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GITTY GACK RETTET DEN WALD

 

Eine Geschichte zum Mitgackern

 

von Adrian Thomé

Über dieses Buch

 

Das Findelkind Gitty lebt seit der Geburt versteckt im Privatwald ihres Onkels. Gemeinsam versuchen sie die Rodung des Waldes abzuwenden und erhalten dabei Unterstützung von einem sprechenden Tier: als Huhn wiedergeboren, offenbart der Ex-ex-Bürgermeister des Dorfes einen versteckten Schatz und verhilft als Wunderhuhn einem Tiergeschäft zur neuen Blüte. Ob sich damit die rücksichtslosen Pläne des aktuellen Bürgermeisters verhindern lassen, hängt auch davon ab, wer die Hühnersprache spricht.

 

Dem scheinbar abenteuerlichen Leben eines Waldkindes ist Gitty schon lange überdrüssig: ihr artistisches Talent erweckt in ihr den Wunsch, Akrobat zu werden und endlich etwas aus ihrem Leben zu machen. Doch Gittys Zielen stehen sowohl widrige Umstände als auch innere Zweifel entgegen.

 

In „Gitty Gack rettet den Wald“ geht es um... seinen Weg zu gehen, Freundschaften, einen Wald zu retten, gemeinsam anders sein, die Wiedergeburt und den spielerischen Umgang mit (Hühner-) Sprache.

1. Kapitell
Overtüre

Könnt ihr euch vorstellen, im Wald zu leben? Dahinten an der Lichtung ist euer Wohnzimmer, dort drüben am Baum euer Bett, das von einem herrlichen Laubdach geschützt ist, und äh, natürlich … etwas weiter hinten im Gebüsch ist das stille Örtchen. Na, wie wäre das? Früher, also ganz früher, bevor es Städte und Dörfer gab, lebten alle Menschen im Wald. Heute wäre das unvorstellbar, oder? Nicht so für Pater Zen und seine kleine Stiefnichte Gitty. Die beiden leben heute in einem Wald, der so groß ist wie vier Fußballfelder.

Doch an diesem schönen Frühlingsmorgen lag der Wald von Pater Zen und Gitty nicht in friedlicher Ruhe. Pater Zen stand mit ausgebreiteten Armen vor seinem klapprigen Bauwagen inmitten seiner Waldlichtung. Der Tau hing an den zarten grünen Blättern. Pater Zens hagerer Körper streckte sich und seine langen Finger zeigten in die Baumkronen. Er wedelte mit seinem abgewetzten kunterbunten Gewand und ähnelte einem Priester, der zu viel Messwein getrunken hatte. Aus seinem Mund drangen Töne, die einfach nicht jedermanns Sache waren – schon gar nicht die der zauberhübschen Fee mit dem seltsamen Namen „Fee Vanilla“.

 

„Hey, Pater Zen, bitte! Es ist so ein wunderbarer Morgen und es könnte so idyllisch sein“, sagte Fee Vanilla. Dabei klimperte sie mit ihren langen Wimpern und zerstäubte etwas grünen Feenstaub. Ihre schwarzen langen Haare spielten mit der warmen Morgenbrise und sie trug ein Kleid aus Baumrinde. Nur wer genau hinsah, konnte Fee Vanilla von den umstehenden Bäumen unterscheiden. Ihre Arme waren dünn wie Äste und tatsächlich: sie schwebte zwischen den Zweigen der Bäume hindurch, ohne an ihnen hängenzubleiben.

„Ähem … würde Eure hochwohldurchlauchte Fee mich bitte nicht bei meinen morgendlichen Ariosen stören?“, bat Pater Zen etwas steif.

„Na, wenn es etwas leiser ginge, wäre ich ja schon zufrieden“, sagte Vanilla frech. „Es könnte so herrlich ruhig sein, gerade zu dieser frühen Stunde.“ Pater Zen stützte seine Arme in die Hüften und spitzte seine Lippen.

