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© für die Originalausgabe und das eBook: 2012 nymphenburger in der
F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten.
Schutzumschlag: www.atelier-sanna.com, München
Schutzumschlagmotive: privat/corbis, Düsseldorf
Fotos: Archiv Heinrich Harrer
Letztes Foto: Walter Laserer (www.laserer-alpin.at)
Herstellung und Satz: Ina Hesse
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-485-06011-0

Inhalt

Vorwort

Zwei fremde Welten

Eine schicksalhafte Verabredung zum Golf

Sport, Sport, Sport – mein Mann, der Bewegungsmensch

»Eine Frau, die so lebt wie du, die hat eigentlich keine Daseinsberechtigung«

Neuguinea – nach neun Monaten des Wartens ein Heiratsantrag

Geschichten von Tausendundeinem Stamm – eine männliche Scheherazade

Liebe einmal anders: beim Auspacken von Expeditionskisten

»Und nun stehe auf und sieh dir die Welt an«

Von Ängsten und anderen Gefühlen

Tibet und der Dalai Lama – Heinrichs Schicksal

Zusammen auf den Spuren der Flucht

Schatten der Vergangenheit

Sieben Jahre in Tibet mit Brad Pitt

Kleiderfragen und der einzige große Streit

»Ein Professor ohne Beruf«

Bis zum letzten Atemzug an seiner Seite

»Hinter jedem berühmten Mann steht eine freche Frau«

Der letzte Brief

Lesetipp

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Für meinen lieben Mann

Der ist der glücklichste Mensch,

der das Ende seines Lebens

mit dem Anfang in Verbindung setzen kann.

Johann Wolfgang von Goethe

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Vorwort

Ein ansonsten sicherlich sehr kluger Mensch schrieb einmal, dass es nichts Schlimmeres gäbe als die Witwen berühmter Männer – gemeint waren Opernstars oder Dirigenten –, die plötzlich anfingen, Memoiren zu schreiben, und ihren ganzen Ehrgeiz in dieses Unternehmen steckten. Als ich das las, fand ich dieses Urteil schon etwas hart, denn ich hatte nach dem Tod meines Mannes im Januar 2006 einige Zeit überlegt, ebenfalls ein Buch über ihn herauszubringen. Aber da Heinrich Harrers Erinnerungen vorlagen, von ihm selbst verfasst, kam ein solches Projekt letztlich auch gar nicht in Frage. Überhaupt war alles, was er erlebt und gedacht hatte, auf Papier festgehalten, da fiel mir nichts ein, was ich noch hätte erzählen können. Und die Sünden meines eigenen Lebens wollte ich auch nicht unbedingt beichten.

Befreit von diesen Überlegungen begann ich, mein eigenes Leben zu leben. Ganz langsam und allmählich, wobei ich feststellte, dass es sehr gut ging. Sicher hatte das damit zu tun, dass Heinrich und ich eine gute Ehe geführt haben. Zudem hatte ich mir vorgenommen, abends nicht unglücklich ins Bett zu gehen, und ich brauchte mir auch nicht zu sagen, dass die Zeit alle Wunden heilt, denn es gab keine Wunden, die verheilen mussten. Ich war einfach nur dankbar für die gemeinsamen Jahre. Es hätte keine schönere Zeit in meinem Leben geben können. So fing ich wieder an, Literatur zu lesen, Poesie – und es gelang mir tatsächlich, dieses eigene Leben zu leben.

Erst einige Jahre später, mit einem größeren Abstand, kam mir das »Witwenprojekt« wieder in den Sinn. Gab es nicht doch etwas, was ich über Heinrich erzählen könnte? Etwas, was die Menschen noch nicht wussten?

Mir fielen ein paar Geschichten ein, die nirgends veröffentlicht sind, und auf manches Bekannte habe ich vielleicht, so meine Überlegung, eine andere Sichtweise, eine privatere, die für denjenigen, der sich für das Leben meines Mannes interessiert, spannend sein könnte. Zugleich wollte ich auch versuchen, einmal mehr zu fassen, welches die Motivationen meines Mannes waren, in die Welt hinauszugehen. Mein ganz eigener Blick auf seine und auch auf meine Träume könnte dazu möglicherweise etwas beitragen.

Meine Hoffnung ist es, mit meinen Erinnerungen an unser gemeinsames Leben ein paar weiße Flecken mit Farbe zu füllen. Die Zeit der geteilten Erinnerungen ist leider vorbei. Tempi passati! Und meinem Alter wiederum sei es geschuldet, dass ich mehr mäandernd als chronologisch erzähle. Für die Chronologie gibt es die Bücher meines Mannes.

