Autor: Ernest Chesneau

Übersetzung: Victoria Charles

Redaktion der deutschen Ausgabe: Klaus H. Carl

 

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ISBN: 978-1-78310-691-2

Ernest Chesneau

 

 

 

DIE ENGLISCHE MALEREI

(1683 - 1901)

 

ODER

VON KÖNIG GEORG II.

BIS ZUR KÖNIGIN VICTORIA

 

 

 

 

Inhalt

 

 

Die alten Meister (1730-1850)

Genre-, Historien- und Porträtmalerei

Die englische Porträtmalerei

Die Landschafts- und Aquarellmalerei

Die Landschaftsmalerei

Die Aquarellmalerei

Die moderne Schule (1850-1882)

Die Präraffaeliten

Präraffaelitische Landschaften

Landschafts-, Genre-und Historienmalerei

Landschaft und Landleben

Genremalerei

Historische Gemälde

Abbildungsverzeichnis

Kurzbiografien

Anthonis van Dyck, Lady Anne Carr,
Gräfin von Bedford, um 1638.

Öl auf Leinwand, 136,2 x 109 cm.

Petworth House, Sussex.

 

 

Die alten Meister (1730-1850)

 

 

Gibt es überhaupt eine englische Schule der Malerei? Streng genommen passt das Wort „Schule“ nur in sehr unvollkommener Weise zur Geschichte der englischen Malerei. Generell wird diese Vokabel verwendet, um eine Gesamtheit von Vorgehen und Traditionen, eine bestimmte Methode, einen charakteristischen Stil im Design und einen ebenso eigenständigen Geschmack in der Farbgebung zu bezeichnen – dies alles trägt zur Darstellung eines in den Köpfen der Künstler eines Landes zur gleichen Zeit bestehenden nationalen Ideals bei. In diesem Sinne spricht man von der Flämischen Schule, der Niederländischen Schule, der Spanischen Schule, von mehreren italienischen Schulen und von der Französischen Schule, aber nicht von einer Englischen Schule.

Das Wort kann auf die englische Kunst nicht angewandt werden, denn es ist genau dieses Fehlen einer nationalen Tradition, das beim Studium der englischen Malerei am meisten auffällt. Jeder Maler steht für sich selbst und ist von seinen Künstlerkollegen sozusagen isoliert. Von einer Einheitlichkeit der Methode oder der Unterrichtsmethoden ist keine Spur zu finden, es gibt keine systematische Unterrichtung seitens des Staates, der Academy oder der Schulen der schönen Künste. Die englische Kunst ist frei, und eben deswegen ist sie unendlich vielfältig, voller Überraschungen und unerwarteter Originalität.

Aber wenn man der Kürze halber unter dem Namen „Schule“ alle separaten, die Kunst einer Nation darstellenden Erscheinungsformen und eine der Geschichte würdige Kunst zusammenfasst, dann gibt es zweifellos auch eine Englische Schule. Ihr Aufschwung liegt schon zwei Jahrhunderte zurück, und doch war sie auf dem Kontinent ziemlich unbekannt. Erst zur Zeit der Pariser Weltausstellung des Jahres 1855, als die englischen Künstler jener Zeit ihre Produktionen zum ersten Mal über den Ärmelkanal schickten, wurden sich die übrigen Europäer ihrer Existenz bewusst. Die Überraschung in Frankreich war groß, als die Wände des kleinen, nur kurzlebigen Gebäudes in der Avenue Montaigne mit einem zu keiner französischen Augen vertrauten Schule gehörenden umfangreichen Bilderzyklus ausgestattet waren. Bis zu diesem Zeitpunkt war den Engländern weder Gefühl noch Genie – ich meine damit praktisches Kunstgefühl – zugestanden worden.

Es kann nicht bestritten werden, dass, auch wenn England damals keine großen Maler hatte, das Land aufstrebende Gelehrte, Amateure und Kunstsammler aufweisen konnte, die wohl wussten, dass die britische Aristokratie sehr reich ausgestattete Galerien alter Meister besaß, in denen die schönsten Werke Nicolas Poussins (1594-1665) und Antoine Watteaus (1684-1721) vereinigt waren, auch wenn diese in Frankreich zur Zeit Jaques-Louis Davids (1748-1825) recht geringschätzig behandelt wurden.

Vielleicht weniger aus echter Bewunderung denn mehr aufgrund dieses Erstaunens wurde die im Jahre 1855 so plötzlich entdeckte Schule etwas über ihre eigentlichen Verdienste hinaus gepriesen. Wären die Werke der englischen Maler des 18. Jahrhunderts zur gleichen Zeit ausgestellt worden, wäre die Entdeckung noch verblüffender gewesen und hätte einen solchen enthusiastischen Ausbruch der Bewunderung mehr verdient.

Im Jahr 1725 war England von dem unerwarteten Auftreten eines echten englischen Künstlers völlig überrascht. Englisch in seinen Anlagen, in seinen Gewohnheiten und seinem Temperament sowie von Geburt aus, war sein Fall fast beispiellos. Dieser Künstler war William Hogarth[1] (1697-1764).

