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Schauplätze des Geschehens:

Eine verkohlte Leiche im Langenbieberer Hutzelfeuer in der Rhön sorgt für Aufregung. In Frankfurt vermisst derweil eine junge Frau ihren Freund. Privatermittler Georg Gehring beginnt mit seinen Nachforschungen.

Nach einem Streit mit seiner Freundin flüchtet sich Karlo Kölner in eiskalter Winternacht auf dem Motorrad nach Hofbieber in der Rhön. In einem Waldstück stößt er auf einen Unfallwagen mit Offenbacher Kennzeichen, in der Nähe des Schwarzen Moors auf eine geheimnisvolle Hütte im Wald.

Bisher sind zehn Bände der Karlo-Kölner-Reihe
im Verlag Vogelfrei erschienen:

Karlo und der letzte Schnitt
Karlo und der zweite Koffer
Karlo und der grüne Drache
Karlo und das große Geld
Karlo geht von Bord
Geschenke für den Kommissar
Liebe, Tod und Apfelsekt
Miezen, Mord und Malerei
Lottoglück für eine Leiche
Kalte Liebe, heißer Tod

Alle Bände sind auch
als E-Book erhältlich

Der Autor

Peter Ripper, Jahrgang 1954, ist Autor, selbstständiger Werbefachmann, Fotograf, Gitarrist bei einer Frankfurter Rockband und begeisterter Motorradfahrer.

Er lebt in Langenbieber in der Rhön und in Frankfurt am Main.

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© 2017 bei Vogelfrei-Verlag
36145 Hofbieber
Internet: www.vogelfrei-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten

Peter Ripper

Kalte Liebe,
heißer Tod

Kriminalroman

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Inhalt

Vorwort

Prolog

1 Samstag, 13. Februar Auf der Hochrhön

2 Samstag, 13. Februar Langenbieber/Rhön

3 Samstag, 13. Februar, am späten Abend Langenbieber/Rhön

4 Samstag, 13. Februar, am späten Abend Langenbieber/Rhön

5 Samstagnacht, 13./14. Februar Langenbieber/Rhön

6 Samstag, spät in der Nacht, 13./14. Februar In der Rhön

7 Etwas zuvor, Samstagnacht, 13./14. Februar Langenbieber/Rhön

8 Samstag, 13. Februar Frankfurt am Main-Fechenheim

9 Montagmorgen, 15. Februar Langenbieber/Rhön

10 Montagnachmittag, 15. Februar Langenbieber/Rhön

11 Mittwoch, 17. Februar Frankfurt am Main-Fechenheim

12 Mittwochvormittag, 17. Februar Langenbieber/Rhön

13 Mittwochnachmittag, 17. Februar Auf der Hochrhön

14 Mittwochabend, 17. Februar Langenbieber/Rhön

15 Mittwochnacht, 17. Februar Langenbieber/Rhön

16 Donnerstag, 18. Februar In der Rhön

17 Donnerstag, 18. Februar In der Rhön

18 Freitag, 19. Februar Langenbieber/Rhön

19 Freitag, 19. Februar Polizeipräsidium Osthessen/Fulda

20 Freitag, 19. Februar Hofbieber/Rhön

21 Freitag, 19. Februar In der Rhön

22 Freitag, 19. Februar In der Rhön

23 Freitag, 19. Februar In der Rhön

24 Freitagabend, 19. Februar In der Rhön

25 Samstag, 20. Februar In der Rhön

26 Samstag, 20. Februar Fulda/Rhön

27 Samstag, 20. Februar Auf der Hochrhön

28 Sonntag, 21. Februar Frankfurt am Main

Schluss

Auf ein Wort:

Vorwort

Mit der Einschätzung einer Freundschaft ist es so eine Sache. Denn erachtet man es für nötig, eine Bewertung vorzunehmen, heißt das in der Regel, dass irgendetwas nicht stimmt in der entsprechenden Beziehung.

Von Freundschaft wird mutmaßlich öfter bei kamerad–schaftlichen Verhältnissen zwischen zwei Männern gesprochen. In diesem Fall redet man nicht selten ebenso markig wie einfallslos von einer „Männerfreundschaft“. Denn wie sonst sollte man eine Freundschaft zwischen zwei Männern bezeichnen?