„Ihr Baumgeister ächzt die ganze Nacht, als wolltet ihr mit eurer Waldbeschallung die Sterne vom Himmel kratzen. Knarrzz, ächhhzzzz! Und ich kriege kein Auge zu.“
     Fee Vanilla entschuldigte sich. Gestern war doch Mittsommerfest! Sie und die anderen Baumgeister hatten alle Äste voll zu tun, denn die Hexen des Waldes schmissen eine coole Party.

Überall schwirrten die Besen durch die Luft und die Baumgeister überwachten streng den Flugverkehr, damit die tolldreisten Weiber nicht gegen die Äste klatschten und plötzlich zu Boden plumpsten. Pater Zen hatte dafür kein Verständnis. Denn schließlich war das Dach seines klapprigen Bauwagens nicht gegen herunterfallende Hexen versichert.

Vor vielen Jahren hat ihm sein Bruder den Wald geschenkt. Damals schien Pater Zen dieser Ort wie ein Paradies auf Erden. Bald darauf kam die Waldverwaltung und kassierte die säumige Waldgebühr, die sein Bruder der Gemeinde schuldete. Eine Steuer, die nun mal jeder Waldbesitzer bezahlen muss. Pater Zen stotterte die Schulden seines Bruders nach und nach ab. Doch eines Tages konnte er nicht mehr zahlen und häufte sich wieder ein ganz schöner Batzen Schulden an.

Und deshalb droht dem Wald nun das Aus. Alle Vögel, Füchse, Pater Zen und Gitty und alle Baumgeister und natürlich die Waldhexen werden schon bald den Wald verlassen müssen.

Wovon sollte Pater Zen die Waldgebühr zahlen? Er war schon alt und konnte nicht mehr arbeiten.

„Mit meiner schmalen Rente muss ich mich wohl bald von Baumrinde ernähren! Yam, yam, yam“, Pater Zen knabberte plötzlich an Fee Vanillas Arm.

„Hör auf, an mir rumzuknabbbbbern!“ Vanilla kicherte.

„Mhhh, gute deutsche Eiche, mmhhh. Oder nein: Fee, du schmeckst nach dünner Birke, mhh, ich hab´s: das ist Stracciatella!? Du bist das Eis, das ich mit meinem Charme zum Schmelzen bringe!“

„Ich bin kein Baum und auch kein Eis. Ich bin ein Baumgeist! Eine Dryade. Wir Dryaden leben in den Bäumen. Und wir bestehen nur aus Licht und Luft. Schluss jetzt!“

„Na … wenn du nur Luft bist, dann verhungere ich halt. Von Luft und Liebe hat noch niemand überlebt.“
     Pater Zen fiel um und spielte toter Mann.

„Pater Zen? Hallo? Sag doch was!“

„Uahhhh!“ Ruckartig schnellte Pater Zen hoch und die Fee erschreckte sich, dass fast die Äste von den Bäumen fielen.

Beide hätten noch den ganzen Tag so rumalbern können, wenn nicht an diesem Morgen ein ungebetener Mensch den Wald betreten hätte. Frau Lodde von der Waldoberaufsichtskontroll-und-in-der-Nasebohr-Behörde kündigte sich an, um heute die Waldgebühr in Höhe von 2.742 Euro und 38 Cent zu kassieren. Frau Lodde stakste mühselig über Stock und Stein und keifte augenblicklich los, als sie den Bauwagen erreichte.

„Was tun Sie da, Pater Zen?“ Frau Lodde war eine kleine Erscheinung und passte mit ihrer zwergenhaften Gestalt eigentlich sehr gut in diesen Wald. Aber ihre sehr adrette Kleidung, ihr grauer Hosenanzug und ihre streng nach hinten gekämmten Haare verrieten: Frau Lodde kommt aus der Stadt.

 

 

„Guten Morgen, Frau Lodde! Welch Eingeweide, äh Augenweide, Sie zu sehen“, begrüßte Pater Zen sie etwas zu freundlich.

