Inhalt

  1. Vorwort von Hans Heiss:
  2. „Bayerisch-tirolische Waffenbrüderschaft“? Das Alpenkorps 1915 in Tirol.
  1. Einleitung
  1. Die Situation am Vorabend des italienischen „Intervento“
  1. Kriegsschauplatz Hochgebirge
  1. Die Aufstellung des Alpenkorps
  1. Erster Einsatz in Südtirol
  1. Abschied aus Südtirol. Oktober 1915
  1. Die Erinnerung in Literatur und Film
  1. Schlussbetrachtung
  1. Anmerkungen
  1. Anhang
  1. Abkürzungsverzeichnis
  1. Quellen- und Literaturverzeichnis
  1. Bildnachweis
  1. Dank

Die Drucklegung dieses Buches wurde ermöglicht durch die Südtiroler Landesregierung/Abteilung Deutsche Kultur, die Nordtiroler Landesregierung/Abteilung Kultur und durch die Autonome Region Trentino-Südtirol in Zusammenarbeit mit dem Tiroler Geschichtsverein.

Zur Erinnerung an Paul Voigt

(1889–1919)

„Bayerisch-tirolische Waffenbrüderschaft“? Das Alpenkorps 1915 in Tirol.

Nach der Kriegserklärung des Königreichs Italien an Österreich-Ungarn erhielten die schwachen österreichischen Truppenverbände und die einrückenden Standschützen unerwartete, aber willkommene Verstärkung. Bereits am letzten Maitag 1915 schilderte Zeitzeuge Anton von Mörl, später Sicherheitsdirektor von Tirol, fasziniert das Eintreffen einer motivierten Truppe, die den Tirolern den Rücken stärkte:

„Am Morgen des 31. Mai kam ein bayerisches Jägerbataillon gegen Sexten anmarschiert. Für uns ein ungewohntes Bild. Die Kompanien dicht geschlossen, jede Doppelreihe mit der Nase beinahe auf dem Tornister der Vorderen. Die Kompanien in strengem Schritt und gleichen Abständen. […] Die hohen Stiefel rauschten im Takt einer Maschine durch den grundlosen Kot der Sextener Straße […]. Uns allen aber schien diese unentwegt durch Regen und Kot marschierendeTruppe mit dem unwiderstehlichen Rhythmus ihres Marsches wie ein Symbol der deutschen Armee.“

Es waren Verbände des Alpenkorps, die den jungen Mörl beeindruckten. Sie waren in kürzester Zeit aus der deutschen Westfront herausgelöst und nach Tirol abtransportiert worden. Regisseur der Operation war der deutsche Oberkommandant Erich von Falkenhayn, der die im Süden von Italien kalt überraschten österreichischen „Waffenbrüder“ zu stärken suchte, aber auch Süddeutschland decken sollte. Zugleich zielte die Aktion Falkenhayns nicht nur auf militärische Bundeshilfe: Seit geraumer Zeit war er in Konflikt mit dem bayerischen General Konrad Krafft von Dellmensingen. Der Einsatz eines großen, überwiegend bayerischen Verbandes unter dem Kommando Kraffts schaffte Falkenhayn einen lästigen Partner vom Hals, der mit der neuen Aufgabe sogar avanciert schien. Die Bayern nahmen das als Beförderung getarnte Abschieben durchaus positiv auf: Für das bayerische Könighaus und Generalleutnant Krafft von Dellmensingen bot der Einsatz im Süden eigene Gestaltungschancen und Freiräume.

Um solche Hintergründe scherte man sich in Tirol wenig, sondern freute sich vor allem über die unerwartete Verstärkung. Zug um Zug rollte das rasch formierte Alpenkorps bereits Ende Mai von Bayern in Richtung Brenner, bis die Einheiten in Bozen und Brixen auswaggoniert wurden. Neben dem Bahntransport kamen die Deutschen auf vielen Lastwagen und Motorfahrzeugen ins Land, da das Alpenkorps zu den bestmotorisierten Truppen zählte.