Besonders gut befreundete Frauen hingegen sprechen von ihrer „besten Freundin“. Dieser Begriff muss nicht immer das bedeuten, was er den Herren der Schöpfung im eigentlichen Wortsinne zu vermitteln scheint. Unser Protagonist Karlo Kölner würde fragen: „Wer versteht schon die Frauen?“

Noch verzwickter wird es, wenn es um die Freundschaft zwischen Mann und Frau geht, glaubt doch ein Mann nicht in jedem Fall an die gleichen Werte einer Freundschaft, die eine Frau voraussetzt. Wir sprechen hier nicht von einer Liebesbeziehung, auch nicht von einem lediglich sexuell geprägten Verhältnis, sondern einzig und alleine von purer Freundschaft. Und trotzdem sind Missverständnisse vorprogrammiert.

Oder gerade deswegen?

Ach, es ist kompliziert!

Genau das werden wir im Laufe der vorliegenden Geschichte erfahren.

Doch was ist eigentlich Freundschaft? Eignet sich dieser komplexe Begriff überhaupt für eine Analyse?

Ein englisches Sprichwort sagt, ein guter Freund sei jemand, der hinter unserem Rücken über uns redet – aber nur Gutes.

Ein guter Freund ist bestimmt auch jemand, mit dem man über alles reden kann – aber eben nicht muss. Oder anders ausgedrückt: Er ist ein Mensch, mit dem man über dieselben Dinge schweigen kann.

In der vorliegenden Geschichte trifft mein Protagonist Karlo Kölner bei gleich zwei Varianten der Freundschaft auf Konflikte: Zum einen bekommt er Streit mit seiner besten Freundin und Lebensgefährtin Jeannette.

Wieder einmal.

Zum anderen erlebt er im Laufe seines neuen Abenteuers, was alles mit einer Freundschaft unter Männern schiefgehen kann, wenn es um die Liebe geht.

Oder vielleicht auch nicht?

Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

Oder, halt – vielleicht doch noch ein Gedanke:

„Ein guter Freund hilft dir Sorgen zu begraben. Ein sehr guter Freund hilft dir Leichen zu begraben.“

Viel Spaß beim Lesen …

Prolog

Es war eisig kalt hier draußen. Er fror. Und er hatte Angst.

Höllische Angst.

Ein gewaltiger Haufen dürren Holzes türmte sich über ihm drei, vier Meter in die Höhe.

Wie spät war es? Wie lange lag er schon hier? Klirrender Frost, undurchdringliche Dunkelheit und die zunehmende Panik hatten ihm das Zeitgefühl geraubt.

Erst, als die Wolkendecke für einen Augenblick aufriss und der Mond die Landschaft in ein fahles Licht tauchte, erkannte er die bizarren Konturen der Äste und Zweige, die sich schemenhaft gegen den Himmel abzeichneten.

In den letzten Wochen war einiges zusammengetragen worden: dürrer Reisig, ausrangierte Weihnachtsbäume und knorriges Obstgehölz vom letzten Baumschnitt. Einige dickere Baumstämme dienten als fachmännisches Fundament über einer seitlich offenen Grube.

Der Feuerplatz, direkt am Milseburg-Radweg gegenüber der Mariengrotte gelegen, war bereit. Morgen, am Sonntagabend, würde hier das traditionelle Hutzelfeuer abgebrannt und die Hutzelpuppe den Flammen übergeben werden.

Er hoffte flehentlich, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr hier zu liegen.

Plötzlich vernahm er leise Schritte, verhaltenes Flüstern, unverständliche Worte. Hier ein verstohlenes Kichern, dort ein unterdrücktes Husten.

Und er begann zu hoffen.

Doch dann.

Dieses leise Plätschern.

Es klang unheilvoll, und plötzlich roch es nach Benzin.

Benzin?

Trotz der winterlichen Temperaturen trieb ihm nun die nackte Angst den Schweiß aus den Poren. Er versuchte sich zu bewegen, sich wegzurollen, und wenn es nur war, um ein Geräusch zu erzeugen. Er musste sich bemerkbar machen.

Schnell wurde ihm klar, dass er keine Chance hatte.

Zu stramm saßen die Fesseln. Zu gründlich hatte man ihn an diesen dünnen Baumstamm gebunden.

