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Christoph Meinel . Ulrich Weinberg
Timm Krohn (Hrsg.)

DESIGN
THINKING
LIVE

WIE MAN IDEEN ENTWICKELT UND PROBLEME LÖST

 

Für Hasso Plattner

Dank

Im Herbst 2013 hatten wir die Idee, einen Erzählband über die Faszination am Design Thinking herauszubringen. Also haben wir Freunde, Bekannte und Partner aus unserem Netzwerk eingeladen, sich an diesem Projekt zu beteiligen.

Neben allen, die ihre Erfahrungen und Erlebnisse zum Design Thinking in diesem Band präsentieren, gilt unser Dank für die Koordinierung und Umsetzung des Vorhabens den beteiligten Kollegen am Hasso-Plattner-Institut.

Unser besonderer Dank gilt Axel Menning für die redaktionelle Betreuung, und Evelin Schultheiß für das Lektorat. Bei Christina Knüllig, Dr. Sharon Nemeth und Miriam Yasbay bedanken wir uns für die Bearbeitung und Übersetzung der in englischer Sprache verfassten Texte. Pascal Ackerschott und Anja Harnisch danken wir für die grafische Unterstützung. Der Dank richtet sich auch an Petra Neye für die Öffentlichkeitsarbeit und an Heike Balluneit und Kristin Wagler für ihre Unterstützung.

Die Herausgeber

Design Thinking Live – Eine Einführung

Was haben ein emeritierter Stanford-Professor, ein rollstuhlfahrender Sozialunternehmer, eine malaysische Regierungsbeamtin und ein deutscher TV-Showmaster gemeinsam? Sie alle sind in den letzten Jahren in Berührung gekommen mit einem neuen Denkansatz, sie alle sind davon begeistert und: Sie alle berichten über ihre Erfahrungen in diesem Buch. Die Rede ist von »Design Thinking«, ein Terminus, den noch vor wenigen Jahren in Deutschland kaum jemand kannte und der mittlerweile nicht nur in den Sprachschatz vieler Ausbildungseinrichtungen Einzug hält, sondern auch in den von Chefetagen vieler Unternehmen und Organisationen.

Schon wieder so ein Anglizismus, der in den deutschen Sprachgebrauch einfließt und das Business-Denglisch anreichert? Was steckt hinter diesen beiden Begriffen, die auf Anhieb nicht zusammenzupassen scheinen und die Aufmerksamkeit in scheinbar unterschiedliche Richtungen lenken? Handelt es sich um eine neue Art des Designs? Neben Grafik-, Produkt-, Industrie- und Kommunikationsdesign nun ein Design des Denkens? Oder handelt es sich um eine neue Form des Denkens, eine neue Philosophie etwa der stromlinienförmigen, wohlgefälligen Gedanken?

Nein, hinter Design Thinking steckt ein neuartiger Denk- und Arbeitsansatz, der uns helfen soll, mit der zunehmenden Komplexität unserer Welt besser umzugehen, schwierige Problemstellungen auf unorthodoxe Weise zu lösen, und letztendlich der Wunsch, die Potenziale menschlicher Leistungsfähigkeit besser zur Entfaltung zu bringen.

Seinen Ursprung hat Design Thinking in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland. Das Bauhaus, gegründet von dem Architekten Walter Gropius in Weimar und später Dessau, war ein erster Versuch, durch die Zusammenführung unterschiedlicher Disziplinen wie Kunst, Architektur, Theater, Musik, Gestaltung etc. die Lösungskompetenz für komplexe Fragestellungen zu erhöhen und eine größere Vielfalt von Möglichkeiten zu eröffnen. Fragt man Professor David Kelley, der vor etwa zehn Jahren den Terminus »Design Thinking« in Stanford mit seiner mittlerweile weltweit bekannten »d.school« in die Hochschullandschaft einführte, nach seinen Inspirationsquellen, dann nennt er als erste die deutsche Bauhaus-Bewegung.

Mit einem radikalen Bruch beginnen: Institute of Design at Stanford

David Kelley und mit ihm eine Reihe weiterer Professoren der Stanford University sind allerdings noch einen radikalen Schritt weiter gegangen als die Kollegen des Bauhaus. Sie entwickelten mit der d.school einen Ansatz, der Studierende nicht nur aus den gestalterischen Disziplinen, sondern auch aus allen anderen Disziplinen einlud, gemeinsam an der Lösung komplexer Fragestellungen aus allen Lebensbereichen zu arbeiten – Kunst und Wissenschaft wurden hier in einen gemeinsamen Denk-, Sprach- und Handlungsraum zusammengeführt. So kamen Medizinstudenten, Juristen, Betriebswirte, Architekten, Informatiker, Psychologen und Maschinenbauer zusammen, um in kleinen, gemischten Teams an der Lösung komplexer Fragestellungen zu arbeiten. Wie man in Entwicklungsländern Bewohnern auf dem Lande, fernab von jeder Energieversorgung, zu elektrischem Licht verhelfen könnte, war eine dieser Fragen. Heraus kam 2007 ein neuartiges, solargespeistes Lichtmodul, das »d.light«, das bis heute rund 28 Millionen Menschen die Wohnstube erhellt. Das Studenten-Team, das in der d.school die Idee entwickelte, gründete ein Unternehmen, das mittlerweile 300 Mitarbeiter beschäftigt und über 16 000 Verkaufsstellen in 62 Ländern der Erde mit ihren Solarlampen beliefert.