Knappenberg, im April 2012

Carina Harrer

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Auf meine Art und Weise habe ich viel mehr erlebt als mein Mann. Das mag sehr gewagt klingen, fast vermessen, stimmt aber, wenn man meinen Lebensweg und den von Heinrich Harrer vergleicht. Heinrich hat in seinem Leben stets eine ganz klare Linie verfolgt. Auf die Welt gekommen ist er am 6. Juli 1912 in einem einfachen Bergarbeiterhaus in Obergossen in Kärnten, und als er zum ersten Mal bewusst seine Umwelt in Augenschein nahm, blickte er von seinem Elternhaus aus auf Berge, auf die Julischen Alpen. Sicher, dies ist eine wunderbare Bergkette, und dass Heinrichs erster entscheidender Gedanke meiner Ansicht nach der war, diese zu erklimmen, um mehr von der Welt zu erfahren, ist nur zu gut nachvollziehbar. Aber es gab bei ihm eben keinen anderen entscheidenden Gedanken.

Als ihm die Berge aus seiner unmittelbaren Umgebung nicht mehr genügten, musste ein größerer Berg aus seiner Kärntner Heimat kommen, dann die Eiger-Nordwand der Berner Alpen, bis er schließlich den Himalaya als Herausforderung im Blick hatte. Gut, nach der Expedition auf den Nanga Parbat kamen noch die prägenden Jahre in Tibet hinzu und die Forschungsreisen in Länder der verschiedensten Kontinente, aber immer ging es um einen Aufbruch, hinaus in die Welt, auf eine andere Ebene, auf eine andere Höhe.

Heinrich wusste stets, wie er leben wollte, was ihn interessierte und was er erforschen wollte. Nie wäre er von seinen Vorstellungen abgewichen. Nicht einmal für eine Frau. Eine solche Konsequenz hätte ich niemals an den Tag legen können, wenn ich auch heute, bei einem Rückblick auf mein Leben, zugeben muss, dass mir etwas mehr Zielbewusstsein ganz gut getan hätte.

Im Gegensatz zu meinem Mann bin ich ein Großstadtkind. Geboren wurde ich 1922 in Köln, mein Vater hieß Fritz Ferdinand Haarhaus, meine Mutter Trude, ihr Mädchenname lautete Dressel. In unserer Villa gab es Wasserleitungen und elektrischen Strom, wir mussten uns abends nicht um das spärliche Licht einer alten Petroleumlampe versammeln, um eine Handarbeit zu machen oder ein Buch zu lesen. Bei Heinrich spielte sich das gesamte Familienleben in dem einen Raum ab, in dem das Petroleumlicht stand. Mein Bruder, der auch Heinrich hieß, und ich, wir konnten uns in allen Zimmern unseres Elternhauses frei bewegen, auch wenn es draußen dunkel war, wir mussten einfach nur den Lichtschalter betätigen, und schon war es hell. Statt bunt bemalter Bauernmöbel und Holzstühle gab es in meiner großbürgerlichen Welt Polstersessel mit ausladenden Armlehnen, Glasvitrinen mit Unmengen von »gutem« Geschirr und kostbaren Gläsern. An den Wänden hingen Gemälde und auf den Anrichten hatten wertvolle Skulpturen oder Vasen ihren Platz gefunden. Es gab ein Musikzimmer mit einem Klavier und eine Bibliothek mit Regalen, die bis zur Decke reichten. Diese Bibliothek hatten bereits die Großeltern meines Vaters aufgebaut.

Alle in unserer Familie waren äußerst kunstsinnig und kunstverständig. Mein Onkel Eduard von der Heydt, ein Vetter meines Vaters, war Bankier und Kunstsammler. 1926 hatte er auf Anraten der russischen Malerin Marianne von Werefkin im Tessin, nahe bei Ascona, den Monte Verità erworben, auf dem sich eine lebensreformerische Künstlerkolonie ansiedelte. Nach dem Zweiten Weltkrieg überließ er seine Sammlung ostasiatischer Kunst dem Museum Rietberg in Zürich. Seine Gemäldesammlung mit deutschen Expressionisten (Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff) und französischen Impressionisten stiftete er dem Städtischen Museum in Wuppertal, das Anfang der Sechzigerjahre in »Von der Heydt-Museum« umbenannt wurde.

Onkel Eduard, den ich als sehr eigenwillig in Erinnerung habe, bekam ich nicht oft zu Gesicht. Er war damals mit Vera von Schwabach verheiratet, der Tochter eines Berliner Bankiers. Und da Eduard über sehr viel Geld verfügte, war es ihm möglich, Kunst zu sammeln. Er kaufte nicht nach bestimmten Kriterien, sondern einfach das, was ihm gefiel. Und genau auf diese Weise sammelte auch mein Mann: aus Freude, ganz nach dem Lustprinzip. Weder Onkel Eduard noch Heinrich trugen aus Gier, nur des Besitzes wegen Bilder oder Gegenstände zusammen. Das war auch etwas, was mir an diesen beiden Menschen sympathisch war. Onkel Eduard hat mich dann auch so fasziniert, dass ich später, nach dem Abitur, anfing, Kunstgeschichte zu studieren, dazu noch Philosophie. Vererbt hat er übrigens der Familie nichts von seinen Bildern und Kunstgegenständen, er wollte seine Sammlung geschlossen halten, was ich aber durchaus verständlich fand.

