage zu vergleichen.

 

Als Courbet nach den Osterferien heimkehrte, brachte man ihn in einem kleinen Zimmer in der Grand Rue in Besançon unter, zufälligerweise in dem Haus, in dem Victor Hugo im Jahre 1802 geboren worden war. In diesem Jahr (1838) veröffentlichte der große Dichter das Drama Ruy Blas, und man kann sich lebhaft vorstellen, wie dessen Ruhm die Träume des jungen Studenten heimsuchten. Froh über seine wiedergewonnene Freiheit, begann Courbet bei einem Professor Meusy Mathematik zu studieren und Kurse an der Akademie zu belegen, wo die Herren Perron im Fach Philosophie und Pérennès im Fach Literatur ein großes Publikum anlockten. Doch leider reicht der Wille nicht aus, wenn das Herz nicht bei der Sache ist. Die Begeisterung für das Zeichnen eroberte ihn bald zurück.

2. Die Brücke von Nahin, um 1837.

Öl auf Papier auf Leinwand, 17 x 26 cm.

Institut Gustave-Courbet, Ornans.

3. Das Loue-Tal bei Gewitter, um 1849.

Öl auf Leinwand, 54 x 65 cm.

Musée des Beaux-Arts, Straßburg.

 

 

Zu viele Gelegenheiten erinnerten ihn an seine alte Leidenschaft. Ein Maler namens Jourdain wohnte im selben Haus, und wenn er auch nicht dieselbe Begabung besaß, begann Courbet doch, sich für dessen Arbeit zu interessieren. Arthaud, der Sohn des Hauseigentümers und Schüler von Flajoulot, dem Direktor der Ecole des Beaux-Arts de Besançon, nahm ihn auch häufig zu seinem Kunstunterricht mit. Daraus machte er im Übrigen kein Geheimnis: „Ich habe kürzlich“, so schrieb er seinen Eltern, „eine Art des Zeichnens kennen gelernt, die mir sehr zusagen würde, wenn meine finanziellen Mittel es mir erlauben würden. Es ist die Lithographie.“

 

Eine seiner ersten Lithographien war Die Brücke von Nahin, die er später mit einer Kunstfertigkeit malte, die dieses Anfangswerk gewiss noch nicht erahnen ließ. Weitere Lithographien illustrierten die Essais poétiques, von Max B…, Vignetten von Gust. C..., die im Jahr 1839 in Besançon veröffentlicht wurden. Der Dichter Max Buchon aus Salins sollte in späteren Jahren den Matachin herausgeben, einen Sammelband von Dichtungen und Erzählungen aus der Franche-Comté, die in einem köstlichen Realismus verfasst waren. Buchon hatte das Glück, dem Direktor der Zeitschrift Revue des Deux Mondes, François Buloz, aufgefallen zu sein, der ihm bei der Herausgabe seines ersten Buches half. Unterstützung erhielt er dabei von demjenigen, der einmal einer seiner treuesten Freunde werden sollte.

 

Courbet ließ von der Malerei nicht ab: nach und nach verließ er den vorgezeichneten Weg der Akademie und widmete sich mit Leib und Seele der Kunst. An der Zeichenschule traf er mit stetig wachsender Begeisterung den hervorragenden Maler Charles-Antoine Flajoulot, der, weniger bescheiden als Vater Beau, sich doch mit ebenso großem Wohlwollen für ihn und seine Malerei interessierte. Flajoulot war ein Bewunderer Davids und bezeichnete sich selbst als den König des Zeichnens. Und kurze Zeit später bekam auch sein Schüler den komplementären Beinamen: König der Farben. Jedenfalls ließ er Courbet solide Zeichenstudien anfertigen: sein Pinselstrich wurde fein, sauber, präzise und ausdrucksstark. Seine Zeichnungen, teilweise verstärkt durch kraftvoll aufgetragene Farben, gaben mit großem Geschick die Aktmodelle des Ateliers Flajoulot wider. Seine zahlreichen Studien von Augen, Beinen, Füßen, Händen, Muskeln, Nase und Ohren, von Brüsten und drallen, üppigen Frauentorsi, lassen keinen Zweifel an seinem herausragenden Talent aufkommen.