Die d.school folgte nicht mehr einem traditionellen Curriculum, in dem kontinuierlich vorbereiteter Lehrstoff angeboten wird, sondern arbeitete projektorientiert, offen für alle Fragestellungen aus Industrie und Gesellschaft. Weniger technische und wirtschaftliche Aspekte standen im Zentrum der Arbeit, sondern vielmehr der Mensch mit seinen sich ständig verändernden Bedürfnissen. Treiber war hier die Erkenntnis, dass komplexe Problemstellungen, mit denen unsere Gesellschaft zunehmend konfrontiert ist, am besten in einer komplexen Arbeitsumgebung, in der auch Nichtexperten eine Stimme haben, gelöst werden können. Ein weiterer radikaler Schritt war, keine Einzelbewertungen für die teilnehmenden Studierenden zu vergeben, keine Noten. Hier auch der vielfach durch Studien belegten Erkenntnis folgend, dass die Qualität von Teamarbeit durch Einzelbewertungen eher negativ beeinflusst wird.

Das war allerdings ein so radikaler Bruch mit traditionellen Lehrformaten, dass selbst an der experimentierfreudigen Stanford University die ersten Versuche mit einer kleinen Gruppe von Studierenden lieber undercover in Baracken am Rand des Stanford-Campus durchgeführt wurden. Aber lange blieb das Experiment nicht geheim. In einer Titelstory der amerikanischen Business Week über David Kelley und die von ihm gegründete Innovationsagentur IDEO war auch von diesem multidisziplinären Experiment der d.school zu lesen und es war der SAP-Mitgründer Hasso Plattner, der von diesem Beitrag am meisten elektrisiert war. Irgendwie erinnerte ihn das beschriebene Szenario stark an seine Gründerzeit vor vierzig Jahren und er wollte die Macher der d.school sofort kennenlernen. Von dem improvisierten Laborcharakter in den Baracken ließ er sich dabei überhaupt nicht abschrecken. Im Gegenteil, als er erfuhr, wer außer David Kelley noch dahinter steckte, war sein Entschluss schnell gefasst, einen zweistelligen Millionenbetrag in dieses bis dato unbekannte Bildungsstartup zu stecken. Es waren Namen wie Larry Leifer, der als Maschinenbau-Professor schon seit 30 Jahren ein multidisziplinäres, international vernetztes Experimentier- und Entwicklungslabor (ME310) betrieb, und Terry Winograd, der Informatikwelt seit Jahrzehnten als Experte für Künstliche Intelligenz bekannt und, als Doktorvater von Larry Page und Sergeij Brin, mitverantwortlich für den Erfolg des von den beiden gegründeten Unternehmens Google.

Das Investment von Hasso Plattner führte die d.school nicht nur heraus aus den Baracken, sondern auch heraus aus dem kritisch beäugten Schattendasein der Stanford-Realität – ein ernstzunehmender deutscher Unternehmer investiert in mit Lego-Klötzchen und bunten Klebezetteln hantierende Studenten – die Anerkennung wuchs nicht nur unter den Studierenden, sondern auch unter den Professoren und in der Verwaltung. Stanford-Präsident John Hennessy, anfangs kritisch distanziert, empfiehlt mittlerweile jedem neuen Stanford-Studenten, mindestens einen Kurs an der d.school zu belegen. Und aus den Baracken wurde ein facettenreiches, zu vielfältigen Experimenten einladendes Laborgebäude im Zentrum des Stanford-Campus, in dem heute mehr als 700 Studierende sogenannte »Classes« belegen.

Zurück in die Alte Welt

Es dauerte keine zwei Jahre, bis auch in Europa die erste School of Design Thinking ihre Türen für Studierende aller Disziplinen öffnete. Hasso Plattner hatte dies vorangetrieben, auch aufgrund der positiven Erfahrungen, die er selber mit Design Thinking in der Zwischenzeit gemacht hatte. Nicht nur, dass er als Lehrender in Stanford d.school-Classes gegeben hatte, er machte sich in seinem eigenen Unternehmen an den Praxistest. Kurz nach seinem Investment in die Stanford d.school hatte er nämlich dafür gesorgt, dass bei SAP, mit 60 000 Mitarbeitern einem der größten Software-Unternehmen der Welt, dieser neuartige methodische Ansatz namens Design Thinking Einzug gehalten hatte. Anfänglich in Gestalt eines Design Services Teams, das sich vorrangig um eine bessere Nutzerorientierung der Schnittstellen von SAP-Software kümmerte. Die Bedienoberflächen für die hochkomplexe SAP-Software sollte weniger von den Entwicklern aus technischer Perspektive definiert werden als sich vielmehr, orientiert an deren Verhalten, den Bedürfnissen der Nutzer anpassen. Das war eine neue, ungewohnte Sichtweise für die Entwickler, führte aber zu deutlich besserer Akzeptanz bei Tausenden von SAP-Kunden.