So leidenschaftlich mein Mann auch sammelte, war doch bei ihm im Gegensatz zu Onkel Eduard eine größere Gradlinigkeit zu erkennen. Heinrich brachte überwiegend Objekte asiatischen Ursprungs nach Hause, viele Dinge aus Tibet, mit denen er sich gezielt beschäftigte. Wenn ich ihn zum Beispiel fragte: »Wollen wir nicht nach München fahren, da wird gerade eine wunderbare Manet-Ausstellung gezeigt, die hätte ich zu gern gesehen?«, antwortete er: »Fahr doch bitte alleine. Warum soll ich mir das Zeug anschauen? Es interessiert mich nicht. Lieber lese ich in der Zeit etwas über Neuguinea, Borneo oder die Andamanen. Da kann ich mein Wissen sinnvoll vertiefen.« Natürlich kam er auch hin und wieder mit, aber er war schon sehr auf die Länder konzentriert, in die ihn seine Expeditionen gebracht hatten oder noch bringen sollten. Und natürlich war er durch seinen siebenjährigen Aufenthalt in Tibet besonders an der Kunst dieses Landes interessiert. Und genau das meinte ich damit, wenn ich anfangs behauptete, dass ich im Grunde mehr erlebt habe als Heinrich. Noch heute kann mich alles faszinieren. Da war ich vielseitiger, »Heini«, wie mein Mann von Freunden genannt wurde, nahm ich in dieser Hinsicht als viel eingegrenzter wahr. Dafür war er gründlich, was ich von mir nicht gerade behaupten kann. Ich wuchs eben in einem Elternhaus auf, in dem es viele Möglichkeiten gab. Da dies bei meinem Mann nicht der Fall war, richtete sich sein Interesse immer auf ganz bestimmte Aspekte, die er dann aber mit aller Konsequenz in Angriff nahm und ebenso stringent zu Ende führte. Wie gesagt: Nach dem ersten Berg kam der nächsthöhere und so ging es weiter bis zum höchsten.

Aber ich will noch etwas von mir erzählen, denn ich denke, dass mein biografischer Hintergrund auch etwas über Heinrich aussagt, zumindest darüber, warum zwei Menschen, die aus so unterschiedlichen Welten stammten, dennoch fast 50 Jahre zusammenblieben. Als Kind besaß ich alles, was man mit einer großbürgerlichen Herkunft verbindet: Kindermädchen, Klavierunterricht, gepflegte Umgangsformen – nur Berge gab es in meiner Welt keine. Und ich kann nicht behaupten, dass ich sie vermisst hätte. Der Bruder meiner Großmutter Emma Haarhaus – Emma war die Mutter meines Vaters – war im Krupp-Vorstand. Rudolf Hartwig war eng befreundet mit dem deutschen Industriellen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach. Als Ingenieur soll er zusammen mit anderen Wissenschaftlern die »Dicke Bertha« konstruiert haben, ein 42-Zentimeter-Geschütz, das im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde.

Als ich davon einmal einer Journalistin en passant erzählte, gab sie mich in ihrem Artikel als Nichte von Alfried Krupp aus, dem ältesten Sohn von Gustav und Bertha Krupp von Bohlen und Halbach. Nachträglich gab ich der Reporterin deutlich zu verstehen: »Die Krupps, die noch leben, werden sich sicher darüber beschweren, eine weitere Verwandte angedichtet zu bekommen.« Mir war das Ganze sehr unangenehm. Dass jemand bewusst eine solche Verfälschung vornimmt, hätte ich nicht für möglich gehalten.

Doch zurück zu meiner Kindheit. Es war eine schöne Zeit, mit zwei sehr liebevollen, wenn auch in ihrer Art ganz unterschiedlichen Großmüttern, Emma Haarhaus und Katharina Dressel. Besonders Katharina, die Mutter meiner Mutter Trude, hatte ich sehr ins Herz geschlossen. Ama, wie ich sie stets nannte, besaß kostbarstes Porzellan. Ab und an passierte es und ich ließ aus Ungeschicklichkeit ein Stück auf den Boden fallen, das dann natürlich in tausend Scherben zerbrach – sehr zum Entsetzen meines Vaters, der sofort mit mir zu schimpfen anfing. Doch Ama meinte nur begütigend: »Lass deine Tochter. Ich konnte das Ding sowieso nicht leiden. Ich bin froh, dass ich es auf diese Weise los bin.« Natürlich wollte auch ich die väterliche Schimpftirade nicht einfach auf mir sitzen lassen. Zu meinem Vater gewandt meinte ich altklug: »Siehst du, die Ama mochte das Porzellan gar nicht.«