Das Korps erreichte eine Stärke von rund 26000 Mann, die sich in 13 Bataillonen formierten. Der „Führer des Alpenkorps“, Generalleutnant Krafft von Dellmensingen, kannte Tirol und seine Berge von Jugend an, zumal seine Eltern in Meran begraben waren. Sein Stab bezog vorerst Quartier im Hotel zum „Elephanten“ in Brixen, wo sich im Gästebuch von 1915 heute noch seine markante Unterschrift findet.

Das Buch des jungen, aus Jena stammenden Historikers Immanuel Voigt schildert in seiner knappen, alle wichtigen Fragen behandelnden Darstellung den Einsatz des Alpenkorps in Tirol: die großen strategischen Voraussetzungen im Mai 1915, die keinesfalls einfache Aufstellung des Korps, das sich erst zur Gebirgstruppe formieren musste, zumal es eine solche Einheit im Deutschen Heer bisher nicht gab. In der Darstellung von Immanuel Voigt gewinnen die Herausforderungen des Gebirgskrieges besondere Anschaulichkeit, da hier deutlich wird, mit welchen Schwierigkeiten ein Einsatz im Hochgebirge verbunden war. Der Autor beschreibt mit besonderer Sorgsamkeit die sensible Position des Alpenkorps als militärische Einheit des Deutschen Reiches, das sich mit Italien noch nicht im Krieg befand. Dies war erst 1916 der Fall. Die nur bis Oktober 1915 währende Mission des Korps zwischen Deckung und echtem Gefechtseinsatz war eine stete Gratwanderung, zumal seine Einheiten und sein Kommando sich auch mit den Verbündeten der k. u. k. Armee und den Verbänden der Tiroler Standschützen abstimmen mussten.

Umso mehr Bedeutung gewann der Kommandierende des Alpenkorps, Konrad Krafft von Dellmensingen, dessen Biografie und Profil als „Führer des Alpenkorps“ der Autor Voigt ausführlich würdigt. „Exzellenz Krafft“ war ein schneidiger und entschiedener Befehlshaber, mit dem Gebirge vertraut, für die „österreichischen Waffenbrüder“ nicht durchwegs pflegeleicht, aber von großer Effizienz, wie er dann später auch in weiteren Einsätzen des Alpenkorps in Serbien, vor Verdun oder in Rumänien bewies. Sein militärischer Ruhm wurde freilich durch seine Rolle im Dritten Reich dauerhaft verdunkelt, zumal er auch durch einen aggressiven Antisemitismus auffiel, auf den der Krafft-Biograf Thomas Müller hingewiesen hat.

Die Arbeit von Immanuel Voigt besticht durch eine sorgsame Analyse der Erinnerung an den Einsatz des Alpenkorps. Die ideologische Verklärung als „deutsch-österreichische Waffenbrüderschaft“ und als Ausdruck der Verbindung Tirol-Bayern wird durch den eingehenden Blick auf die Erinnerungsliteratur und von deutschnational gefärbten Filmen wie „Standschütze Bruggler“ kritisch hinterfragt.

Immanuel Voigt wagt sich auf sorgfältig erschlossener Quellengrundlage erneut an das vielfach behandelte Thema des Alpenkorps heran. Seine Verbindung von Fragen der Militärgeschichte und Landeshistorie mit dem großen Umfeld des Ersten Weltkriegs ist ebenso verdienstvoll wie die erinnerungs- und kulturgeschichtliche Dimension, die er in seinen Band einbringt. Besondere Anerkennung gilt dem ausführlichen Bildteil, der mit zahlreichen, bisher unveröffentlichten Fotografien aus privaten Archiven und eigener Sammlung aufwartet.

Im Rahmen des Großen Krieges war der Tiroler Einsatz des Alpenkorps eine Episode, die sich im Vergleich zu späteren Kämpfen nur allzu leicht verklären ließ. Immanuel Voigt legt nun ein Buch vor, das sich durch sachliche Argumentation überzeugend gegen solche Verklärung und Verzerrung richtet, dem ich eine große Leserschaft wünsche.

Hans Heiss

Das Bild zeigt Angehörige des Jäger-Regiments Nr. 3 beim Anmarsch in Südtirol 1915, in der Nähe von Kardaun. Bei dem Kirchlein handelt es sich um die St.-Justina-Kirche oberhalb von Bozen in Richtung Ritten.