Mehr als eine Kopie: HPI School of Design Thinking

Mit diesen positiven Erfahrungen war es für Hasso Plattner nun klar, dass Design Thinking auch in Deutschland, in seinem Institut für Software-Systems Engineering, das er zur Jahrtausendwende an der Universität in Potsdam gegründet hatte, einen Platz in der Hochschullandschaft finden sollte. In enger Abstimmung mit Stanford entstand dort 2007 die HPI School of Design Thinking, kurz HPI D-School. Aber nicht etwa als einfache Kopie der d.school in Stanford, sondern als konsequente Weiterentwicklung, aufbauend auf den Erkenntnissen der Kollegen aus dem Silicon Valley, aber in dem Bewusstsein, dass ein anderer, europäischer Kulturkreis und ein anderes akademisches Umfeld auch eine andere Version der Multidisziplinarität erforderlich machten. Während Stanford noch sehr stark den neuen Arbeitsprozess ins Zentrum der Ausbildung stellte, wurde in Potsdam ein bewusster und achtsamer Umgang mit dem Dreiklang aus gemischtem Team, iterativem Prozess und variablem Raum vermittelt.

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Die drei Kernelemente des Design Thinking

Anfänglich mit 40 Studierenden aus 30 Disziplinen und einem Team von 16 Professoren und Assistenten, ebenfalls aus verschiedenen Disziplinen. Ebenso projektorientiert mit einem in jedem Semester erneuerten Projektportfolio statt eines Curriculums, ebenso teamorientiert und ebenso frei von Einzelbenotung. Offen allerdings für Studierende aller Fachrichtungen auch anderer Hochschulen. Und noch stärker an den Problemstellungen von Unternehmen und Organisationen orientiert als die Kollegen in Stanford.

Überraschende Nachfrage

Und diese Öffnung für jegliche Fragestellung führte auch gleich zur ersten Überraschung:

Große deutsche Unternehmen interessierten sich bereits in der Anfangsphase für den neuen Ansatz und buchten Projekte. Siemens, die Deutsche Telekom, Metro, SAP und DHL gehörten bereits in den ersten Jahren zu den Projektpartnern. Und nicht nur große Unternehmen zeigten Interesse an dem neuen Ansatz. Auch kleine und mittelständische Unternehmen, sogar Start-ups wandten sich mit Projektanfragen an die HPI D-School. Dazu kamen öffentliche Einrichtungen, Verwaltungen, Ministerien und auch NGOs, die bis heute die bunte Liste der Projektpartner prägen, die jedes Semester aufs Neue die Studierenden mit spannenden Fragestellungen, den sogenannten Design-Challenges, herausfordern. Sechs beziehungsweise zwölf Wochen lang sind die Projektzyklen, die von Unternehmen und Organisationen gebucht werden können.

Die zweite Überraschung:

Es bewarben sich nicht nur, wie anfänglich erwartet, Studierende aus der Hochschulregion Berlin/Brandenburg, nein, die Bewerbungen für das zweisemestrige Zusatzstudium, das Anwesenheit an zwei Tagen in der Woche erfordert, kamen nach kurzer Zeit aus der ganzen Welt. Heute studieren an der HPI D-School jedes Semester 120 Studenten aus 20 Nationen, sie repräsentieren über 70 verschiedene Disziplinen und kommen aus über 60 Hochschulen. Betreut werden die Studierenden von einem Teaching-Team von 35 Professoren und Assistenten.

Die dritte Überraschung:

Neben den Studierenden bewarben sich auch Berufstätige um einen Studienplatz an der HPI D-School. Das war zwar nicht vorgesehen, aber verständlich: Die Projektpartner bekamen nicht nur spannende Lösungen für ihre Fragestellungen von den Studenten präsentiert, sie lernten auch in den Projektzyklen die Arbeitsweise kennen und schätzen. Nicht wenige Unternehmen wollten Mitarbeiter für ein Semester freistellen, um Design Thinking kennenzulernen. So wurde bereits im zweiten Jahr ein Executive Training Programm mit Workshop-Formaten von ein bis drei Tagen Länge entwickelt, durch das mittlerweile jährlich über 600 Teilnehmer aus Unternehmen und Organisationen fit gemacht werden für radikale Veränderungsprozesse in ihren Einrichtungen. Die nichtkommerzielle Arbeit mit Studierenden wurde ergänzt um einen kommerziellen Teil für Profis. Und Design Thinking, dieses gutartige Virus der Innovation, scheint ansteckend zu sein: Mehr als die Hälfte der DAX30-Unternehmen haben bisher Projekte in Potsdam gebucht.

Aber es gab auch mehrere große Herausforderungen auf dem Weg zu den spannendsten Thinktanks im Silicon Valley und Silicon Sanssouci. Wie zum Beispiel sollten die Studenten zusammenarbeiten, wenn sie jahrelang den Arbeitsprozess einer einzelnen Disziplin erlernt haben? Wie sollte ein Architekt mit einem Mediziner, einer Psychologin, einem Soziologen und einer Musikwissenschaftlerin effizient zusammenarbeiten, ohne ständig im Methodenstreit stecken zu bleiben? Die Lösung war ein sechsstufiger Arbeitsprozess, der im Wesentlichen zwei zentrale Bestandteile hat, zum einen das intensive, immer vom Menschen ausgehende Beschäftigen mit der Problemlage und zum anderen der nicht nur in der Theorie bleibende, sondern immer mit erlebbaren Prototypen arbeitende Lösungsvorschlag.

