Otto Sindram

Gesang der Lerchen

Von Menschen und Mauern und über die Liebe

Mariposa Verlag Berlin

Für Margret, meine Frau seit 50 Jahren

Es ist sicher, dass es jenseits des sozialen Daseins, des Familienlebens eines Menschen, jenseits der Gebärden, zu denen ihn seine Umwelt, sein Beruf, seine Ideen oder sein Glaube zwingen, ein geheimeres Leben gibt: Oft liegt auf dem Grunde dieses Bodensatzes, allen Augen verborgen, der Schlüssel, der uns dieses geheime Leben endlich erschließt.

FranÇois Moriac

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Zitat

Prolog

Erster Teil: Liebe, Liebe

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Zweiter Teil: Licht auf dem Wasser

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Dritter Teil: Die Puppe

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Vierter Teil: Herrenjahre

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Fünfter Teil: Langer Abschied

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Epilog

Der Autor

Im Text verwendete Abkürzungen

Prolog

Endlich wird die Beatmungsmaschine abgeschaltet. Philipp muss sich darauf konzentrieren, wieder selbstständig und gleichmäßig zu atmen. Aus weiter Ferne hört er die Stimme des Professors.

»Wir haben Ihnen drei Bypässe gelegt, Herr Siebert; alles in Ordnung. Ab jetzt können Sie Ihre Rente noch einige Jahre genießen. Denken Sie nicht an das Atmen, das muss von ganz alleine gehen. Denken Sie an irgendetwas, nur nicht ans Atmen.«

Einatmen – ausatmen – einatmen. Ich muss an irgendwas denken, ausatmen – einatmen ...

»Du bist aus der britischen Zone?«, fragt das Mädchen mit den schwarzen Zöpfen Philipp.

»Ja, aus dem Ruhrgebiet.«

»Aus dem Ruhrgebiet auch noch!«

Philipp kann sich nicht erklären, was so besonders daran sein soll, und fragt zurück.

»Und woher bist du?«

»Jetzt hier aus Berlin, aus Weißensee, aber ich habe lange in der Sowjetunion gelebt. Ich war noch nie in Westdeutschland. – Sophie«, sagt das Mädchen, sich vorstellend, und gibt Philipp die Hand.

Der erste Unterrichtstag wird mit organisatorischen Fragen vertan. Zum Schluss bekommen die Schüler eine Wassersuppe, die als Schulspeisung von den Sowjets kommt und nach dem sowjetischen Stadtkommandanten von Ostberlin Kotikow-Süppchen genannt wird. Am nächsten Tag, noch ehe der Unterricht beginnt, spricht Christian Philipp an.

»Setz dich zu mir, die anderen sind mir alle zu blöd.«

»Ich habe aber schon einen Platz neben der Sophie.«

Philipp kennt Christian von der Aufnahmeprüfung, ihm ist seine harte Aussprache aufgefallen.

»Was willst du mit der, die hat ja nichts in der Bluse. Einen Arsch hat sie wohl auch nicht«, sagt Christian und zieht Philipp auf den leeren Platz neben sich.

Draußen wird es Herbst. Mehr als drei Jahre ist der Krieg nun schon vorbei. Der Unterricht beginnt.

7

Der Morgen an diesem ersten Sonntag im November des Jahres 1989 versprach, dass es ein klarer, milder Herbsttag werden würde. Auf den tiefer liegenden Wiesen neben der Fahrbahn waren von der herbstlich kühlen Nacht noch einige Nebelstreifen geblieben. Die Autobahn Richtung Berlin war wenig befahren.

Dodo betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. Mit der aufgehenden Sonne verschwand langsam der Nebel. Die Felder waren abgeerntet, auf einigen lagerten noch Berge von Zuckerrüben, auf anderen war das Kartoffelkraut zu sehen, auf wieder anderen ragten Maisstrünke aus dem Boden. Viele Felder waren schon umgebrochen und vorbereitet für die neue Saat. Auf den Weiden grasten Kühe. Wildgänse kreisten über den Feldern und sammelten sich zum Abflug nach Süden. Herbst ist wie Abschied und Neubeginn, dachte Dodo.

Abschied! Zorn stieg in ihr auf. Dieses Gefeilsche um die Fahrt allein oder zusammen mit Philipp hatte sie doch sehr beschäftigt, und sie ärgerte sich. Allein wollte sie sein, sich klar werden über ihre Zukunft, und sie wollte die Konsequenzen einer Trennung von Philipp bedenken. Die Zeile eines Herbstgedichtes fiel ihr ein: Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben ...

Das Hinweisschild zur Ausfahrt Helmstedt tauchte auf. Sollte sie abfahren für einen kurzen Besuch? Die Kinder würden sich freuen, der Bruder und die Schwägerin sicher auch. Aber so ganz ohne Geschenke für die fünf Mädchen? Auf der Rückfahrt mit Geschenken aus Berlin, ganz sicher. Wie konnte sie nur die Kinder vergessen! Wieder spürte sie den Zorn. Und plötzlich, während sich das Fahrzeug der Grenze näherte, stand Dodos Entschluss fest: Sie würde Werner heiraten.

Sie atmete tief und befreit, freute sich auf Werners Kinder, den inzwischen vierjährigen Jungen und das zweijährige Mädchen und auf Werner, den jungen, liebenswerten Kollegen. Wenn er sich aber inzwischen anders entschieden hatte? Hatte sie ihn nicht schon zu lange im Ungewissen gelassen? Sie nahm sich vor, ihn gleich nach der Ankunft in Berlin anzurufen.

»Du bist so still, woran denkst du?«, fragte Philipp und drosselte die Geschwindigkeit ein wenig.

Dodo schreckte auf.

»An das Seminar; ich freue mich darauf«, log sie.

»Ich freue mich auch.«

»Freu dich nicht zu früh; du musst arbeiten, ich hab’s dem Seminarleiter versprechen müssen. Wie nennst du übrigens dein Referat?«

»Die frühen Jahre der DDR.«

In der Ferne tauchten die Grenzanlagen auf. Philipp drosselte die Geschwindigkeit weiter. Da war er nun, der Eiserne Vorhang, die Grenze zwischen Ost und West, welche die Welt in Gut und Böse teilte, in den reichen guten Westen und den bösen armen Osten. In all den Jahren seit meiner Flucht war ich in so vielen Ländern, aber nur in den westlichen, dachte Philipp. Nie wieder war er an dieser Grenze mitten durch Deutschland.

Er staunte über die Gebäude an der Grenze, die für die Ewigkeit errichtet schienen: ein Restaurant, eine Wechselstube, ein Informationspavillon, Verwaltungsgebäude und Einkaufsläden, und er dachte an die kleine Baracke, unscheinbar und wohl nur für kurze Zeit aufgestellt, damals, 1948, als er von West nach Ost ging. Wie lange war das jetzt her? Er erschrak. Ziemlich genau 41 Jahre. Wo war die Zeit geblieben? Wie hatte er gelebt!

Damals war er mit seinen beiden Koffern, dem Rucksack und dem Oberbett hier angekommen, alles hatte er in einem Handwagen von einer Frau aus Helmstedt auf der Autobahn bis zur Grenze transportiert, und er war voller Optimismus.