Für meinen Vater war alles nur eine Frage der Disziplin. Ständig hieß es: »Man muss diszipliniert sein, bei allen Dingen im Leben. Man muss das so sehen wie beim Autofahren – da darf man sich auch keinen Fehler leisten.« Und so versuchte er mich streng zu erziehen, was ihm aber letztlich nicht richtig gelang. Besonders viel Wert legte er auf Tischmanieren. Da ich keinen Fisch mochte, aber wahnsinnig gern Süßspeisen, erklärte er mir kategorisch, sobald er sah, dass ich meinen Fisch wieder einmal nicht essen wollte: »Wenn du den Fisch nicht isst, bekommst du auch keinen Nachtisch!« Ich kaute dann so lange auf dem ungeliebten Fisch herum, bis ich ihn hinten in den Backentaschen deponiert hatte. Das Dessert habe ich dann am Fisch vorbei hinuntergeschluckt – und das Zusammengekaute im Nachhinein später heimlich ausgespuckt.

Eines Tages kam ich auf die Idee, ich müsste unbedingt reiten lernen, Pferde fand ich einfach zu schön. Also ging ich zu meinem Vater, der daraufhin nur meinte: »Gut, du darfst Reitunterricht nehmen, aber eines sage ich dir gleich, deine Reitstiefel werden nicht von unseren Hausangestellten geputzt, die machst du selbst sauber.« Das alles sind vielleicht nur Kleinigkeiten, die aber zeigen, dass er eine ganz bestimmte Einstellung zum Leben hatte.

Ein anderes Mal erhielt ich ein Zeugnis, in dem nach Aufführung aller Noten folgende Gesamtbewertung stand: »Carina könnte sehr viel bessere Ergebnisse erreichen, wenn sie nur wollte.« Ich fand diesen Satz toll, und voller Stolz zeigte ich meinem Vater das Zeugnis. Stirnrunzelnd betrachtete er es und rief schließlich aus: »Das ist ja furchtbar, da steht, dass du faul bist.« Irritiert schaute ich ihn an. Nein, da stand etwas ganz anderes, ich hatte es doch selbst gelesen. Und so protestierte ich: »Keineswegs steht da, dass ich faul bin! Da heißt es, ich könnte noch bessere Noten bekommen, wenn ich nur wollte. Das ist doch ein großes Lob.« Mit ernster Stimme erwiderte daraufhin mein Vater: »Man kann sich anstrengen und doch nicht die besten Noten bekommen, dann kann man nichts dafür, weil es halt nicht besser geht. Aber wenn in deinem Zeugnis steht, dass du besser sein könntest, heißt das klipp und klar, dass du schlichtweg faul bist. Und Faulheit ist eine schlechte Eigenschaft.« Das saß, das sollte ich nie vergessen.

Eine ähnliche Haltung zum Leben hatte auch die Mutter meines Vaters, Emma Haarhaus. Sie kümmerte sich gerne um uns Enkelkinder, aber noch wichtiger war ihr, dass Ordnung herrschte. Besonders zu Weihnachten, wenn bei Emma alles festlich geschmückt war und die Tische mit feinstem Damast gedeckt waren, zitterte meine Mutter schon im Voraus, wenn sie mit uns Kindern zur Schwiegermutter ging – wohl ahnend, dass, wie in all den Jahren zuvor, wieder etwas Schreckliches passieren würde. Und unweigerlich geschah auch schon bald das erste Missgeschick. Kaum hatte ich mich an die edel eingedeckte Tafel gesetzt, stieß ich als erste Tat ein volles Rotweinglas um. Irgendwie musste ich wohl etwas zu heftig an ein Tischbein gerumpelt sein. Eine dunkelrote Lache ergoss sich über den Tisch, breitete sich unerbittlich über das strahlende Weiß des Damasts aus, fraß sich geradezu in dieses Weiß hinein. Das Gesicht meiner Großmutter verzog sich säuerlich. Und das nicht nur für einen Moment, es dauerte einige Zeit, bis sich ihre Züge wieder einigermaßen entspannten und erneut Weihnachtsstimmung im Kreis der Familie aufkam.

Bei Ama hätte es dieses Problem nicht gegeben. Sie hätte nur mit den Achseln gezuckt und gesagt: »Das macht doch nichts. Von diesen Decken habe ich noch jede Menge im Schrank.« Diese Einstellung haben Heinrich und ich uns zu eigen gemacht. Wer auch immer bei uns zu Hause etwas zerbrach – was machte das schon? Niemand tat dies ja aus Absicht, etwa um uns zu ärgern. Und heute bin ich in einem Alter, in dem ich denke: Wenn etwas weg ist, dann ist es sogar gut so – ein Stück weniger. Das entlastet ungemein, mich selbst und sicher auch diejenigen, die sich mit meinem Hausstand auseinandersetzen müssen, wenn ich nicht mehr da bin.