Auf diese sechs Schritte – verstehen, beobachten, Standpunkt definieren, Ideen finden, Prototypen entwickeln und testen – konnten sich die Studenten schnell einlassen. Für die Design- und Architekturstudenten war das besonders einfach, da es der Arbeitsweise entspricht, die sie intuitiv ohnehin verfolgen. Für die meisten anderen Studenten war es allerdings eine spannende neue Erfahrung, für eine intensive Recherche zu der Frage, wie man Familien in Entwicklungsländern bessere Lebensbedingungen verschaffen kann, dann auch tatsächlich nach Afrika zu fahren und vor Ort zu arbeiten. Neu war auch für die meisten, sich vorzustellen, wie ein Prototyp aussehen könnte und wie man ihn herstellt. Aus dem Autobau kennen wir Prototypen und jeder Architekt baut erst einmal ein Modell, bevor der erste Stein gesetzt wird, aber wie sieht ein Prototyp für eine Lösung im Finanzwesen aus, wie im Bereich von Logistik oder Energiewirtschaft? Die erstaunliche Erfahrung bei all diesen Fragen war, dass die Teams sehr schnell auf hochkreative Einfälle kamen, ihre Ideen anfassbar und leicht verständlich zu präsentieren. Sie benutzten einfach alles, was sie finden konnten, in erster Linie sich selbst, um zum Beispiel in einem kleinen Rollenspiel in einem schnell mit vorhandenem Mobiliar improvisierten Laden das Einkaufsverhalten in der Zukunft zu simulieren. Oder sie nutzten Fotos, Videos, Computerspiel-Elemente, um die Funktionsweise eines neuartigen autofreien Paketservice zu demonstrieren. Das Charmante an diesen sechs Schritten: Nahezu spielerisch werden die analytischen wie die kreativ-intuitiven Potenziale, also die volle mentale Leistungsfähigkeit aller Teilnehmer freigesetzt. Und sie werden nicht linear einmal durchlaufen, sondern iterativ, immer wieder von vorne – Scheitern als Chance ist hier fester Bestandteil des Programms.

Die zweite große Herausforderung war der Lernort. Ein klassischer Vorlesungssaal mit 200 Plätzen in Reih und Glied, ein Seminarraum mit ein paar Tischen und Stühlen und vielleicht einem Flipchart – für teamorientiertes Arbeiten völlig ungeeignet. Vonnöten war eine Art Labor, eine Werkstatt, wie Architekten und Maschinenbauer sie nutzen, aber mit noch mehr Handlungsspielraum. Vorbild war das ME310-Labor von Professor Leifer in Stanford, eine Art Werkstatt, in der alles Mögliche an technischem Gerät bis hin zur Robotik die Studententeams umgibt. David Kelley experimentierte mit neuen Räumen und Möbeln. Ein entscheidender Schritt: Die Studierenden wurden aus der Sitzposition in eine Stehposition gebracht. Es wurde mit verschiedenen Tisch- und Whiteboard-Formaten experimentiert, aber eines war schnell klar: Die Stehposition führte zu einer deutlich besseren Performance der Teams. Alle Beteiligten blieben agiler, man bewegte sich schneller und es machte sich keine Müdigkeit breit. Allerdings war es gar nicht so leicht, passende Stehmöbel für Gruppenarbeit zu finden. Die klassischen Konferenztische sind auf Sitzhöhe gebaut und als Stehtische gab es nur viel zu kleine Cocktailtische – gut für die Kaffeepause, aber nicht für einen längeren Arbeitseinsatz mit vier bis sechs Personen. In der Potsdamer D-School wurden daher, gemeinsam mit dem Berliner Büromöbelhersteller System 180, eigene Arbeitsmöbel, Tische, Whiteboards und Container entwickelt, an denen vier bis sechs Menschen bequem einen kooperativen Arbeitstag im Stehen verbringen können.

Die vierte Überraschung:

Unternehmen, die an der D-School studentische Projekte gebucht hatten, fanden nicht nur die Arbeit selbst, sondern auch die Arbeitsumgebung gut und inspirierend und zeigten Interesse an den Möbeln. Die anfänglich als Einzelstücke für das HPI gefertigten Tische und Whiteboards wurden schnell zur »Design Thinking Line« und stehen mittlerweile in über 100 Einrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ein mittelständisches Pharma-Unternehmen ging sogar so weit, sämtliche Besprechungsräume mit den DT-Line-Stehtischen auszustatten.

Als größte Herausforderung erwies sich allerdings die Teamarbeit selbst. Was jedoch nicht weiter verwundert, wenn man sich die traditionelle Bildungslandschaft einmal genauer anschaut. Vom Kindergarten bis zur Hochschule ist der Lernmodus vorrangig auf Einzelleistung orientiert. Bereits in der Schule ist der weitaus überwiegende Teil dessen, was erwartet wird, bewertbare Einzelleistung. Ein verschwindend geringer Teil des Lernprozesses setzt auf Zusammenarbeit – Kooperationsfähigkeit wird also systematisch nicht vermittelt. Schon früh werden Kinder stattdessen in eine individuelle Konkurrenzsituation gepresst, und es werden kompetitive Verhaltensmuster antrainiert, die dann im Studium weiterentwickelt werden. Denn dieses ist in der Regel ebenfalls auf Einzelleistungserwerb orientiert – auch die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen schuf hier keine Abhilfe. Im Gegenteil – die Fächervielfalt ist gewachsen, die Orientierungslosigkeit und der Leistungsdruck auch, und die Variabilität ist auf der Strecke geblieben.

