Autor: Hans-Jürgen Döpp

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bitten wir um Benachrichtigung.

 

ISBN: 978-1-78525-918-0

Hans-Jürgen Döpp

 

 

 

Sex in the Cities

 

 

 

Inhalt

 

 

Eine Geografie der Lust

Erotische Kunst oder Pornografie?

Wann kann man von „erotischer Kunst“ sprechen?

Der Traum von der Orgie

Erotik und Entrüstung

Augenlust

Die Einsamkeit des Bildes

Die erotischen Wurzeln der Sammelleidenschaft

Sodom Berlin

Negation und Erektion

Lasst tausend Blumen blühen!

Abbildungsverzeichnis

Gustave Courbet, LOrigine du Monde (Der Ursprung der Welt), 1866.

Öl auf Leinwand, 46 x 65 cm. Musée d’Orsay, Paris.

Eine Geografie der Lust

 

 

Seit der Eröffnung des Erotik-Museums in Berlin sind Sie zu einer Reise eingeladen, die den Blick auf eine Geografie der Lust öffnen wird.

 

Eine Fülle von Bildern und Objekten aus allen Kulturen, aus den Bereichen der Kunst und des Kultes, stellt uns die Erotik als das Fundamentalthema aller Zeiten vor. Und vielleicht gelingt es uns ja, indem wir uns auch den fernen und uns fremden Kulturen öffnen, unsere eigene zu bereichern ...

 

 

Auf dieser Reise durch das Museum werden wir einer Vielfalt von Sichtweisen der tausend Metamorphosen der Sexualität begegnen. Sie zeigt, dass nichts natürlicher ist als das sexuelle Verlangen und nichts weniger natürlich als die Formen, in denen es sich äußert und befriedigt. Was in den Tresoren öffentlicher Museen und in den Kabinetten privater Sammler lange Jahre verborgen blieb: Hier können Sie es sehen! „Verbotene Bilder“ – untersagt insbesondere in unserem westlichen, dem Sexuellen gegenüber wenig aufgeschlossenen Kulturkreis. Diese Bilder gewähren uns einen uneingeschränkten und um so faszinierenderen Blick auf das, was seit jeher zur menschlichen Natur gehört.

Vor allem die östlichen Kulturen haben es verstanden, diesen Aspekt des menschlichen Wesens schon früh in ihre Kunst und Kultur einzubeziehen. So hat die chinesische Religion, ganz frei vom westlichen Sündenbegriff, Lust und Liebe als „reine Dinge“ angesehen. In der Vereinigung von Mann und Frau im Zeichen des Tao drückt sich ihr zufolge die gleiche Harmonie aus wie im Wechsel zwischen Tag und Nacht, Winter und Sommer. Mit Recht lässt sich sagen, dass das jahrtausendealte chinesische Denken seinen Ursprung in sexuellen Vorstellungen hat: Yin und Yang bestimmen das Universum. Auf diese Weise beinhaltet die erotische Philosophie der alten Chinesen zugleich eine Kosmologie. Die Sexualität ist integrierter Bestandteil ihrer Weltanschauung und von ihr nicht zu trennen. So versichert eine der ältesten und anregendsten Zivilisationen der Erde durch ihre Religion, dass es gut und der religiösen Philosophie entsprechend ist, die Liebe erfinderisch, poetisch und leidenschaftlich zu gestalten.

Auch die großen Meister Japans schufen einen Reichtum erotischer Bildfolgen, die im gleichen Rang mit anderen Kunstwerken stehen. Keiner staatlichen Zensurmaßnahme gelang es je, diese geheime Produktion vollständig zu unterdrücken. Die sogenannten Shungas, die „Frühlingsbilder“, loben die sehr irdischen Vergnügungen der Welt. Man empfand es als natürlich, die fleischliche Lust zu suchen, in welcher Form auch immer, und da das Wort „Laster“ im alten Japan nicht ausgesprochen wurde, galt unter anderen selbst die Sodomie als eine sexuelle Praktik. Zu den in technischer und künstlerischer Hinsicht vollkommenen Werken gehört die Gattung der Ukiyo-e, der „Bilder einer fließenden, vergänglichen Welt“. Sie zeigen, dass in der japanischen Kunst, wie übrigens auch in der Literatur, das Groteske und Fantastische schon früh zu voller Entfaltung gelangte.