»Du musst vorfahren, der Grenzer hat gewunken«, mahnte Dodo und weckte Philipp aus seinen Gedanken auf.

»Wollen wir nicht erst eine Pause machen und einen Tee trinken?«, fragte er.

Sie scherten aus, parkten, gingen in das Restaurant, aßen eine Kleinigkeit, tranken Tee und unterhielten sich. Philipp, der ein besonderes Bedürfnis zu haben schien, mit Dodo zu reden, begann von seiner Reise nach Berlin zu erzählen.

»Es kommt mir vor, als sei es gestern gewesen«, begann er. »Nur wenige Schritte von hier, in dem Niemandsland dort drüben, saß ich auf meinem Gepäck und wusste nicht ein noch aus.«

Er erzählte von den Schwierigkeiten durch einen sowjetischen Grenzsoldaten, der den eckigen Stempel auf der Bescheinigung der Uni nicht anerkennen wollte, und von dem Gang durch den Wald, um wunschgemäß endlich gefasst zu werden. Dann folgte die Geschichte von seinem Oberbett, und gerade, als er zu der Pointe mit den beiden Jutesäcken kommen wollte, unterbrach Dodo ihn. Sie hatte gelangweilt durch das Restaurantfenster geschaut, auf dem Platz eine Telefonzelle erblickt und sprang plötzlich auf.

»Entschuldige, aber ich darf nicht vergessen, meinen Bruder in Helmstedt anzurufen. Will ihn noch informieren, dass wir auf der Rückreise am nächsten Sonntag vorbeischauen werden.«

Überrascht und ein wenig ungehalten schaute Philipp seiner Geliebten hinterher, sah sie mit schnellen Schritten über den Platz und in die Telefonzelle gehen, sah durch die Scheiben der Zelle, wie sie, während sie telefonierte, ihm den Rücken zukehrte. Die Oberbettgeschichte aber, wie viele Geschichten aus seiner Jugendzeit, hatte Philipp, seit er Rentner geworden war, schon einige Male erzählt, und Dodo kannte sie auswendig.

Rückreise werde ich die wohl noch antreten können?, zweifelte Philipp. Wenn man ihn nun doch verhaftete? Immerhin war er damals als Spion verdächtigt worden. Er wurde wütend auf sich selber, weil er sich aus Trotz großspurig bereit erklärt hatte, gemeinsam mit Dodo auf dem Landwege nach Berlin zu fahren, statt zu fliegen. Wenn sie ihn verhaften sollten, und sei es nur für kurze Zeit, um ihn zu verhören, würde er das mit seinem angegriffenen Herzen durchstehen? Und wenn er im Gefängnis starb, wer würde sich um seine Leiche kümmern?

Dodo war der einzige Mensch, den er hatte. Wie lange wollte sie noch telefonieren? Philipp konnte deutlich ihre knabenhafte Figur sehen, ihren in den engen Jeans sich abzeichnenden wohlgeformten Po, und er war bei aller Sorge um seine ungewisse Zukunft stolz auf seine so viele Jahre jüngere Geliebte. Endlich kam sie zurück, war fröhlich und bereit, Philipps angefangene Geschichte oder auch gleich mehrere seiner Geschichten anzuhören.

»Ich soll dich von allen grüßen, besonders von den Kindern. Sie freuen sich auf unsern Besuch. So, nun erzähle weiter, vielleicht fängst du nochmal von vorne an.«

»Was hältst du von einer Heirat?«

Dodo war überrascht über diese plötzliche Wendung, verstand nicht und fragte nach.

»Wie, wer, von wessen Heirat sprichst du?«

»Von unserer natürlich. Schau, wir leben zusammen, verstehen uns na ja, abgesehen von Kleinigkeiten gut, und wir mögen uns, oder?«

Jetzt verstand sie ihn, schwieg eine ganze Weile und schaute zuerst ungläubig, erstaunt, dann mehr und mehr verlegen drein. Endlich reagierte sie, beugte sich zu ihrem Gegenüber vor und flüsterte.

»Wenn ich dich richtig verstehe, machst du mir gerade einen Heiratsantrag, hier, in diesem Restaurant, über schmutziges Geschirr hinweg.« Da war er wieder, sein ratlos-trauriger Blick. Sogleich hatte Dodo das Gefühl zu weit gegangen zu sein. »Entschuldige«, flüsterte sie und spürte Mitleid aufkommen, »aber du musst zugeben, das Ganze kommt ziemlich überraschend.«

»Ich denke schon längere Zeit daran. Als ich dich eben mit deinem Bruder telefonieren sah, da dachte ich, so eine Familie, die ist durch nichts zu ersetzen, ist der einzige feste Halt. Außerdem, wenn mir mal etwas zustößt, was wird aus dem Haus, was mit meinen Wertpapieren? Und die Betriebsrente, die ist dann futsch; das gönne ich der Firma nicht.«

Dodo richtete sich auf, schwieg einige Sekunden, sah Philipp mit zunehmend zornigem Blick an, schaute sich im Lokal um und sagte, ohne zu flüstern: »Du zählst also gerade die Anzahl Kamele auf, die ich dir wert bin. Willst du mich kaufen?«

Philipp riss erschrocken seine Augen auf.

»Kaufen, was redest du denn da für einen Unsinn?«

»Was redest du da! Wenn man einen Heiratsantrag mit lauter materiellen Werten begründet, dann nenne ich das ein Kaufangebot. Leider habe ich noch so altmodische Vorstellungen von einer Beziehung, dass ich zumindest auch die Gefühle erwähnt haben möchte, und dazu hast du bisher nichts gesagt.«

Philipp antwortete nicht, winkte die Kellnerin herbei, bat sie das Geschirr abzuräumen und ihnen die Nachtischkarte zu bringen.

»Wir haben keine Nachtischkarte; es gibt nur Eis.«

»Gut, dann bringen Sie jedem ein gemischtes Eis.«

»Mit Sahne?«

»Mit Sahne, mit viel Sahne.«

Was soll jetzt das? Er könnte mich doch wenigstens fragen, dachte Dodo, sagte aber nichts, denn wieder musste sie sich gegen das Mitleid wehren.

Bald löffelten sie ihr Eis und blieben eine Weile stumm.

Ich darf ihn nicht weiter provozieren, sonst gibt er hier noch eine stilvolle Liebeserklärung von sich, überlegte Dodo.

»Ich brauche dich; besonders seit ich Rentner bin, brauche ich dich«, sagte Philipp plötzlich.

Dodo sah, wie schwer ihm dieser Satz fiel, langte über den Tisch und legte ihre Hand auf seinen Arm.

»Ich weiß, und ich weiß auch zu schätzen, wie sehr du dich um mein Wohl bemühst. Reden wir jetzt nicht weiter darüber. Nach dem Seminar bekommst du meine Antwort.«

Sie zahlten, verließen das Restaurant und besuchten den Informationspavillon. Gleich am Eingang trafen sie auf ein großes Spruchband. Vergessen wir es nie: Drüben ist auch Deutschland!, stand da. Deutschland, Deutschland über alles ..., fiel Philipp ein, aber er schwieg. Unter dem Spruchband war ein ebenso breites Schaubild, auf dem eine gezeichnete Landschaft mit Feldern, Wäldern und Hügeln zu sehen war, durchschnitten von einem tief gegliederten System von Stacheldrahtzäunen, Drahtverhauen mit Selbstschussanlagen, Beobachtungstürmen, mit Bunkern, Scheinwerfern, Stolperdrähten und mit Hundelaufleinen.