Die Ama nannte mich immer Mucki, ich weiß gar nicht mehr, warum. Aber es hatte zur Folge, dass mich in meiner Kindheit alle Mucki riefen. Später Irmgard, da mein Taufname Katharina Irmgard lautet. Als ich als junge Frau einen Mann kennenlernte, wollte dieser wissen, ob ich nicht noch einen anderen Namen hätte, Irmgard würde so überhaupt nicht zu mir passen. »Katharina Emma«, erwiderte ich. »Katharina ist schön«, meinte er. Und später wurde daraus die Abkürzung Carina.

Mit der Hitlerzeit änderte sich einiges in meinem Leben. 1933 wurde ich elf, mein Bruder Heinrich war zwei Jahre jünger. Meine Mutter kümmerte sich rührend um uns Kinder, während mein Vater, ein Kaufmann, für die I.G. Farbenindustrie arbeitete, seinerzeit das größte Chemieunternehmen der Welt, das seinen Hauptsitz in Frankfurt am Main hatte. Im September 1939, bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, hielt er sich gerade in China auf, wo er versuchte, das synthetisch produzierte Indigo auf dem dortigen Markt einzuführen. (1870 war es dem deutschen Chemiker Adolf von Bayer gelungen, diesen vormals aus Pflanzen hergestellten Farbstoff künstlich zu gewinnen.) Doch mein Vater machte sich nicht auf den Weg nach Hause, sondern blieb während der gesamten Kriegsjahre in Peking. Er war in den Jahren zuvor schon mehrmals in China gewesen und war mit dem Land recht vertraut. Meine Mutter ging davon aus, dass er absichtlich nicht zurückkehrte. Auf meine Frage, ob der Vater vielleicht nichts mehr von uns wissen wollte und deshalb lieber in China bliebe, erklärte sie mir, dass der Vater »sehr politisch« sei und Schwierigkeiten mit dem nationalsozialistischen Regime gehabt hätte.

Als er nach Kriegsende wieder in Frankfurt auftauchte, wo wir inzwischen lebten, gehörte er zu den Ersten, die Kontakt mit Israel aufnahmen. Und er als Deutscher durfte auch nach Israel reisen, da er sich für eine Wiedergutmachung einsetzte. Erst jetzt erfuhr ich, dass er es gern gehabt hätte, wenn meine Mutter ihm nach China gefolgt wäre. Aber sie hatte sich dagegen entschieden, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass wir Kinder in China aufwuchsen. Und wäre sie allein gereist, hätte sie uns in ein Internat stecken müssen. Aber das kam für sie überhaupt nicht in Frage.

Meine Mutter war eine »Kinder-Mutter«, also eine, die meinem Bruder Heinrich und mir nie etwas vorschrieb, nie über uns bestimmen wollte. Was aber zur Folge hatte, dass sie keine Konsequenz in mein Leben brachte. Ich hätte machen können, was ich wollte, sie wäre mit allem einverstanden gewesen. Als ich mich zum Beispiel weigerte, weiterhin Klavierunterricht zu nehmen, zwang sie mich nicht, ihn fortzusetzen, wie die Mütter meiner Freundinnen dies mit ihren Töchtern taten. Meine Mutter akzeptierte meine Entscheidung sogar ohne irgendeinen Einwand oder gar Vorwürfe. Sie sagte nicht einmal: »Schade!« Sie war in der Tat nicht nur großbürgerlich, sondern auch großzügig: Nahezu alles stand mir zur freien Verfügung. Ich hatte Talente und ich hätte auch eine Menge aus ihnen machen können: Ich war sehr einfühlsam, konnte gut zuhören, war interessiert, ohne mich dabei selbst in den Vordergrund schieben zu wollen. Dennoch verlor ich mich manchmal in dieser Vielfalt. Ich weiß noch, wie ich als junge Frau im Taunus lange Spaziergänge mit Vittorio Klostermann unternahm, der in Frankfurt seinen gleichnamigen Verlag gegründet hatte. Stundenlang erzählte er mir von seinen neuen Büchern, und durch diese Gespräche lernte ich sehr viel. Leider habe ich dieses Wissen zu wenig genutzt.

1940 hatte ich das Abitur geschafft – doch wie sollte es nun weitergehen? Der Vater, der mir Rat hätte geben können, war nicht da. Also entschied ich mich, inspiriert von Onkel Eduard, Kunstgeschichte und Philosophie zu studieren, was aber in der Praxis nur bedeutete, dass ich an der Universität in Freiburg einige Vorlesungen besuchte. Als ein wirkliches Studium konnte man das nicht gerade bezeichnen. Alles verlief sehr unbeschwert, doch dann kam der Tag, an dem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels seine unglückselige Rede im Berliner Sportpalast hielt. Es war der 18. Februar 1943, an dem er zum »totalen Krieg« aufrief. Und auch in Freiburg schrien alle: »Ja!« Von da an durften wir Studenten nur noch Fächer studieren, die dem Krieg nutzten, also Biologie, Physik, Chemie oder Medizin. Kunstgeschichte war vollkommen unwichtig. Aber ich wollte keine Naturwissenschaften studieren. Ich hielt mich für zu unbegabt dafür, aber ehrlich gesagt interessierten mich diese Bereiche auch nicht sehr.