Shunga-Malerei (Frühlingsbild), 19. Jh.

Malerei auf Seidenbrokat. Auszug aus einem Hochzeitsbuch.

Shunga-Malerei (Frühlingsbild), 19. Jh.

Malerei auf Seidenbrokat. Auszug aus einem Hochzeitsbuch.

Shunga-Malerei (Frühlingsbild), 19. Jh.

Malerei auf Seidenbrokat. Auszug aus einem Hochzeitsbuch.

Shunga-Malerei (Frühlingsbild), 19. Jh.

Malerei auf Seidenbrokat. Auszug aus einem Hochzeitsbuch.

Indisches Tantrarelief, 11.-13. Jh. Marmor.

Liebespaar. Nach griechischem Marmorrelief.

Indische Miniaturmalerei.

 

 

Die tausend Metamorphosen der Sexualität erfuhren je nach Kultur die unterschiedlichsten Ausformungen. In Indien wurden sie in Hindutempeln geheiligt. Für die Griechen vereinigten sich im Kult der Schönheit die Freuden des Körpers mit denen des Geistes, gemäß ihrer Philosophie, die die Welt als ein Zusammenspiel von Apollon und Dionysos, von Vernunft und Ekstase, begriff. Erst das Christentum setzte sie in Beziehung zu Sünde und Hölle und schuf damit unversöhnliche Gegensätze. „Der Teufel Eros ist allmählich den Menschen interessanter als alle Engel und Heiligen geworden.“ Dieses abendländische Wort Nietzsches dürfte im fernöstlichen Japan auf Unverständnis stoßen: Eros wurde dort nie verteufelt. Weder in Japan noch in anderen östlichen Kulturen ereignete sich das, was Nietzsche für das Abendland beklagte: „Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken.“ Hier wurden erotische Darstellungen in geheime Kabinette verbannt, die „fließende, vergängliche Welt“ vom begrifflichen Gitter der entstehenden Sexualwissenschaften eingefangen, sodass es heute der Wissenschaft nur mit Mühe gelingt, die Sexualität von der Schlacke der Entfremdung, Abwertung, der Vorurteile und des Schuldbewusstseins zu befreien. Es ist darum auch nicht weiter erstaunlich, dass sich die Sexualwissenschaften gerade dort entwickelten, wo das Verhältnis zu Erotik und Sexualität in besonderer Weise gestört war. Dies ist mit ein Grund, warum dem großen Berliner Sexualforscher Magnus Hirschfeld (1868-1935), der sich für die Straffreiheit der Homosexualität einsetzte, im Erotik-Museum ein Denkmal gesetzt wurde.

Unser Füllhorn einer bunten, erotischen Bilderwelt zeigt, dass Eros eine das All einigende Energie sein kann. Die zahlreichen Bilder und Objekte geben Gelegenheit, durch die Augen vieler Künstler hindurch und in stets wechselnder Perspektive, einen Blick auf einen wesentlichen menschlichen Bereich zu werfen, der gerne tabuisiert wird. Doch im Gegensatz zur Pornografie, der es oft an Imagination mangelt, lässt uns die Kunst an einer erfinderischen Freude teilhaben. Gerade weil diese Bilder uns zuerst fremd erscheinen und uns irritieren, zwingen sie zu einer Konfrontation mit unseren Tabus. Erst unsere Bereitschaft, uns irritieren zu lassen, verspricht den Erfolg dieser Reise durch die Geografie der Lust und unsere heimlichen Fantasien. Wer die erotische Erfahrung für sich bejahen kann, dem erschließt sich auch der Humor, der aus vielen der Werke spricht. Es sind Bilder der Lust im doppelten Sinne: der dargestellten Fleischeslust sowie der Augenlust.

Die in diesem Museum gebotenen Impressionen aus der Kulturgeschichte der Menschheit können dazu verhelfen, unsere Toleranz zu erweitern und unsere Sichtweisen weiterzuentwickeln. Auch dürften sie manche Köpfe von Klischees und Gemeinplätzen befreien, die unser kulturelles Gedächtnis lange bestimmten. Wer diese vielfältigen Eindrücke auf sich einwirken lässt, wird die Welt der Erotik zukünftig – das wäre zumindest eine der Hoffnungen dieses Buches – mit anderen Augen sehen.