 

Courbet malte zu dieser Zeit auch kleine naive Gemälde, die jedoch nicht die gleiche Originalität besaßen. Es waren Landschaftsmalereien in kleinem Format, die Ornans oder dessen Umgebung darstellten, hell, grau, mit blauem Himmel, minutiös ausgearbeitet, unbefangen, von rührender Kindlichkeit und Ausführung. Zu diesen Bildern gehören etwa: Roche du Mont, die Loue überragend Felsvorsprung über der Loue, Die Wiesen von Chalimand, Das Haus des Großvaters Oudot, Der Weg zur Mühle; Ankunft in Ornans; Das Tal der Loue; Die Inseln von Montgesoye. Hier waren Pappeln und Weidenbäume auf einem Hügel zu sehen und der Maler selbst, der die Szenerie mit einem Gewehr unter dem Arm bewundert.

 

Hält man sich diese Anzahl von Bildern vor Augen, so ist es nicht verwunderlich, dass Courbet sein Philosophiestudium nach und nach aufgab. Wurde er für die Prüfung, deren Vorbereitungskurse er kaum jemals besucht hatte, überhaupt zugelassen oder ist er durchgefallen? Man kann sich vorstellen, dass er nicht einmal zur Prüfung selbst erschienen ist. In den Ferien kehrte er nach Ornans zurück und überredete schließlich seinen Vater, ihn unter dem Vorwand, dort Jura studieren zu wollen, nach Paris gehen zu lassen.

 

Bevor er sich verabschiedete, durchwanderte er ein letztes Mal seine beschauliche Heimat, die ihm so am Herzen lag, um sich ihre Formen tief einzuprägen. Er betrachtete alles mit kindlicher Hingabe und, je näher der Abschied rückte, mit wachsender Andacht und Rührung. Die zauberhaften Bilder, die die umgebende, teils liebliche, teils raue Natur ihm bot, nahm der junge Mann bis in alle Einzelheiten in sich auf. Er trug sie mit sich, in sein Herz gezeichnet, sich noch nicht der Bedeutung bewusst, die sie eines Tages in seinem künstlerischen Werk spielen sollten.

4. Selbstbildnis, genannt Der Angsterfüllte, 1848 (?).

Öl auf Papier auf Leinwand, 60,5 x 50,5 cm.

Nasjonalmuseet for Kunst Arkitektur og Design, Oslo.

 

 

I. Die Anfänge

 

 

Paris und die ersten Salons

 

 

Die ersten Ausstellungen in Paris

 

Auch wenn die Begeisterung Courbets bei seiner Ankunft in Paris groß gewesen sein mag, so kann man sich vorstellen, wie bald ihn sein Heimweh eingeholt hatte. Er versuchte sich abzulenken und besuchte Verwandte oder Freunde aus der Heimat, die versuchten, ihn zu trösten. Seine Beziehungen zu seinem Cousin Oudot, dem Professor an der juristischen Fakultät, waren jedoch schon bald recht angespannt, denn der war vermutlich nicht gerade erfreut darüber, dass der junge Mann von Beginn an seine juristische Karriere vernachlässigte und sich der Malerei verschrieb. Das Leben Courbets war einfach und bescheiden. Er lebte lange Zeit in einem Hotel in der Rue de Bucy 28. Aber dieser Unterkunft mangelte es offenbar an Bequemlichkeit, denn Courbet bat in einem Brief inständig darum, dass man ihm Laken, eine Decke und eine Matratze aus Ornans schicken solle.

 

In einem Brief vom 24. Dezember 1842 eröffnete er seinen Eltern, dass er endlich ein Atelier gefunden habe, das sich in der Rue de la Harpe 89 befand: „… es ist ein schöner Raum mit Deckengewölbe und Parkettboden, der im Winter warm sein wird. Das Atelier ist im ersten Stock mit Blick auf den Innenhof. Es hat zwei Fenster, eines geht auf den Hof und das andere auf die Dächer hinaus.“

 

Von da an stattete er dem Musée du Louvre ausgedehnte und ergiebige Besuche ab. Der französische Schriftsteller Francis Wey berichtet in seinen Mémoires inédits, dass der hervorragende Maler François Bonvin, dessen gewissenhaftem Talent man bis heute noch nicht ausreichend Rechnung getragen hat, zum Cicerone seines jungen Kameraden wurde.