Was hieß: Eine Alternative musste her, denn andernfalls bestand die Gefahr, dass man mich als ungelernte Arbeiterin in die Rüstungsindustrie steckte oder – mit viel Glück – in eine Zweigstelle der Post.

1941 war ich in meine erste Ehe geschlittert. Hans-Georg Hohmann war der Sohn des bekannten Chirurgen und Orthopäden Karl Georg Gottlieb Hohmann, der in Frankfurt am Main praktizierte und außerdem Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Friedrichsheim war. Als ich bei einem Besuch in Frankfurt meinem Schwiegervater von meinem Problem erzählte, hatte er gleich einen Vorschlag parat: »Wir bilden gerade Krankengymnastinnen aus. Einen Platz habe ich noch frei. Aber du musst dich sofort entscheiden.« Ich musste nicht lange überlegen, sondern erklärte mich sofort bereit, gleich am nächsten Tag bei ihm anzufangen. Der Beruf der Krankengymnastin erschien mir auf jeden Fall sinnvoller, als in einer Fabrik Munition oder Gasmasken in Kisten zu verpacken. Die Ausbildung bei meinem Schwiegervater habe ich sogar beendet, bei ihm legte ich mein Examen als – heute würde man sagen – Physiotherapeutin ab. Dieses Examen bedeutete etwas, denn Hohmann senior war eine Kapazität, was Krankengymnastik, Massage und orthopädische Schuhmacherei anging. »Ruhe und Bewegung« lautete das Credo seines ärztlichen Handelns.

Hohmann senior pflegte unter anderem einen intensiven Kontakt zu Ernst Beutler, dem Direktor des Freien Deutschen Hochstifts, einem der ältesten Kulturinstitute Deutschlands. Beutler hatte in der Nazizeit wegen seiner liberalen Einstellung im »Gau« Frankfurt Redeverbot bekommen. Er war ein großer Goetheforscher, zu seiner Zeit sicherlich mit Abstand der Beste auf diesem Gebiet, und je älter er wurde, desto ähnlicher sah er seinem großen »Vorbild«. Mein Schwiegervater veranstaltete häufig in den Räumen seiner herrschaftlichen Villa Vorträge, zu denen er eine ausgewählte Zuhörerschaft einlud. Und sah ich Beutler bei einer dieser Gelegenheiten in Gedanken versunken auf einem Stuhl oder in einem Sessel sitzen, dachte ich mir nur: Da sitzt Goethe.

Zu den Gästen bzw. Vortragenden gehörten auch der Schriftsteller Hans Carossa und Rudolf Alexander Schröder. Schröder kennt heute kaum noch jemand. Er war unter anderem Schriftsteller und Übersetzer, dabei sehr christlich geprägt. Bekannt wurde er auch als evangelischer Kirchenlieddichter. Sonntags hielt er bisweilen als Laienprediger wunderschöne Gottesdienste, entweder in der Frankfurter Hohmann-Villa oder, wenn wir uns in Bayern aufhielten, im Landhaus meines Schwiegervaters.

Als junge Frau lebte ich somit wirklich in einer unglaublichen Umgebung und außergewöhnlichen Atmosphäre – kein Wunder, dass ich mein Studium nicht so ernst nahm. Alles flog mir zu, ich brauchte mich nicht darum zu bemühen.

Meine Ehe hielt jedoch nicht. Ich war 19, als ich heiratete, also viel zu jung, und Hans-Georg war nicht viel älter. Im Grunde konnte man von einer »Kinderehe« sprechen. Dass unsere Verbindung keinen Bestand hatte, war nicht gerade ruhmreich, dennoch waren es schöne Jahre. Wir mochten uns wahnsinnig gern, aber Leidenschaft war es nicht, es gab da nicht dieses berühmte Prickeln.

Weniger schön war, dass mein junger Ehemann und mein Bruder Heinrich als Soldaten eingezogen wurden und ich bei jedem Fliegeralarm, bei jeder Bombe, die auf Frankfurt fiel, daran denken musste, wie es wohl gerade den beiden erging. Mein Mann war an der Ostfront, in Russland, von meinem Bruder habe ich nur noch in Erinnerung, dass er verletzt wurde und lange in einem Lazarett lag. Wo genau, das weiß ich nicht mehr. Aus dem Krieg zurück kamen zwei mir nun völlig fremde Menschen. Aber vielleicht war ich selbst damals einfach nur zu unerfahren, um mit solch schwierigen Situationen richtig umgehen zu können.