Entsprechend schwer tun sich die Studierenden, wenn sie dann an der D-School in einen projektorientierten Arbeitskontext kommen, der nicht von jedem Einzelnen die Bestleistung erwartet, sondern vom gesamten Team. Durch eine Reihe von Projekten, die immer wieder den gesamten Design-Thinking-Prozess durchlaufen, in Projektzyklen, die anfangs mehrere Stunden, dann mehrere Tage, dann mehrere Wochen betragen, erleben die D-School-Studenten anfangs, wie unbeholfen sie sind, wenn sie in einem kollaborativen Kontext arbeiten, entwickeln dann aber im Laufe der Wochen enormes Vertrauen, das sogenannte kreative Selbstvertrauen. Und dies in zweifacher Hinsicht. Zum einen erfahren auch die Studierenden, die nicht in sogenannten Kreativfächern studieren, die Juristen, Betriebswirte, Soziologen also, ihr eigenes Kreativpotenzial und, noch viel wichtiger, sie gewinnen Vertrauen in die kreative Leistungsfähigkeit von Teams. Und das ohne jeden Leistungsdruck – denn, auch wer gut ist, bekommt am Ende des Projektes lediglich einen warmen Applaus, und keine Note.

Womit wir bei der fünften Überraschung wären:

Ohne den individuellen Leistungsdruck steigt nicht nur die Qualität des Ergebnisses, es steigt auch die Leistungsbereitschaft aller Beteiligten. Das überrascht die Studierenden, die sich plötzlich fragen, warum sie freiwillig so viel Zeit und Kraft investieren, ohne einen akademisch verwertbaren Vorteil für sich selbst zu erzielen. Das überrascht die Lehrenden, die allesamt aus traditionellen Lernkontexten kommen und sich bisher gar nicht vorstellen konnten, dass ohne Incentives wie Notenvergabe eine solche Arbeitsbereitschaft entstehen kann. Und es überrascht die Projektpartner, die sich immer wieder wundern, in welcher Geschwindigkeit und mit welcher Intensität sich die Studierenden in hochkomplexe Themenfelder einarbeiten und dann zu verblüffenden Ergebnissen kommen.

Zu erklären ist dies mit der intrinsischen Motivation, die freigesetzt wird, wenn Menschen gemeinsam in einem hierarchiefreien Kontext auf Augenhöhe an der Lösung von kniffligen und nichttrivialen Fragestellungen arbeiten. Eine ähnliche Energie, wie sie zum Beispiel bei Hochwasserkatastrophen bei den freiwilligen Helfern freigesetzt wird. Zu erklären ist dies auch mit dem eher sportiven Ansatz, mit dem in den Design-Thinking-Prozessen vorgegangen wird. Jedes Team steht im Austausch mit den anderen Teams und erlebt diese auch beim Arbeiten und Präsentieren. Allein durch dieses sich gegenseitige Beobachten, die intensive Feedback-Kultur und die vielen Iterationsschleifen entsteht eine Art natürlicher Konkurrenzsituation, die zu Höchstleistung motiviert, ohne den Einzelnen in die Zange zu nehmen.

Das führt dann auch zur sechsten Überraschung, der Gründungsbereitschaft vieler Absolventen:

Während andere Universitäten Entrepreneurship-Programme entwickeln und Unternehmertum zu lehren versuchen, kommt es an den Design-Thinking-Einrichtungen nahezu automatisch nicht nur zu guten Ideen, sondern auch zu den dafür notwendigen Teams mit dem sich ergänzenden Expertenwissen. In Potsdam sind seit dem Start bereits über 20 Spin-offs und Start-ups entstanden. Die wildeste Gründung nennt sich »Dark Horse Innovation«: Insgesamt 30 der 40 Studenten im zweiten Studienjahr der HPI D-School entschlossen sich, gemeinsam eine Agentur zu gründen – ein Unterfangen, von dem alle im Umfeld, eingeschlossen das Team der D-School, dringend abrieten. Wie sollte eine Gruppe von 30 Gründern klarkommen, ohne sich sofort in Hierarchieproblemen zu zerfleischen? Die gute Nachricht: Das Unternehmen gibt es als Innovationsagentur bis heute und es arbeitet erfolgreich im Auftrag großer Unternehmen. Die 30 Gründer haben sich nicht zerfleischt, sondern sich einen weitgehend hierarchiefreien Arbeitsmodus verpasst, der ihnen sogar den Kultur- und Kreativpiloten-Preis der Bundesregierung einbrachte.

Auch wissenschaftlich wird das Thema der teambasierten Innovation angegangen. Rund 30 Doktoranden in Stanford und am HPI erforschen seit 2008 im Rahmen des von Hasso Plattner finanzierten »Design Thinking Research Program« die Quellen der Kreativität, entwickeln neue, Kollaboration unterstützende Software wie zum Beispiel das Tele-Board, ein virtuelles Whiteboard, das die Zusammenarbeit verteilt über verschiedene Standorte hinweg möglich macht, und führen internationale Studien zur Innovationsentwicklung in Unternehmen durch.

Stimmen zu Design Thinking

Die HPI D-School in Potsdam ist mittlerweile auch zur Anlaufstelle und zum Vorbild für Bildungseinrichtungen aus aller Welt geworden. Bereits 2012 unterstützte die D-School den Aufbau der ersten chinesischen Design-Thinking-Einrichtung an der Communication University of China in Peking und kurze Zeit später wandte sich die malaysische Staatsregierung an das HPI mit der Bitte um Unterstützung beim Aufbau des Innovationszentrums Genovasi in Kuala Lumpur. Weitere Kooperationen laufen derzeit in Istanbul, Stockholm und Kapstadt.