Rufen, schreien, brüllen. Hierher! Hier bin ich!

Doch der Knebel in seinem Mund hinderte ihn daran.

Die Wolken hatten sich indessen wieder vor den Mond geschoben. Auch das Flüstern war verstummt. Mit einem Mal durchbrach der Strahl einer Taschenlampe die Finsternis und huschte über sein Gesicht.

Jetzt! Jetzt!

Jetzt mussten sie ihn sehen! Warum kamen sie nicht näher? Das Licht wanderte weiter. Tränen verschleierten seinen Blick, Tränen der Wut, der Angst, der Hilflosigkeit.

Das alles war doch nur Spaß gewesen. Ein grober Scherz, die Laune von Betrunkenen. Aber nur ein Scherz.

Als er die Schritte gehört hatte, dachte er, sie wären zurückgekommen. Alles, alles würde er ihnen verzeihen, wenn sie nur kamen und ihn befreiten.

Aber es kam niemand. Nicht zu ihm.

Stattdessen dieses Plätschern.

Höhnisch, kalt, erbarmungslos.

Und der Benzingeruch.

Das Blut schoss ihm in die kalten Wangen, er fühlte, wie es seine Haut zum Prickeln brachte.

Erst morgen Abend, schrie es in ihm. Das Feuer soll doch erst morgen Abend angezündet werden.

Das Feuer!

Das Feuer!

Nun überrollte ihn die Panik vollends. Sein Herz überschlug sich. Er atmete ein, sog mühsam die Luft durch die Nase.

„Hmmm, hmmm …“, verzweifelt versuchte er, sich bemerkbar zu machen, immer wieder, „hmmm, hmmm …“

Der Benzingeruch wurde intensiver, fraß sich tief in seine Schleimhäute. Noch einmal holte er tief Luft, um ein Geräusch zu erzeugen.

Dann wurde ihm schlecht.

Alles begann sich zu drehen.

„Komm endlich her, gib mir die Fackel“, brummte eine sonore Bassstimme in die Nacht.

Der Bass spürte eine Hand an seiner Schulter. Eine junge Stimme flüsterte aufgeregt: „Was war das?“

„Was meinst du?“, brummte der Bass unwillig zurück.

Wieder die dünne Stimme. „Ich glaube, da ist jemand.“

Eine dritte Stimme meldete sich flüsternd. „Wer soll da sein? Ich hab nichts gehört.“

„Ich auch nicht“, bestätigte der Bass. „Wenn hier jemand wäre, hätte er sich schon gezeigt.“ Er ließ ein brummiges Lachen folgen. „Und überhaupt“, ergänzte er hämisch, „die sind doch selbst schuld, wenn sie ihren Feuerplatz nicht bewachen.“

„Aber da war etwas, ganz bestimmt“, beharrte die junge Stimme. „Da ist jemand.“

Ein letztes Mal schöpfte er Hoffnung. Doch sogleich fegte der Bass seine Zuversicht beiseite.

„Hör auf zu nerven“, brummte er, „da ist niemand. Gib mir lieber die Fackel, bevor wirklich noch jemand auftaucht.“

Das dürre Holz am äußeren Rand des Holzhaufens begann zu knistern und zu knacken. Leichter Wind kam auf und trieb ihm dichte Rauchschwaden in Augen und Nase. Der Feuerschein erhellte flackernd sein Gesicht.

Und es wurde wärmer.

Viel wärmer.

„Verdammter Mist, das qualmt mehr, als es brennt“, ertönte die Bassstimme.

„Dann gieß noch mehr Benzin rein!“

„Bist du verrückt geworden?“, brummte der Bass ungehalten. „Ich zünde mich doch nicht selbst an. Lasst uns lieber verschwinden. Das passt schon.“

Der beißende Qualm ließ ihn fast ersticken. Er kniff die brennenden, tränenden Augen zusammen.

Der Bass hatte recht gehabt. Das Feuer wurde stärker. Mit einem Mal fing der erste trockene Weihnachtsbaum explosionsartig Feuer.

Die Hitzewelle nahm ihm den Atem.

Hastige Schritte entfernten sich.