Bis zu seiner Zeit wurden nacheinander ausländische Künstler, und von ihnen insbesondere die nordischen Maler – Hans Holbein d. J. (1497/1498-1543), Peter Paul Rubens (1577-1640), Anthonis van Dyck (1599-1641), der auch Peter Lely genannte Pieter van der Faes (1618-1680) und Federico Zuccaro (1542-1609) – von den englischen Herrschern an deren Hof geholt. Sie wurden beauftragt, Burgen, Kirchen und Schlösser zu dekorieren und erhielten nicht nur vom Hof, sondern auch vom Adel, großzügige Bestellungen, die aus ihrem Aufenthalt auf britischem Boden einen ständigen Triumph machten.

Sie hatten Schüler, die bei ihnen studierten und denen sie so viel von ihrer Kunst vermittelten, wie sie lehren konnten. Es war ihnen aber nicht möglich, ihre ganz besonderen Gaben zu kommunizieren – ihre Fantasie und ihren Erfindungsreichtum. Sir James Thornhill (1675/1676-1734), Maler und Feldwebel König Georgs I. (Georg Louis; 1660-1727), ein Gentleman von Geburt her und Mitglied des Parlaments, ist vielleicht der einzige Maler, der in seinen Wandmalereien in der Saint Paul’s Cathedral und in Greenwich so etwas wie künstlerisches Feuer bezeugt hat – aber auch er war nicht sonderlich originell. Er führte den Stil der französischen Maler des 17. Jahrhunderts und die Allegorien von Charles Le Brun (1619-1690) und Jean-Baptiste Jouvenet (1644-1717) mit nur einem kleinen Hauch des von Rubens’ Pinsel so reichlich ausgehenden Lebens weiter.

Der Beginn der Englischen Schule ist tatsächlich von Hogarth charakterisiert, er ist sozusagen ihr Giotto di Bondone (1266-1337), wie es in der Einleitung des Berichts der Internationalen Ausstellung von 1862 mit einigem Schwulst gesagt wurde. Aber man darf sich durch diese Worte weder in die Irre führen lassen noch ihre wahre Bedeutung verkennen. Angenommen, es gäbe wirklich eine Englische Schule der Kunst, folgt dann daraus, dass sie zu den großen Schulen gehört, die sich zwar stilistisch sehr voneinander unterscheiden, die wir jedoch ganz gewohnheitsmäßig verehren?

 

 

Genre-, Historien- und Porträtmalerei

 

Sicherlich gibt es in England eine gewisse Anzahl sehr angesehener Künstler, und darunter einige echte Meister. Aber abgesehen von ein paar leuchtenden Sternen muss zugegeben werden, dass das durchschnittliche Talent unter dem Niveau der kontinentalen Schulen liegt, und hier soll nun versucht werden, die Ursache dieser Unterlegenheit zu erklären.

Die Begeisterung über die ersten humorvollen Werke Hogarths hatte einen entscheidenden Einfluss auf die Englische Schule, der, wenn auch mit kontrolliertem Maßβ an Überschwang, heute noch besteht, und das ist der Boden, auf dem dieser zunächst von allen seinen Künstlerkollegen ignorierte intelligente Abenteurer in der Kunst sein Beobachtungszelt aufgeschlagen hatte.

In einer Zeit wie der damaligen, als die allgemeinen Reaktionen der breiten Bevölkerung äußerst gemäßigt waren und die höheren Klassen sich der Korruption und Frivolitäten hingaben, war eine von scharfem und durchdringendem Sinn für Humor unterstützte Satire bei sachlichen Menschen nicht sonderlich populär. Das entsprach Hogarths Erfahrungen. Er war überzeugt davon, dass eine getreue Darstellung der Sitten seiner Zeit teilweise wegen des Geschreis seiner dagegen auftrumpfenden Gegner und teilweise durch den Applaus der niederen Stände dem Mann, der verwegen genug war, auf die Missbildungen der zeitgenössischen Gesellschaft mit ihren Lastern und Schwächen hinzuweisen, nur Erfolg bringen könnte. Und seine Überzeugung war richtig.

Er begann, alle akademischen Arbeiten beiseite zu schieben und studierte die von Leidenschaft beseelte menschliche Physiognomie: in den Pubs, auf öffentlichen Plätzen, in Menschenmengen. Dann attackierte er heftig den Ruf des damals beliebten Malers William Kent (1685-1748), der behauptet hatte, bereits ein Jahrhundert vor Jaques-Louis David den einzig wahren, reinen griechischen Stil entdeckt zu haben. Dies war im Zusammenhang mit Kents Arbeiten eine ganz besonders lächerliche Anmaßung und völlig absurd, unabhängig von Zeitpunkt und Grundlage seiner Behauptung, denn es wäre nur eine klägliche Bestrebung der Pedanten gewesen, die sich hinter der doppelten Janus-Maske tarnten, aber blind sind für all das, was vor ihnen liegt und die nur Augen für die Vergangenheit haben.

Anthonis van Dyck,
Reiterbildnis Karls I., um 1637.

Öl auf Leinwand, 367 x 292,1 cm.

National Gallery, London.

William Hogarth, Die Hochzeit von
Stephen Beckingham und Mary Cox, 1729.