Über 700 Studierende der HPI School of Design Thinking haben mittlerweile mindestens ein Semester lang im Design-Thinking-Modus verbracht. An über 100 Projekten haben sie in den letzten Jahren an Themen aus allen Lebensbereichen gearbeitet, es sind, wie bereits erwähnt, über 20 Start-ups und Spin-offs in der Zwischenzeit von Absolventen gegründet worden. Knapp 2000 Professionals haben sich in Design-Thinking-Workshops mit dem neuen Mindset vertraut machen lassen und sind dabei, ihren Arbeitsalltag zu verändern. Über 100 Lehrende umfasst mittlerweile das Teaching Team der HPI D-School. Viele Stimmen also, die von Erlebnissen mit Design Thinking berichten können. Wir wollten in diesem Buch einige zu Wort kommen lassen. Wir fragten Professoren, wie sich Design Thinking auf ihre Lehre ausgewirkt hat, wir fragten Industrievertreter, wie sich ihr Arbeitsalltag verändert hat, wir fragten Schulvertreter, welche Rolle Design Thinking in der Schule spielen könnte, und wir fragen Absolventen, wie sich die Zeit an der HPI D-School auf ihr Leben ausgewirkt hat.

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Bildungseinrichtungen mit Design-Thinking-Angeboten

Und wir sprachen mit dem Stanford-Professor Bernard Roth, der als Professor sowohl Larry Leifer als auch David Kelley in ihren Studienjahren begleitet hat und jetzt, als Emeritus, noch immer der akademische Leiter der Stanford d.school ist. Wir sprachen mit Carol Wong, die für die malaysische Regierung ein Innovationszentrum in Kuala Lumpur nach dem Vorbild in Potsdam aufgebaut hat. Und wir sprachen mit Frank Elstner, der durch ein Studentenprojekt auf Tuchfühlung mit der HPI D-School kam. Besonders bewegend ist der Beitrag von Raúl Aguayo-Krauthausen, Sozialunternehmer, der mit Glasknochenkrankheit im Rollstuhl sitzt und beschreibt, wie die Zeit an der D-School seinen Blick auf sich selbst grundlegend verändert hat. Viele verschiedene Perspektiven auf ein und dasselbe Thema sind in diesem Buch versammelt und eröffnen eine Reihe von Einsichten in die Vielfalt der Themenwelten, in denen man sich mit neuem, auf Kooperation setzendem Denken erfolgreich bewegen kann.

Die Herausgeber

I. DESIGN THINKING IN BILDUNG UND FORSCHUNG

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Holger Rhinow
TEAMARBEIT UND ACHTSAMKEIT

HPI-Stanford Design Thinking Research Program

Wenn ich außerhalb des Instituts von Design Thinking erzähle, verstehen in der Regel nur wenige sofort, wovon ich eigentlich spreche. Dann wird mir klar, dass wir mit unserer Arbeit doch ziemlich weit weg von dem sind, was sonst »da draußen« gemacht wird. Für mich dagegen ist Design Thinking so selbstverständlich geworden, dass ich mir immer wieder bewusst machen muss, wie wir nach außen anschlussfähig bleiben, und dafür hilft es, sich auch einmal die historischen Dimensionen klarzumachen.

Seit der Industrialisierung, seitdem Menschen also damit begonnen haben, gemeinsame Ziele in kooperativen Formen zu verwirklichen, können wir erleben, wie große Ideen und Initiativen in Teilprojekte und einzelne Arbeitsschritte zerfallen, die in künstlich voneinander getrennten Bereichen abgearbeitet werden. Wir sind effizient geworden in dem, was wir tun. Aber uns ist das Gefühl für die Zusammenhänge abhanden gekommen, wenn es denn jemals vorhanden war. Wir berauben uns unserer eigenen Gestaltungsmöglichkeiten, die uns beispielsweise durch die Digitalisierung geboten sind, die wir aber nur in Ansätzen nutzen können, weil wir Experten voneinander isolieren und mittels Hierarchien neue Grenzen abstecken. Diese potenziellen Gestaltungsmöglichkeiten brauchen wir aber für die zukünftigen Herausforderungen, insbesondere im ökologischen Bereich.

Wir brauchen eine übergreifende Zusammenarbeit, eine gemeinsame Sprache zwischen den Kulturen und Disziplinen. Sehr viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Trends deuten auf ein Umdenken hin, weg von sinnentfernten Insellösungen. Design Thinking ist ein Trend in dieser Strömung, den ich hier sehe. Design Thinking steht für eine Form der Zusammenarbeit, die uns für die Signale außerhalb unseres eigenen kleinen Radius sensibilisiert, oder wie Karl Weick es ausdrücken würde: Es ist eine Form der Zusammenarbeit, die die Achtsamkeit ihrer Beteiligten für schwache Signale erhöht.