 

Courbet ging instinktiv auf die Meister zu, die seine noch unklar in seinem Kopf schlummernden Ideen am stärksten widerspiegelten. Er war kein großer Anhänger der italienischen Schule. Später bekräftigte der Kunstkritiker Théophile Silvestre, als er ein mit dem Meister geführtes Gespräch notierte, dass Courbet Tizian und Leonardo da Vinci als „Gauner” bezeichnet hatte. Und was Raffael anbelangt, so hätte dieser „… einige interessante Porträts” gemalt, aber es „… stecken keine Ideen dahinter” und dies sei wahrscheinlich auch der Grund, warum unsere „… so genannten Idealisten ihn so sehr lieben.“ Es ist durchaus denkbar, dass Courbet diese Aussagen tatsächlich gemacht hat. Aber man sollte diesen scherzhaften Bemerkungen nicht allzu viel Bedeutung beimessen, wurden sie doch von einem Malschüler gemacht, der einerseits die Kritiker, die für den Maler wie ein rotes Tuch waren, und andererseits die Bourgeoisie, für die er wie die Mehrheit der Künstler seiner Epoche eine tiefe Verachtung verspürte, auf sich aufmerksam machen wollte.

 

Von seinem Missfallen an der italienischen Kunst blieben jedoch die Venezianer, unter anderem Veronese, Domenico Feti und Canaletto, verschont. Hatte er aber auch die Techniken der Bologneser - Carracci, Caravaggio und Guercino - studiert? Alles deutet darauf hin, dass man ihren Einfluss auf Courbet stets übertrieben hat. Er bewunderte die großen Realisten und eiferte insbesondere nach den Großen wie: Ribera, Zurbarán, Velázquez, van Ostade, Holbein, und allen voran Rembrandt, der „… der Intelligenz schmeichelt, die Ignoranten jedoch umnebelt und vernichtet.“ Aus dieser Zeit und diesen Überlegungen gingen Bilder hervor wie: Kopf eines Mädchens, Imaginäre Landschaft, Selbstbildnis des Künstlers, ein florentinisches und ein venezianisches Pasticcio, eine Imitation der Flamen sowie Kopien von Rembrandt, Franz Hals, van Dyck und Velázquez.

5. Selbstbildnis, genannt Der Verzweifelte, 1844-1845.

Öl auf Leinwand, 45 x 54 cm. Privatsammlung.

 

 

Neben seinen Besuchen im Louvre arbeitete Courbet häufig in seinem Atelier an Studien und Porträts. Er ging außerdem regelmäßig in das Atelier de Suisse, wo er ohne Anweisung nach lebenden Modellen zeichnete. Dort fertigte er zahlreiche Studien an, die er später in seinen Aktgemälden wieder aufnahm. Man hat behauptet, dass Courbet Schüler der beiden Maler Alexandre Josephe de Steuben und Auguste Hesse gewesen sei. In Wirklichkeit begab er sich jedoch nur drei oder vier Mal in Steubens Atelier und dies, um sich über die dortigen Macharten zu amüsieren. Was Auguste Hesse anbelangt, so hat Courbet selbst eine Verbindung zu diesem verneint. Im Grunde hatte er nur sich selbst zum Vorbild und sein Ziel war es zeitlebens, seine Unabhängigkeit zu bewahren.

 

Seine Arbeit während seiner ersten vier Jahre in Paris war vielfältig und widersprüchlich und spiegelt gleichsam den Ideenkonflikt wider, der ihn innerlich beherrschte. Erst nach und nach sollte sich unbewusst seine unverwechselbare Ästhetik herauskristallisieren. Im „klassischen” Genre malte er: (1839) Ruinen entlang eines Sees und (1840) Mönch im Kloster, bei denen es sich allerdings um eher karge Kompositionen handelte. Daneben entstand aber auch Mann durch den Tod von der Liebe erlöst, eine allegorische Komposition, bei der der Tod eine Frau mitreißt, die Courbet selbst auf der anderen Seite zurückzuhalten versucht. „Liebeswahn” wie er es selbst nannte, der ihn amüsierte und den er anschließend wieder aus dem Gemälde verschwinden ließ. Außerdem malte er nach der Lektüre eines Werkes von Victor Hugo eine sehr affektierte Odaliske.

 

Auch Landschaftsdarstellungen waren darunter, bei denen bereits seine Beobachtungsgabe und die Qualität seiner Farbgebung offensichtlich wird: Landschaft der Roche Fournèche, mit der Route de Salins und Ornans, das sich an den Flusslauf der Loue schmiegt. Nach einem kurzen Aufenthalt in Fontainebleau malte er (1841) Blick auf den Wald von Fontainebleau, (1842) Landschaft eines Winterwalds und Der Ansitz, eine „Atelierlandschaft”, wie er dieses Leinwandbild bezeichnete, um sich über diese absurde Praxis lustig zu machen (1843).