„Sie benehmen sich ja wie ein Verrückter! Sie bücken sich und beugen sich, als würden Sie einer unsichtbaren Dame in die Arme beißen. Nach Paragraph 42 B Absatz 9 Schrägstrich Drölf könnte ich Sie in Gewahrsam nehmen … wegen ungebührlicher Verrenkung am helllichten Tage zwischen 9 Uhr und 13 Uhr 45!“

Pater Zen machte nun erst recht gymnastische Verrenkungen und sagte: „Gymnastik!“

Frau Lodde stöhnte und prustete aus allen Löchern und klopfte mit ihrem Gehstock den Dreck von ihren Schuhen.

„Wenn Sie wüssten, wie anstrengend es ist, hier herauszukommen. Die Straße endet dort unten. Der Rest ist Wildnis. Wie können Sie hier überhaupt leben?“

Und tatsächlich: Pater Zens Bauwagen stand tief im Wald, inmitten von Bäumen, Farnen und dichtem Gestrüpp. Nur ein kleiner Trampelpfad führte an seinem Bauwagen vorbei. Wer diesen geheimen Trampelpfad kannte, benutzte ihn als Abkürzung zur Schule am anderen Ende des Waldes.

„Ach, es ist herrlich, Frau Lodde! Vor allem nachts ist es vollkommen ruhig und die Luft tut so gut.“ Pater Zen atmete tief ein. „Darf ich Sie einladen, mir heute Abend Gesellschaft zu leisten? Dann könnten wir beide …“

Frau Lodde unterbrach ihn: „Heilige Gertrude zu Bingen, bewahre! Wohlmöglich haben Sie noch nicht einmal Kabelfernsehen. Da würde ich ja meine Lieblings-Opernsendung verpassen.“

„Aber dafür rundherum nur Bienengesumm. Wir könnten es uns gemütlich machen und den Funklein beim Sternen zusehen. Und morgens serviere ich Ihnen ein gar köstliches Frühstück mit frisch gelegten Eiern meiner glücklichen Hühner“, schwärmte Pater Zen und schaute Frau Lodde tief in die Augen.

„Nein danke, Herr Pater Zen. Ich bin nicht hier, um mich von Ihnen verführen zu lassen. Im Namen des Volkes überreiche ich Ihnen hiermit offiziell die Waldgebühr-Schuldurkunde. Nach Paragraph Dreiundrülfzig Absatz 2 Dreisiebtel wird Ihnen der Wald weggenommen, wenn Sie nicht innerhalb von 3 Tagen die säumige Waldgebühr von 2.742 Euro und 38 Cent entrichten.“

„Was bedeutet das?“, fragte Pater Zen erschrocken.

„Nun, falls Sie nicht zahlen, fliegen Sie raus aus Ihrem Wald. Und mit Ihnen Ihr kunterbunter Bauwagen dort drüben. Die Bäume hier werden dann gefällt.“

„Sie können den Wald nicht einfach roden. Man kann darin spazieren gehen, unzählige Tiere und Pflanzen leben hier. Der Wald spendet uns allen Luft zum Atmen. Er ist die Lunge unserer Natur, das weiß doch jedes Kind. Der Wald ist ein Zuhause für die Tiere und Pflanzen.“ Pater Zen gestikulierte wild mit seinen Armen. Er griff mit seiner Hand in den weichen Waldboden und hielt die moosig duftende Erde unter Frau Loddes Nase.

„Riechen Sie nur, das ist lebende Mutter Erde. Sie dürfen kein Beton darübergießen!“

Doch Frau Lodde ließ sich nicht erweichen. Es blieb dabei! Entweder wird gezahlt oder die Bäume werden gefällt.

„Und mit diesem Baum wird angefangen.“ Frau Lodde haute mit ihrem Stock gegen einen Baum. Plötzlich fiel ein Mädchen herunter.

„Wer ist denn das? Seit wann wachsen kleine Mädchen an Bäumen?“