Öl auf Leinwand, 128,3 x 102,9 cm.

The Metropolitan Museum of Art, New York.

William Hogarth,
Das Krabbenmädchen, um 1740-1745.

Öl auf Leinwand, 63,5 x 52,5 cm.

National Gallery, London.

William Hogarth, Mariage à la Mode: 1, Der Ehevertrag, um 1743.

Öl auf Leinwand, 69,9 x 90,8 cm. National Gallery, London.

 

 

Hogarths wichtigste Waffe war die gnadenlose Wahrheit. Er war im wahrsten Sinne des Wortes Angelsachse – ein Beispiel ist sein Selbstporträt Der Maler und sein Mops (1745; London, Tate Collection). Mann und Hund sind vom gleichen Typus und dem Genie ihrer Rasse streng getreu. Er verschmähte grundsätzlich den Stil und die Tradition der großen Meister und hat bei beidem auch nie das verstanden, was „die Kunst“ genannt wird, die ebenso viel der Konzeption wie der realistischen Darstellung verdankt. Er war nicht kunstempfindlich. Die Schönheit der Natur, das Spiel des Lichts auf einem menschlichen Antlitz, der Ausblick auf ein tiefes Tal, das wechselvolle Blau der Wellen oder die fantasievollen Formen der Wolken erregten niemals auch nur für einen Augenblick seine Aufmerksamkeit. Kurz gesagt, Hogarth war erst in zweiter Linie ein Künstler, zunächst war er ein Moralist und wollte auch nicht mehr und nicht weniger sein.

Darin lagen seine Ehre und seine Stärke; heutzutage würde diese Tatsache seine Schwäche darstellen, wenn wir ihn gemäßβ der strengen Regeln des kontinentalen Geschmacks beurteilen würden. Und doch kann niemand mit größerer Begeisterung die Natur studieren, als es Hogarth tat, ohne dabei, vielleicht sogar unbewusst, gewisse, ganz besonders attraktive Schönheiten und Zeichen persönlicher Beobachtung zu zeigen, die den Betrachter sofort in ihren Bann ziehen. Die Legende berichtet, dass, als Hogarth eines Tages mit einem Freund in der Nähe einiger Nachbarhäuser spazieren ging, sie zwei beschwipste Mädchen sahen, die sich stritten. Eine von ihnen füllte plötzlich ihren Mund mit Gin und spuckte es in die Augen der anderen. „Schau, schau!“ rief Hogarth erstaunt und machte zur gleichen Zeit eine schnelle Skizze von dieser Szene, die er später in sein Bild Moderne Mitternachtsunterhaltung (um 1731; London, National Gallery) einfügte, in dem er das schreckliche Schauspiel der Laster der Londoner schilderte. Er hat sich nie erlaubt, eine Gelegenheit zu verpassen, um einen Brauch oder einen Charakter zu studieren – jedes Gesicht, das seine Aufmerksamkeit erregte, fing er sofort mit ein paar schnellen Bleistiftstrichen ein, wenn es sein musste und er kein Papier zur Hand hatte, auf seinem Daumennagel. Und so sind in seinen Werken die Haltungen und Handlungen wunderbar lebendig und unerschöpflich vielfältig, aber sie sind nicht nur richtig und in ihren banalsten Details getreu, manchmal sind sie auch edel und rührend.

Es gibt etwas in den Gesichtern seiner Frauen und Kinder, was wahrscheinlich weder Joshua Reynolds[2] (1723-1795) noch Thomas Lawrence (1769-1830) gesehen hätten. Als Beispiel gelte das Mädchen in Der Ehevertrag (um 1743-1745; London, National Gallery), das im Empfangszimmer des Quacksalbers ihre Tränen trocknet (Nr. 3 der Serie). Schauen Sie sich das junge Mädchen in einem rosa Unterrock und einem schwarzen Mantel in William Barings Bild Die Konversation an. Diese Gestalt ist eine der glücklichsten Farbkombinationen.

Als Maler hat Hogarth einige gute Porträts hinterlassen, unter anderem gibt es das Porträt des Kapitäns Thomas Coram (1740; London, Foundling Hospital), dessen Gründer der karitative Philanthrop war, das Porträt des Esquire John Wilkes (1727-1797) aus dem Jahr 1763, das Hogarth enorm übertrieben hatte, von dem Wilkes aber dennoch sagte: „Ich ähnele dem Porträt jeden Tag etwas mehr.“ Ein weiteres Porträt zeigt mit Henry Fielding (1707-1754) den berühmten Autor von Die Geschichte des Tom Jones, einem Findelkind (um 1746; London, British Museum); ein posthumes Porträt, für das der englische Schauspieler David Garrick (1717-1779) Modell saß, wobei er durch seine herrliche Mimik seinen eigenen Gesichtszügen den gewohnten Ausdruck des Schriftstellers gab; schließlich noch Porträts von David Garrick als Richard III. (1745; Liverpool, Walker Art Gallery), von Lavinia Fenton (1708-1760), der späteren Duchess of Bolton, als Polly Peachum in John Gay’s Beggars Opera (1728), und von seiner eigenen Frau.