»So sieht eine Grenze aus, die gegen Saboteure und Spione aus dem kapitalistischen Westen schützen soll, ein Witz!«, kommentierte Dodo das Schaubild. »Jeder kann doch sehen, dass die ganzen Anlagen gegen das Freiheitsverlangen der eigenen Bürger gerichtet sind.«

Philipp schwieg; er musste an seine Flucht mit der S-Bahn denken und sah auf einmal Sophie, wie sie auf dem Bahnhof Friedrichstraße stand, und wie erleichtert sie ausschaute, als sie, gerade verhaftet, den Zug mit ihrem Freund in Richtung Westberlin abfahren sah.

Auf dem Weg zurück zum Parkplatz reichte Philipp Dodo seinen Autoschlüssel.

»Möchtest du nicht mal eine Strecke fahren?«

Sie bemerkte seine Aufregung.

»Keine Angst«, versuchte sie ihn zu beruhigen. »Nach allem, was in den letzten Wochen in der DDR geschehen ist, haben die jetzt ganz andere Sorgen, als dich hier zu behalten.«

Aber sie nahm den Schlüssel und setzte sich ans Steuer. Sie reihten sich wieder ein, rollten nach einem Wink des Beamten vor, reichten ihre Pässe aus dem Auto, der Mann warf einen kurzen Blick darauf, reichte die Pässe zurück, bedankte sich und wünschte eine gute Fahrt.

Dodo fuhr langsam die kurze Strecke durch das Niemandsland, vorbei an einem bunt gestrichenen Grenzpfahl und an einem großen Schild mit der Aufschrift: Willkommen in der Deutschen Demokratischen Republik. Rechts und links der Straße standen in Reih und Glied zahlreiche Bogenlampen, hinter denen Drahtzäune, gekrönt mit gewendeltem Stacheldraht, zu sehen waren. Hinter den Zäunen waren schemenhaft einige Schäferhunde auszumachen, die an langen Leinen befestigt an den Zäunen entlang liefen.

Wieder dachte Philipp an Sophie und an ihre Schilderung, wie sie damals durch einen kurzen Gang hinter die Baracke problemlos in den Westen gelangt war. Ganz sicher würde sie bei einem ähnlichen Versuch heute von den Hunden zerfleischt werden.

Dodo fuhr auf die breite Front der beschilderten, mit geschlossenen, massigen Schranken versehenen Durchgänge zu. Schilder mit der Aufschrift »Transitverkehr« und »DDR-Besucher«, unterteilt in »PKW«, »LKW« und »Busse« waren zu sehen. Hinter einem Schild mit der Aufschrift »Transitverkehr-PKW« wartete eine lange Autoschlange. Dodo reihte sich ein. An der Schlange vorbei sahen Philipp und Dodo wieder viele Gebäude, die meisten versehen mit einem ausladenden Dach aus gewelltem Kunststoff, zwischen einigen Gebäuden standen abgedeckte, geheimnisvolle Förderbänder. Überall waren Menschen zu sehen, Menschen in Uniformen, Männer und Frauen mit ernsten, harten Gesichtern, bewaffnet mit übergroßen Pistolen an den Hüftgürteln. Philipp war verunsichert. Noch war es Zeit zum Umkehren!

Langsam näherte die Autoschlange sich den Gebäuden. Ein Grenzer in einer braunen Uniform trat an den Wagen, Dodo reichte die Pässe heraus, der Mann nahm sie, trat an ein mit einer undurchsichtigen Scheibe versehenes Fenster der sonst fensterlosen Gebäudefront, legte die Pässe in ein unterhalb der Glasscheibe angebrachtes flaches Kästchen, welches anschließend wie von Geisterhand in das Gebäude gezogen wurde. Die Pässe verschwanden. Der Grenzer kam zum Wagen zurück.

»Bitte fahren Sie rechts ran und steigen Sie aus!«

Dodo fuhr an den Rand, wo schon einige Wagen standen und von anderen Grenzern inspiziert wurden; beide stiegen aus. Philipp spürte sein Herz heftig schlagen.

»Führen Sie Bücher oder Zeitschriften mit?«, fragte der Mann.

Dodo verneinte, Philipp schüttelte stumm seinen Kopf.

»Bitte öffnen Sie das Handschuhfach ihres Wagens!«

Philipp öffnete das Fach; der Mann griff zwischen die Straßenkarten und zog ein kleines Buch hervor.

»Was ist das?«

»Das ein Buch über Vogelkunde, liegt immer da, hab ich ganz vergessen«, erklärte Philipp.

Der Mann blätterte einen Moment in dem Buch.

»Sind Sie Ornithologe?«

»Nein, nein, ich interessiere mich nur dafür, so als Hobby.«

Der Mann blätterte weiter.

»Es gibt schon interessante Bücher bei Ihnen in der BRD. Bin auch Hobbyornithologe. Sie glauben ja gar nicht, was es hier an der Staatsgrenze für interessante Vögel zu beobachten gibt, fliegen hin und her, stören sich nicht daran, dass hier eine Staatsgrenze ist.«

Er lachte ein breites Lachen, und die zuvor kalt blickenden Augen bekamen Wärme und Glanz.

»Vögel gibt es hier, Zugvögel, auch Wintergäste, die hier überwintern, und natürlich Vögel, die man das ganze Jahr über hier beobachten kann: Finken, Goldammer, Kleiber und viele andere.«

Bei Philipp legte sich die Aufregung:

»Gibt es auch Lerchen hier?«

»Lerchen? Natürlich gibt es Lerchen hier, mehr aber in den Feldern und am Grenzstreifen, Feldlerchen gibt es. Als ich noch Streife gehen musste an der Staatsgrenze West, da hatten wir viel Zeit die Vögel zu beobachten, auch die Lerchen, und da hab ich sie immer bewundert, wie sie hochsteigen, höher und immer höher und dabei singen, so als wollten sie nie enden mit ihrem Gesang.« Plötzlich gab der Mann sich einen Ruck, sein Gesicht veränderte sich und er wurde wieder dienstlich. »Steigen Sie ein, fahren Sie bitte bis zur Schranke vor und warten dort! Ich hole inzwischen Ihre Papiere.«

Erleichtert stiegen Dodo und Philipp wieder in ihr Auto. Dodo fuhr langsam an die geschlossene Schranke heran. Sie warteten und sahen den Grenzer vor dem Gebäude mit dem undurchsichtigen Fenster gegen die Scheibe sprechen.

Sie warteten. Der Grenzer gestikulierte gegen die Scheibe und schien ungeduldig zu werden, ging endlich vom Fenster weg, marschierte an der Front des Gebäudes entlang und verschwand auf der Stirnseite durch eine Tür. Dodo und Philipp warteten weiter. Ein anderer Grenzer trat an ihren Wagen.