 

Es war jedoch die Porträtmalerei, die den großen Künstler, der er einmal werden sollte, schon deutlicher erahnen ließ. Courbet malte insbesondere Porträts seiner Schwestern. Von diesem Zeitpunkt an nahm er auch immer wieder sich selbst zum Modell. Man hat ihn aus diesem Grund häufig schikaniert, und der Kunstkritiker Théophile Silvestre ging in seinem Catalogue de la Galerie Bruyas sogar so weit zu behaupten, dass in Courbet die Seele von Narziss wieder auflebte. Er war fest davon überzeugt, dass Courbet zur Selbstgefälligkeit neigte. Doch hatte Courbet wirklich eine andere Wahl? Ein Modell wollte bezahlt werden und man hatte noch keine Porträts bei ihm in Auftrag gegeben. Eines seiner ersten Porträts war Die Verzweiflung, das er 1841 malte. Ein Jahr danach erhielt er aufgrund seines Selbstbildnis mit schwarzem Hund die Ehre, auf dem Salon von 1844 ausstellen zu dürfen. Dies war ein wichtiges Datum, das, ohne das Kapitel seiner Anfangsphase bereits abzuschließen, eine erste Etappe auf seinem Weg zum Ruhm markierte.

 

„Ich wurde endlich zur Ausstellung zugelassen“, schrieb Courbet seinen Eltern im März 1844, „was mich aufs Höchste erfreut.” In einem Brief an seinen Großvater kündigte er an, dass sein Gemälde im Salon d’Honneur ausgestellt werden würde, „… dem Ort, der für die besten Gemälde der Ausstellung reserviert ist.“ Außerdem, so fügte er hinzu, hätte man ihm sicher eine Medaille verliehen, wäre er schon bedeutender gewesen.

 

Auf der Centennale im Jahre 1900 konnte man die Präzision, Entschiedenheit und Geschicklichkeit in der Pinselführung dieses Gemäldes bewundern. Dies waren Qualitäten, die sich in Anfängergemälden nur selten finden lassen. Derart ermutigt, nahm der Maler seine Arbeit mit vollem Eifer wieder auf und setzte viel Aufwand und Energie in seine Bilder. Im Februar 1845 schrieb er, dass er nicht eine Stunde Pause gemacht habe und seine Arbeit auch an Sonn- und Feiertagen nicht niederlege. Aus diesem Grund war er bald geistig und körperlich ermüdet und für eine gewisse Zeit nicht in der Lage, weiterzuarbeiten. Er hatte gerade fünf Gemälde an die Ausstellung geschickt. Ein Brief, der am 22. März 1845 in Ornans eintraf, eröffnete ihm, dass nur eines seiner Bilder angenommen wurde: Der Gitarrenspieler.

6. Porträt des Großvaters Oudot, 1843.

Öl auf Leinwand, 55 x 46 cm.

Musée Gustave-Courbet, Ornans.

7. Porträt von Paul Ansout, 1844.

Öl auf Leinwand, 81 x 65,2 cm.

Château-Musée, Dieppe.

 

 

Die Qualität dieses Porträts liegt trotz seines tatsächlichen Wertes jedoch unter dem Gemälde des letzten Salons. Es ist weniger realistisch und stellt einen offensichtlichen Kompromiss dar zwischen dem, was sich zu dieser Zeit im Umfeld Courbets tat und dem, was noch unbestimmt in ihm zu wachsen begann und er bald kompromisslos in die Tat umsetzen würde. Zwei mindestens ebenso gelungene Gemälde aus dieser Zeit des Der Gitarrenspieler (1844/1845) lohnen es, sie hervorzuheben. So ist Liebende auf dem Land, Gefühle in jungen Jahren ein Gemälde voller Poesie, in dem sich der Künstler mit langem, wallendem Haar im Profil von links darstellte. Dicht an ihn gelehnt steht ein sehr schönes Mädchen mit feinem, zartem Profil, das seinen Kopf gegen die rechte Schulter neigt. Seine blonde Haarpracht fällt ihm auf Ohren und Schläfen und unterstreicht so die natürliche Blässe des Gesichts. Angeblich handelt es sich bei der jungen Frau um jene Josephine, die so lange Modell und Geliebte des Malers gewesen war. Wer behauptet, Courbet sei ein unsentimentaler Mensch gewesen, kann dieses Bild nicht gesehen haben. Das Gemälde Hamac, mehr noch als die Liebende auf dem Land, Gefühle in jungen Jahren, kündigte bereits den großen Meister an, der Courbet einmal werden sollte.