Betrachtet man beispielsweise Organisationsformen im historischen Kontext, taucht, insbesondere für die jüngste Zeit, ständig das Thema Veränderungen auf. Ein Unternehmen wie Google ist innerhalb von wenigen Jahren zu einem riesigen, multinationalen Unternehmen geworden – in einer Art und Weise, wie sie vor 50 Jahren nicht denkbar war. Damals sind Unternehmen über einen längeren Zyklus gewachsen und dies vornehmlich in einer Marktnische, die sie langfristig besetzt haben. Ein Unternehmen wie Google hingegen ist zunächst einmal ein Unternehmen mit unglaublichen technologischen Möglichkeiten. Und aus diesen Möglichkeiten heraus wirkt es in die unterschiedlichsten Märkte hinein. Mehr noch: Google schafft sich seine eigenen Märkte. Ich glaube jedoch, dass wir ein Unternehmen wie Google in allzu großer Differenz zu den anderen Unternehmen wahrnehmen. Wir glauben an die herausragende Stellung einiger weniger Unternehmen des digitalen Zeitalters, ohne zu verstehen, dass heutzutage nahezu jedes Unternehmen auch ein digital geprägtes Unternehmen darstellt, ob es nun Software oder Schrauben herstellt. Wir arbeiten nun seit einigen Jahren mit digitalen Devices aller Art und sind doch erst am Anfang, wenn es darum geht zu begreifen, wie stark diese veränderte Situation unsere alltäglichen Handlungs- und Denkmuster verändern wird. Was bedeutet das Thema der digitalen Vernetzung in der Zusammenarbeit für uns heute und was wird es in 50 Jahren bedeuten? Können wir heute schon erahnen, wie die bereits bestehenden Technologien unser Denken und Handeln verändern werden? Oder werden wir uns nicht eher ganz neue Kulturtechniken aneignen, die wir heute gar nicht erahnen können? Stellen Sie sich vor, Sie reisen mit einer Zeitmaschine zurück ins Jahr 1960 und wollen dem ersten Menschen, dem sie dort begegnen, erläutern, warum wir in der Zukunft einen Service namens Twitter nutzen, und warum wir ihn so nutzen, wie wir es heute tun, und nicht anders. Es könnte ein langes Gespräch werden.

Jenseits von Disziplingrenzen

Angesichts der Digitalisierung aller Lebensräume und der daraus entstehenden Folgewirkungen ist es nicht gerade verwegen zu behaupten, dass wir als Menschen immer wieder an unsere eigenen Verständnisgrenzen herangeführt werden. Unser Verständnis von der Welt ist immer noch stark geprägt von den Disziplinen, denen die wir ausgebildet wurden und in denen wir uns naturgemäß zuhause fühlen. Ich glaube daher, dass eine neue Form der Zusammenarbeit, in der Disziplinen intuitiv aneinanderrücken, ohne sich aufzulösen, entstehen wird und dass genau diese Form eine große Hilfe darstellen kann für die oben beschriebene technologisch-gesellschaftliche Veränderung. Und da das Bedürfnis so stark ist, bin ich mir sicher, dass wir in Zukunft noch viele unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit erleben und ausprobieren werden und dass Design Thinking schon heute eine vielversprechende Form darstellt, mit der es sich zu arbeiten lohnt.

Sollte sich die interdisziplinäre Arbeit tatsächlich als das geeignete Modell für einen Umgang mit einer zunehmend komplexeren Welt herausstellen, so haben wir heute mit Design Thinking bereits einen sehr konkreten Vorschlag auf dem Tisch liegen, wie wir uns damit vertraut machen können. An der d.School und der HPI School of Design Thinking können wir die ersten Gehversuche in diese Richtung bereits gut beobachten.

Ich erlebe, welchen tiefgreifenden Einfluss die Ausbildung auf unsere Studierenden haben kann. Viele von ihnen wollen diese Art der Zusammenarbeit nicht mehr missen und können sich für traditionelle Arbeitsformen nur noch wenig begeistern. Wenn sie einmal in einem Umfeld arbeiten, in dem gegenseitige Wertschätzung, permanentes Lernen und das Denken in Möglichkeiten anstatt in Verboten zur Kultur gehören, reagieren sie schnell irritiert auf die herkömmlichen Arbeitsangebote. Diese Verunsicherung zu erleben, berührt mich. Ich wünsche mir, dass sie in Zukunft nicht dazu führt, dass sich die Studierenden aus der Wirtschaft und anderen Arbeitsbereichen heraushalten, sondern dass sie im Gegenteil den Impuls entwickeln, dort für Veränderungen zu sorgen und alternative Möglichkeiten in die bestehenden Strukturen einzupflanzen.

Design Thinking in der Forschung

Ich selbst brauchte eine Weile, um zu verstehen, wie umfänglich die Konfrontation mit Design Thinking mich in meiner eigenen Haltung verändern würde. Ich erinnere mich zwar gerne an Gespräche in Seminaren mit Herrn Bolz, Professor für Medienwissenschaften an der TU Berlin, in denen mir deutlich wurde, wie umfassend wir durch Design geprägt werden. Es ist aber noch einmal eine andere Erfahrung, sich selbst in die Rolle zu begeben und neue Lösungen zu designen, und damit Tatsachen in die Welt zu setzen. Diese Erfahrung ging über die intellektuelle Auseinandersetzung hinaus; mir ist erstmals klar geworden, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes die Dinge in die Hand nehmen können, wenn wir es denn wirklich wollen.