Hogarth versuchte 1736 und 1737 ohne sonderlichen Erfolg, im großen Maßstab zu malen und führte auf den übergroßen Wandflächen des Treppenhauses im St. Bartholomew Hospital zwei Szenen aus der Heiligen Schrift aus: Der Gelähmte am Teich von Betesda und Der Barmherzige Samariter. Die Personen sind sieben Meter hoch. Aber auch in diesen ernsten Themen kann er auf Humor und Satire nicht verzichten. In Der Gelähmte am Teich von Betesda stellt er den Diener eines reichen Aussätzigen dar, der einen in dem heilkräftigen Wasser des Teiches ebenfalls seine Wunden badenden armen Teufel mit einem Stock aus ihrer Nähe vertreibt. In einem anderen Bild, das Danaë darstellt, hat er im gleichen Geist das Misstrauen einer alten Krankenschwester gezeigt, die mit ihren Zähnen ein Goldstück auf Echtheit testet.

Sein berühmtestes Werk ist A Harlots Progress (Das Leben einer Dirne; 1732; London, British Museum), eine Serie von sechs Bildern, in denen er wie in einer aristophanischen Satire die Romanze mit Komödie mischt. Man kann darin tatsächlich einige zeitgenössische Persönlichkeiten erkennen, etwa Oberst Francis Charteris, Parson Ford, Kate Hack und eine bekannte Kupplerin: Mutter Needham. Der beträchtliche Erfolg dieser Serie wurde bald danach von einem noch größeren übertroffen: Das Leben eines Wüstlings (1735; London, British Museum). Diese Serie ist als Drama in acht Akten aufgebaut. Ein im ersten Akt verführtes und verlassenes armes Mädchen kehrt im letzten Akt zu ihm zurück, als er seinerseits von einer großen Anzahl von Schwindlern, Raufbolden und Parasiten verlassen wurde, die ihn an den Rand des Wahnsinns gebracht hatten.

Hogarth malte noch einige andere Serien, etwa die Vier Tageszeiten (1738; London, British Museum) oder Die Wahlen (1757; London, British Museum). Aber die schönste Serie ist die Mariage à la Mode (um 1743; London, National Gallery), ein Satz von sechs Bildern.

Auf ein Gemälde muss noch hingewiesen werden, auf den Marsch nach Finchley (1750; London, Foundling House), ein satirisches Bild, das die Panik der von König Georg II. (1683-1760) geschickten Royal Guards schildert, die den Marsch des Prätendenten Charles Edward Stuart (1720-1788) auf London aufhalten sollten. Hogarth widmete es dem König, der, nachdem er es gesehen hatte, rief: „Wer hat es gewagt, so über meine Soldaten zu lachen? Nehmen Sie es weg! Nehmen Sie es weg, das elende Ding!“ Hogarth strich in seiner Wut die Inschrift aus und ersetzte die Worte durch: „Dem König von Preußen!“

Obwohl Hogarth die ganz großen künstlerischen Qualitäten fehlten, trotz seiner häufig auftretenden Fehler in den Zeichnungen und seiner schwerfälligen und sehr oft düsteren Weise faszinieren William Hogarths Bilder, und hat man sie einmal gesehen, kann man sie aufgrund ihres Humors, ihrer Stärke, ihrer Animation und Bitterkeit im Satirischen kaum wieder vergessen. Als Künstler besitzt er nur sekundäre Qualitäten, aber, so fügen wir hinzu, seine Bilder wurden durch die Gravur perfekt interpretiert. Und es gibt keine Arbeiten eines wahren Meisters, die einen solchen Prozess ohne Verlust des Hauptteils seiner Schönheit überstehen.

In der Geschichte der französischen Kunst gibt es einen Maler, der sich ganz besonders der in der Regel in geringen Dimensionen ausgeführten Darstellung der häuslichen und gemütlichen Szenen widmete, die er von William Hogarth übernommen hatte. Obwohl sein Humor nicht von der gleichen Art war, ist es sein ureigener, der auch von keinem anderen wieder erreicht wurde. Dieser Künstler ist Jean-Baptiste-Siméon Chardin (1699-1779). Wenn man zwischen einer Gravur aus Hogarths Gesamtwerk und einem guten Bild von Chardin wählen müsste, würde zweifellos niemand zögern, den letzteren zu wählen, denn Chardin konnte sich Gravuren des englischen Malers beschaffen, die jedem Bedarf entsprechen würden.

In England vergleicht man Hogarth sogar mit William Shakespeare (1564-1616), dem Dichter, dem Maler von allem, was herrlich und allem, was schön ist, dem Illustrator jeglichen Gefühls, vom bescheidensten bis zum erhabensten. „Wer ist Ihr Lieblings-Autor?“ fragte jemand eines Tages den Dichter Charles Lamb (1775-1834). „Shakespeare“, antwortete er. „Und danach?“ „Hogarth.“

So sehr hat Lamb das sittliche Element in Hogarth dem Künstlerischen bevorzugt. Ich dagegen ziehe die Meinung von Horace Walpole (1717-1797) vor, der allerdings keiner von Hogarths Freunden war: „Der Morgenempfang, des Grafen Esszimmer in Mariage à la Mode, die Wohnung des Gatten und seiner Frau, der Salon und das Schlafzimmer und zwanzig andere Bilder sind die wahrsten Darstellungen, über die wir in den nächsten hundert Jahren, was unseren Wohnstil anbetrifft, verfügen werden.“ Und er hatte recht.