»Fahren Sie zur Seite und stellen Sie den Motor ab!«

»Wir sollen aber hier warten«, wagte Dodo zu entgegnen.

»Geht schon in Ordnung. Fahren Sie rechts ran und warten Sie dort! Sie behindern hier den Verkehr«, sagte der Grenzer bestimmt.

Dodo folgte der Aufforderung, fuhr an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Sie warteten auf ihren Grenzer und fixierten die Tür an dem Gebäude. Es dauerte.

Philipp wurde nervös, malte sich aus, wie die Grenzer im Gebäude Unterlagen über seine Zeit in der DDR gefunden haben, über den Spion aus dem Westen, der als Student getarnt und von einem von DDR-Arbeitern aufgebrachten Stipendium lebend den Arbeiter- und Bauernstaat geschädigt hat. Und nun beraten sie dort, wie seine Verhaftung erfolgen kann, ohne viel Aufsehen zu erregen. Eine seltsame Starre befiel ihn; äußerlich ruhig wirkend saß er da und schaute auf die Tür, aus der er jeden Moment einige bewaffnete Grenzer erwartete, die ihn abführten.

Hatte sich aber nicht vieles verändert in den letzten Wochen in der DDR? Der Generalsekretär Honecker war abgesetzt worden, in Leipzig hatte eine große Demonstration gegen die diktatorischen Machthaber stattgefunden, Flüchtlinge aus der Warschauer Botschaft durften mit einem Zug durch die DDR nach Westdeutschland ausreisen, und gerade vor wenigen Tagen waren Sonderzüge mit DDR-Flüchtlingen aus der Prager Botschaft durchgelassen worden. Aber vielleicht waren es gerade diese Ereignisse, die die Machthaber unberechenbar werden und sie dort, wo die Öffentlichkeit nicht so hinschaute, zugreifen ließen. Wagen um Wagen fuhren an Dodo und Philipp vorbei, hielten vor der Schranke, Grenzer reichten den Reisenden ihre Papiere, hoben die Schranke und die Autos fuhren davon.

Auch Dodo wurde langsam nervös und machte sich Vorwürfe. Wäre sie doch bloß allein und mit ihrem eigenen Wagen gefahren. Sicher hatten die Grenzer inzwischen entdeckt, dass ihnen da ein ehemaliger Spion ins Netz gegangen ist. Sie hätte hart bleiben und nicht auf seinen treuen Blick reinfallen sollen. Wenn man sie nun auch vorübergehend verhaftete! Als Oberstudienrätin und Beamtin war sie auf den Staat Bundesrepublik vereidigt. Das könnte Schwierigkeiten geben. Sie nahm sich ernstlich vor: Sollte es hier nochmal gut ausgehen, würde sie sich sogleich nach der Rückkehr von Philipp trennen und aus der Wohnung ausziehen.

Wären wir hier als Ehepaar aufgetaucht, ging es Philipp durch den Kopf, würden die Grenzer es bestimmt nicht wagen, mich zu verhaften, denn das brächte zu viel Aufmerksamkeit. Warum hatten sie nicht früher geheiratet! Sollte es hier nochmal gut ausgehen, würden sie sogleich nach der Rückkehr heiraten. Er ging davon aus, dass Dodos angekündigte Erklärung selbstverständlich positiv ausfallen würde.

»Hat etwas länger gedauert, kommt manchmal vor.«

Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich der ihnen vertraute Grenzer vor ihrem Wagen und reichte Dodo die Pässe zurück.

»Nicht schneller als 100 fahren, unterwegs nicht anhalten, nicht auffallen, gute Fahrt.«

Dodo fuhr den Wagen weiter vor, der Grenzer hob den Schlagbaum, sie fuhren davon und waren plötzlich in der DDR. Sie waren nicht verhaftet worden, atmeten auf, die Sonne schien auf einmal freundlich, und sie fühlten sich frei. Ein Schild tauchte auf: Marienborn!

»Hattest du Angst?«, fragte Dodo. Philipp aber antwortete nicht, registrierte auch kaum das Schild. Das Gefühl der wiedergewonnenen Freiheit war schon wieder von ihm gewichen.

»War das nicht hier, wo du in einer Schule eingesperrt worden warst, damals, auf deiner Fahrt nach Berlin?«, fragte Dodo.

»Ja, hier«, sagte Philipp nur, und seine Stimme klang heiser. »Fahr nicht so schnell!«

Dodo wagte einen kurzen Seitenblick auf ihren Beifahrer.

»Ich fahre nicht schnell, genau 100, wie erlaubt«, rechtfertigte sie ihre Fahrweise.

Philipp starrte unentwegt auf das Armaturenbrett. Erst allmählich löste sich seine Verkrampfung und er wagte einen Blick auf die Landschaft. Große, eintönige Felder zogen vorbei, ohne Hecken und ohne Bäume. Auf einer Weide eine große Herde schwarzweißer Kühe, dahinter lagen lang gestreckt mehrere niedrige Gebäude, unansehnlich grau und mit zum Teil zerbrochenem Fensterglas. Dodo folgte Philipps Blick.

»Eine Kolchose.«

»Nein, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, LPG«, erklärte Philipp.

»Sieht trostlos aus.«

»Ja, trostlos«, bestätigte Philipp. »Aber die Autobahn ist wenigstens in Ordnung.«

»Kunststück, mit unserem Geld.«

»Die Westdeutschen benutzen sie ja überwiegend, also müssen sie sich auch an den Kosten beteiligen.«

»Ohne die Zuschüsse aus dem Westen wäre Ostdeutschland lange schon pleite.«

Philipp wurde ärgerlich.

»Ohne die Gelder aus Amerika wäre es im Westen lange nicht zum Wirtschaftswunder gekommen, und vergiss nicht: Die Sowjets haben nach 45 das Land regelrecht ausgeplündert.«

Erstaunt stellte er fest, er war dabei, die DDR zu verteidigen, kaum dass sich seine Angst gelegt hatte.

Vor ihnen tauchte die Silhouette einer größeren Stadt auf und bald danach ein Abfahrschild: Magdeburg. Wieder erinnerte Philipp sich an seine Reise nach Berlin im Herbst 1948 und an die Übernachtung in dem großen Wartesaal im Bahnhof von Magdeburg.

»Woran denkst du?«, fragte Dodo.

»An mein Referat und die Diskussion danach, bin gespannt, wie die Jüngeren über unsere damalige Zeit denken«, log Philipp. Er mochte seine vielen auf ihn einstürmenden Erinnerungen nicht preisgeben. Sicher würde Dodo wieder spöttisch ihre Mundwinkel verziehen und ihn der für einen alten Mann so typischen Nostalgie verdächtigen.