Niemand aus meiner Familie und niemand aus der meines Mannes war für Hitler und sein Regime. Man hatte Angst um die Angehörigen, die an den Fronten ihr Leben riskierten. Und gleichzeitig sehnte man nichts mehr herbei als ein baldiges Ende dieses Wahnsinns. Wir alle lebten in einem seltsamen Zwiespalt. Jahre später sagte einmal ein Freund zu mir: »Wenn man dich über den Krieg reden hört, hat man das Gefühl, dass du überhaupt nichts Schlechtes oder Böses erlebt hast.« Das stimmt, ich versuchte in dieser Zeit, die schrecklichen Dinge auszublenden, wollte, auch wenn es einen Menschen zu betrauern gab, nicht ständig über den Verlust sprechen.

Stattdessen las ich mit großer Anteilnahme die heimlich zirkulierenden Predigten von Clemens August von Galen, damals Bischof von Münster. Galen war einer der wenigen Angehörigen des Klerus, die sich trauten, öffentlich die Stimme gegen die Euthanasieprogramme der Nationalsozialisten zu erheben. Gleichzeitig beschlich mich immer ein eigenartiges Gefühl, wenn ich darüber nachdachte, wie mutig von Galen war.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Ich gehöre nicht zu den Menschen, die behaupten, dass sie ihr Leben noch einmal genau so leben würden, wie sie es getan haben. Nein, meine Antwort wäre: »Das nächste Leben muss vollkommen anders sein!« Zwar würde ich mich auch in diesem nächsten Leben wieder für denselben Mann und gegen eigene Kinder entscheiden. Aber in einer Situation wie der, die uns den Nationalsozialismus, Hitler und das »Dritte Reich« beschert hat, hätte ich mich nach jetziger Erfahrung, mit kritischem Abstand, aktiv am Widerstand beteiligt.

Sehr beeindruckt hat mich in jüngster Zeit die 30-seitige Streitschrift Empört euch! von Stéphane Hessel, die im Herbst 2010 in Frankreich veröffentlicht wurde. Hessel ist noch älter als ich, weit über 90. Der Sohn des jüdischen Autors Franz Hessel kämpfte in der Résistance und überlebte das Konzentrationslager Buchenwald. Stéphane Hessel setzt sich unermüdlich für die Menschenrechte ein, und ich kann ihn für sein Engagement nur bewundern. In einem Interview erzählte er einmal, dass er noch zehn Gedichte auswendig aufsagen könnte. Also das kann ich auch, das finde ich jetzt nicht so überwältigend. Doch sein politischer Einsatz, der imponiert mir.

Noch ein Wort zum Thema Kinder: Heinrich und ich waren übereingekommen, dass wir keine Kinder wollten. Ich hätte beides, also meinen Mann und Nachwuchs, wohl auch nicht miteinander vereinbaren können, zu verschieden erschienen mir die jeweiligen Welten.

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Heinrich lernte ich in einem Golfclub kennen, in dem vornehmen Club Niederrad in Frankfurt, im Frühherbst 1957. Auch meinem dritten Ehemann war ich hier begegnet, einem zwölf Jahre älteren ungarischen Aristokraten, geboren 1900. Das war vielleicht ein Snob! Imre von Santho war Jude, lebte vor dem Krieg in Berlin, floh vor den Nazis, landete nach vielen Irrungen und Wirrungen nach dem Ende des Krieges in Frankfurt. Er besaß überhaupt nichts. Nein, das stimmte nicht ganz, er konnte einige Golfschläger sein eigen nennen sowie eine Foto- und Anglerausrüstung. Doch Geld hatte er keines. Aber da ich auf so etwas nie viel Wert gelegt habe, bekam er von mir die Chance, etwas näher in Augenschein genommen zu werden. Zugegeben, die Sache mit dem Geld zu ignorieren, fiel mir auch nicht schwer. Ich musste nach keinem Mann Ausschau halten, der mich versorgte. So profitierte ich von Imres vielfältigem Wissen, von seinen Lebenserfahrungen – das war mir genug. Und ich profitierte auch von seinem Aussehen: Er hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit Humphrey Bogart, was damals sehr viel Aufmerksamkeit erregte. Wie der amerikanische Schauspieler trug er gern breitkrempige, tief ins Gesicht gezogene Hüte.

Einen bürgerlichen Beruf hatte Imre nicht, er selbst nannte sich Diplomat und Fotograf. Wenn ich in alten Modezeitschriften oder Modekatalogen blättere, entdecke ich so manches Foto, das er gemacht hat. Frauen mit lasziv nach hinten geneigtem Kopf oder frech und unkonventionell mit Kapitänsmütze, Mannequins in eleganten Roben oder »stadtfeinen« Gewändern, manchmal im Stil der Neuen Sachlichkeit, manchmal sind Anklänge aus den wilden Zwanzigern zu entdecken – Imre von Santho zählte jedenfalls zu den Fotografen in Berlin, die in den Dreißigern sehr prägend waren. Unsere Ehe währte nicht lange, kaum ein Jahr, und als er starb, blieb ich weiterhin dem Frankfurter Golfclub verbunden.