Hogarth ist also im Wesentlichen ein moralischer Maler. Joshua Reynolds und Thomas Gainsborough[3] (1727-1788), seine Zeitgenossen in der Kunst, sind trotz des Altersunterschieds von zwanzig Jahren Künstler im wahrsten Sinne des Wortes.

William Hogarth, Mariage à la Mode: 6, Der Selbstmord
der Gräfin, um 1743. Öl auf Leinwand,

69,9 x 90,8 cm. National Gallery, London.

Thomas Gainsborough, Mr. und Mrs. Andrews, um 1750.

Öl auf Leinwand, 69,8 x 119,4 cm. National Gallery, London.

William Hogarth, Porträt der
Graham Kinder (Detail), 1742.

Öl auf Leinwand, 160,5 x 181 cm.

National Gallery, London.

 

 

Es ist schwierig, ein anderes Beispiel von zwei Künstlern zu finden, die scheinbar so ähnlich, aber, wenn man sie sorgfältig studiert, in der Realität doch so unähnlich sind. Sie wurden etwa zur gleichen Zeit geboren und führten ein sehr vergleichbares Leben. Sie beschritten den gleichen Weg, Seite an Seite, beide von der englischen Aristokratie gefeiert, deren sensibelste und verfeinertste Typen der Nachwelt überliefert wurden, jeder auf seine ebenso ernste Weise. Doch gab es aufgrund ihrer Erziehung eine große Kluft zwischen ihnen.

Joshua Reynolds, der Sohn eines Landschulmeisters, verdankte seine künstlerischen Neigungen seinen klassischen Studien. Der die Natur liebende, stets suchende und sie verinnerlichende Thomas Gainsborough dagegen fand sein künstlerisches Talent dank seines ihn frei umherstreifen lassenden Vaters überwiegend inmitten der sein Dorf umgebenden Felder und Wälder. Und was für charmante Anekdoten gibt es über ihn! Eines Tages, so wird erzählt, fing Gainsborough, selbst noch ein Kind, mit wenigen Bleistiftstrichen den exakten Ausdruck und die kühne Haltung eines jungen Igels ein, der sich über die von einem Baum, dessen schwere Äste über die Gartenmauer hingen, gefallenen Birnen hermachte. Ein anderes Mal, so heißt es, wurde ein Nachbar durch das lebensechte Aussehen einer von dem jungen Künstler gemalten Figur so getäuscht, dass er diese ansprach. Gainsborough war gerade aus London zurückgekehrt, wo er von den Schulen und der Academy sehr enttäuscht war, obwohl er dort doch die Grundlagen seiner Kunst gelernt hatte.

Als Gainsborough viel später nach London zurückkehrte, kam er als ein noch recht unbekannter Mann mit einer Fülle an Naturstudien direkt aus Suffolk, das er bis dahin noch nie verlassen hatte, während Reynolds bereits Spanien, die Küsten des Mittelmeeres und Italien besucht und dort die Werke von Raffael da Urbino (1483-1520) und Tiziano Vecellio (um 1477/1490-1576) nicht nur bewundert, sondern mit unglaublicher Energie gründlich analysiert und in allen Einzelheiten studiert hatte. Reynolds beschloss seine auf der Schulbank mit Jonathan Richardsons (1665-1745) Traktat über die Malerei (An Essay on the Theory of Painting, London 1715) begonnene Ausbildung in den Galerien von Rom und Venedig.

Und so ist Reynolds’ Talent ein glänzender Sieg des Willens, das von Gainsborough wie die spontane Entfaltung einer Knospe, die in ihrem natürlichen Übergang zur Frucht reift – eine Frucht von exquisitem Geschmack. Was Reynolds dank seiner ihm eigenen scharfen Intelligenz ohne Schwierigkeiten lernte, stellte sich Gainsborough in seinem Wald von Suffolk vor und schuf es zur Befriedigung seiner Fantasie.

So gibt es aus den von Gainsborough hinterlassenen Werken noch viel mehr zu lernen als aus den von Reynolds in einer Sammlung von Referaten an der Academy festgelegten Regeln, so weise und lehrreich sie auch sein mögen. Auch beim Malen der anmutigsten Dame oder des englischsten Jungen – in anderen Worten, die aufgeweckteste und der frischeste – verliert sich Reynolds nie so sehr in seinem Modell, als dass er die alten Meister vergessen könnte. Als Beispiel können die an Bartolomé Esteban Murillo (1618-1682) erinnernden Der Gelehrte oder auch das Porträt Frau Harley als Bacchante (ein auch unter dem Titel Mutterliebe bekanntes Bild) dienen, in denen zu oft auf den Einfluss von Leonardo da Vinci (1452-1519) hingewiesen wird. Dies gilt auch für das Porträt in der Sankt Petersburger Eremitage Amor löst den Gürtel der Venus (Cupid Untying the Zone of Venus, 1788), von dem sich eine Nachbildung in der National Gallery, London, befindet, in dem er seine Erinnerungen an Tizian mit seinen eigenen Manierismen mischt. Ähnliche Erinnerungen sind noch deutlicher in dem Porträt der Mrs. Sarah Siddons und im Bild Cymon und Iphigenie (um 1775-1789; The Royal Collection), einem Thema aus Giovanni Boccaccios (1313-1375) Novellensammlung Decamerone (1349/1353). Aber es wäre ungerecht, sich zu lange mit diesen kleinen Mängeln aufzuhalten, auf die nur hingewiesen wurde, um die künstlerischen Teile eines Talents und die von ihm so gründlich erworbene Natur aufzuspüren. Reynolds verdient als Künstler gleichwohl das höchste Lob, und gerade darum, weil es ihm in den zahlreichen für seine Palette gesammelten Beiträgen gelang, in einer ihm völlig eigenen Einheit kunstvoll zu mischen und zu verbergen.