Mit starrem Blick schaute Philipp durch die Windschutzscheibe und sah den auf sie zurasenden und unter ihrem Wagen nach hinten verschwindenden Asphalt. Aber es half nichts; spätestens als am Rande der Autobahn ein Schild mit dem Hinweis auf Potsdam auftauchte, setzten sich erneut die Erinnerungen in seinem Kopf fest: Christian! Wie konnte er in all den Jahren die Gedanken an den besten Freund seiner Berliner Jahre nur so verdrängen! Wie wohltuend war diese Freundschaft mit einem Menschen, dessen Couragiertheit und dessen Selbstbewusstsein Philipp Halt und Mut gaben, ihm, der in der ersten Zeit ängstlich, verunsichert und einer der wenigen Studenten aus einer Arbeiterfamilie war. Ein Bild drängte sich auf: Ein draller Frauenkörper räkelte sich, nackt und mit nasser Haut auf einem Sandstrand liegend, vor den beiden Freunden. Wie hieß sie doch gleich? Philipp kam nicht auf ihren Namen, aber er sah ganz deutlich den Körper der Frau vor seinen geschlossenen Augen und sah, wie sie sich geliebt hatten, damals Christian, diese junge Frau und er.

Was mochte wohl aus seinem Freund geworden sein? Sicher hatte er Karriere gemacht in der DDR mit seinen Erfahrungen und der Autorität der Studienjahre in der Sowjetunion. Wie hieß es doch immer: Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen. Christian hatte besonders gelernt sich anzupassen. Philipp musste daran denken, wie der Freund schon nach einem Jahr Aufenthalt in Moskau bei einem Besuch in Berlin vom großen Stalin geschwärmt hatte. Aber er konnte auch impulsiv sein und unberechenbar, was ganz sicher einer DDR-Karriere hinderlich sein konnte. Entweder war er ein hohes Tier geworden oder er saß im Zuchthaus dazwischen gab es wohl nichts.

Erneut schloss Philipp die Augen und versuchte sich ein Bild zu machen von der jungen Frau, vom Freund und von der Umgebung, damals am Strand.

Plötzlich spürte er, wie Dodo das Auto abbremste. Er öffnete die Augen und sah vor sich eine Autoschlange und davor eine Grenzstation, ähnlich der in Marienborn. Wieder mussten sie an den Rand der Bahn fahren und aussteigen. Eine korpulente Frau in Uniform und mit einer, durch ihren dicken Hintern verursacht, auffällig vorstehenden Pistole am Halfter forderte sie auf den Kofferraum zu öffnen und zu entleeren. Sie zeigte auf Dodos Koffer.

»Bitte aufmachen!«

Dodo legte den Koffer auf die Erde und öffnete ihn. Die Grenzerin hob einige Kleidungsstücke an, schaute darunter, wandte sich um, inspizierte den leeren Kofferraum und klopfte den Boden ab.

»Alles wieder einladen!«

Während Philipp und Dodo ihre Koffer einluden, beugte die Frau sich in den Wagen vor, inspizierte den Innenraum, richtete sich wieder auf und wandte sich mit kaltem Gesicht an Philipp.

»Die Rückbank anheben!«

Philipp bemühte sich der Anweisung nachzukommen, aber der Mechanismus an der Bank versagte. Die Grenzerin wurde ungeduldig, drängte Philipp zur Seite, beugte sich erneut in das Innere des Wagens, riss mit einer kurzen, kräftigen Bewegung die Rückbank aus ihrer Verankerung, schaute darunter, richtete sich wieder auf und schaute Philipp hasserfüllt an.

»Ein großes Auto müssen sie alle fahren, aber nicht mal die Sitze können sie anheben.«

Philipp war irritiert.

Diese Frau hasst mich abgrundtief, dachte er.

»Tankdeckel öffnen!«

Gehorsam öffnete Philipp den Tankdeckel am Auto, die Frau nahm einen Metallstab, führte ihn in den Tank ein, zog ihn wieder heraus und prüfte den Benzinstand.

»Wieder schließen!«, kommandierte sie.

Philipp gehorchte. Die Grenzerin griff zu einer Art Spazierstock, der am unteren Ende einen briefbogengroßen Spiegel auf zwei Rädern besaß, fuhr damit von allen vier Seiten unter den Wagen und schaute in den Spiegel.

»In Ordnung, steigen Sie wieder ein!«

Dodo und Philipp beeilten sich, die Schranke hob sich, sie fuhren hindurch, waren in Westberlin und bald schon im Hotel.

8

Die ersten drei Seminartage waren mit Referaten, Diskussionen und Rollenspielen ausgefüllt. Philipp, der neben dem Seminarleiter, einem jungen Dozenten der Freien Universität Berlin, bei den teilnehmenden Lehrern bald als DDR-Experte galt, musste meist die Rolle eines Ost-Funktionärs übernehmen. Erstaunt stellte er fest, dass es ihm von Mal zu Mal leichter fiel, diese Rolle und damit die Argumente eines verbohrten DDR-Vertreters glaubhaft darzustellen.

Durch die aktuellen Ereignisse verursacht, kam schon am ersten Tag der Seminarplan durcheinander und musste auch danach immer wieder geändert werden. Mehrere Mitglieder des allmächtigen Politbüros der SED waren zurückgetreten. Sicher zurückgetreten worden, meinte der Seminarleiter. Dass sich aber der Minister für Staatssicherheit darunter befand, sei schon erstaunlich. Am vergangenen Sonnabend seien in einer im Nachhinein vom Staat genehmigten Kundgebung auf dem Alexanderplatz Hunderttausende zusammengekommen. 26 Redner, unter ihnen viele Schriftsteller und Vertreter kurz vorher gebildeter oppositioneller Vereinigungen hätten freie Wahlen gefordert. Aber auch ehemalige SED-Funktionäre seien darunter gewesen.

»Die Berliner sind ja sprachbegabt und nennen diese Leute Wendehälse. Am Montag war in Leipzig wieder eine große Demonstration, eine halbe Millionen demonstrierte, und die Menschen riefen immer wieder. ›Wir sind das Volk!‹ Ein Witzbold war auch darunter, der trug ein Plakat, auf dem stand: Ich bin Volker!«

Am vierten Seminartag, einem Donnerstag, war ein Besuch in Ostberlin eingeplant. Am Morgen auf dem Weg zum Grenzübergang Friedrichstraße berichtete der Seminarleiter von weiteren Sensationen in Ostberlin.

»Sicher haben Sie schon gehört, gestern ist das gesamte Zentralkomitee der SED zurückgetreten. Es wurde ein neues, wesentlich kleineres gewählt. Soweit ich das beurteilen kann, sind es gegenüber den Betonköpfen etwas moderatere Genossen. Wie auch immer: Begeben wir uns in die Höhle des Löwen und schauen, ob er noch ein Raubtiergebiss hat.«

Am Übergang Bahnhof Friedrichstraße reihten sich die Seminarteilnehmer bei den Wartenden ein, füllten das Tagesvisum aus, tauschten den Pflichtbetrag Westgeld 1:1 in Ostmark um, ließen die Passkontrolle über sich ergehen, waren endlich in Ostberlin und bestiegen den vorbestellten und vor dem Bahnhof wartenden Bus. Ein Mann um die dreißig empfing die Gruppe, stellte sich als Sekretär des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes FDGB vor; heute sei er ausnahmsweise ihr Stadtbilderklärer, für die Gruppe sei er Karl, einfach Karl.