Die Situation am Vorabend des italienischen „Intervento“

Die Verhandlungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien bis zur Kriegserklärung

Im Folgenden wird dem Leser die Situation der Mittelmächte und Italiens bis zur Kriegserklärung am 23. Mai 1915 aufgezeigt. Zunächst werden die Verhandlungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien im Mittelpunkt stehen. Im Anschluss sollen die Kriegsvorbereitungen und Kriegsziele Italiens verdeutlicht werden. Abschließend wird der Fokus auf Österreich-Ungarn gelegt und es werden dessen Reaktionen und erste Maßnahmen betrachtet.

Nachdem im August 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, verhielt sich Italien zunächst neutral. Dennoch war der Dreibund, in dem Italien mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich seit 1882 vereint war, faktisch schon 1914 „virtuell tot“1. Das von einem wenig freundschaftlichen Verhältnis geprägte Bündnis, vor allem zwischen Italien und Österreich-Ungarn, verstärkte das Misstrauen beider Länder zusehends. So rechnete man von österreichischer Seite bereits kurz nach Kriegsbeginn im August 1914 damit, dass trotz der Neutralitätsbekundungen Italiens ein Angriff auf Südtirol erfolgen könnte. Dies zeigt deutlich, dass sich Italien schon in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zunehmend vom Dreibund abgegrenzte. Bereits vor 1914 hatten die italienischsprachigen Gebiete um Trient und Triest als Bezugspunkte der Irredenta (Ideologie, welche das Ziel hat, möglichst alle Gebiete, die zu einer Ethnie gehören, in einem gemeinsamen Staat zu vereinigen) eine besondere Bedeutung für Italien. Sie sollten dem italienischen Staat hinzugefügt werden, um die nationale Einheit, das Risorgimento, zu vollenden. Auf italienischer Seite war man der Auffassung, dieses Ziel in einem kurzen und begrenzten Feldzug gegen Österreich-Ungarn relativ leicht durchführen zu können. Hans-Jürgen Pantenius bemerkt: „Es war eine Art Theorie des begrenzten Konfliktes mit der Absicht, die Kriege des Risorgimento mit einem letzten leichten Erfolg zu krönen und die ‚Unerlösten Gebiete‘ ohne große Blutopfer den bisherigen Erwerbungen hinzuzufügen.“2

Daher schien der Kriegsausbruch 1914 einen willkommenen Anlass zu liefern, dieses Ziel durchzusetzen. Obwohl Italien offiziell seine Neutralität bekundete, arbeitete es insgeheim an der Kriegsvorbereitung seines Heeres sowie an einer allgemeinen Aufrüstung. Die Beziehungen zwischen Italien und der Habsburgermonarchie begannen sich weiter zuzuspitzen, nachdem die Italiener im September 1914 für den Einmarsch in Serbien Kompensationen nach Artikel VII des Dreibundvertrages von Österreich-Ungarn forderten. Bereits zu diesem Zeitpunkt war man sich auf italienischer Seite einig, dass ein Kriegseintritt und die Vollendung des Risorgimento nur an der Seite der Entente-Mächte erfolgen könne. Vor allem der für die Mittelmächte bis dahin ungünstige Kriegsverlauf, der nicht mit einem schnellen Sieg geendet hatte, trug zu dieser Entscheidung maßgeblich bei.

Im Oktober 1914 sprach der italienische Ministerpräsident Antonio Salandra von einem „sacro egoismo“, welcher künftig das Handeln Italiens bestimmen werde. Zu Beginn des Jahres 1915 erneuerten die Italiener ihre Forderungen nach der Abtretung des Trentino, der Grenze bis zum Brenner sowie Teilen Istriens. Der weiterhin ungünstig verlaufende und kräftezehrende Krieg für die Mittelmächte hatte Italien in diesen Forderungen erneut bestärkt. Der österreich-ungarische Außenminister Baron Burián lehnte die Forderungen, welche in den Augen Österreich-Ungarns als „Erpressungsversuch“ gesehen wurden, dagegen strikt ab. Die Regierung in Rom verlor hingegen die Geduld und begann die Verhandlungen um einen möglichen Kriegseintritt aufseiten der Entente. Um auch weiterhin die Neutralität Italiens zu sichern, kam man auf deutscher Seite zu der Überzeugung, dass dies nur durch die Bewilligung weiterer Zugeständnisse gelingen würde. Somit drängte das Deutsche Reich Österreich-Ungarn Anfang März 1915, die Verhandlungen mit Italien über Gebietsabtretungen wiederaufzunehmen. Cletus Pichler, seines Zeichens ehemaliger Generalstabschef des Landesverteidigungskommandos Tirol, drückt die Situation aus Sicht der Österreicher drastisch aus: „Von Deutschland rücksichtslos gedrängt, die Neutralität des falschen Bundesgenossen zu erkaufen, mußte Österreich-Ungarn zustimmen […].“3