Samstag, 13. Februar
Auf der Hochrhön

1

Maximilian mochte diese Stimmung. Die späte Sonne drang durch den winterlichen Abenddunst und verlieh der Hochrhön ein gespenstisches, spukhaftes Licht. Um diese Zeit konnte er die Anwesenheit der Nebelfrauen spüren, der Geister der versunkenen Moordörfer. Stätten des Unheils und der Verderbnis, so sagte man. Die unheimliche Atmosphäre griff nach ihm, und es gab Momente, in denen er das Gefühl hatte, vor Himmelstor und Höllenschlund gleichzeitig um Einlass zu bitten. Max empfand durchaus eine gewisse Furcht vor diesem Ort, das musste so sein, davon war er überzeugt.

Heute war dieses Gefühl außergewöhnlich stark. Doch das Gefühl der Freiheit, der Unabhängigkeit und einer inneren Verbundenheit mit diesem Ort überwog die Furcht. Er schaute sich um und bedauerte, dass es in diesem Jahr wenig geschneit hatte. Der Boden reflektierte das spärliche Licht nicht so intensiv, wie es eine geschlossene Schneedecke getan hätte. So brach die Dunkelheit etwas früher herein. Verlorene Minuten, die dem Zauber ein vorzeitiges Ende bereiteten.

Eine dünne Eisplatte, die sich im Schatten gehalten hatte, zerbarst knirschend unter seinen gefütterten Winterstiefeln, als er in den schmalen, fast nicht erkennbaren Pfad zu seiner Hütte einbog. Die Existenz der Hütte hatte er sorgfältig geheimgehalten, sogar vor Yvonne, seiner Frau. Doch nein, eine Ausnahme gab es. Ein einziges Mal hatte er Winnie, seinen besten Freund, mit hierher genommen. Leider hatte Winnie damals gar nichts verstanden. Er hatte es nur kalt und ungemütlich gefunden, hier oben hinter dem Schwarzen Moor. Nichts von der besonderen Magie dieses Ortes hatte sich ihm erschlossen. Winnie hatte gespottet, er ziehe eine Frau aus Fleisch und Blut den blassen Moorjungfrauen vor. Die Freunde hatten dennoch einige Flaschen zusammen geleert. Nachdem Winnie die Abwesenheit eines Fernsehgerätes beklagt hatte, war die besondere Stimmung des Ortes allerdings dahin. Irgendwann, mitten in der Nacht, war Winnie angetrunken davongefahren.

Seitdem kam Max nur noch alleine hierher.

Maximilians Frau Yvonne glaubte unterdessen, er amüsiere sich mit seinen Kumpels in Frankfurt und vielleicht, so argwöhnte sie, auch mit anderen Frauen.

Max war ein ziemlich hübscher Kerl, gerade einmal zweiundvierzig Jahre alt und ein gutes Stück über einsachtzig groß. Für den Beruf des Gastwirts aber war er überhaupt nicht geeignet. Das musste Yvonne im Laufe der gemeinsamen Jahre mit zunehmendem Unbehagen erkennen.

In der Woche nach dem Faschingstrubel nahmen sich traditionell einige der Stammgäste Urlaub, um in Frankfurt ein paar Tage lang einen draufzumachen. Auch Max hatte sich ihnen in diesem Jahr wieder angeschlossen.

Dachte jedenfalls seine Frau.

Tatsächlich war er nur ein einziges Mal bei dieser Herrenpartie dabeigewesen. Er hatte sich damals überhaupt nicht wohlgefühlt. Das großspurige Gehabe seiner Bekannten und das Protzen mit dem Geld, das sie sich heimlich übers Jahr extra für diese Tage beiseitegelegt hatten, war ihm schnell zuwider geworden.

Diese seelenlosen, schmutzigen Bordelle des Frankfurter Bahnhofsviertels, die man staunend und in fiebernder, betrunkener Geilheit durchstreift hatte, machten ihn traurig.

Er bedauerte die Frauen in ihren trostlosen Zimmern, die von den Freiern wie Fleischstücke in der Kühltheke einer Metzgerei begutachtet wurden. Er hasste die peinlichen Sprüche, denen sich die Damen aussetzen mussten, das alles ekelte ihn an. Maximilian hatte sich den Ausflug anders vorgestellt.