»Ich weiß, bei Ihnen in der BRD heißt das Stadtführer; wir in der DDR halten nichts von Führern.«

Er hieß die Gruppen in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik herzlich willkommen und erklärte, dass sie nun einen ganzen Tag lang durch die Stadt fahren und dabei Historisches, aber auch die Errungenschaften einer modernen sozialistischen Großstadt kennen lernen werden. Es habe in letzter Zeit zwar einige Unruhen in der Stadt gegeben, und daran sei neben den Konterrevolutionären und den westlichen Agenten auch dieser Herr Gorbatschow mit seiner Perestroika schuld er sagte wortwörtlich »dieser Herr Gorbatschow«, aber man solle sich nicht täuschen, denn es gelte immer noch der Satz des aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen ehemaligen Staatsratsvorsitzenden, des Genossen Erich Honecker: »Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.«

Die Gruppe schwieg, der Seminarleiter auch. Er überreichte dem Sekretär eine Liste mit den Namen der Exkursionsteilnehmer. Karl erbat sich vom Seminarleiter einen Kugelschreiber, rief einzeln die Namen auf, die Teilnehmer meldeten sich, er machte hinter jedem Namen einen Haken und reichte den Schreiber zurück, nicht ohne ihn vorher mit neidvollen Blicken betrachtet zu haben.

»Einmal, da hat mir der Leiter einer Besuchergruppe seinen Kugelschreiber geschenkt, ich durfte ihn behalten; es war ein guter Schreiber, so ähnlich wie dieser«, sagte Karl, der Sekretär und Stadtbilderklärer.

Der Seminarleiter aber reagierte nicht.

Während der ganzen Zeit saß Philipp schweigend im Bus auf seinem Platz, schaute durch das Fenster zurück auf den Bahnhof und erinnerte sich an den Tag seiner Flucht. Als sei es erst vor wenigen Tagen gewesen, sah er Sophie und sich in den S-Bahn-Zug steigen, sah den Grenzpolizisten, die Fahrgäste fixierend, durch den Wagen gehen, sah, wie Sophie dem Mann bereitwillig folgte und mit ihm den Zug verließ, sah sie, als die Türen sich schlossen und der Zug anfuhr, mit großer Erleichterung im Gesicht auf dem Bahnsteig stehen und ihrem Freund und Lebenspartner einen letzten Blick zuwerfen. Und auf einmal und nach so vielen Jahren wusste Philipp, dass seine Sophie nie vorhatte, die DDR zu verlassen, sonder nur ihn außer Landes und in Sicherheit wissen wollte.

»Willst du nicht mit aussteigen, was ist mit dir?«

Der Bus war leer, nur Dodo war noch da, stand vor Philipp und schaute ihn neugierig an. Er antwortete nicht. Mühsam fand er in die Gegenwart zurück, stand auf und folgte ihr und den anderen.

Der Bus war inzwischen über die Weidendammbrücke weitergefahren bis zu einem Haus, das wohl einmal ein Geschäftshaus gewesen war und das einen verwahrlosten Eindruck machte. Hinter der Glasfront eines Schaufensters waren auf einem Holzpodest liegend verstaubte und vergilbte Plakate zu sehen, dazwischen und auf den Plakaten lagen tote Fliegen; es waren Plakate von Theateraufführungen. Die Steinplatten auf dem Gehweg waren zerbrochen, uneben und zu gefährlichen Stolperfallen geworden.

Links neben dem trüben Schaufenster durchschritt die Gruppe einen Torbogen und kam in eine Diele. Auch hier waren wieder Plakate von Theateraufführungen, insbesondere von Aufführungen am Schiffbauerdammtheater.

Der Gruppe folgend, betraten Dodo und Philipp rechts eine in die erste Etage führende Treppe.

»Wo gehen wir hin?«, fragte Philipp und hatte weiterhin Mühe die Gegenwart zu registrieren.

»Wie, wo gehen wir hin!«, ahmte Dodo ihn nach. »Hast du dem Genossen Stadtbilderklärer denn nicht zugehört? Wo warst du bloß mit deinen Gedanken? Wir besuchen die Wohnung des größten Dramatikers unseres Jahrhunderts, ja des größten überhaupt seit Shakespeare, des Genossen Bertold Brecht.«

Sofort und heftig waren bei Philipp die Erinnerungen an die Zeit im Studentenheim wieder da. Dumme Jungs hatte Brecht sie bei einer Begegnung mit ihm im Studentenheim genannt dumme Jungs, die nicht trocken hinter den Ohren seien, sie, der Stolz des jungen sozialistischen Staates DDR, und das ausgerechnet nach einer Begrüßungsansprache des in Marxismus versiertesten Heimbewohners und Genossen. Philipp musste in Erinnerung an diese Begegnung schmunzeln.

Die mehr als zwanzig Personen der Gruppe zerstreuten sich in der Brechtwohnung und füllten die Räume. Eine junge Frau mit einem leicht sächsischen Akzent begrüßte die Besucher und bemühte sich, ihnen mit wenigen Sätzen das Leben und Wirken Brechts und dessen Frau Helene Weigel für den Sozialismus im allgemeinen und besonders in Berlin zu erläutern. Aber die Besucher schlenderten herum, und nur wenige hörten der Frau zu. Die Wohnung war als Museum aufbereitet, mit Bildern an den Wänden und Erinnerungsstücken aus Brechts Alltag wie, an einem Haken hängend, seine Mütze und sein Gehstock.

Einige Bilder zeigten Brecht bei seiner Regiearbeit inmitten von Schauspielern. Die junge Frau versuchte den wenigen sie umstehenden Besuchern die Bilder zu erklären. Genau sei er gewesen bei der Arbeit, Spaß habe er nicht gekannt wenn, dann nur Spaß auf seine Weise. Manchmal habe er der einen oder anderen Schauspielerin unter den Rock gefasst und nicht verstehen können, dass sie ihn abwehrte. Überhaupt sei er zu Frauen nicht sehr nett gewesen und konnte auch sonst zu seiner Umgebung sehr grob sein.

»Ja, das stimmt, so habe ich ihn auch kennen gelernt«, bestätigte Philipp und war erschrocken.

Erstaunt schaute die junge Frau Philipp an.

»Sie kannten Brecht?«

Philipp nickte. Die Frau hob ihre Stimme.

»Alle mal herhören! Wussten Sie, dass unter Ihnen jemand ist, der Brecht noch gekannt hat?«

Die Besucher kamen zusammen und blickten Philipp erwartungsvoll an.

»Goethe habe ich aber nicht mehr gekannt«, sagte er, verlegen lächelnd.

Bei der Weiterfahrt war Philipp wie umgewandelt. Wo immer der Bus sie auch hinfuhr, was immer der Stadtbilderklärer auch erklärte, Philipp brachte mit gedämpfter Stimme zu beinahe allen Straßen und Orten seine persönlichen Erinnerungen und Erklärungen vor, breitete sie vor der nebensitzenden Dodo aus und redete in die Lautsprecherstimme des Erklärers hinein. Er sah nicht, dass an vielen Orten, diskret in den Seitenstraßen platziert, Bereitschaftswagen mit Polizisten darin standen. Auch merkte er nicht, dass die Gruppe an keinem der Orte mit historischen oder modernen Bauten zum Ausstieg aufgefordert wurde, sondern dass alle Erklärungen aus dem Businneren erfolgten.