 

Das fälschlicherweise Job genannte Bild, obwohl es sich eigentlich um den Der Gefangene des Dey von Algier handelt, ist ein weiteres Beispiel für Courbets Zögerlichkeit zu dieser Zeit. Der darin dargestellte Greis trägt einen langen Bart, ist halb nackt und hat sich ein Tuch über Kopf und Rücken geworfen, das er nun über seine Beine zieht. Er sitzt in einer Gefängniszelle neben einem Krug, in einer Haltung, die die Klassiker sicher nicht missbilligt hätten.

 

Stammt das Gemälde Der Verletzte auch aus dieser Epoche? Hier hat sich der Maler selbst von vorn dargestellt, mit einer blutigen Wunde auf der Brust. Sein Gesicht ist blass, blutleer, seine Lippen entfärbt, er scheint dem Tode nah zu sein. Die düstere Landschaft verstärkt noch den Schrecken dieses tragischen Augenblicks. Der Katalog der Sonderausstellung Courbets, die 1867 am Pont de l’Alma organisiert wurde, führte unter dem Titel folgenden Vermerk auf: „(Paris. 1844). Abgelehnt in den Salons von 1844, 1845, 1846 und 1847 von der Jury, die sich aus den Mitgliedern des Instituts zusammensetzt.” Der vom Journalisten Jules Castagnary verfasste Katalog der Ausstellung Courbets in der Kunsthochschule im Jahr 1882 bestreitet jedoch dieses Entstehungsdatum:

 

„Die freie und anmutige Ausarbeitung dieses Gemäldes zeigt, dass es sich hier um kein Anfangswerk des Künstlers handelt. Es stammt aus dem Jahr 1854, und der Katalog der ersten privaten Ausstellung des Malers im Jahr 1855 bezeugt dies. Zu behaupten, es sei 1844 gemalt worden, würde einen Rückschritt für die Gemälde Liebende auf dem Land, Gefühle in jungen Jahren und Mann mit Ledergürtel bedeuten.”

 

Dieser Meinung von Castagnary kann jedoch nicht ohne weiteres zugestimmt werden. Es ist durchaus möglich, dass es sich bei dem Gemälde Der Verletzte um das im Brief von 1845 erwähnte Porträt in Lebensgröße handelt. Es ist auch fragwürdig, ob die beiden Werke Liebende auf dem Land, Gefühle in jungen Jahren und Mann mit Ledergürtel dem Der Verletzte qualitativ unterlegen sind. Im Hinblick auf die Kreativität können nämlich durchaus Parallelen gezogen werden. Und es genügt, die beiden Figuren in Liebende auf dem Land, Gefühle in jungen Jahren und im Der Verletzte zu vergleichen, um festzustellen, dass sie sich ähneln. Was Castagnary möglicherweise in die Irre geführt hat, war die Tatsache, dass der Künstler sein Werk im Jahr 1854 für die Ausstellung von 1855 erneut aufgenommen und dabei etwas aufgefrischt hat. Doch kann generell nicht bezweifelt werden, dass es 1844 erstmals konzipiert wurde.

 

All diese Gemälde bringen den stetig wachsenden Eifer Courbets zum Ausdruck.

 

„Ich muss im kommenden Jahr“, so schrieb er am 10. März 1845, „ein großes Bild malen, das mich endgültig ins rechte Licht rückt, denn ich will Alles oder Nichts. Diese kleinen Gemälde spiegeln nicht alles das wieder, was ich kann… Ich bin zu großer Malerei berufen. Eines ist sicher, ich muss mir innerhalb der nächsten fünf Jahre in Paris einen Namen machen. Dies ist mein Ziel. Es wird nicht leicht, dorthin zu gelangen, dessen bin ich mir bewusst. Nur wenigen gelingt es, von Tausenden manchmal nur einem Einzigen, sich von der Masse abzuheben. Um schneller voranzukommen fehlt mir nur eines, das Geld, damit ich unbeirrt vollbringen kann, was mir vorschwebt.”