Das kleine Grundstück mit der Holzhütte, errichtet aus mächtigen Blockbohlen, lag verborgen in einem Waldstück nördlich des Schwarzen Moors. Max hatte sich das bescheidene Refugium als einsamen Zufluchtsort auserkoren, und er bedauerte es, dass er nun einen Mitwisser hatte.

Das war nicht mehr zu ändern. Winnie hatte immerhin fest versprochen, er werde niemandem von diesem Geheimnis erzählen, und Max vertraute ihm. Winnie war ein wirklich guter Freund, trotz des Abends in der Hütte, der so unersprießlich geendet hatte.

Die Dunkelheit gewann indes die Oberhand. Die letzten späten Winterwanderer waren auf dem Nachhauseweg, und Max beschloss, den kleinen Specksteinofen anzuheizen. Er rieb seine Hände kräftig aneinander, bevor er die gläserne Ofenklappe öffnete und das Feuer vorbereitete.

Eine knappe Stunde später saß er in seinem mit abgewetztem schwarzem Leder bezogenen Ohrensessel vor dem Ofen und beobachtete den übermütigen Tanz des Feuers, das allmählich die Kälte aus dem gemütlichen Raum vertrieb. Die Spirituslampe auf dem kleinen Tischchen neben dem Sessel tat ihr Übriges und verbreitete ein warmes Licht.

Max stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Mit der linken Hand fuhr er sich durch seine störrischen, immer etwas unfrisiert wirkenden dunkelbraunen Haare. In seiner Rechten hielt er ein Glas schottischen Single Malt. Er führte das Glas an seine leicht gebogene Nase und schnupperte.

Yvonne hatte ihm einmal erklärt, seine Lieblingsspirituose verbreite einen Geruch wie die dunkelbraune Tinktur, mit der man Holzzäune gegen die Feuchtigkeit imprägniere. Stinkt wie destillierter Jägerzaun, hatte sie gesagt. Damals, als sie noch frisch verheiratet und vor allen Dingen auch noch verliebt waren, hatte er herzlich über diese Aussage lachen können. Mittlerweile hatte sich ein Berg verlorener Gemeinsamkeiten angehäuft, und ein unbeschwertes Lachen wurde immer seltener. Der gemeinschaftliche Lebensentwurf fiel auseinander, schien in völlig verschiedenen Richtungen auseinanderzudriften. Das gelangweilte Desinteresse, mit dem ihn seine Frau zuweilen brüskierte, verunsicherte und betrübte Maximilian immer wieder.

Das Schwinden der Gemeinsamkeiten kam nicht von ungefähr. Denn unglücklicherweise war das größte Problem die gemeinsame Existenz, der Gasthof Zur Erle in Langenbieber. Yvonne hatte den elterlichen Betrieb mit viel Enthusiasmus übernommen.

Zuerst hatte sie eigentlich nur ihrer Mutter unter die Arme greifen wollen. Ihr Vater, ein leidenschaftlicher Jäger und Sportschütze, war früh verstorben. Dann aber hatte sie gespürt, dass die Arbeit in der Gastronomie mehr für sie war. Sie empfand Freude beim Betreiben des eigenen Gasthofs.

Als Yvonnes Mutter vor sechs Jahren unerwartet verstarb, hatte sie Maximilian geheiratet. Max war zu dieser Zeit noch im Silbernen Hecht in Fulda beschäftigt und daher mit der Gastronomie bestens vertraut. Allerdings war er damals schon mit seiner Berufswahl nicht mehr zufrieden gewesen. Er gestand ein, dass er sich etwas anderes erwartet hatte. Seine Verliebtheit und Yvonnes sichtlicher Spaß an der Arbeit im Gasthof führten jedoch dazu, dass er sich noch einmal – blind vor Liebe – in die Gastronomie stürzte.

Mit großen Träumen hatten sie sich an die Arbeit gemacht. Bei Max jedoch setzte schnell die Ernüchterung ein. Das Publikum war ein anderes als im Silbernen Hecht, mit den Ansprüchen der Gäste der Erle lag er noch weniger auf einer Wellenlänge als mit denen des renommierten Hotels in Fulda.

Bestürzt wurde Yvonne eines Tages klar, dass Maximilian einfach nichts mit dem Gastgewerbe im Sinn hatte, und wenn es doch noch ein Rest Interesse gab, lag dieses weitab von der Art und Weise, wie Yvonne sich einen Gaststättenbetrieb vorstellte.