Es war an einem etwas trüben Tag im August 1957, als ich mit einigen Freunden gemütlich im Clubhaus zusammensaß – und plötzlich Heinrich Harrer den Raum betrat. Ich wusste nicht, wer er war, aber ich registrierte seine Erscheinung. Er wirkte nett und freundlich, war aber vom Typ her nicht das, was ich bislang bevorzugt hatte, also kein verträumter Poet oder Philosoph mit einem wirren Lockenschopf, sondern selbstbewusst und dabei sportlich und durchtrainiert. Fast schon beängstigend sportlich. Doch ebenmäßige Gesichtszüge und eine gute Figur allein reichten mir nicht aus, ich bevorzugte zudem interessante Persönlichkeiten, was hieß, dass ich spannende Biografien fast noch anziehender fand als Äußerlichkeiten. Und dieser Mann, der gerade in den Clubraum gekommen war, erschien mir äußerst reizvoll. Er hatte etwas an sich, was ich noch nicht fassen konnte. Das ließ mir keine Ruhe und ich fragte meine Freunde:

»Wer ist das denn? Den kenne ich gar nicht, den habe ich hier noch nie gesehen.«

Die anderen sahen mich konsterniert an. »Was, du weißt nicht, wer das ist?«, sagte schließlich einer von ihnen. Und mit einer Stimme, die vor Anbetung fast erstarb, fügte er hinzu: »Das ist Heinrich Harrer.«

Mir sagte der Name nichts. »Kenne ich nicht«, erwiderte ich. »Wer soll das sein? Wer ist Heinrich Harrer?«

»Der hat ein grandioses Buch geschrieben. Sieben Jahre in Tibet. Hast du das nie gelesen? Der hat noch vor Kurzem in Lhasa gelebt. Das höchstgelegene Land der Welt war für die meisten Menschen exotischer als der Mars, doch nach diesem Werk haben wir alle einen Einblick bekommen, wie man dort lebt.«

Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich noch nicht einmal den Titel dieses Buches kannte. Und wo genau lag überhaupt dieses Tibet? Doch die Frage behielt ich lieber für mich und beschloss, später in einem Atlas nachzusehen.

Ein anderer Freund, mein unmittelbarer Tischnachbar, meinte ebenso ehrfürchtig: »Vielleicht kannst du dich daran erinnern: Der Harrer hat die Eiger-Nordwand durchstiegen, zusammen seinem Freund Fritz Kasparek und den beiden deutschen Bergsteigern Anderl Heckmair und Ludwig Vörg. Das war 1938. Den Tag haben viele nicht vergessen, es war der 24. Juli. Die vier waren die Ersten, die das mit der Eiger-Nordwand geschafft haben. Alle, die es zuvor versucht haben, sind daran gescheitert. Viele sind dabei sogar umgekommen. Hast du nie davon gehört? Hinterher wurden Harrer und die anderen Kletterer sogar von Hitler empfangen, im damaligen Breslau. Aber das ist der weniger rühmliche Teil der Geschichte.«

»Ja, mein Gott, was ist denn nun wieder die Eiger-Nordwand?« Langsam kam ich überhaupt nicht mehr mit. Geografie war in der Schule nie meine Stärke gewesen.

»Der Eiger liegt in den Berner Alpen. Und Bern, das könntest du möglicherweise wissen, Carina, liegt in der Schweiz.« Mit spöttischen Augen blickte mich mein Tischnachbar an, dann fuhr er in einem ernsteren Ton fort: »Aufgrund seiner Leistungen durfte Harrer dann an einer Expedition in den Himalaya teilnehmen, zum Nanga Parbat, dem neunthöchsten Berg der Welt. Eigentlich hatten sie die Absicht, nur vier Monate wegzubleiben. Doch dann brach der Zweite Weltkrieg aus. Und als die Expeditionsteilnehmer von Indien aus zurück nach Europa wollten, wurden sie von Soldaten festgenommen und in ein britisches Internierungslager gebracht. Zuerst nach Ahmednagar, etwa 200 Kilometer östlich von Bombay, dann 1941 in den Norden von Indien, ins Lager Deolali, danach …«

Mir schwirrte der Kopf. Es war schon erstaunlich, was dieser Freund alles wusste. Er musste den Lebenslauf von diesem Heinrich Harrer geradezu verschlungen haben. Ohne Unterbrechung erzählte er mit glühenden Augen und einer Leidenschaft in der Stimme, die er vermutlich nicht einmal entwickelt hätte, wäre ihm auf dem Golfplatz ein Hole-in-one gelungen.

»Dann ist die Eiger-Nordwand also ein Berg?« Ich versuchte, mir einen Reim auf seine Geschichten zu machen.

»Kein Berg, eine Wand eben ...«

Ich hatte wirklich keine Ahnung.