Wenn jemand daran interessiert ist, seine Arbeitsweise um den Design-Thinking-Ansatz zu erweitern, würde ich als Erstes danach fragen, worin dieses Interesse begründet liegt, welches Bedürfnis sich damit verbindet. Ich bin überzeugt davon, dass Design Thinking kein Selbstzweck sein kann, sondern für ganz unterschiedliche Bedürfnisse mal mehr, mal weniger hilfreich sein kann. Diese Bedürfnisse interessieren mich. Und dazu würde ich mehr wissen wollen. Ich habe mittlerweile viele Menschen, Studierende wie auch Professionals, mit der Idee von Design Thinking in Berührung gebracht und dabei viele fruchtbare Gespräche geführt. Viele der Teilnehmer aus unseren Workshops sind stark berührt von unseren »Alternativvorschlägen«. Später erzählen sie uns ab und an, wie das Erleben von Design Thinking, die eigene Sicht auf ihre Arbeit verändert hat. Wie sie diesen Impuls nutzen, das ist eine sehr persönliche und individuelle Erfahrung. Und das ist sicherlich auch gut so.

Interessant ist es für mich, auch als Forscher auf das Thema zu schauen. Denn natürlich beeinflusst mich das methodische Vorgehen des Design Thinking auch in der Forschung, aber zugleich ist es Gegenstand meiner Forschung. Eine ganz schön selbstreferenzielle Erfahrung, wie ich zugeben muss.

»Wenn sie einmal in einem Umfeld arbeiten, in dem gegenseitige Wertschätzung, permanentes Lernen und das Denken in Möglichkeiten anstatt in Verboten zur Kultur gehören; reagieren sie schnell irritiert auf die herkömmlichen Arbeitsangebote.«

Ein Thema unserer Forschung war die Auseinandersetzung mit dem Thema Prototyping. Wir wollten verstehen, wann Prototypen zum Einsatz kommen, was mit den Teams passiert, die sie bauen, und welchen Einfluss sie auf ihre Umgebung erzeugen können. Ein Ergebnis aus dieser Forschungsfrage ist das Design eines Kartensets, in dem wir fast 40 verschiedene Prototypen und ihre Stärken aufzeigen. Für uns war es selbstverständlich, dass wir während des Designs dieses Kartensets einen iterativen Prozess verfolgen werden, in dem wir zunächst von den Bedürfnissen der späteren Anwender dieser Karten ausgehen. Letztendlich soll das Kartenset seinen Anwendern eine Inspiration bieten, nicht mehr und nicht weniger. Und Inspiration zum richtigen Zeitpunkt ist unglaublich befreiend, ganz gleich ob es sich um Projekte an der Universität oder im Unternehmen handelt.

Design Thinking im Unternehmen

Wir können uns eine bestimmte Arbeitskultur wünschen, wir können sie aber nicht verordnen. Letztendlich ist die Arbeitskultur die Summe der Entscheidungs- und Verhaltensweisen, die die Mitarbeiter untereinander pflegen und auf die sie sich berufen. So ist auch Design Thinking zunächst einmal nicht mehr als ein Angebot, über die bestehende Arbeitskultur nachzudenken, indem wir Alternativen aufzeigen, die die Mitarbeiter nur dann annehmen werden, wenn sie bei ihnen Anklang finden. Mein Gefühl ist, dass wir gut daran tun, solche Alternativen anzubieten und mit der Resonanz darauf Schritt für Schritt weiterzuarbeiten, anstatt das gesamte Unternehmen auf einen Schlag verändern zu wollen. Unseren Partnern in den Unternehmen raten wir gerne, zunächst mit kleinen Dingen anzufangen, die man ändern kann und für die es einen großen Bedarf gibt. Design Thinking liefert genau hierfür das notwendige Instrumentarium, das man sich aneignen kann, sei es Prototyping, sei es der besondere Umgang miteinander in Teams. Wenn Mitarbeiter im Unternehmen dann feststellen, welchen positiven Effekt dieses Vorgehen haben kann, kommt es teilweise sehr schnell zu schönen Erfolgsgeschichten, die sich immer weiter fortsetzen, von Abteilung zu Abteilung übergehen, bis irgendwann die Arbeitskultur grundlegend anders aussieht. Ich glaube, das ist ein guter Weg, um Veränderungen anzustoßen, wenn man das möchte.

Zur Zukunft des Design Thinking

In der historischen Dimension, von der ich oben gesprochen habe, sind 20 oder auch 50 Jahre keine lange Zeit. Für die Menschen in den Unternehmen und Organisationen, die sich damit auseinandersetzen, bedeuten sie dagegen wahrscheinlich eine halbe Ewigkeit, in der viele Ansätze ausprobiert und auch wieder verworfen werden. Wir werden viele Beispiele erleben, in denen Angebote wie das Design Thinking unglaubliche und inspirierende Lösungen hervorbringen werden, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Und auf der anderen Seite werden wir vielleicht auch erleben, wie durch Design Thinking unterschwellige Konflikte und Probleme auftreten werden. Unternehmen sind gut beraten, unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit auszuprobieren, denn es gibt keinen Königsweg. Ich glaube, dass wir damit die Welt ein Stück weit verändern werden, nicht wegen der Methode als solcher, sondern weil sie Mittel zum Zweck ist, Mittel, um Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenzubringen, ohne sie dazu zu zwingen. Design Thinking darf nicht um des Design Thinkings willen stattfinden, das wäre das falsche Signal. Es geht darum, eine andere Arbeitskultur zu erleben und daraus neue Schlüsse zu ziehen. Und wir müssen dringend damit beginnen, über die Erfolgsgeschichten zu sprechen, die es gibt, aber die kaum jemand zu sehen bekommt. Wir dürfen nicht vergessen, uns und die Menschen zu inspirieren, die ebenfalls bereit sind, in Alternativen zu denken.