Max war eher introvertiert und künstlerisch veranlagt. Er malte gerne oder streifte lieber mit der Kamera durch die Rhön, um zu fotografieren, als den Thekengästen Biergläser vor die dicken Bäuche zu schieben und Smalltalk zu halten.

Der Gasthof lief allerdings nach wie vor fantastisch, die Gäste liebten das rustikale Essen. Und nicht zuletzt auch die überaus hübsche und umgängliche Wirtin.

Yvonne hatte zunächst die Hoffnung gehegt, ihren Mann doch noch für die Gastronomie begeistern zu können. Mittlerweile überwog die Resignation. Zumal es immer öfter Streit zwischen ihnen gab. Sie passten einfach nicht zusammen.

In der letzten Zeit kam es ihr immer wieder in den Sinn, alles zu verkaufen und woanders ganz neu zu beginnen.

Wie das gehen sollte, wo sie die Mittel und vor allem die Energie für solch eine einschneidende Veränderung hernehmen sollte, und welche Rolle Max dabei spielen würde oder auch nicht, war ihr nicht ganz klar.

Der Gasthof lief gut, die Gebäude waren jedoch in die Jahre gekommen. Umfangreiche Sanierungsarbeiten standen an, die Dächer müssten in den nächsten zwei, drei Jahren neu gedeckt, die Toilettenanlagen modernisiert werden und auch die Erfüllung neuer aufwendiger Brandschutzauflagen stand an. Ein Verkauf hätte sich kaum gerechnet. Der Erlös wäre für einen anständigen Neuanfang viel zu gering ausgefallen. Wenn sich überhaupt ein Interessent für den Landgasthof gefunden hätte.

Ihr Dilemma war: Sie wusste hauptsächlich, was sie nicht wollte, fühlte sich alleine gelassen, betrogen.

Und sie begann, ihren Mann zu hassen.

Max hingegen hatte sich fest vorgenommen, in den nächsten Tagen keine Trübsal zu blasen. Jetzt, nach Fastnacht, war erfahrungsgemäß weniger los in der Gaststube. Gerade auch weil seine Bekannten, allesamt gute Gäste, ein paar Tage in Frankfurt unterwegs waren, um ihr Geld mit beiden Händen für fragwürdige Vergnügungen zum Fenster hinauszuwerfen, anstatt bei ihm ein anständiges dunkles Klosterbier oder ein Glas guten Wein zu trinken.

Was Maximilian aber nicht wusste, war, dass sein bester Freund, Winnie Weinberger, dieses Mal ebenfalls nicht mit nach Frankfurt gefahren war.

Samstag, 13. Februar
Langenbieber/Rhön

2

Es war früher Nachmittag, als die drei jungen Männer ihr Auto mit dem Offenbacher Kennzeichen auf dem kleinen Parkplatz vor dem Landgasthof Zur Erle in Langenbieber abstellten.

Als sie die Gaststube betraten, herrschte noch gähnende Leere. Nur die Wirtin Yvonne Koller stand hinter der Theke und polierte Biergläser.

Als die Eingangstür aufschwang, hob sie den Kopf und nahm die Ankömmlinge misstrauisch in Augenschein.

Drei Ortsfremde?

Sie besah sich die jungen Burschen, taxierte sie auf ungefähr zwanzig Jahre. Vorneweg ein großer dürrer Typ mit unternehmungslustigem Blick. Kurz hinter ihm ein kräftiger Bursche mit Strubbelhaaren und arrogantem Gesichtsausdruck. Als letzter betrat ein kleiner Kerl, milchgesichtig, mit einem netten Lächeln die Gaststube und schloss die Tür.

Neukunden. Sie verbarg ihr Misstrauen.

„Hallo zusammen“, grüßte sie betont leutselig.