 

Er war sehr erfreut, als ein Händler aus Amsterdam ihm seine Bewunderung aussprach und ihm beteuerte, dass er in ganz Paris nichts gesehen habe, das ihn mehr entzückt hätte. Er kaufte ihm für 420 Francs zwei seiner Gemälde ab, bestellte ein weiteres und versicherte ihm, dass er für seinen guten Ruf in Holland sorgen würde. Endlich konnte Courbet zeitweilig darauf verzichten, „… langweilige Porträts zu malen und Frauen, die immer weißer sein möchten, als sie sind.”

 

Um zu beweisen, dass er zu großer Malerei imstande war, machte er sich mutig daran, ein Gemälde von „… acht Fuß Höhe und zehn Fuß Breite” zu malen. Das war „… schrecklich viel Arbeit”, da er beabsichtigte, es vor seiner Abfahrt nach Ornans fertig zu stellen, oder zumindest so weit voranzukommen, dass er es nach den Ferien würde trocken weiterbearbeiten können.

 

Doch sein Tatendrang ermüdete ihn schnell und so beschloss er, in seine Heimat zurückzukehren. Er fand in dem kleinen Ort seine Kindheitsfreunde wieder, die ihm eine lustige Gesellschaft waren, darunter der Musiker Promayet und der fröhliche Urbain Cuenot. Man kann sich dieses Gespann fröhlicher Kerle gut vorstellen, ob sie nun fischen oder jagen gingen, einen einfachen Spaziergang unternahmen oder sich der Damenwelt annahmen - es war stets eine lustige Runde.

 

Zurück in Paris, gab Courbet für kurze Zeit seine Vorhaben für großflächige Gemälde auf. Er verfügte in diesen Wintertagen weder über genügend Zeit noch über ausreichend Licht, um „… gewissenhaft arbeiten zu können.” Zudem war er nicht davon überzeugt, dass er diese Art Gemälde auch würde verkaufen können. Doch was sollte er sonst damit tun? Er nahm seine Arbeit mit der „… üblichen Besessenheit wieder auf, komme, was wolle, alles oder nichts!”

 

Langsam machte sich jedoch eine gewisse Mutlosigkeit bemerkbar. Im Januar 1846 stellte er fest, dass

 

„… es im Leben nichts Schwereres [gibt], als Kunst zu machen, besonders, wenn niemand etwas davon versteht. Frauen wollen Porträts, in denen es keine Schatten gibt, Männer wollen in Sonntagskleidung dargestellt werden. Diesen Wünschen kann man sich nicht widersetzen. Statt mit diesen Dingen sein Leben verdienen zu wollen, würde man besser daran tun, an einem Rad zu drehen, da müsste man wenigstens seine Gedanken nicht gänzlich ausschalten.”

 

Im März schickte er acht Gemälde, die ihm bereits „… viele Lobreden eingebracht” hatten, zur Ausstellung und er erwartete die Eröffnung mit großer Ungeduld. Im Grunde würde er sich recht wenig um das Urteil der Jury scheren, „… würde dies nicht seinen Ruf beeinflussen.” Denn die Ablehnung seiner Werke würde nur beweisen, dass er nicht wie sie dachte, und das schmeichelte ihm. Man erkennt an dieser Stelle den Aufsässigen, der er bereits im Collège gewesen war und der er auch in der Kunst sein sollte. Seine Begutachter, zu vorschnell, unbekümmert oder egoistisch, verpassten die Gelegenheit, seine Arbeit gebührend zu honorieren und stifteten ihn sogar dazu an, ihr erklärter Gegner zu werden.

 

Doch einmal mehr standen die Zeichen nicht gut für ihn: lediglich sein Porträt wurde angenommen. Es war offensichtlich, dass man ihm mit „… bösem Willen” entgegen trat. Die Begutachter waren „… ein Haufen alter Ignoranten, die es niemals zu etwas gebracht hatten und versuchten, den jungen Menschen, die ihnen gefährlich werden könnten, den Wind aus den Segeln zu nehmen.“ Von nun an würde es ihm eine Ehre sein, von ihnen abgelehnt zu werden.

8. Kleines Selbstbildnis mit schwarzem Hund, 1842.

Öl auf Leinwand, 27,5 x 22 cm.

Musée municipal de Pontarlier, Pontarlier.

9. Selbstbildnis, genannt Courbet mit schwarzem Hund, 1842.

Öl auf Leinwand, 46,5 x 55,5 cm. Petit Palais - Musée

des beaux-arts de la ville de Paris, Paris.