Indisches Tempelrelief, Nachbildung, 19. Jh. Indien.

Arabischer Sklavenhändler, um 1910. Bronze.

Paul Avril, Illustration für De Figuris Veneris, 1906. Kolorierte Lithografie.

Erotische Kunst oder Pornografie?

 

 

 

„Was fu..r den einen Pornografie ist,

bedeutet fu..r den anderen das Lachen des Genius.“

— D. H. Lawrence

 

 

Der Begriff der erotischen Kunst ist von einem Halo irrlichternder Begriffe umgeben. Kunst oder Pornografie, Sexus oder Eros, Obszönität oder Originalität – diese unscharfen Bestimmungs- und Abgrenzungsversuche vermengen sich so sehr, dass eine objektive Klärung beinahe unmöglich scheint ...

 

 

Wann kann man von „erotischer Kunst“ sprechen?

 

Jeder Sammler erotischer Kunst hat mit Anbietern schon die Erfahrung gemacht, dass ihm, der immer das Beste und Höchste erwartete, Arbeiten offeriert wurden, die in jeder Hinsicht ungenügend waren. Und das trotz der Versicherung des Anbieters, etwas Bedeutsames auf diesem Sammelgebiet gefunden zu haben. Manchmal hat man den Eindruck, dass das Auge angesichts der freien Thematik ästhetisch verdummt, sodass ein ansonsten hochgebildeter Mensch ein Werk für bedeutend hält, das vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen minderwertig ist. Und umgekehrt gilt, dass trotz seiner künstlerischen Qualität ein Meisterwerk allein aufgrund seiner Thematik für zweitklassig gehalten wird. Fest steht: Die Darstellung des Geschlechtakts ist nicht gleich erotische Kunst. Ebensowenig wie ein anstoßerregender, pornografischer Gegenstand nur wegen seines als unschicklich empfundenen Inhalts seinen Kunstcharakter verliert. Auch die Ansicht, Werke, die zur geschlechtlichen Erregung hervorgebracht wurden, könnten wegen ihrer niederen Absicht keine Kunst sein, ist irrig.

Unterscheidet sich erotische Kunst von der Pornografie vielleicht durch die Fiktionalität? Aber auch die Pornografie ist ein Produkt der Fantasie und folgt nur beschränkt der sexuellen Wirklichkeit. Sie ist, dem Sexualforscher Gunter Schmidt (*1938) zufolge, „konstruiert wie sexuelle Phantasien und Tagträume, so unwirklich, so größenwahnsinnig, so märchenhaft, so unlogisch und auch so stereotyp“. [sic]

Ohnehin hat sich, wer die Alternative „Kunst oder Pornografie“ aufstellt, aufgrund seiner moralisch wertenden Haltung schon gegen das Pornografische entschieden, mit der Folge, dass das, was dem einen Kunst ist, dem anderen als ein Machwerk des Teufels erscheint. Die Vermengung von Fragen der Ästhetik mit Fragen des Anstands und der Sittlichkeit lässt jeden Klärungsprozess von vornherein scheitern. Nähme man das Wort „Pornografie“ in seiner ursprünglichen, griechischen, rein deskriptiven Bedeutung, nämlich als „Huren-Schreibe“, also als Bezeichnung eines auf das Geschlechtliche bezogenen Textes, dann könnte man erotische Kunst und Pornografie durchaus gleichsetzen, soweit es um den dargestellten Inhalt geht. Diese Definition käme einer Rehabilitierung des Begriffes „Pornografie“ gleich.

Wie zeitabhängig die wechselnde Bewertung erotischer Kunst ist, zeigt die Übermalung der Figuren von Michelangelos Das Jüngste Gericht (1536-1541) in der Sixtinischen Kapelle. Während der Renaissance galt Nacktheit nicht als obszön, und folglich sah der Auftraggeber, Papst Clemens VII. (1478-1534), in Michelangelos Ausführung nichts Unsittliches. Sein Nachfolger dagegen, Papst Paul IV. (1476-1559), beauftragte einen Maler, das Jüngste Gericht mit Hosen zu versehen!

Otto Schoff, um 1930.

Otto Rudolf Schatz, Busenfick. Aquarell.

Jean de lÉtang, Busenfick, aus der Serie Trente et quelques attitudes, um 1950. Kolorierte Lithografie.