Seine Porträts sind echte Bilder, und es ist völlig belanglos, ob man die dargestellten Personen kennt oder nicht, sie alle sind eigenständige Kunstwerke. Reynolds besitzt das Geheimnis der charakteristischen Anmut der Frauen und Kinder. Er gibt mit erstaunlicher Leichtigkeit die höchst flüchtigen Launen der Mode wider, indem er ihnen den unsterblichen Stempel der Kunst verleiht. Die unschuldige Freude der Mutter, die Naivität und die verborgene Leidenschaft des Mädchens, das Erstaunen, die naive Unbeholfenheit, das hübsche, rebellische und schmeichelnde Verhalten des Kindes mit seiner festen, rosigen Haut – von all dem hat er den Charme und das Parfüm extrahiert.

Es ist das Gleiche in Reynolds Umgang mit Menschen. Im Allgemeinen sind seine Modelle jung, schlank, hochrangig, und ihre vornehme Eleganz des Stils verleugnet in keiner Weise ihren Anspruch auf aristokratische Exzellenz. Er stellt die Personen nie in festen Posen dar, sondern mitten im aktiven Leben, als ob sie nur durch des Künstlers Ankunft unterbrochen worden seien. Betrachten Sie das bewundernswerte Porträt des Nationalhelden Lord Heathfield of Gibraltar (1787; London, National Gallery), des ehemaligen George Augustus Eliott (1717-1790). Gekleidet in die Uniform eines Generalleutnants, steht er barhäuptig im dichten Qualm der Schlacht bei Gibraltar und hält den schweren Schlüssel der im Hintergrund des Bildes gezeigten Festung in der Hand – ein Hinweis auf die berühmte Verteidigungsschlacht (1779-1783), deren Held er war. Die Haltung des Generals, fest wie ein Fels im Sturm, und die großartige Idee des Schlüssels als Zubehörteil zeigen, weil es so perfekte Merkmale des Menschen sind, die kraftvolle Findigkeit des Genies.

Hierin liegt das Geheimnis des anhaltenden Interesses an so vielen der Werke Reynolds, die doch „nur“ Porträts sind. Aber was für Porträts! Und welches sollte man vorziehen? Welches ist attraktiver als das andere? Ist es das Porträt von Francis Rawdon-Hastings (1754-1826; um 1789, Windsor, Royal Collection), der sich in seiner scharlachroten Uniformjacke offenbar nicht so richtig wohl fühlt, seinen Degen zu seiner Rechten, den Finger nachdenklich an den Lippen, versunken in eine Meditation – unentschlossen, ob er handeln soll oder nicht. Oder ist es das eine oder das andere artige kleine Mädchen in Zeit der Unschuld (um 1788), das still und leise irgendwo in der Natur ruht? Oder ist es Reynolds Porträt der kleinen Prinzessin Sophia Mathilda von Gloucester (1773-1844; um 1774, Royal Collection), die auf dem Rasen eines Parks ein Hündchen fest im Arm hält? Könnte es nicht auch das Porträt der Elizabeth Hervey (1759-1824; um 1789; Suffolk, Ickworth House) sein, der späteren Herzogin von Devonshire, die sich spielerisch gegen die Angriffe ihrer kleinen halb bekleideten Tochter wehrt, deren zerstörerische Hand die Symmetrie ihrer Mutters Frisur zu zerstören droht, oder das Porträt Kitty Fishers als Kleopatra (1759-1765; London, Kenwood House, The Iveagh Bequest), mit schmachtenden Augen, Stupsnase und amourösen Lippen, eine Perle fallen lassend, mit einem charmanten Hauch Koketterie, mit einem für ihre Hand viel zu schweren, geschliffenen Kelch. Oder ist es eines der Porträts der Mary Robinson (1757-1800), der Dichterin und Schauspielerin in Covent Garden, in die sich der Prinz von Wales, der spätere König Georg IV. (1762-1830) Hals über Kopf verliebt hatte, oder das der Tragödin Sarah Siddons?