»Sie fürchten wohl eine Menschengruppe als Kristallisationspunkt für einen Auflauf«, hörte Dodo einen hinter ihnen sitzenden Lehrer sagen.

In der Wilhelmstraße, die jetzt nach dem ersten DDR-Ministerpräsidenten Otto-Grotewohl-Straße hieß, berichtete Philipp vom Studentenheim, von der Art, wie die Studenten dort die Liebe gepflegt hatten, und von seiner Beziehung zu einer Musikstudentin aus Schwaben. Wie hieß sie doch gleich? Er berichtete, wie es dazu kam, dass das Heim geschlossen wurde und er nach Weißensee zu der Tochter einer Stellvertretenden Ministerin gezogen war.

Es war das erste Mal, dass er Dodo so ausführlich von Sophie berichtete, vom gemeinsamen Leben und von ihrer Liebe, und er wunderte sich selber, wie offen er hier im Bus und in Gegenwart der ganzen Gruppe über all das reden konnte.

Zuerst hörte Dodo noch geduldig zu, denn sie war natürlich neugierig. Als er aber immer weiter schwärmend von seiner Jugendliebe berichtete, störte sie sein Dazwischenreden doch, und zuletzt wurde sie wütend. Hatte sie es nötig, einem alternden Mann als Klagemauer für seine Trauer um die verlorene Jugend zu dienen? Sollte sie ihm gleich hier sagen, dass sie ihn niemals heiraten, sondern nach ihrer Rückkehr aus Berlin ihn verlassen werde? Sie tat es nicht, denn da war wieder ihr Mitleid. Höflich bat sie ihn zu schweigen. Sie wolle endlich dem Stadtbilderklärer Karl zuhören, sagte sie.

In der Karl-Marx-Allee, die früher Stalin-Allee hieß, legte der Bus eine Pause ein und Karl führte die Lehrer in ein Restaurant, HO-Gaststätte genannt, wo das Mittagessen auf sie wartete. Vor dem Eingang passierten sie eine Schlange geduldig wartender Menschen. In einem Extraraum servierte man ihnen ein bürgerliches Einheitsessen, bestehend aus Kartoffeln, Rotkraut und Schnitzel.

»Wer keinen Rotkohl mag, der kann als Sättigungsbeilage aber auch Weißkohl haben«, bot Karl großzügig an.

Philipp war nicht hungrig, berührte kaum das Essen und gar nicht das stark verkohlte Schnitzel, ging schon vor Ende der Mittagspause vor die Tür und betrachtete die Wohnblocks, in denen nach der Erklärung des Stadtbilderklärers Arbeiter, Aktivisten und Antifaschisten wohnten.

Philipp erinnerte sich deutlich an die Wochenenden und an das von der Fakultät verordnete und auch kontrollierte freiwillige Steineklopfen in dieser Straße, die ein Trümmerfeld war. Er betrachtete die im Zuckerbäckerstil errichteten Fronten und stellte sich vor, dass so mancher von ihm und seinen Kommilitonen geputzte Stein hier verbaut worden sein könnte.

Wieder musste er an Sophie denken und an die hier unter den Trümmern gefundene Puppe, die eine Weile nackt und später in den von Oma Josepha geschenkten Puppenkleidern in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer auf dem Nachttisch stand. Wenn Sophie noch leben sollte: ob sie die Puppe noch hat? Oder eines ihrer Kinder oder Enkelkinder vielleicht? Ob sie einen Genossen geheiratet hat? Philipp ging in Gedanken die Reihe der gemeinsamen Freunde und Bekannten durch, aber ihm fiel niemand ein, der auch nur annähernd zur Sophie passen würde.

Er betrachtete die vorbeigehenden Menschen, eilende und müßig schlendernde, mürrische, fröhliche, in sich gekehrte, offen und heiter schauende Menschen. Plötzlich sah er Sophie die Straße entlangkommen, die junge Sophie, ihre zarte Figur, ihr dunkles Haar, ihr klares, offenes Gesicht mit einer Brille, wie sie auch der Revolutionär Trotzki zu tragen pflegte. Philipp hielt den Atem an, sie kam direkt auf ihn zu, ging ganz nahe an ihm vorbei und war es nicht.

Als er zum Lokal zurückging, sah er vor dem Eingang noch mehr Menschen in der Schlange stehen. Er gab sich Mühe sie zu übersehen, denn er wollte nicht auffallen. Als die gesamte Gruppe das Lokal verließ und auf dem Wege zum Bus erneut an der Menschenschlange vorbei musste, sprach Dodo die Wartenden an.

»Gehen Sie doch einfach hinein; es sind eine Menge Plätze frei«, ermunterte sie die Menschen.

»Das dürfen wir nicht; wir müssen hier warten und werden platziert«, erklärte eine Frau.

Dodo, nicht zufrieden mit dieser Auskunft, versuchte weiter die Menschen zu ermuntern, sich doch selber einen Platz zu suchen. Diese aber schauten zur Seite und rührten sich nicht von der Stelle. Es war Dodos erster Kontakt mit Bürgern der DDR. Auf dem Wege zum Bus diskutierte sie mit Philipp über die ihr unverständlich devote Haltung der Menschen.

»Ich kann nicht verstehen, wie man sich, ohne aufzubegehren, so ergeben fügen kann.«

»Du weißt, ich bin in meiner Berufszeit viel in westlichen Ländern herumgekommen«, meinte Philipp. »In guten Restaurants ist es auch im Westen durchaus üblich, platziert zu werden.«

Sie standen vor dem Bus, Dodo schaute wütend.

»Sicher, und die Menschen stehen auf der Straße und warten geduldig, bis es einem Herrgott von Kellner in seiner Gnade einfällt, einige Gäste hereinzuwinken.«

Andere Lehrer gesellten sich zu den beiden und diskutierten mit über Ursachen sowie Sinn und Unsinn einer solchen Regelung.

»Da begeben sie sich auf die Straße, demonstrieren unter Lebensgefahr gegen den Staat, rufen unentwegt ›Wir sind das Volk!‹, und dann das.«

»Wir Westler müssen nicht anstehen, wir haben ja die D-Mark.«

»Es sind die Kellner; die haben kein Interesse am Umsatz, haben ein festes Gehalt, Trinkgelder sind hier verboten.«

»Und so ist auch der Staat, man hat den Leuten das Interesse ausgetrieben.«

Philipp, immer noch ein wenig in der ihm vom Seminar zugeteilten Rolle eines Verteidigers der Zustände in der DDR, versuchte mit einer Erklärung, wenn schon nicht das System, so doch wenigstens die Menschen zu verteidigen.

»Man hat ihnen in 40 Jahren Diktatur das selbstständige Handeln abgewöhnt. Der Staat regelt alles. Wenn man die Nazizeit dazurechnet, dann sind es mehr als 55 Jahre.«

Karl und der Seminarleiter tauchten auf. Karl drängte zur Weiterfahrt.