Ende März 1915 verlangte Italien die sofortige Abtretung ganz Südtirols bis zum Brenner sowie der Städte Görz und Gradiska. Von österreichischer Seite war man keinesfalls gewillt, diesen Forderungen nachzukommen. Vor allem die sofortige Abtretung ließ Zweifel aufkommen, dass Italien seine Neutralität wahren würde. Zudem versuchte Wien, diese Forderung weiter zu verzögern, indem man auf die juristischen und administrativen Probleme einer sofortigen Abtretung verwies. Das Deutsche Reich beharrte hingegen weiterhin darauf, zumindest einen Kompromissvorschlag durchzusetzen, um den drohenden Krieg zu vermeiden. Auf deutscher Seite war man sich sicher, dass ein Krieg mit Italien in einer Katastrophe enden würde. Generalstabschef Erich von Falkenhayn, aber auch der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg teilten diese Ansicht.

Unterdessen wurden die Verhandlungen der Entente mit Italien immer intensiver. Italien sollte schlussendlich mit der Zusage der betreffenden Gebiete zu einem Kriegseintritt bewegt werden. Darüber hinaus versprachen die Entente-Staaten weiteren Gebiets-sowie Machtzuwachs für Italien. Matthias Rettenwander schlussfolgert ebenfalls aus österreichischer Perspektive: „Die Entente hatte die österreichisch-ungarischen Zugeständnisse bei Weitem überboten und erhielt im Länderschacher schließlich den Zuschlag. Es war ein Zuschlag an den Meistbietenden, ganz im Sinne des sacro egoismo Salandras.“4

Am 26. April 1915 unterzeichnete Italien den „Londoner Geheimvertrag“ mit den Entente-Mächten. In diesem Abkommen versicherte Italien, dass es binnen eines Monats an der Seite der Entente in den Krieg eintreten würde. Im Gegenzug sollte das savoyische Königreich umfassende Territorialgewinne erhalten, etwa das bereits erwähnte Südtirol bis zum Brenner, ferner Gebiete in Istrien, Dalmatien sowie einige adriatische Inseln. Bereits vor dem Vertragsabschluss hatte man Italien aufgefordert, Anfang April 1915 den Kriegseintritt aufseiten der Entente zu erklären. Allerdings zwangen zum einen die Roh stoffabhängigkeit von England und zum anderen das bis dahin noch nicht voll ausgerüstete und mobilisierte Heer Italien dazu, den Kriegseintritt für frühestens Mitte Mai 1915 zu versichern.