„Nicht viel los bei euch“, begann Markus Stein grußlos. Der kräftige Bursche war offensichtlich Wortführer. Er grinste überheblich. „Wo kann man heute Abend noch richtig einen losmachen?“

Die hübsche Wirtin verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Miene. „Ihr seid ein bisschen spät“, befand sie. „Fastnacht ist vorbei. Jetzt ist erst mal Ruhe im Karton. Dass heute hier noch viel los sein wird, bezweifle ich. Aber morgen, da haben wir unser Hutzelfeuer.“

„Hutzelfeuer?“, wiederholte Stein breit grinsend. „Was verhutzelt denn da? Hoffentlich nicht eure Mädels? Wenn es hier überhaupt welche gibt.“

Alle drei begannen zu kichern.

„Ihr seid richtige Spaßvögel, was?“ Yvonne Kollers Oberlippe kräuselte sich verärgert. Dann fasste sie sich wieder.

„Ich sag euch was“, fuhr sie freundlicher fort. „Bleibt doch hier und schaut euch das Hutzelfeuer an. Am Nachmittag gehts los, um sieben wird das Feuer angezündet. Oben an der Grotte. Da vertreiben wir den Winter aus der Rhön. Die Jugendlichen verkleiden sich als Hutzelhexen. Abends wird dann eine Hexe im Feuer verbrannt.“

Ulf Kannbach, der Lange, prustete los. „Ihr verbrennt eure Jugendlichen?“ Beifall heischend schaute er zu seinen Kumpels. „Jungs, hier sind wir goldrichtig. Voll der Horrorfilm.“

Yvonne schüttelte ihre langen schwarzen Haare und stieß unwillig Luft aus. „Pah. Was seid ihr denn für Faxenprinzen? Da wird eine Puppe verbrannt. Wir wohnen zwar auf dem Land, aber nicht im Mittelalter.“

Stein schlug sich auf die Schenkel. „Aber drei Puppen lasst ihr uns übrig, abgemacht?“ Er lachte laut. „Gibts hier eigentlich auch was zu trinken?“

„Klar. Was wollt ihr denn?“

„Bier.“ Stein schaute sich um. „Was ist? Bleiben wir hier bis morgen Abend?“

Ulf Kannbach zuckte mit dem Schultern. „Meinetwegen. Wenn sonst nichts los ist. Heimfahren möchte ich noch nicht. Was meinst du, Micky?“

Micky Germer war dabei. „Klar, ist mal was Neues. Vielleicht wirds ja ganz nett.“

Yvonne Koller lächelte freundlich.

Zahlende Kundschaft.

„Ihr wollt also übernachten? Ich geb euch zwei Zimmer. Ein Doppel und ein Einzel – ist das recht?“

Micky reagierte schnell. „Ich hätte gerne das Einzelzimmer, wenn es geht.“

„Hör doch mal, der Kleine.“ Markus Stein gluckste höhnisch. „Hast wohl Angst, es guckt dir einer was ab?“

„Blödmann. Ihr zwei schnarcht wie Kettensägen, wenn ihr besoffen seid. Das ist alles. Ich brauche meinen Schönheitsschlaf.“

Yvonne lachte. „Also einmal das Kettensägenzimmer für euch“, sie musterte Stein und Kannbach, „und ein Zimmer für den geruhsamen Schlaf des jungen Herrn. Ihr seid wohl nicht von hier? Wo kommt ihr her?“

„Bad Offenbach“, schnauzte Stein. „Und jetzt machen Sie uns erst mal drei große Bier. Und drei Schnäpschen. Was habt ihr denn da zu bieten?“

Micky Germer winkte ab.

„Für mich bitte erst mal nicht.“ Er fuhr sich durch seine kurzen blonden Haare. „Ein Kaffee wäre jetzt recht, geht das? Und ein Stück Kuchen?“ Er musterte seine Kumpels verstohlen. Dann wandte er sich wieder zur Wirtin. „Außerdem bin ich kein Offenbacher. Darauf lege ich ganz besonderen Wert.“

Stein schaute Germer schief an. Auch Kannbach verzog das Gesicht.

„Ach, Micky, du nun wieder! Sei froh, dass wir dich mitgenommen haben. Einen Fechenheimer. Was soll dieses Theater? Wir wollen hier einen losmachen. Keiner hat was von Kaffeekränzchen gesagt. Ist ja peinlich!“ Er grinste feist. „Schließlich sind wir nicht zum Vergnügen hier.“

„He, Jungs, es ist gut. Ganz ruhig.“ Die Wirtin schüttelte den Kopf und erstickte den aufkommenden Zank.