Was für ein Leben und Atmosphäre gibt es auf dem Bild von Lady Charles Spencer als Amazone, mit rotem Über- und Unterrock und weißem Mieder, mit Gold und Rot bestickt, die Haltung des Kopfes trotzig, temperamentvoll, entschlossen, das Gesicht von der Jagd belebt, die Augen weit offen und voller Feuer, das kurze, lockige Haar so ungezähmt wie das eines kleinen Jungen! Mit ihrer behandschuhten Hand streichelt sie zärtlich den Kopf ihres Pferdes, das sich eben gerade noch unter der leichten und charmanten Last inmitten der Bäume des Waldes tummelte, wo Lady Spencer für einen Moment anhielt. In der Tat, unter all den weiblichen Porträts kann man nicht sagen, welche das Beste ist.

Ja, aber es gibt doch ein zuvor noch nicht erwähntes Meisterwerk – das Porträt der Nelly OBrien (1763; London, Wallace Collection). Ich habe viele andere Bilder von Reynolds gesucht und gesehen – alle die gerade erwähnten schönen Porträts: Das Exil, eine dramatische Figur, oder eine Heilige Familie, etwas alltäglich – aber unter all den Werken dieses Künstlers habe ich nichts gefunden, was mit diesem wunderbaren Gesicht vergleichbar wäre. Darin macht Reynolds unbestreitbar seinen Anspruch geltend, zu den großen Meistern zu zählen, und hätte er kein anderes Bild als dieses eine gemalt, hätte er dadurch sicherlich einen bleibenden Ruhm erworben.

Thomas Gainsborough, Porträt der Töchter des
Malers mit einer Katze (Detail), um 1760-1761.

Öl auf Leinwand, 75,6 x 62,9 cm. National Gallery, London.

Thomas Gainsborough,
Mary, Gräfin von Howe, um 1760.

Öl auf Leinwand, 244 x 152,4 cm.

Kenwood House, London.

Joshua Reynolds, Die Gräfin Spencer
mit ihrer Tochter Georgiana, 1760.

Öl auf Leinwand, 122 x 115 cm.

Sammlung des Grafen Spencer, Althorp.

Joseph Wright, Das Experiment mit dem
Vogel in der Luftpumpe (Detail), 1768.

Öl auf Leinwand, 183 x 244 cm.

National Gallery, London.

 

 

Von der Ausführung her zeigt das Gemälde keine Zeichen von Schwäche, ja, bei Weitem nicht. Man bemerkt, mit welch vollendeter Geschicklichkeit der Künstler mischte, abwechselnd schattierte und die weißen, neutralen und rötlichen Farbtöne zur Geltung brachte, aus denen sich das Bild ausschließlich zusammensetzt. Reynolds hat die Verwendung einer großen Anzahl von Farben in seinen Bildern immer vermieden, drei oder vier Töne – oder sogar weniger – unendlich oft gemischt und vervielfältigt, sind ihm genug; er hat eine große Vorliebe für rot, aber in diesem Porträt hat er sich seine Lieblingsfarbe in großem Maße verweigert. Dieses seinen Anspruch auf größten Ruhm untermauernde Meisterwerk konnte nur von der Hand eines Mannes geschaffen werden, der sowohl im Norden wie im Süden und damit in jedem Land, in welches das Genie der Kunst seinen göttlichen Fuß gesetzt hatte, so viele der sublimen Realisierungen der großen Meister gesehen und studiert hatte. Alles in diesem exzellenten Gemälde gehört ganz zu Reynolds, der immer behauptete, alle Ideen während seiner Reisen von Leonardo da Vinci, Antonio da Correggio (1489-1534), Diego Velázquez (1599-1660) und Rembrandt van Rijn (1606-1669) ausgeliehen zu haben.

Aber wenn man dieses exquisite Gesicht unparteiisch beurteilen will, muss gesagt werden, dass diese Nelly O’Brien im Vergleich zu irgendeinem italienischen Meisterwerk eine unbefriedigende Arbeit eines ungestümen Geistes ist. Es ist das in der Temperatur eines Treibhauses entstandene Ergebnis einer äußerst verfeinerten Zivilisation, eine Schöpfung, die Gainsborough, schließlich ein Sohn der gleichen Erde und gestärkt durch den anregenden Duft der Wälder, sich nie hätte vorstellen können und die er glücklicherweise auch nie in der Lage war zu verstehen.

Gainsborough hat auch seine Meisterwerke geschaffen, etwa Knabe in Blau (1770; Huntington Art Gallery, San Marino, Kalifornien) und andere große Werke, die in der Rangordnung über die von Reynolds eingeordnet werden können. Aber wie kann man der mächtigen und geheimnisvollen Anziehungskraft widerstehen, die uns vor dem Bild der Nelly O’Brien in Bann schlägt? Gainsborough hat nur einen Jungen gemalt, und warum hat er keine Frau gemalt? Doch sollten wir ihm zweifellos gerecht werden, vielleicht sollten wir ihn mit Reynolds gleichsetzen, vielleicht sollten wir Gainsborough sogar als Reynolds überlegen betrachten. Gainsborough beschränkte sich allerdings nicht darauf, mit Reynolds in der Darstellung der überheblichen Charaktereigenschaften der englischen Aristokratie zu rivalisieren, er war auch ein großer Landschaftsmaler.