Bereits wenige Tage nach der Unterzeichnung des Londoner Vertrages, am 4. Mai 1915, kündigte Italien den Dreibund mit dem Deutschen Reich und mit Österreich-Ungarn. Zu diesem Zeitpunkt willigte Österreich-Ungarn der Unterbreitung eines letzten Abtretungsvorschlags ein, wiederum durch Deutschland dazu gedrängt, welchen es den Italienern am 10. Mai 1915 übersandte. Wien war nun bereit, hauptsächlich die Gebiete abzutreten, welche vornehmlich von der italienischsprachigen Bevölkerung Südtirols bewohnt wurden, den sogenannten Welschtirolern, ferner auch Gebiete am Isonzo. Triest sollte freie Stadt werden, außerdem war man bereit, die italienischen Herrschaftsinteressen über Albanien anzuerkennen. Dennoch kamen die österreichisch-ungarischen Zugeständnisse zu spät, abgesehen von der Tatsache, dass diese das Angebot der Entente-Mächte niemals hätten überbieten können. Allerdings versäumten es die Österreicher nicht, ihre Abtretungsangebote öffentlich zu machen, um so den moralischen Druck auf Italien zu erhöhen. Dieser Umstand vereinfachte die Legitimierung des bevorstehenden Krieges und ließ die Italiener bewusst als „die treubrüchigen Welschen“ dastehen, welche trotz eines Entgegenkommens der k. u. k. Monarchie (k. u. k. = kaiserlich und königlich) den Krieg aus „Habgier und Größenwahn“ beginnen wollten. Später versäumten es die Österreicher auch nicht, den „ungeheuerlichen Treuebruch“ propagandistisch auszuschlachten. Die österreichisch-ungarische Bevölkerung, besonders in den unmittelbar bedrohten Gebieten, ebenso die Soldaten waren demnach viel leichter für den Sinn eines „nötigen Verteidigungskrieges“ zu begeistern. Andererseits sorgte dieser Umstand in der italienischen Öffentlichkeit für die Infragestellung eines möglichen Krieges gegen Österreich-Ungarn. Dennoch äußerten sich mit wenigen Ausnahmen kaum oppositionelle Stimmen gegen den Krieg in Italien.

„Todesanzeige für den Bundesgenossen Italien“ – aus deutscher Sicht dargestellt: Obwohl an das Deutsche Reich 1915 noch keine Kriegserklärung ergangen war, nutzte man das Ereignis dennoch für die eigene Kriegspropaganda gegen Italien.

Österreich-Ungarn und auch Deutschland war bekannt, dass Italien am 26. April 1915 einen Vertrag mit der Entente unterzeichnet hatte. Die Annahme ging allerdings dahin, dass Italien sich eine vierwöchige Frist erbeten habe, um das Inkrafttreten des Vertrages zu überdenken. Diese Annahme erwies sich als krasse Fehleinschätzung, da Italien unverzüglich zum Krieg rüstete. Die letzten Wochen vor der Kriegserklärung waren auf österreichisch-ungarischer Seite von der schwachen und ungewissen Hoffnung geprägt, dass sich der drohende Krieg noch verhindern ließe. Dies führte aber auch zu einem äußerst vorsichtigen Verhalten gegenüber Italien. Ein Beispiel dafür, auf das später noch genauer eingegangen wird, stellt die Befestigung der Grenze zu Italien dar. Aus Angst, Italien könne vorzeitig den Krieg erklären, wurde die gemeinsame Grenze kaum oder gar nicht befestigt, in dem Sinne, dass Schützengräben, Drahtverhaue, Unterstände und dergleichen errichtet wurden. Darunter zählen allerdings nicht die Festungen und Sperrforts, welche die wichtigsten Zugangswege nach Tirol sicherten, da diese bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurden.

„Traueranzeige für Italien“ – aus österreichisch-ungarischer Sicht dargestellt: Österreich-Ungarn nutzte die Kriegserklärung Italiens für propagandistische Stimmungsmache im eigenen Volk, für einen „gerechten“ und „aufgezwungenen“ Krieg.

Erst kurz vor Ablauf der vierwöchigen Frist war die Unausweichlichkeit des Kriegseintritts Italiens den Militärs bewusst geworden. General Krafft notiert am 20. Mai 1915 in sein Tagebuch: „Man scheint zu lange gehofft zu haben, der Krieg würde sich vermeiden lassen. Nun ist Tirol eigentlich schutzlos.“5 Er behielt recht. Am 23. Mai 1915 erklärte Italien Österreich-Ungarn den Krieg. Eine Kriegserklärung an das Deutsche Reich erfolgte vorerst nicht.