»Bitte einsteigen! Der Museumsdirektor wartet schon.«

Im Zeughaus, das jetzt Museum für Deutsche Geschichte hieß, wurden sie von einem älteren, mit einem SED-Parteiabzeichen dekorierten Herrn begrüßt und auch geführt. Wieder, wie schon im Hause Brecht, zerstreuten sich die Besucher. Nur wenige folgten dem Direktor und seinen in Parteideutsch vorgetragenen Erklärungen.

Die Deutsche Geschichte stellte sich als die Geschichte der Arbeiterbewegung heraus, und diese vornehmlich als die Geschichte der Kommunistischen Partei, gipfelnd 1946 in der Vereinigung der beiden Marschblöcke von SPD- und KPD-Genossen in Berlin zu einem Marschblock mit dem vorausgetragenen Schild »Sozialistische Einheitspartei Deutschland SED«. Ein überdimensioniertes Wandbild zeigte diesen inszenierten Marsch.

Philipp stand plötzlich vor einem Bild, das seinen Mathelehrer im Gespräch mit einer Studentin und einem Studenten vor einer »Arbeiter- und Bauernfakultät« überschriebenen Wandzeitung zeigte. Deutlich war das asketische Gesicht des Dozenten zu erkennen. Die jungen Leute aber kannte Philipp nicht. Neben dem Bild war auf einer Tafel in wenigen Sätzen die Geschichte der Arbeiter- und Bauernfakultäten in der DDR erklärt. Philipp wunderte sich, dass ausgerechnet der mieseste Dozent der ABF es zu geschichtlichen Ehren gebracht hatte, machte Dodo auf das Bild aufmerksam und erzählte ihr von seinen unerfreulichen Erfahrungen mit diesem Mann, der nach der Überzeugung der Mehrheit der Klasse zumindest eine Mitschuld am Selbstmord einer Schülerin hatte.

»Vielleicht war es gerade das, was ihn vor der Obrigkeit ausgezeichnet und zu einer Person der Geschichte qualifiziert hat«, meinte Dodo.

Als sie wieder vor die Tür traten, Philipp die Freundin auf die entmilitarisierten und verwaisten Sockel der Generäle Scharnhorst und v. Bülow vor der »Ewigen Wache« hinweisen wollte, war er irritiert. Sollte die Entmilitarisierung so konsequent vollzogen worden sein, dass inzwischen auch die Sockel entfernt wurden? Aber dann entdeckte er sie einschließlich der wieder darauf stehenden Figuren schräg gegenüber auf dem Opernplatz. Auch der, begleitet von vielen Verwünschungen gegen den Preußischen Militarismus, damals verbannte Zweite Friedrich saß wieder auf seinem hohen Ross und galoppierte die Linden hinunter.

Philipp erzählte Dodo, wie er am Tage der Gründung der DDR leicht beschwipst und trotz der Warnung seines Freundes auf einen der Sockel der Generäle geklettert sei und anschließend Mühe hatte dort wieder herunterzukommen.

»Du hättest gleich oben stehen bleiben sollen und dein Freund auf dem zweiten Sockel, denn von einem Arbeiter- und Bauernstaat kann man doch wohl verlangen, dass statt der kriegerischen Generäle Arbeiter- und Bauernstudenten Denkmale bekommen.«

»Christian war aber kein Bauernsohn; sein Vater war polnischer Offizier.«

»Na dann wenigstens du, ein Arbeiterstudent, bliebe ja immer noch Platz für einen der Generäle an deiner Seite.«

Zur Kaffeezeit traf der Bus vor dem Funkturm auf dem Alexanderplatz ein. Wieder wurde die West-Gruppe an einer vor der Kasse wartenden Menschenschlange vorbeigeführt, um sogleich mit dem Aufzug hochgefahren zu werden. Auf einmal weigerte Dodo sich weiterzugehen noch gar den Aufzug zu betreten.

»Ich mache das nicht weiter mit. Die Leute warten in der Kälte und wir Kapitalisten steigen aus dem warmen Bus und gehen gleich in das geheizte Gebäude. Wer sind wir denn!«

Sie betonte besonders das Wort Kapitalisten, stand wie angewurzelt da und schaute trotzig sowohl den Seminarleiter als auch den Stadtbilderklärer an.

Betretenes Schweigen, auch Philipp schwieg verlegen und irritiert. Nur nicht auffallen, nur Abstand halten, dachte er und ging einen Schritt zur Seite.

Da meldete sich ein älterer Mann aus der Menschenschlange, der neben sich ein kleines Mädchen an der Hand hielt.

»Wer Sie sind, Gjnädigste, det weeß ick nich, aba wir sind ’ne sozialistische Wartejemeinschaft.«

Befreites Lachen.

Karl versuchte Dodo zu überreden.

»Aber Ihr Gedeck. Alles ist vorbereitet und bezahlt, es gibt Kaffee und Kuchen, dabei dreht sich das Café, und Sie können sich in Ruhe die Hauptstadt von oben ansehen, auch Westberlin können Sie sehen.«

»Wie verlockend«, spöttelte Dodo, »wir kommen aus dem Westen angereist, um vom Osten aus einen Blick in den Westen werfen zu dürfen.«

Sie ging auf die Schlange zu, nahm das kleine Mädchen an die Hand und versuchte Mädchen und Mann aus der Schlange herausziehen. Aber es gelang nicht, das kleine Mädchen hielt sich erschrocken am Hosenbein des Mannes fest. Dodo ließ von dem Kind ab.

»Laden Sie doch diese beiden ein mitzukommen; mein Bekannter und ich verzichten«, erklärte sie und hakte sich bei Philipp ein.

Philipp glaubte, sein Herz bliebe stehen, aber Karl beachtete ihn nicht; er gab auf.

»Na gut, dann muss ich jetzt schon die Theaterkarten verteilen.«

Er teilte dem noch nicht hochgefahrenen Teil der Gruppe mit, dass das Kartenkontingent für den Friedrichstadtpalast nicht für alle reichen würde. Fünf Karten fehlten, und als Alternative könne er etwas anderes anbieten: einen sowjetischer Dramatiker, aber einen modernen; Lenin trete auf und auch andere Revolutionäre. Wie gesagt, ein moderner Dramatiker ...

Dodo war sofort für die Alternative, nahm, ohne Philipp zu fragen zwei Karten für das Schiffbauerdamm-Theater entgegen, und hakte sich erneut bei ihm ein. Sie verabschiedeten sich von der Gruppe und gingen allein weiter.

»Nicht vergessen«, rief Karl ihnen noch hinterher, »Ihr Visum gilt nur bis Mitternacht.«

Sie schlenderten über den Platz, schauten neugierig auf die Auslagen der Geschäfte und auf die Menschen.

»Endlich können wir, ohne verplant zu werden, unsere Zeit nutzen«, sagte Dodo, Philipp stimmte zu.

Vor einem Buchladen blieben sie stehen.

»Was heißt das?«, fragte Dodo und zeigte auf die großen kyrillischen Buchstaben über dem Eingang.

»Meschdunarodnaje Kniga, und was es heißt, steht doch klein darunter: Internationales Buch.«

»Russisch groß, Deutsch klein, mitten in der Hauptstadt der DDR, sehr aussagekräftig.«

»Du musst nicht in allem einen Hintersinn sehen«, meinte Philipp. »Die Russen haben nun mal das Sagen hier.«