„Ich würde mal sagen, zuerst tragt ihr euch ins Hausbuch ein“, befahl sie. „Dass alles seine Ordnung hat. Habt ihr eure Ausweise dabei? Ja? Dann bringt ihr euer Gepäck aufs Zimmer. Danach sehen wir weiter.“

Drei betretene Gesichter bestätigten, dass sie offensichtlich den richtigen Ton getroffen hatte. Das Trio vertagte die Auseinandersetzung, trug sich ein und trottete zum Wagen, um das Gepäck zu holen und es auf die Zimmer zu tragen.

Allerdings dauerte es keine zehn Minuten, und schon lümmelten sie wieder unternehmungslustig an der Theke.

Zwei Stunden später waren Ulf und Markus ziemlich angetrunken. Micky hatte – so gut es ging – versucht, sich zurückzuhalten. Er hatte seinen Kaffee bekommen und zwei Stück Apfel-Schmandkuchen dazu vertilgt. Irgendwann war auch er auf Bier umgestiegen. Die Schlagzahl seiner Kumpels hatte er jedoch nicht mitgemacht.

„Ist dieses Hutzelfeuer eigentlich schon vorbereitet? Was verbrennt ihr da eigentlich?“ Ulf schaute die Wirtin mit glasigen Augen an, als sie eine neue Runde brachte.

„Klar, schon seit Tagen. Schaut es euch einfach an. Wäre bestimmt keine schlechte Idee“, meinte Yvonne.

Stein schaute nur gelangweilt und verlangte ein weiteres Bier. Yvonne Koller zog die Notbremse.

„Ihr macht jetzt mal ’ne Pause an der frischen Luft“, verordnete sie mit strengem Blick. „Keine Widerrede. Wenn ihr zurück seid, mach ich euch was Kräftiges zu essen, damit ihr wieder auf den Teppich kommt.“

Markus Stein betrachtete missmutig sein leeres Glas.

„Ist das weit?“

„Keine fünfhundert Meter. Das schafft ihr schon, ihr Helden“, gab Yvonne belustigt zurück.

Sie beschrieb den Weg zum Feuerplatz, oberhalb des Dorfes, gleich neben dem Milseburg-Radweg. Kurz darauf stolperten die drei aus der Gaststätte.

Vor der Tür zögerte Germer, als Kannbach den Autoschlüssel aus der Tasche zog.

„He, Leute“, protestierte er. „Macht keinen Mist! Nicht mit dem Auto. Die Chefin hat gesagt, es sind nur fünfhundert Meter. Ihr seid doch total platt.“

Ulf Kannbach reagierte unerwartet heftig.

„Du blöde Spaßbremse“, blaffte er Micky an, „hättest ja zu Hause bei Mama bleiben können.“

Markus Stein versetzte Micky einen derben Stoß in den Rücken. Der taumelte Richtung Auto.

„Los, einsteigen, Prinzessin. Ich frier mir wegen dir doch nicht den Arsch ab.“

Keine zwei Minuten später parkte Ulf das Auto vor dem Holzhaufen. Er machte große Augen.

„Das ist ja ein Mordsding“, wunderte er sich. „Hätt ich nicht gedacht. Das gibt wirklich ein schönes Feuerchen.“

Die drei näherten sich dem Feuerplatz. Ulf und Markus verdrehten die Augen, als Micky erneut anfing: „Also, ihr könnt machen, was ihr wollt. Ich geh zurück und leg mich für ’ne Stunde aufs Ohr. Wäre auch besser für euch. Später können wir was Gutes essen, die Chefin hat recht, das macht uns wieder fit. Hab keine Lust, mich heute schon zu blamieren. Außerdem ist mir scheißkalt.“

„Jetzt reichts aber.“ Markus Stein war sauer. „Unsere Prinzessin will ins Bettchen. Du hast hoffentlich deinen Schlafanzug mit den niedlichen rosa Ponys nicht vergessen?“

Kannbach lachte schäbig. „Vielleicht haben sie hier ja auch rosa Bettwäsche für unseren süßen Sonderfall.“

Nun platzte Micky der Kragen. Er baute sich vor den beiden auf. „Ihr arroganten Blödmänner! Mit euch kann man echt nur zweimal in eine Kneipe gehen.“