Italiens Kriegsvorbereitungen und Kriegsziele

Bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte es sowohl auf italienischer als auch auf österreichisch-ungarischer Seite geheime Pläne für einen Angriff auf den jeweils anderen Verbündeten gegeben. Allein dieser Umstand zeigt deutlich das schlechte Verhältnis zwischen den beiden Staaten, welches durch gegenseitiges Misstrauen geprägt war. 1912 erstellte der damalige italienische Generalstabschef Alberto Pollio einen Angriffsplan für einen Krieg gegen Österreich-Ungarn. Dieser Plan wurde 1913 nur wenig verändert und sah folgende Gliederung vor: Italien greift mit vier Armeen in zwei Richtungen an. Die 1. und 4. Armee sollten Südtirol bis ins obere Cadore angreifen, wobei die 4. Armee den Auftrag zum Angriff erhielt und die 1. Armee defensiv bleiben sollte. Für die 2. und 3. Armee war der Einsatzraum vom Piave bis zur Adria vorgesehen. Die 2. und 3. Armee sollten die Hauptstreitkräfte bilden. Zusätzlich sollte ein Korps als Heeresreserve bei Padua bereitgehalten werden, ein weiteres Korps war für einen etwaigen Einsatz gegen die Schweiz gedacht, und schließlich verblieben ein Korps und eine Division in Inneritalien, welche etwaige Landungsunternehmen vereiteln sollten. Als Pollio im Sommer 1914 starb, wurde Graf Luigi Cadorna sein Nachfolger und blieb bis 1918 Generalstabschef des italienischen Heeres. Der fortschreitende Kriegsverlauf veranlasste Cadorna dazu, den Angriffsplan folgendermaßen den Gegebenheiten anzupassen: Die zweieinhalb Korps, welche an der Grenze zur Schweiz und an der Adriaküste zurückgehalten wurden, sollten nun ebenfalls zur 2. und 3. Armee hinzustoßen. Auch die Stoßrichtung der 2. und 3. Armee wurde in Richtung Isonzo vorverlegt. Zusätzlich sollte eine neu aufgestellte 5. Armee im Raum Toblach die 4. Armee bei deren Vorgehen unterstützen.

Somit lagen die Hauptstoßrichtungen der Italiener am Isonzo und gegen das Pustertal. Beide Vorstöße sollten nach Ansicht Cadornas einen leichten Durchbruch der Front ermöglichen. In der Theorie waren die Angriffspläne Cadornas freilich ausgereift und hätten sicherlich auch den gewünschten Erfolg erzielen können. Jedoch wurden die Pläne praktisch anders ausgeführt, als sie gedacht waren, was Cadorna und die Italiener im Nachhinein betrachtet wohl einen schnellen Sieg kostete. Der entscheidende Punkt des Planes lag im Angriff und Durchbruchsversuch am Isonzo. Die Italiener versteiften sich darauf, gerade dort die österreichisch-ungarische Front zu durchbrechen. Dies führte dazu, dass am Isonzo zwölf Schlachten ausgetragen wurden, welche in der Weltkriegsforschung vornehmlich mit dem Krieg in den Alpen assoziiert werden. Die 12. und gleichzeitig letzte Schlacht im Oktober 1917 endete für die Italiener in einem Desaster. Der deutsch-österreichische Durchbruch bei Flitsch und Tolmein brachte Italien fast an den Rand einer Niederlage. Vielen Italienern sollte diese Schlacht, welche sie „Caporetto“ nannten, noch lange im Gedächtnis bleiben.

Noch 1914 war das italienische Heer in einem schlechten Zustand. Dazu hatten zum einen der fehlgeschlagene Libyenfeldzug 1911/12 und zum anderen die kontinuierliche Vernachlässigung des Heeres beigetragen. Beide Faktoren wirkten sich entscheidend auf die Kriegsbereitschaft des italienischen Heeres aus. Nach Cadorna habe die Armee nur noch „Ersatzcharakter“ für die libysche Expedition, was sich wiederum auf die Moral der Männer und auch auf die Zusammensetzung des Heeres niederschlug. Dazu wurde die Ausbildung vernachlässigt, wodurch kaum geeignete Offiziere und Fachpersonal vorhanden waren. Ebenfalls mangelte es an Waffen, Gerät und Ausrüstungsgegenständen. Cadorna hatte als neuer Generalstabschef ein schweres Erbe anzutreten. Vorerst konnte er König Viktor Emanuel III. nur melden, dass an einen Einsatz des italienischen Heeres 1914 nicht zu denken sei. Wie zuvor erwähnt, ging Italien nun schrittweise dazu über, seine Armee kriegstauglich zu machen. Vor allem Ende 1914 war man sich sicher, dass ein erwarteter österreichisch-ungarischer Angriff vorerst aufgrund der schlechten Kriegslage der Mittelmächte ausbleiben würde. Zudem spielten auch die Überlegungen, aufseiten der Entente in den Krieg einzutreten, eine gewichtige Rolle für die schnelle Wiederaufrüstung, wenngleich unter dem Deckmantel der Neutralität.