Trotz der zahlreichen Aufträge, denen Gainsborough, nachdem er beschlossen hatte, nach London zurückzukehren, seinen rasch erworbenen Ruhm verdankte, und obwohl er kaum die Bestellungen seiner aristokratischen Kunden befriedigen konnte, hatte er doch seinen ersten Lehrer, die Natur, nie vergessen. Er ist ihm häufig gelungen, freie Zeit für Wanderungen zu finden. Er wird etwas später als Landschaftsmaler vorgestellt werden, aber jetzt soll schon gesagt werden, dass er der Urheber, der Vater der modernen Landschaft war. Glücklich über die Schönheiten, die er in seinem Landhaus entdeckte, studierte er sie in all ihrer Einfachheit, was ihm erheblich hilfreicher war als die schönsten Erfindungen der akademischen Geometrie. Darauf hinzuweisen, ist wichtig, da es zeigt, in welcher Hinsicht sich Gainsborough als Porträtmaler von seinem Rivalen unterscheidet. Ihre Unterschiede sind in ihren Ergebnissen kaum bemerkbar und nicht von der Art, die jedem ins Auge fallen, sodass zwischen den Künstlern ein Antagonismus entsteht.

Beide waren mit Talent gesegnet, die Familienähnlichkeit in ihren Modellen jedoch – alle waren englisch – hat viele oberflächliche Beobachter enttäuscht. Dennoch sind die Unterschiede zwischen ihnen, deren Ursache ein ganz andersartiges, in direktem Widerspruch stehendes Wertesystem war, fundamental.

Reynolds erreichte in seinen Porträts die so aufsehenerregenden Effekte durch den Kunstgriff einer ausgereiften Technik. Er schuf für seinen eigenen Gebrauch ein komplettes Arsenal, eine ganze Reihe von Regeln und bewährte Systeme, die er dank seines sorgfältigen Studiums der alten Meister ausgewählt und gesammelt hatte. Er musste so viel Licht oder so viel Schatten haben, er vermied systematisch diesen oder jenen Farbton, und nur durch sein außerordentliches Geschick in der Ausführung gelang es ihm, die Dürftigkeit der Konzeption zu verbergen.

Joshua Reynolds, George Capel,
Viscount Malden und Lady Elizabeth Capel,

1768. Öl auf Leinwand, 181,6 x 145,4 cm.

The Metropolitan Museum of Art, New York.

Thomas Gainsborough,
Porträt der Mrs. Sarah Siddons, 1785.

Öl auf Leinwand, 126 x 99,5 cm.

National Gallery, London.

Benjamin West, Der Tod des Generals Wolfe, 1770.

Öl auf Leinwand, 152,6 x 214,5 cm.

National Gallery of Canada, Ottawa.

 

 

Gainsborough dagegen sah sein Modell in der gleichen Weise, wie er die Natur betrachtete. Es war das Modell, das ihn in jedem neuen Werk mit frischen künstlerischen Ideen versah. Er betrachtete es mit seinen Augen, wohingegen Reynolds es vorab berechnete. Geleitet von einer angeborenen Würde und einem instinktiv richtigen Geschmack, gab er sich, obwohl immer wahrheitsgetreu, nie den Trivialitäten Hogarths hin, der zwar genauso ehrlich ist, aber auf eine andere Art und Weise: Hogarth zeigte die schlechte Seite seines Motivs, um es umso offener für die Zensur zu machen; auch seine Porträts, obwohl von einer verblüffenden Ähnlichkeit, wie wir von seinen Zeitgenossen wissen, sind übertrieben, abstoßend, und, um es gelinde auszudrücken, vulgär.

Gainsborough bemühte sich, alles wiederzugeben, was bei seinen Modellen rein und edel war, und gibt somit, ohne sonderlich schmeichelhaft zu sein, jedem von seiner Hand geschaffenen Werk ein bestimmtes, mit Wahrhaftigkeit kombiniertes Merkmal der idealen Würde. Er hält sich, von Natur aus wahrheitsgetreu, von den geschickten Tricks Reynolds ebenso fern wie von der naiven Ungeschliffenheit Hogarths. Deswegen kann man nun auch verstehen, wie Pedanten jeder Art, ohne sein Talent zu leugnen (schließlich gibt es auch eine Pedanterie der Hässlichkeit), diesen Künstler als zweitklassig einordnen, weil er einfach ihren ästhetischen Ansprüchen nicht genügte. Aber was ist geschehen? Einfach dies, dass Gainsborough sich eines Tages, als er durch Reynolds exklusive Theorien gründlich verärgert und provoziert war, aus seinem friedlichen Dasein aufrappelte, seine momentane Lieblingsbeschäftigung (nicht die Konzeption von Vorträgen und Abhandlungen über Kunst, sondern die so leidenschaftlich geliebte Musik) aufgab und dann, als ruhiger Bewunderer der Natur, dem Künstler leere, bereits durch die einfache Anwendung kraft seines Pinsels, mit dem er die Regeln so sorgfältig umgesetzt hatte, gründlich widerlegte Worte vorwarf. In einem seiner Vorträge an der Academy hatte Reynolds die Grundsätze festgelegt, dass in einem Bild Blau nicht als dominierende Farbe verwendet werden soll und dass die lebendigsten Farbtöne in die Mitte des Bildes zu platzieren seien.