Die Mobilmachung verlief hingegen äußerst langsam. Am 14. April 1915 erklärte Cadorna, dass das Heer noch mindestens einen Monat benötige, um einsatzbereit zu sein. Indessen waren bereits die italienischen Grenztruppen erheblich aufgestockt worden. Am 4. Mai 1915, dem Tag, an dem Italien den Dreibund kündigte, begannen die ersten Truppentransporte in Richtung Südtirol, den Isonzoraum und die übrigen Aufmarschgebiete. Die vollständige Einsatzbereitschaft sollte aber noch bis zum 15. Juni 1915 dauern, also deutlich länger als geplant.

Am 22. Mai erfolgte die offizielle Bekanntgabe der italienischen Mobilmachung, einen Tag später die Kriegserklärung an Österreich-Ungarn. Mitte Juni 1915 waren die Kriegsvorbereitungen Italiens weitestgehend abgeschlossen, was aber nicht bedeutete, dass sich das Heer in einem hervorragenden Zustand befand. Es gab immer noch Missstände, welche verbessert werden mussten. General Cadorna sowie Premierminister Salandra und Außenminister Sonnino gingen von einem kurzen und raschen Krieg gegen Österreich-Ungarn aus. Vor allem Cadorna unterschätzte in krasser Weise die möglichen Folgen eines Krieges. Er rechnete fest damit, dass er noch vor dem Winter 1915/16 seine Ziele erreicht haben werde, obwohl er neun Monate Gelegenheit hatte, den kräftezehrenden Krieg zu beobachten und seine Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Österreich-Ungarns Reaktionen auf die Verhandlungen mit Italien

Obwohl sich abzeichnete, dass man keine friedliche Lösung für die Gebietsstreitigkeiten mit Italien finden würde, wurde Österreich-Ungarn durch die Kriegserklärung am 23. Mai 1915 dennoch überrascht. Unterdessen war Anfang Mai 1915 bekannt geworden, dass Italien begonnen hatte, seine Truppen in Richtung der österreichisch-ungarischen Grenze zu verschieben. Daher trafen sich der Generalstabschef des Armeeoberkommandos (AOK) General der Infanterie, Franz Conrad von Hötzendorf, und der Generalstabschef der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL) General der Infanterie, Erich von Falkenhayn, um die weiteren Maßnahmen zu besprechen. Es folgten zähe Verhandlungen, in denen das Vorgehen in Galizien und auch gegen Italien diskutiert wurde. Beide Generale waren sich zwar darüber einig, den Kampf in Galizien weiterhin fortzuführen, doch vertrat Conrad bezüglich der italienischen Front die Meinung, dass im Falle eines Krieges ein massiver Angriff gegen die italienischen Stellungen erfolgen sollte. Er plante, dass jeweils zehn deutsche und zehn österreichisch-ungarische Divisionen gegen Italien eingesetzt werden sollten. Falkenhayn war dagegen nicht gewillt, eine derart große Anzahl an Truppen für eine Front abzugeben, die in seinen Augen nicht die höchste Priorität besaß.

Kurz nach der Kriegserklärung zerschlugen sich dagegen die Angriffspläne Conrads, als klar wurde, dass für einen Angriff auf Italien keine Truppen zur Verfügung standen, da die vorhandenen Einheiten nicht einmal für eine ausreichende Verteidigung genügten. Auch sollte die einzige deutsche Unterstützung der Front im Südwesten nur durch das neu aufgestellte Alpenkorps erfolgen. General Falkenhayn war nach wie vor nicht gewillt, mehr Truppen zur Verfügung zu stellen. Krafft beschreibt in seinem Tagebuch Falkenhayns ursprüngliche Gedanken zu der deutschen Unterstützung. Nach einem Treffen mit Falkenhayn am 9. Juni 1915 in Rosenheim notiert Krafft:

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